Arbeitsrecht

Begründeter Anspruch einer Kirchenmusikerin auf eine wöchentliche Erhöhung der Arbeitszeit auf 39 Stunden

Aktenzeichen  6 Ca 556/19

Datum:
28.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37674
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TzBfG § 14 Abs. 1, § 17
BGB § 242, § 305 Abs. 1 S. 3, § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 611

 

Leitsatz

1. Die Befristung eines Arbeitsvertrags wegen eines nur vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitsleistung setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers in dem Betrieb kein (dauerhafter) Bedarf mehr besteht (ebenso BAG BeckRS 2008, 53844).  (Rn. 45) (red. LS Andy Schmidt)
2. Es ist grundsätzlich nachvollziehbar, wenn ein Arbeitgeber bei offenen Stellen eine Ausschreibung vornimmt, schon um den jeweils besten Mitarbeiter bzw. die beste Mitarbeiterin zu finden. Dies gilt aber nicht, wenn bereits ein Mitarbeiter vorhanden ist, der über die geeignete formale Qualifikation verfügt. Die Absicht des Arbeitgebers den Arbeitsplatz in absehbarer Zeit für Arbeitnehmer mit allgemein besserer Qualifikation freizumachen, ist kein anzuerkennender Sachgrund. Die bloße Aussicht, womöglich einen besseren Mitarbeiter für eine Stelle zu erhalten, genügt nicht für eine Befristung. (Rn. 52) (red. LS Andy Schmidt)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien über den 31.05.2019 hinaus ein unbefristetes Arbeitsverhältnis als Kirchenmusikerin mit einer Arbeitszeit von 39 Wochenstunden besteht.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Kirchenmusikerin, d.h. Vollzeit bei einem Umfang von 39 Wochenstunden in B-Stadt zu beschäftigen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 18.741,28 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist über den 31.05.2019 hinaus mit einer Arbeitszeit von 39 Wochenstunden zu beschäftigen.
I.
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet. Es handelt sich vorliegend um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen einer Arbeitnehmerin und ihrem Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis, § 2 III a ArbGG. Das Arbeitsgericht Regensburg ist gemäß § 48 Abs. 1 lit. a) Satz 1 ArbGG zur Entscheidung berufen.
Die Feststellungsklage, dass das Arbeitsverhältnis mit einer Wochenstundenzahl von 39 Stunden besteht, ist zulässig. Eine Feststellungsklage muss sich nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis im Ganzen erstrecken, sie kann vielmehr auch – wie vorliegend – einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis betreffen, wie bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen (vgl. BAG, 13.06.1986 – 7 AZR 650/84, Rdnr. 18). Die Klägerin verfügt auch über das nach § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 495, 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Dies ergibt sich daraus, dass die Beklagte sich auf die Wirksamkeit der Befristung beruft und somit bestreitet, dass die Klägerin über den 31.05.2019 hinaus mit 39 Wochenstunden zu beschäftigen ist.
Der Weiterbeschäftigungsantrag ist unbedingt gestellt und inhaltlich hinreichend bestimmt im Sinne der §§ 253 Abs. 2 Nr. 2, 495 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
Die nachträgliche Erweiterung (Klagehäufung) um den Weiterbeschäftigungsantrag ist wie eine Klageänderung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. §§ 495 Abs. 1, 263 ZPO zu behandeln (vgl. BAG, 11.04.2006 – 9 AZN 892/05, Rn. 12) und ist zulässig. Sie erweist sich als sachdienlich, da sie objektiv prozesswirtschaftlich ist und einem weiteren Rechtsstreit zwischen den Parteien vorbeugt
II.
Die Klage ist begründet.
I.
Die befristete Erhöhung der Wochenstundenzahl von 3,5 auf 39 durch Änderungsvertrag vom 11.10.2018 ist unwirksam, sie hält der AGB-Kontrolle nicht stand. Es liegt eine unangemessene Benachteiligung entgegen Treu und Glauben gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vor. Die vereinbarte Wochenarbeitszeit von 39 Stunden gilt somit über den 31.05.2019 hinaus.
1. Die Vertragsinhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird nicht durch die für die Befristung von Arbeitsverträgen geltenden Bestimmungen in §§ 14 ff. TzBfG verdrängt. Die Vorschriften des Teilzeit- und Befristungsgesetzes sind auf die Befristung einzelner Arbeitsvertragsbedingungen nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar (stRspr, vgl. etwa BAG, 23.3.2016 – 7 AZR 828/13, Rn. 42 m.w.N.).
2. Die Vertragsinhaltskontrolle erstreckt sich nur auf die letzte, in dem Änderungsvertrag vom 11.10.2018 vereinbarte befristete Erhöhung der Arbeitszeit auf 39 Wochenstunden vom 01.11.2018 bis längstens zum 31.05.2019. Die Kontrolle der Befristung einer Arbeitsvertragsbedingung ist nur dann nicht auf die zuletzt getroffene Befristungsabrede beschränkt, wenn die Parteien in einer nachfolgenden Vereinbarung zur Befristung der Arbeitsvertragsbedingung dem Arbeitnehmer – ausdrücklich oder konkludent – das Recht vorbehalten, die Wirksamkeit der vorangegangenen Befristung überprüfen zu lassen (stRspr, vgl. etwa BAG, 27.07.2005 – 7 AZR 486/04, Rn. 22) Dieses Recht haben die Parteien der Klägerin in dem Änderungsvertrag vom 11.10.2018 nicht vorbehalten.
3. Bei der im Änderungsvertrag vom 11.10.2018 vereinbarten Befristung handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 I BGB.
a. Schon das äußere Erscheinungsbild des Änderungsvertrags deutet darauf hin, dass es sich um eine für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsklausel handelt. Es handelt sich um ein Formblatt, das maschinenschriftlich ausgefüllt wurde. Es wurden lediglich die Ergänzungen für die gegenständliche Befristung eingefügt.
b. Anzeichen dafür, dass die Vertragsklausel im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB ausgehandelt wurde, sind nicht erkennbar und auch nicht substantiiert vorgetragen worden. Die Beklagte trägt lediglich pauschal vor, dass Befristungsende und Befristungsgrund mit der Klägerin abgesprochen und individuell vereinbart worden seien. Es genügt jedoch nicht, dass das gestellte Formular dem Verhandlungspartner bekannt ist und nicht auf Bedenken stößt, dass der Inhalt lediglich erläutert oder erörtert wird und den Vorstellungen des Partners entspricht. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann vielmehr nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen AGB enthaltenen „gesetzesfremden Kerngehalt“, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (BAG, 12.12.2013 – 8 AZR 829/12, Rn. 31). Dies wurde seitens der Beklagten nicht vorgetragen, die hierfür die Darlegungslast trägt.
4. Die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB ist nicht nach § 307 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
a. Nach § 307 Abs. 3 BGB unterliegen Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dann der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, wenn durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder ergänzende Regelungen vereinbart werden. Bei anderen Bestimmungen ist die Inhaltskontrolle auf den Verstoß gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB beschränkt. Der nur eingeschränkten Kontrolle unterliegen deklaratorische Vertragsklauseln, die in jeder Hinsicht mit einer bestehenden gesetzlichen Regelung übereinstimmen (vgl. BAG, 07.10.2015 – 7 AZR 945/13, Rn. 37).
b. Ebenfalls nur eingeschränkt zu kontrollieren sind Abreden über den Umfang der von den Parteien geschuldeten Hauptleistungen, die ihrer Art nach nicht der Regelung durch Gesetz oder andere Rechtsvorschriften unterliegen, sondern von den Vertragsparteien festgelegt werden müssen (BAG, 31.08. 2005 – 5 AZR 545/04, Rn. 44).
c. Danach ist die Befristungsabrede der uneingeschränkten Inhaltskontrolle zu unterziehen. Sie ist nicht deshalb nur beschränkt kontrollfähig, weil sie sich nur auf die Arbeitszeit bezieht. Gegenstand der Inhaltskontrolle ist nicht die vereinbarte Erhöhung der Arbeitszeit als Hauptleistungspflicht, sondern deren zeitliche Einschränkung durch die Befristung (vgl. BAG, 10.12.2014 – 7 AZR 1009/12, Rn. 36).
5. Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
a. Unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner voraus. Es bedarf einer umfassenden Würdigung der beiderseitigen Positionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei der Beurteilung der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster Maßstab anzulegen (stRspr, vgl. etwa BAG, 07.10.2015 – 7 AZR 945/13, Rdnr. 40; BAG, 15.12.2011 – 7 AZR 394/10, Rn. 20).
b. Für die bei der Befristung einzelner Vertragsbedingungen vorzunehmende Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB gelten damit andere Maßstäbe als für die Befristungskontrolle nach § 14 Abs. 1 TzBfG. Während die Befristung des gesamten Arbeitsvertrags – von den Fällen der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung abgesehen – daraufhin zu überprüfen ist, ob sie durch einen sachlichen Grund gem. § 14 Abs. 1 TzBfG gerechtfertigt ist, unterliegt die Befristung einzelner Vertragsbedingungen nach § 307 Abs. 1 BGB einer Angemessenheitskontrolle, die anhand einer Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen beider Vertragsparteien vorzunehmen ist (BAG, 23.3.2016 – 7 AZR 828/13, Rn. 50)
c. Trotz des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabs sind jedoch bei der nach § 307 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Inhaltskontrolle der Befristung einzelner Vertragsbedingungen Umstände, die die Befristung eines Arbeitsvertrags insgesamt nach § 14 Abs. 1 TzBfG rechtfertigen könnten, nicht ohne Bedeutung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können ausnahmsweise zur Annahme einer nicht unangemessenen Benachteiligung durch die Befristung einer Vertragsbedingung Umstände erforderlich sein, die die Befristung eines Arbeitsvertrags insgesamt nach § 14 Abs. 1 TzBfG rechtfertigen würden. Dies ist etwa bei der befristeten Aufstockung der Arbeitszeit in erheblichem Umfang der Fall (vgl. BAG, 07.10.2015 – 7 AZR 945/13, Rn. 43; BAG, 15. 12. 2011 – 7 AZR 394/10, Rn. 23). Eine Arbeitszeiterhöhung in erheblichem Umfang liegt dabei in der Regel vor, wenn sich das Aufstockungsvolumen auf mindestens 25% einer entsprechenden Vollzeitbeschäftigung beläuft (BAG, 23.3.2016 – 7 AZR 828/13, Rn. 54). Das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an der unbefristeten Vereinbarung des Umfangs seiner Arbeitszeit wird umso mehr beeinträchtigt, desto größer – ausgehend von einer zeitlich unbegrenzten Teilzeitbeschäftigung – der Umfang der vorübergehenden Arbeitszeitaufstockung ist. Bei einer solchen Vertragsgestaltung kann der Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeit befristet erhöht wird, seinen Lebensstandard nicht an einem mit weitgehender Sicherheit kalkulierbaren, in etwa gleichbleibenden Einkommen ausrichten.
d. Im hier zu entscheidenden Fall steht wurde die Arbeitszeit von 3,5 Wochenstunden auf 39 Wochenstunden erhöht. Dies stellt einer Erhöhung von über 1.000% dar.
e. Da somit zweifellos eine befriste erhebliche Aufstockung der Arbeitszeit vorliegt, bedarf es Umstände, die die Befristung eines Arbeitsvertrags insgesamt nach § 14 Abs. 1 TzBfG rechtfertigen würden, um eine nicht unangemessene Benachteiligung annehmen zu können.
f. Dies ist hier nicht der Fall. Es liegen keine Umstände vor, die die Befristung des Arbeitsvertrags insgesamt nach § 14 Abs. 1 TzBfG rechtfertigen würden. Weder der Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG (vorübergehender betrieblicher Bedarf) noch ein sonstiger Befristungsgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG liegen vor. Die Befristungsabrede stellt daher für die Klägerin eine unangemessene Benachteiligung dar und ist unwirksam.
aa) Der Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG (vorübergehender betrieblicher Bedarf) liegt nicht vor.
(1) Dass der vorübergehende Bedarf im letzten Änderungsvertrag nicht ausdrücklich als Befristungsgrund angegeben wurde, sondern als „betrieblicher Bedarf“ bezeichnet wurde, ist unschädlich. Im Anwendungsbereich des TzBfG ist es lediglich erforderlich, dass der Befristungsgrund im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorlag (u.a. BAG, 28.09.2016 – 7 AZR 549/14, Rdnr. 34). Im Rahmen der Inhaltskontrolle nach AGB-Recht ist kein strengerer Maßstab als im Rahmen des TzBfG anzulegen (vgl. BAG, 02.09. 2009 – 7 AZR 233/08, Rdnr. 24).
(2) Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG liegt ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Dies ist nicht nur bei einem vorübergehenden zusätzlichen Mehrbedarf der Fall, auch das bevorstehende Absinken des Arbeitskräftebedarfs kann eine Befristung von Arbeitsverhältnissen rechtfertigen (BAG, 10.06.1992 – 7 AZR 336/92, Rdnr. 22).
(3) Die Befristung eines Arbeitsvertrags wegen eines nur vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitsleistung setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers in dem Betrieb kein (dauerhafter) Bedarf mehr besteht (u.a. BAG, 20.02. 2008 – 7 AZR 950/06, Rdnr. 12).
(4) Im Zeitpunkt des Abschlusses des letzten Änderungsvertrags am 11.10.2018 stand fest, dass auch über den 31.05.2019 hinaus, Kirchenmusiker in Vollzeit in der Stadtkirche BStadt benötigt werden. Die Beklagte hat selbst ausgeführt, dass am 04.10.2018 die Grundsatzentscheidung getroffen wurde, dass zukünftig nur noch zwei Vollzeitkirchenmusiker benötigt werden. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses war der Beklagten auch bekannt, dass diese zwei Vollzeitstellen vakant sein würden, aufgrund der Renteneintritte der drei bisherigen Vollzeitmusiker. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn die Beklagte argumentiert, es habe nur ein vorübergehender betrieblicher Bedarf vorgelegen. Aufgrund der Renteneintritte hat die Beklagte selbst eingeräumt, dass nahezu die gesamte Kirchenmusik in B-Stadt weggefallen sei. Dies zeigt, dass der Bedarf an Vollzeitmusikern im Zeitpunkt des Abschlusses der letzten Befristungsvereinbarung keineswegs nur vorübergehender Natur war.
Wenn die Beklagte argumentiert, es sei eine grundlegende Umstrukturierung der Kirchenmusik in B-Stadt erfolgt, so mag dies zutreffen. In die Freiheit des Unternehmers, seinen Betrieb und dessen Abläufe zu gestalten, wird aber nicht dadurch eingegriffen, dass für die Befristung von Arbeitsverhältnissen ein Sachgrund oder eine spezialgesetzliche Rechtfertigung verlangt wird (BAG, 01.12.1999 – 7 AZR 449/98, Rdnr. 23). Es ändert im Ergebnis auch nichts an der Tatsache, dass die Beklagte, wie sie selbst vorgetragen hat, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses absehbar Bedarf an Kirchenmusikern in Vollzeit mit einem A-Diplom hatte.
bb) Es liegt auch kein sonstiger Befristungsgrund im Sinne des § 14 Abs. 1 TzBfG vor.
(1) Die Aufzählung der in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 TzBfG genannten Gründe ist nicht abschließend, was sich schon aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ ergibt (BAG, 16.03.2005 – 7 AZR 289/04, Rdnr. 27). Sonstige, in dem Katalog des § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nicht genannte Sachgründe können die Befristung eines Arbeitsvertrages jedoch nur rechtfertigen, wenn sie den Wertungsmaßstäben des § 14 Abs. 1 TzBfG entsprechen und den in § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-8 TzBfG genannten Sachgründen von ihrem Gewicht her gleichwertig sind (BAG, 09.12.2009 – 7 AZR 399/08, Rn. 15). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
(2) Ein sonstiger Sachgrund kann u.a. vorliegen, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer befristet einstellt, um den Zeitraum bis zur Arbeitsaufnahme eines anderen, von ihm bereits eingestellten Arbeitnehmers zu überbrücken. Entscheidend für die Anerkennung dieses Sachgrundes der geplanten anderweitigen Besetzung eines Arbeitsplatzes ist allerdings, dass sich der Arbeitgeber bereits im Zeitpunkt des befristeten Vertragsschlusses gegenüber dem später einzustellenden Arbeitnehmer vertraglich gebunden hat (BAG, 09.12.2009 – 7 AZR 399/08, Rdnr. 25). Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Im Zeitpunkt des Abschlusses der letzten Befristungsabrede waren die Stellen noch nicht einmal ausgeschrieben.
(3) Die Beklagte trägt ferner vor, dass es ihren internen Vorgaben entsprechen würde, offene Stellen entsprechend dem öffentlichen Dienst, auszuschreiben. Dies stellt keinen zulässigen sonstigen Befristungsgrund dar.
(aa) Es ist grundsätzlich nachvollziehbar, wenn die Beklagte bei offenen Stellen eine Ausschreibung vornimmt, schon um den jeweils besten Mitarbeiterin bzw. die beste Mitarbeiterin zu finden. Dies gilt aber nicht, wenn bereits ein Mitarbeiter vorhanden ist, der über die geeignete formale Qualifikation verfügt. Die Absicht des Arbeitgebers den Arbeitsplatz in absehbarer Zeit für Arbeitnehmer mit allgemein besserer Qualifikation freizumachen, ist nicht als Sachgrund anzuerkennen (vgl. BAG 1.12.1999, BB 2000, 1525). Die bloße Aussicht, womöglich einen besseren Mitarbeiter für eine Stelle zu erhalten, genügt nicht für eine Befristung.
(bb) Etwas anderes kann zwar unter Umständen gelten, wenn der Arbeitnehmer wegen Fehlens einer an sich für die zu besetzende Stelle erforderlichen Qualifikation für eine Dauerbesetzung der Stelle ungeeignet ist und sich der Arbeitgeber nur vorübergehend durch seine befristete Einstellung behelfen will (vgl. BAG, 10.01.1980 – 2 AZR 25/78 – Rdnr. 23). Diese Voraussetzungen sind aber schon deswegen nicht gegeben, weil die Klägerin für die von ihr ausgeübte Tätigkeit als Diplom-A-Kirchenmusikerin qualifiziert war.
g. Soweit die Beklagte vorträgt, es sei im Rahmen der AGB-Kontrolle auch § 14 Abs. 2 TzBfG heranzuziehen, mit der Folge, dass es für die streitgegenständliche Befristung keines Grundes bedurft hätte, verkennt die Beklagte, dass es sich bei § 14 Abs. 2 TzBfG um eine Ausnahme von der in § 14 Abs. 1 TzBfG normierten Regel handelt, mit der beschäftigungspolitische Ziele verfolgt werden und die nicht auf die Kontrolle der Befristung von einzelnen Arbeitsbedingungen übertragen werden kann. Das BAG hat schon die Anwendung der Vorgängernorm (§ 1 Abs. 1 BeschFG) auf eine solche Konstellation unter Hinweis auf den Sinn und Zweck der Norm, die Einstellung von Arbeitnehmern zu erleichtern, nicht aber die Änderung von Arbeitsbedingungen, strikt abgelehnt und bei Berührung des „Kernbereichs” stets einen sachlichen Grund gefordert (BAG, 23. 1. 2002 – 7 AZR 563/00, Rn. 14 f.). Die damaligen Argumente gelten in gleicher Weise für die Nicht-Anwendung des § 14 Abs. 2 TzBfG im Rahmen der AGB-Kontrolle.
II.
Weiterhin war das Verhalten der Klägerin auch nicht, wie von der Beklagten vorgetragen, widersprüchlich im Sinne von § 242 BGB, weil sie zunächst den befristeten Änderungsvertrag unterschrieb, sich dann auf die Stellen bewarb und nachgehend gegen die Befristung klagte.
1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz verbieten widersprüchliches Verhalten – so genanntes venire contra factum proprium – der Teilnehmer am Rechtsverkehr, im arbeitsrechtlichen wie in anderen Rechtsbereichen. Der Grundsatz venire contra factum proprium leitet sich aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes ab. Dieser gebietet es, die Interessen desjenigen, der zu Recht auf ein früheres Verhalten vertraut hat, höher zu bewerten, als die Interessen dessen, der verantwortlich unzutreffendes Vertrauen verursacht hat (vgl. BAG, 04.12.1997 – 2 AZR 799/96, Rn. 14) .
2. Insbesondere bei befristeten Arbeitsverträgen ist es jedoch nicht unüblich, dass diese zunächst in Vollzug gesetzt werden und nach Ende der Befristung ein Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Befristung geführt wird. In § 17 TzBfG ist diese Konstellation sogar ausdrücklich geregelt. Zwar findet das TzBfG vorliegend keine Anwendung, doch kann man den Rechtsgedanken des § 17 TzBfG heranziehen. Auch nach Ende einer Befristung erhält der betreffende Arbeitnehmer danach die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung der Befristung. Diese Möglichkeit steht einem Arbeitnehmer bei der befristeten Änderung einer einzelnen Arbeitsbedingung in gleicher Weise zu.
III.
Auch der gestellte Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin hat Erfolg, weil der Klägerin nach gewonnener erster Instanz ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung aus § 611 BGB i. V.m. § 242 BGB und Art. 1 und 2 GG zusteht. Ihr Beschäftigungsinteresse überwiegt das gegenteilige Interesse der Beklagten.
1. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BAG (BAG, 27.02.1985 – GS 1/84, Rn. 38 ff.) besteht neben dem Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG auch ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch. Dabei bedarf es jeweils einer Wertung, ob der Arbeitgeber ein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers hat oder ob das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung höher zu bewerten ist. Insofern kann der Bestand des Weiterbeschäftigungsanspruches während des Kündigungsrechtsstreites wechseln. Bis zu einem der Kündigungsschutzklage stattgegebenden erstinstanzlichen Urteil begründet grundsätzlich die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers.
2. Nach einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil ändert sich die Interessenlage. Allein die verbleibende Ungewissheit des Prozessausgangs kann nunmehr für sich allein ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung nicht mehr begründen; vielmehr müssen jetzt zu der Ungewissheit des Prozessausgangs zusätzliche Umstände hinzutreten, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.
3. Diese Grundsätze werden entsprechend auf andere Bestandsstreitigkeiten angewendet (vgl. für Befristungen: BAG, 22.07.2014 – 9 AZR 1066, Rn. 19 f.).
4. Vorliegend steht zwar nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses an sich in Frage, sondern lediglich eine einzelne Arbeitsbedingung. Der Umfang der Änderung der Arbeitszeitbedingung von 3,5 auf 39 Wochenstunden ist allerdings derart erheblich, dass der Sachverhalt mit einer Bestandsstreitigkeit vergleichbar ist.
5. Da die Befristungsabrede unwirksam ist, so müssen – wie vorstehend ausgeführt – zu der Ungewissheit des Prozessausgangs zusätzliche Umstände hinzukommen, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Weder hat die Beklagte derartige Umstände vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i. V. m. §§ 91, 92 Abs. 1 u. 2, 269 Abs. 3 ZPO. Die teilweise Klagerücknahme in Bezug auf den Weiterbeschäftigungsantrag stellt ein lediglich geringfügiges Unterliegen dar, sodass in analoger Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO der Beklagten die gesamten Kosten auferlegt wurden (BGH, 19.10.1995 – III ZR 208/94, Rn. 1) .
IV.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 1 Abs. 2 Nr. 4, 39, 42 Abs. 2 Satz 1, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.


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