Aktenzeichen 9 K 2913/15
Leitsatz
Tenor
1. Der Aufhebungsbescheid vom 29. Januar 2015 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2015 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Gründe
II.
Die Klage ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Aufhebungsbescheids vom 29. Januar 2015 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2015. Die … hat zu Unrecht das Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes des Klägers und seines Sohnes verneint.
1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) hat derjenige Anspruch auf Kindergeld, der im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, für Kinder, die im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
2. Gemäß § 8 der Abgabenordnung (AO) hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
a) Ein Steuerpflichtiger kann mehrere Wohnungen und mehrere Wohnsitze i.S. des § 8 AO haben. Diese können im Inland und/oder im Ausland gelegen sein. Ein Wohnsitz i.S. des § 8 AO setzt nicht voraus, dass der Steuerpflichtige von dort aus seiner täglichen Arbeit nachgeht. Ebensowenig ist es erforderlich, dass der Steuerpflichtige sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr in der Wohnung aufhält. Entscheidend ist allein, ob objektiv erkennbare Umstände dafür sprechen, dass der Steuerpflichtige die Wohnung für Zwecke des eigenen Wohnens beibehält. Für die Beurteilung dieser Frage können alle Umstände des Einzelfalles herangezogen werden. Sie müssen nur nach der Lebenserfahrung den Schluss erlauben, dass der Steuerpflichtige die Wohnung hält, um sie als solche zu nutzen. Nach der Lebenserfahrung spricht es für die Beibehaltung eines Wohnsitzes i.S. des § 8 AO, wenn jemand eine Wohnung, die er vor und nach einem Auslandsaufenthalt als einzige ständig nutzt, während desselben unverändert und in einem ständig nutzungsbereiten Zustand beibehält (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 19. März 1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447). Unter diesen Voraussetzungen kann eine Wohnung auch dann Wohnsitz sein, wenn der Steuerpflichtige sie zwischenzeitlich nur zu Ferien-, Erholungs- oder geschäftlichen Zwecken oder sogar überhaupt nicht aufsucht (vgl. Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 28).
b) Minderjährige Kinder teilen grundsätzlich den Wohnsitz ihrer Eltern (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, m.w.N.).
3. Nach diesen Maßstäben haben im Streitzeitraum von Dezember 2014 bis Oktober 2015 – die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung entfaltet vorliegend bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Bindungswirkung (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juli 2012 V R 58/10, BFH/NV 2012, 1953, m.w.N.) – sowohl der Kläger als auch sein Sohn einen Wohnsitz im Inland gehabt.
a) Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass das Einfamilienhaus eine Wohnung i.S. des § 8 AO ist, welche der Kläger „innehat“. Entgegen der Auffassung der … lassen auch die objektiv erkennbaren Begleitumstände des Innehabens darauf schließen, dass der Kläger die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
Bis zum Beginn seines Auslandseinsatzes hat der Kläger – wie auch die … nicht anzweifelt – im Dezember 2014 einen Wohnsitz im Inland gehabt. Diesen Wohnsitz hat er nicht mit Beginn seines Auslandseinsatzes aufgegeben, obschon seine Familie mit ihm nach Mexiko gegangen ist. Denn der Kläger und seine Lebensgefährtin haben das Einfamilienhaus unverändert und vollständig eingerichtet behalten sowie die Versorgungsverträge weiter laufen lassen. Damit haben sie das Einfamilienhaus für eine jederzeitige Nutzung während des Auslandseinsatzes bereitgehalten. Auch ist die weitere Benutzung des Einfamilienhauses in absehbarer Zeit zu erwarten. Nach der Vereinbarung endet der Auslandseinsatz des Klägers zum 30. November 2017 und sein bisheriges Arbeitsverhältnis mit der AG lebt wieder auf. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger ab Dezember 2017 mit seiner Familie wieder in dem Einfamilienhaus wohnen wird. Ein Zeitraum von drei Jahren (Dezember 2014 bis November 2017) ist (noch) als absehbar anzusehen. Hinzu kommt, dass der Kläger von der AG jederzeit unter Wahrung einer Frist von einem Monat zurückgerufen werden konnte und sein Einsatz bei der Gastgesellschaft bei Vorliegen eines außerordentlichen Grundes in Absprache mit dem Internationalen Personalreferenten früher beendet werden konnte. Damit ist es möglich gewesen, dass der Kläger kurzfristig ins Inland in das Einfamilienhaus zurückkehren konnte. Für die Beibehaltung des Wohnsitzes spricht weiter, dass der Kläger das Einfamilienhaus vom 26. Januar bis 29. Januar 2015 und vom 20. bis 24. Juli 2015 allein sowie vom 19. Dezember 2015 bis 3. Januar 2016 mit seiner Familie genutzt hat. Zudem hat er durch Vorlage einer Buchungsbestätigung der L. AG mit Schriftsatz vom 15. April 2016 glaubhaft gemacht, dass er es auch vom 22. Juli bis 31. Juli 2016 mit seiner Familie nutzen wird.
Entgegen der Auffassung der … ist dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung – AEAO -, BStBl I 2014, 290, zu § 8 AO, Nr. 4 (Satz 2), nicht zu entnehmen, dass der Steuerpflichtige die Wohnung jährlich regelmäßig zweimal zu Wohnzwecken über einige Wochen nutzen muss, um seinen Wohnsitz beizubehalten. Dort wird lediglich unter Anführung des BFH-Urteils vom 23. November 1988 II R 139/87 (BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182) ausgeführt, es genüge (für die Annahme eines Wohnsitzes), dass die Wohnung z.B. über Jahre hinweg jährlich regelmäßig zweimal zu bestimmten Zeiten über einige Wochen benutzt werde. Ebenso müssen – wie unter 2a) ausgeführt – die Aufenthalte des Klägers in dem Einfamilienhaus während seines Auslandseinsatzes nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen. Die von der … für seine Auffassung angeführte Rechtsprechung des BFH, nach der bei einem auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Urlaubszwecken, Besuchszwecken oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, nicht ausreicht, um „zwischenzeitliches Wohnen“ und damit einen inländischen Wohnsitz anzunehmen (z.B. BFH-Urteil vom 25. September 2014 III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, m.w.N.), ist für die Beurteilung des Streitfalles nicht einschlägig. Denn sie ist nicht zu Sachverhalten wie dem Streitfall ergangen, in denen der Steuerpflichtige – wie der Kläger – eine Wohnung, die er vor und nach einem – zeitlich von vornherein befristeten – Auslandsaufenthalt als einzige ständig nutzt, während desselben unverändert und in einem ständig nutzungsbereiten Zustand beibehält.
b) Der erst im Oktober 2014 geborene, minderjährige Sohn des Klägers teilt den Wohnsitz seiner Eltern im Inland. Mit seiner Geburt hat er den Wohnsitz im Einfamilienhaus begründet, da er dort mit seinen Eltern bis zum Beginn des Auslandseinsatzes des Klägers gelebt hat. Ebenso hat er den Familienwohnsitz seiner Eltern während des Auslandseinsatzes des Klägers beibehalten. Dies gilt umso mehr, als die Familie das Einfamilienhaus vom 19. Dezember 2015 bis 3. Januar 2016 gemeinsam genutzt hat und – wie der Kläger durch Vorlage von Buchungsbestätigungen der L. AG mit Schriftsatz vom 15. April 2016 glaubhaft gemacht – vom 22. Juli bis 11. August 2016 nutzen wird, wobei der Kläger bereits am 31. Juli 2016 allein nach Mexiko zurückfliegen wird.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.