Arbeitsrecht

Beschwerdeinstanz – neues Vorbringen – Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  5 Ta 105/21

Datum:
28.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt 5. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LAGST:2022:0228.5TA105.21.00
Normen:
§ 571 Abs 2 S 1 ZPO
§ 118 Abs 2 ZPO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Die Beschwerdeinstanz ist eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz.(Rn.9)

2. Selbst die Beendigung der Instanz schließt neues Vorbringen nicht aus, wenn es um ein Beschwerdeverfahren geht, in dem sich die mittellose Partei nur gegen die in einem Bewilligungsbeschluss erfolgte Zahlungsanordnung wendet.(Rn.14)

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Dessau-Roßlau, 9. September 2021, 8 Ga 3/21, Beschluss

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 09.09.2021 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 15.10.2021 – 8 Ga 3/21 – abgeändert. Der Klägerin wird mit Wirkung vom 25.08.2021 für die erste Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Klägerin wird Rechtsanwalt Dr. S… beigeordnet.

Gründe

A.
Die Klägerin hat für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung mit Schriftsatz vom 25.08.2021 Prozesskostenhilfe beantragt.
Mit Beschluss vom 09.09.2021 hat das Arbeitsgericht der Klägerin mit Wirkung vom 25.08.2021 Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt und Rechtsanwalt Dr. S… beigeordnet. Zugleich hat das Arbeitsgericht die von der Klägerin aus ihrem Einkommen monatlich zu zahlende Rate auf 98,00 Euro festgesetzt. Hinsichtlich der PKH-Berechnung des Arbeitsgerichts wird auf Blatt 73 des Beiheftes Prozess- und Verfahrenskostenhilfe Bezug genommen.
Gegen den ihr am 15.09.2021 zugestellten Beschluss wendet sich ihre beim Arbeitsgericht am 13.10.2021 eingegangene sofortige Beschwerde. Die Klägerin habe wesentliche Belastungen bisher nicht geltend gemacht. Hierbei handele es sich um monatliche Fahrtkosten in Höhe von 289,25 Euro, die der Klägerin im Rahmen ihres Berufsausbildungsverhältnisses entstehen. Darüber hinaus beteilige sie sich an den Kosten des mit ihrem Vater gemeinsam geführten Haushaltes. Weiterhin müsse berücksichtigt werden, dass in dem weiteren Verfahren 8 Ca 107/21 ebenfalls eine Ratenzahlungsanordnung ergangen ist.
Mit Beschluss vom 15.10.2021 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht vorgelegt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die erstmals im Beschwerdeverfahren und nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache geltend gemachten Belastungen nicht einkommensmindernd in Ansatz gebracht werden können. Nach der Systematik der §§ 114 ff ZPO werde Prozesskostenhilfe für ein durchzuführendes Verfahren bewilligt. Daraus ergebe sich, dass finanzielle Belastungen, die bereits während des laufenden Verfahrens bestanden haben, von der Partei aber erst nach Abschluss desselben erstmals geltend gemacht werden, keine Berücksichtigung im Rahmen des § 115 ZPO finden können. Dabei nimmt das Arbeitsgericht Bezug auf eine Entscheidung des LAG Sachsen-Anhalt vom 25.04.2016 – 2 Ta 40/16.
Mit Schriftsatz vom 22.11.2021 hat die Klägerin auf den Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Stellung genommen. Es gehe im vorliegenden Fall nicht um die Frage, ob nach einem bereits durchgeführten Verfahren einem Prozessbevollmächtigten durch nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse verschafft werden soll. Des Weiteren verweist die Klägerin auf den Beschluss des LAG Hamm vom 01.07.2015 – 14 Ta 6/15.
Die Bezirksrevisorin bei dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt hat zu der sofortigen Beschwerde Stellung genommen. Die Bezirksrevisorin hat sich der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts angeschlossen. Darüber hinaus seien die Fahrtkosten wegen fehlender konkreter Berechnung nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen.
B.
I.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel. Die Klägerin hat die einmonatige Notfrist des § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingehalten. Die Beschwerdeschrift entspricht den Vorgaben der §§ 569 Abs. 2, 571 Abs. 1 ZPO.
II.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Die monatlichen Fahrtkosten in Höhe von 289,25 Euro wirken sich einkommensmindernd aus. Unter Berücksichtigung dessen verfügt die Klägerin über kein anrechenbares Einkommen, so dass ihr ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.
1.
Nach § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann die Beschwerde auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. Die Beschwerdeinstanz ist eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz.
§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO schließt die Anwendung von § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht aus (BAG 08.12.2020 – 9 AZB 59/20, juris, Rn. 8, 9; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 118 ZPO Rn. 27 m.w.N.).
2.
An der Ansicht der Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt betreffend Prozesskostenhilfe (ursprünglich die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt) – Beschluss vom 18.07.2018 – 2 Ta 87/18 und Beschluss vom 25.04.2016 – 2 Ta 40/16) – wird nicht festgehalten. Die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts begründete ihre Entscheidungen damit, dass Aufwendungen nicht zu berücksichtigen seien, da sie erst außerhalb der Instanz – nämlich nach deren Beendigung – geltend gemacht worden sind. Berücksichtigungsfähige Aufwendungen hätten innerhalb der Instanz geltend gemacht werden müssen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Prozesskostenhilfe einen Prozess begleiten soll. Eine solche Begleitung sei jedoch nicht mehr möglich, wenn die entsprechenden Aufwendungen erst nach Beendigung der Instanz erstmals geltend gemacht werden.
Diese Aussagen sind zutreffend, soweit Prozesskostenhilfe zurückgewiesen wurde. Dann ist es richtig, dass nicht im Wege des Beschwerdeverfahrens PKH nachträglich für ein bereits abgeschlossenes Verfahren bewilligt werden kann (vgl. auch BAG 03.12.2003 – 2 AZB 19/03: für eine versagte Prozesskostenhilfe).
Im vorliegenden Fall hat das Arbeitsgericht jedoch Prozesskostenhilfe bewilligt. Es geht in der sofortigen Beschwerde „nur“ um die Anordnung von monatlichen Ratenzahlungen.
Bei erfolgter Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann die antragstellende Partei, gegebenenfalls auch bei fruchtloser Fristsetzung gemäß § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, gemäß § 571 ZPO noch im Beschwerdeverfahren Belege vorlegen, welche eine niedrigere oder keine Ratenzahlung rechtfertigen. Bei bewilligter Prozesskostenhilfe steht dem beigeordneten Prozessbevollmächtigten ein Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse zu, weil die Voraussetzungen hierfür unabhängig für die erst nachgereichten Belege erfüllt sind und es nur noch um die Frage geht, ob die Antragstellerin sich an den Kosten beteiligten muss. Maßgeblich ist, dass die stattgebende Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgt ist. Das für eine Spezialität von § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO gegenüber § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO wesentliche Argument, nach Beendigung des Rechtsstreits dürfe über das Beschwerdeverfahren nicht noch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erreicht werden, greift nicht (Hessisches Landesarbeitsgericht 24.07.2020 – 8 Ta 220/20, juris, Rn. 14, 15). Die Beendigung der Instanz schließt neues Vorbringen dann nicht aus, wenn es um ein Beschwerdeverfahren geht, in dem sich die mittellose Partei nur gegen die in einem Bewilligungsbeschluss erfolgte Zahlungsanordnung wendet. Der Zweck der Prozesskostenhilfe rechtfertigt es in diesen Fällen nicht, neues Vorbringen zu der vor der Bewilligung mit Ratenzahlungsanordnung bestehenden Belastung nur deswegen nicht zu berücksichtigen, weil das Verfahren in der Hauptsache beendet ist (LAG Hamm 01.07.2015 – 14 Ta 6/15, juris, Rn. 54, 56; LAG Hamm 19.06.2017 – 5 Ta 275/17, juris).
3.
Die monatlichen Fahrtkosten der Klägerin sind als weiterer abzugsfähiger Betrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO i. V. m. § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII neben dem Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b ZPO einkommensmindernd zu berücksichtigen (LAG Sachsen-Anhalt 25.04.2016 – 2 Ta 40/16). Zwar liegen die Voraussetzungen für die Anerkennung der Entfernungspauschale gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO i. V. m. § 82 SGB XII i. V. m. § 3 Abs. 6 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII nicht vor. Danach kann eine Pauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur bei Benutzung eines eigenen Kraftwagens in Höhe von 5,20 Euro für jeden vollen Entfernungskilometer geltend gemacht werden. Der Betrag, den die Klägerin angibt, dürfte aber bei den angegebenen Kilometern die anfallenden Treibstoffkosten unterschreiten. Schon aus diesem Grund bedurfte es keiner Auflage zur weiteren Berechnung der Fahrtkosten.
C.
Da die sofortige Beschwerde Erfolg hatte, bedurfte es keiner Kostenentscheidung.


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