Arbeitsrecht

Bestellungsverfahren nach § 100 ArbGG – Offensichtlichkeitsmaßstab

Aktenzeichen  9 TaBV 64/21

Datum:
23.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39570
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG § 100 Abs. 1 S. 2
BetrVG § 50 Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Leitsatz

1. Die Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig iSv § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. (LAG Rheinland-Pfalz BeckRS 2018, 53602 Rn. 21; LAG Hamm BeckRS 2015, 68402). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG richtet sich die Abgrenzung von Einzelfallgestaltung zu kollektivem Tatbestand danach, ob es um die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht. Hierbei kann die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, dass ein kollektiver Tatbestand vorliegt. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG steht es nicht entgegen, dass der Arbeitgeber über- oder außertarifliche Entgeltbestandteile einzelvertraglich mit den Arbeitnehmern vereinbart hat oder in Zukunft mit den Arbeitnehmern vereinbaren will. Ein kollektiver Tatbestand fehlt nur dann, wenn bei der Festlegung der Zulagenhöhe die besonderen Umstände des einzelnen Arbeitnehmers eine Rolle spielen und dabei kein innerer Zusammenhang zur Leistung anderer Arbeitnehmer besteht. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 BV 21/21 2021-10-19 Bes ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichtes München vom 19.10.2021, Az: 10 BV 21/21, abgeändert.
Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik
„Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin als individuell bezeichneten, für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstigen Bonuszahlungen“ wird der Präsident des Arbeitsgerichts München a.D. Werner Wolff bestellt.
Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils zwei festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in AStadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin in Einzelfällen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstige Bonuszahlungen“.
lm Frühjahr 2021 entdeckte der Antragsteller im lntranet der Antragsgegnerin, Mitteilungen, dass optional im dritten Quartal 2021 über individuelle Gehaltsanpassungen gesprochen werden soll.
Durch Mitteilung des Antragstellers vom 03.05.2021 erklärte dieser, dass hierdurch Mitbestimmungsrechte des Antragstellers berührt werden. Der Antragsteller forderte die Antragsgegnerin zu Verhandlungen auf. Falls bis 14.05.2021 keine Reaktion erfolge, werde die Einigungsstelle angerufen.
Gemäß E-Mail der Antragsgegnerin vom 16.06.2021 teilte diese dem Antragsteller mit, dass man ein Entgeltkonzept erarbeite, das dem Antragsteller im dritten Quartal 2021 vorgelegt werde.
Zwischen den Beteiligten wurden sodann diverse E-Mails ausgetauscht, ohne dass eine Einigung erzielt werden konnte.
Mit E-Mail des Antragstellers vom 27.07.2021 forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf, der Einrichtung einer Einigungsstelle zuzustimmen und mindestens fünf mögliche Einigungsstellenvorsitzende zu benennen.
Die Antragsgegnerin antwortete mit E-Mail vom 04.08.2021 dahingehend, dass ein Konzept für die Entlohnungsgrundsätze erarbeitet werde und dieses dem Antragsteller vorgelegt werde. Mit E-Mail des Antragstellers vom 06.08.2021 teilte dieser der Antragsgegnerin mit, dass Regelungsgegenstand einer Betriebsvereinbarung auch Gehaltserhöhungen für 2021 sein sollen.
In einer von der Antragsgegnerin initiierten Videokonferenz vom 12.08.2021 teilte der Personalleiter der Antragsgegnerin mit, dass es für 2021 Gehaltserhöhungen gäbe, diese jedoch lediglich als individuelle Vereinbarungen zwischen der Antragsgegnerin und den Mitarbeitern zu betrachten seien und dies auch für Zielvereinbarungen und Bonuszahlungen gelte, so dass ein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nicht gegeben sei.
Unter dem 19.12.2017 war eine Gesamtbetriebsvereinbarung über individuell vereinbarte Leistungsziele (Zielvereinbarung) sowie der Entlohnungsgrundsätze bei Erreichung von vereinbarten Zielen (Tantiemeregelung) abgeschlossen worden.
Parteien dieser Gesamtbetriebsvereinbarung waren einerseits die Antragsgegnerin und die EDAG Production Solutions GmbH & Co. KG und andererseits der Gesamtbetriebsrat der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller hat vorgetragen, er habe am 09.07.2021 beschlossen, insbesondere zu den Themen Gehaltserhöhungen und Leistungsentgelte ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren einzuleiten. Auf Anlage ASt1 zum Schriftsatz des Antragstellers vom 17.08.2021 wird Bezug genommen. Dieser Beschluss sei von dem Antragsteller mit Beschluss vom 13.08.2021 bestätigt worden.
Der Antragsteller hat beantragt,
1. Zum/zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstige Bonuszahlungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. eine ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils zwei festgesetzt.
2. Hilfsweise: Zum Vorsitzenden bzw. zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen und sonstige Bonuszahlungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils zwei festgesetzt.
3. Hilfshilfsweise: Zum Vorsitzenden bzw. zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in A-Stadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils zwei festgesetzt.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge zurückzuwiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Beschlussfassung des Antragstellers zur Einleitung eines Einigungsstelleneinsetzungsverfahrens bestritten.
Sie hat geltend gemacht, ein Rechtsschutzinteresse für die Anträge sei nicht gegeben; eine abschließende Stellungnahme, mit der das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers verneint werde, sei nicht getroffen worden. In Ansehung der oben genannten Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.12.2017 sei die vom Antragsteller gewünschte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig. Die infrage stehenden Gehaltsanpassungen hätten keinen kollektiven Bezug.
Im Übrigen würde die Antragsgegnerin über die oben genannten Regelungsgegenstände nur eine unternehmensweite Regelung einführen wollen, so dass nicht die einzelnen Betriebsräte, sondern nur der Gesamtbetriebsrat zuständig sei.
Das Arbeitsgericht hat zwar die Zulässigkeit der Anträge bejaht, sie jedoch als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig. Zwar hätten die von der Arbeitgeberin in Aussicht gestellten Änderungen der Vergütungen für einzelne Mitarbeiter einen kollektiven Bezug. Die einzelnen Arbeitnehmer gewährten Gehaltserhöhungen bzw. Gehaltsveränderungen wirkten sich zwangsläufig auf die Vergütungsstruktur im Betrieb aus. Auch könne die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.12.2000 die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht begründen. Die Gesamtbetriebsvereinbarung sei offensichtlich unwirksam, da es nicht möglich sei, eine Gesamtbetriebsvereinbarung unter Einbeziehung eines weiteren Arbeitgebers abzuschließen. Die Einigungsstelle sei jedoch offensichtlich unzuständig, da das Mitbestimmungsrecht nicht vom Antragsteller wahrgenommen werden könne. Erkläre ein Arbeitgeber, dass er bezüglich eines Regelungsgegenstandes lediglich eine einheitliche Regelung für das gesamte Unternehmen abschließen wolle, könne dies nur der Gesamtbetriebsrat.
Hinsichtlich der Begründung des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf die Seiten 5 – 9 (Bl. 116-120 der Akten) des erstinstanzlichen Beschlusses verwiesen.
Gegen diesen Beschluss vom 19.10.2021, dem Antragsteller zugestellt am 20.10.2021, legte dieser am 29.10.2021 Beschwerde ein und begründete diese im selben Schriftsatz.
Der Antragsteller macht geltend, das Arbeitsgericht habe den Gegenstand des Begehrens des Antragstellers verkannt und zudem lediglich den Sachvortrag der Arbeitgeberin seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Der Antragsteller strebe eine Einigungsstelle zu den Themen Zielerreichung, Gehaltserhöhung und sonstige Bonuszahlungen für das Jahr 2021 an. Im Betrieb des Antragstellers habe es im Jahr 2021 Gehaltserhöhungen gegeben, die die Arbeitgeberin nicht als unternehmensweit, sondern als aus ihrer Sicht „individuell“ darstelle. Die Zahlungen seien nach der Darstellung der Arbeitgeberin nicht unternehmensbezogen, ja nicht einmal betriebsbezogen, sondern vielmehr arbeitnehmerbezogen gewesen.
Bestünden Zweifel daran, welches Gremium zuständig sei, könne dies keine offensichtliche Unzuständigkeit des Betriebsrats im Einigungsstelleneinsetzungsverfahren begründen.
Der Antragsteller beantragt,
1.Der Beschluss des Arbeitsgerichtes München vom 19.10.2021, Az: 10 BV 21/21, wird abgeändert.
2.Der Beschluss des Arbeitsgerichtes München vom 19.10.2021, Az: 10 BV 21/21, wird wie folgt neu gefasst:
1.Zum/zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in AStadt) bezüglich der das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstige Bonuszahlungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. eine ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
2.Die von den Beteiligten in die Einigungsstelle zu entsendenden Beisitzer werden auf jeweils 2 festgesetzt.
3.Hilfsweise für den Fall des Unterliegens im Antrag zu Ziffer 1:
Zum/zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in AStadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen und sonstige Bonuszahlungen “ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. eine ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
4. Für den Fall des Unterliegens im Hilfsantrag zu Ziffer 3:
Zum/zur Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Errichtung eines Vergütungssystems für den Betrieb der Antragsgegnerin (in AStadt) bezüglich der für das Jahr 2021 von der Antragsgegnerin individuell für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebs ausgelobten oder vereinbarten, bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen“ wird ein Richter bzw. eine Richterin bzw. ein ehemaliger Richter bzw. eine ehemalige Richterin aus der bayerischen Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehaltlich dessen bzw. deren Zustimmung sowie vorbehaltlich der Erteilung einer eventuell erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigung bestellt.
Die Beteiligte zu 2) beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin bestreitet die ordnungsgemäße Beschlussfassung für die Einleitung des Verfahrens und weist darauf hin, dass sie ihre Einwendungen hinsichtlich der Verständlichkeit der Anträge aufrecht erhalte. Sie weist weiter darauf hin, dass Sie im Jahr 2021 keine allgemeinen Gehaltsanpassungen nach bestimmten Kriterien vorgenommen habe.
Mangels kollektivrechtlicher Komponente bestehe kein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers. Darüber hinaus hält sie weiterhin daran fest, dass sie, würde sie eine kollektivrechtliche Regelung vornehmen, diese allenfalls unternehmensweit durchführen würde. Ein Mitbestimmungsrecht des örtlichen Betriebsrats sei deshalb bereits aus diesem Grund nicht gegeben. Dies gelte auch für Zielerreichungsprämien und sonstige Bonuszahlungen.
Die ausschließlich unternehmensweite Regelungsbereitschaft der Arbeitgeberin ergebe sich auch aus der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.12.2017, die unternehmensweit angewendet werde. Die Gesamtbetriebsvereinbarung sei auch wirksam. Dem Antragsteller als örtlichen Betriebsrat sei eine Regelung hier (subjektiv) unmöglich.
Hinsichtlich des Vortrags der Beteiligten im Einzelnen wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 29.10.2021 (Bl. 105-111 der Akten) und vom 12.11.2021 (Bl. 200-204 der Akten) samt ihren Anlagen verwiesen.
II.
Gegen die Zulässigkeit der Beschwerde bestehen keine Bedenken. Sie ist nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 89 Abs. 1 und 2, 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO)
Bedenken bestehen auch nicht hinsichtlich der ordnungsgemäßen Einleitung des Beschwerdeverfahrens. Der Antragsteller hat im Anhörungstermin sowohl die Einladung zur Betriebsratssitzung vom 22.10.2021 als auch die Tagesordnung, die Teilnehmerliste und das Protokoll sowie den unterschriebenen Beschluss hinsichtlich der Beschwerdeeinlegung vorgelegt. Die Arbeitgeberin hat im Anschluss an die Vorlage der Unterlagen die Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses auch nicht mehr gerügt. Mängel der Beschlussfassung sind auch nicht zu erkennen. Dasselbe gilt für den Beschluss vom 13.08.2021, für den der Antragssteller die gleichen Unterlagen vorgelegt hat.
III.
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Einigungsstelle war einzusetzen, da deren offensichtliche Unzuständigkeit nicht festgestellt werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass der örtliche Betriebsrat vorliegend ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG hat.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er auch hinreichend bestimmt.
Soweit im Antrag die Rede ist von „individuell“ ist der Antrag auszulegen. Der Antragsteller greift hier die Formulierung der Arbeitgeberin auf, es handle sich bei den streitgegenständlichen Entgeltleistungen um „individuelle“ Vereinbarungen. Aus dem gesamten Akteninhalt ergibt sich jedoch, dass der Antragsteller hier nicht von wirklich individuellen Leistungen, sondern von Leistungen mit kollektivem Bezug ausgeht. „Individuell“ ist deshalb hier dahin auszulegen, dass damit gemeint ist „als individuell bezeichnet“.
Unter Berücksichtigung dieser Auslegung, kann dem Antrag hinreichend bestimmt entnommen werden, dass Regelungsgegenstand der Einigungsstelle ein Entgeltsystem für alle für das Jahr 2021 von der Arbeitgeberin als individuell bezeichneten ausgelobten, vereinbarten bereits umgesetzten oder noch umzusetzenden Gehaltserhöhungen, Zielerreichungsprämien und sonstige Bonuszahlungen sein sollen. Damit ist der Regelungsgegenstand klar umrissen.
2. Die Einigungsstelle ist nicht offensichtlich unzuständig.
Das Gericht darf die Anträge auf Bestellung des Vorsitzenden und auf Bestimmung der Zahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückweisen, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).
Der Begriff ist sehr eng zu verstehen. Ein Antrag nach § 100 kann nur abgewiesen werden, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt. (LAG Rheinland-Pfalz, 30.09.2018 – 5 TaBV 13/18, Rn. 56 LAG Hamm, Beschluss vom 31.03.2015 – 7 TaBV 15/15, Rn. 37) Dies erklärt sich aus den Besonderheiten des Bestellungsverfahrens, das darauf gerichtet ist, den Betriebspartnern, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfall beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Diese Zielsetzung erfordert ein unkompliziertes Bestellungsverfahren ohne zeitraubende Prüfung schwieriger Rechtsfragen. Dem entspricht das vereinfachte gerichtliche Verfahren ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter unter Ausschluss der Rechtsbeschwerde. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab korrespondiert damit, dass die Einigungsstelle die Vorfrage ihrer Zuständigkeit selbst prüft und sich, wenn sie diese nicht für gegeben hält, für unzuständig erklären kann (LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.09.2018 – 5 TaBV 13/18, Rn. 56; vgl. BAG, 24.11.1981 – 1 ABR 42/79; Schlewing in Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, § 100 ArbGG, Rn. 9) Der Offensichtlichkeitsmaßstab gilt für alle im Bestellungsverfahren zu entscheidenden Fragen, auch für die Frage der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats oder des örtlichen Betriebsrats (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.02.2021 – 4 TaBV 50/21, Rn. 29; LAG Rheinland-Pfalz 22.02.2018 – 2 TaBV 38 Schlewing in Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, § 100 ArbGG, Rn. 10/17 – Rn. 56)
Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe ist die Einigungsstelle hier nicht offensichtlich unzuständig.
[2.1.] Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich nicht aus einem fehlenden kollektiven Bezug der in 2021 gezahlten oder ausgelobten oder vereinbarten finanziellen Leistungen.
Die Vorschrift des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Die Regelung soll ein umfassendes Mitbestimmungsrecht auf diesem Gebiet sicherstellen. Es setzt nur ein, wenn es um die Festlegung allgemeiner (kollektiver, genereller) Regelungen geht. Das ergibt sich unmittelbar aus § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG, der ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung gibt und als Beispiele die Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen sowie die Einführung, Anwendung und Änderung von Entlohnungsmethoden aufführt. Die individuelle Lohngestaltung, Regelungen mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitnehmers, bei denen ein innerer Zusammenhang zu ähnlichen Regelungen für andere Arbeitnehmer nicht besteht, unterliegen also nicht dem Mitbestimmungsrecht (BAG, Beschluss vom 03. Dezember 1991 – GS 2/90, Rn. 77 f.)
Bei dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG richtet sich die Abgrenzung von Einzelfallgestaltung zu kollektivem Tatbestand danach, ob es um die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht. Hierbei kann die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ein Indiz dafür sein, dass ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Das ist deshalb von Bedeutung, weil es dem Zweck des Mitbestimmungsrechts widerspräche, wenn der Arbeitgeber es dadurch ausschließen könnte, dass er mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern jeweils „individuelle“ Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung trifft und sich hierbei nicht selbst binden und keine allgemeine Regelung aufstellen will. Mit einer solchen Vorgabe, nur individuell entscheiden zu wollen, könnte sonst jedes Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen werden. Bei der Änderung der Verteilungsgrundsätze für über/außertarifliche Zulagen geht es stets um die Strukturformen des Entgelts. Deshalb liegt hier stets ein kollektiver Tatbestand vor (vgl. BAG GS a. a. O. Rn. 82).
Daraus folgt, dass es dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegensteht, dass der Arbeitgeber über- oder außertarifliche Entgeltbestandteile einzelvertraglich mit den Arbeitnehmern vereinbart hat oder in Zukunft mit den Arbeitnehmern vereinbaren will. Ein kollektiver Tatbestand fehlt nur dann, wenn bei der Festlegung der Zulagenhöhe die besonderen Umstände des einzelnen Arbeitnehmers eine Rolle spielen und dabei kein innerer Zusammenhang zur Leistung anderer Arbeitnehmer besteht. Das ist etwa dann der Fall, wenn für die Lohnbemessung der Wunsch des einzelnen Arbeitnehmers maßgebend ist, persönliche steuerliche Nachteile zu vermeiden, oder wenn z. B. bei einem einzelnen Arbeitnehmer eine Tariflohnerhöhung auf eine übertarifliche Zulage angerechnet wird, weil dieser allein aus einem ganz individuellen Grund auf einem tariflich niedriger zu bewertenden Arbeitsplatz unverändert die bisherige höhere Vergütung bezieht. Ein kollektiver Tatbestand liegt dagegen vor, wenn Grund und Höhe der Zahlungen von allgemeinen Merkmalen abhängig sind, insbesondere von Leistungsmerkmalen oder Verantwortungsmerkmalen auf dem jeweiligen Arbeitsplatz. (LAG Köln (4. Kammer), Beschluss vom 15.11.2013 – 4 TaBV 61/13, Rn. 11 ff., mwN.)
Unstreitig hat die Arbeitgeberin in dem von Antragsteller betreuten Betrieb in 2021 in Einzelfällen Gehaltserhöhungen vorgenommen sowie die Möglichkeit von Boni und Zielvereinbarungen angekündigt. Nach den oben angeführten Grundsätzen folgt allein aus dem Umstand, dass die Arbeitgeberin hierzu mit den Arbeitnehmern jeweils individuelle Vereinbarungen getroffen hat, nicht, dass den Leistungen kein kollektiver Bezug, z.B. Leistungsmerkmale, zugrunde liegen. Die Arbeitgeberin, die allein über die Motive der Leistung Auskunft geben kann, hat keinerlei Umstände vorgetragen, denen entnommen werden könnte, dass bei den Zahlungen nur die persönlichen Umstände der einzelnen Arbeitnehmer eine Rolle spielen und kein innerer Zusammenhang zu einer Leistung besteht. Ein kollektiver Bezug der in 2021 gezahlten Leistungen ist deshalb keineswegs ausgeschlossen, sondern vielmehr naheliegend, so dass mit einem fehlenden kollektiven Bezug der in 2021 gezahlten zusätzlichen Vergütungsbestandteile eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht begründet werden kann.
Sowohl bei den in 2021 gewährten Gehaltserhöhungen als auch bei den Zielerreichungsprämien und den sonstigen Bonuszahlungen handelt es sich unstreitig um Entgeltbestandteile, die bei kollektivem Bezug in den Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG fallen.
[2.2.] Die Einigungsstelle ist auch nicht deshalb offensichtlich unzuständig, weil der Antragsteller unzuständig ist und nur eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats in Betracht kommt.
[2.2.1.] Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ergibt sich vorliegend nicht daraus, dass die Arbeitgeberin geltend macht, dass sie, soweit sie verpflichtet wäre, eine Regelung zu treffen, lediglich eine unternehmensweite Regelung hierzu einführen würde.
Nach § 50 Abs. 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat für eine Angelegenheit zuständig, wenn ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht. Dieses kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats kann dabei auch auf der “subjektiven Unmöglichkeit” einzelbetrieblicher Regelungen beruhen. Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitgeber im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung zu einer Maßnahme, Regelung oder Leistung nur betriebsübergreifend bereit ist. Wenn der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei darüber entscheiden kann, ob er eine Leistung überhaupt erbringt, kann er sie von einer überbetrieblichen Regelung abhängig machen und so die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung herbeiführen. (BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 1 ABR 59/05, Rn. 18) Ein solcher Fall der subjektiven Unmöglichkeit einer betrieblichen Regelung ist aber vorliegend nicht gegeben. Die Arbeitgeberin hat vorliegend die zusätzlichen Entgeltleistungen für das Jahr 2021 gerade nicht von einer unternehmensweiten Regelung abhängig gemacht, vielmehr hat sie auf jegliche Regelung verzichtet und beruft sich auf allein individuelle Vereinbarungen. Die bereits im Betrieb erbrachten Leistungen, die keinerlei Unternehmensbezug aufweisen, kann die Arbeitgeberin nicht nachträglich von einer unternehmensweiten Regelung abhängig machen.
Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ergibt sich der Unternehmensbezug auch nicht daraus, dass einzelne Vorgesetzte, die auf eine nicht näher erläuterte Weise an der Festsetzung der zusätzlichen Vergütungszahlungen mitgewirkt haben, nicht in dem von dem Antragsteller vertretenen Betrieb beschäftigt sind, sondern in einem anderen Betrieb des Unternehmens. Nachdem auch diese an einem anderen Betrieb beschäftigten Vorgesetzten nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin lediglich individuelle Maßstäbe angelegt haben sollen, ist dem Vortrag der Arbeitgeberin auch insoweit ein Unternehmensbezug bei der Leistungsbemessung nicht zu entnehmen, oder ist jedenfalls nicht offensichtlich.
[2.2.2.] Ein Unternehmensbezug der in 2021 geleisteten zusätzlichen Entgelte ergibt sich auch nicht daraus, dass die Arbeitgeberin 2017 eine Gesamtbetriebsvereinbarung zu Zielvereinbarungen und zu Tantiemen abgeschlossen hat.
Die Arbeitgeberin hat nach ihrem eigenen Vorbringen die in 2021 geleisteten zusätzlichen Entgelte gerade nicht nach der Gesamtbetriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 erbringen wollen, sondern allein aufgrund individueller Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern. Die Arbeitgeberin hat sich bei den in 2021 geleisteten oder ausgelobten Leistungen gerade von der kollektiven, unternehmensweit geltenden Regelung losgesagt. Darüber hinaus ist die Gesamtbetriebsvereinbarung aus den vom Arbeitsgericht zutreffend ausgeführten Gründen unwirksam.
[2.2.3.] Auch aus dem Umstand, dass auch in anderen Betrieben des Unternehmens in 2021 an einzelne Arbeitnehmer zusätzliche Entgelte gezahlt wurden, ergibt sich keine offensichtliche Unzuständigkeit des örtlichen Betriebsrates. Nach dem Vortrag der Arbeitgeberin bestand bei diesen Zahlungen ja gerade kein Unternehmensbezug sondern allein ein Arbeitnehmerbezug. Allein der Umstand, dass in verschiedenen Betrieben eines Unternehmens ähnliche oder gleiche Sachverhalte verwirklicht werden, begrünet keinen Unternehmensbezug.
3. Gegen die Person des eingesetzten Einigungsstellenvorsitzenden haben die Parteien keine Einwände erhoben.
4. Die vom Antragsteller beantragten zwei Beisitzer auf jeder Seite sind angemessen. Gegen die Zahl der Beisitzer hat die Arbeitgeberin auch keine Einwände geltend gemacht.
IV.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 100 Abs. 2 S. 4 ArbGG).


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