Arbeitsrecht

Betreuervergütung: Zur vergütungsrechtlichen Einstufung einer familienähnlichen Unterbringung eines Betreuten

Aktenzeichen  09 XVII 23/07

Datum:
7.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2021, 146
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Gemünden
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VBVG § 5 Abs. Abs. 3 S. 3

 

Leitsatz

Die familienähnliche Unterbringung eines Betreuten aufgrund eines Betreuungsvertrages der Betreuungsperson mit einer Fachklinik entspricht keiner ambulant betreuten (§ 5 Abs. 3 S 3 VBVG) sondern einer anderen Wohnform (§ 5 Abs. 3 S 1 letzter Fall VBVG), wenn die Tätigkeit der Betreuungsperson mangels pflegerischer, sozialpädagogischer oder sonst einschlägiger Ausbildung nicht einer „Rund-um die Uhr-Versorgung durch professionelle Pflege- oder Betreuungskräfte“ gleichgestellt werden kann (vgl. MüKoBGB/Fröschle, 8. Aufl. 2020, VBVG § 5 Rn. 36; Jaschinski in: jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 5 VBVG Rn. 40, 41 – Stand 15.10.2019).  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Auf die Erinnerung des Betreuers vom 02.04.2020 wird der Beschluss des AG Gemünden vom 25.03.2020 dahin abgeändert, dass die Vergütung für den Zeitraum 19.07.2019 bis 18.10.2019 auf 496 Euro festgesetzt wird.
Die Beschwerde zum Landgericht wird zugelassen.

Gründe

Die Erinnerung des Betreuers vom 02.04.2020 ist statthaft und wurde fristgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet.
Der Betreuer hat am 08.01.2020 seine Vergütung gem. VBVG für seine Tätigkeit für den mittellosen Betreuten in dem Zeitraum 19.07.2019 bis 18.10.2019 beantragt. Für den Zeitraum 19.07.2019 bis 18.08.2019 hat er – nach alter Rechtslage – bei einem Stundensatz von 44 Euro und 3,5 Stunden 154,00 Euro berechnet. Für den weiteren Zeitraum vom 19.08.2019 bis 18.10.2019 hat der Betreuer seinem Vergütungsantrag die neue Vergütungstabelle C gem. der Anlage zu § 4 Abs. 1 VBVG zugrundgelegt. Er ist hierbei für die genannten Monate, die nach Beginn des 25. Monats der Betreuung liegen, von dem Merkmal „andere Wohnform“ ausgegangen (C.5.2.1). Da diese Einstufung zutreffend ist, sind ihm insoweit 171,00 Euro/Monat zu gewähren. Der Beschluss des AG Würzburg vom 29.03.2020, in dem für den Zeitraum 19.08.2019 bis 18.10.2019 nur 102,00 Euro/Monat angesetzt waren, war demnach zu korrigieren.
Der Betreute ist in einer Art „betreuten Wohnens“ für Menschen mit psychischer Erkrankung in einer Familie untergebracht. Diese familienähnliche Art der Unterbringung hat zur Folge, dass die Betreuung im Alltag durch die weiteren Mitglieder der Familie erfolgt, im vorliegenden Fall durch die „Pflegemutter“. Sie hat sich in einem Vertrag gegenüber der „Psychiatrischen Familienpflege“ des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin … verpflichtet, den Betreuten in ihren Haushalt aufzunehmen.
Für die Höhe der Vergütung des Betreuers ist maßgeblich, ob die vorliegende Wohnform als „stationäre Einrichtung“ bzw. eine gleichgestellte Wohnform (§ 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, S. 3 VBVG) oder als eine „andere Wohnform“ zu bewerten ist (vgl. § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG).
Die Wohnform der „Familienpflege“ entspricht nicht eins zu eins einer „ambulant betreuten Wohnform“ i.S.v. § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 VBVG. Hierunter fallen primär Wohnformen, in denen der Betreute allein oder mit anderen in einer eigenen Wohnung lebt und durch nicht ständig anwesende (ambulante) Pflege- und Betreuungsdienstleister (mit-)versorgt wird. Im vorliegenden Fall der „Familienbetreuung“ ist dagegen eine Art „Basisversorgung“ und „Basisbetreuung“ durch die Einbindung in die „Familie“ gewährleistet. Wo dies nicht mehr ausreicht, insbesondere bei zunehmender Pflegebedürftigkeit, müssen jedoch ggf. externe Dienstleister herangezogen werden.
Nach der Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 3 VBVG wurde die Überlegung, bestimmte Formen des ambulant betreuten Wohnens den stationären Einrichtungen gleichzustellen, daran ausgerichtet,
„ob die angebotenen Pflege- oder Betreuungsleistungen durch einen professionellen Organisationsapparat getragen sind und eine Verantwortungsgarantie – wie in einer stationären Einrichtung – des Trägers begründen. Dies setzt voraus, dass von den Bewohnern keine Auswahlentscheidungen darüber zu treffen sind, von welchem Anbieter die externen Pflege- oder Betreuungsleistungen in Anspruch genommen werden, und zudem gewährleistet ist, dass der Leistungsanbieter Änderungen im Versorgungsbedarf der Bewohner erkennt und abdeckt. Daher werden nur solche ambulant betreuten Wohnformen stationären Einrichtungen gleichgestellt, in denen der Anbieter der Pflege- oder Betreuungsleistungen nicht frei wählbar ist und in denen eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Pflegekräfte oder – in der Behindertenhilfe – durch professionelle Betreuungskräfte vorgehalten wird. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Leistungen durch den Betroffenen kommt es nicht an“ (BT-Drs. 19/8694, S. 28).
Entscheidendes Abgrenzungsmerkmal ist somit das Bestehen eines „professionellen Organisationsapparats“ mit „Verantwortungsgarantie“. Bei der Wohnform der „Familienpflege“ liegt dieses Merkmal nicht vor. Die „Pflegemutter“ verfügt über keine pflegerische, sozialpädagogische oder sonst einschlägige Ausbildung. Ihre Tätigkeit kann daher nicht einer „Rund-um die Uhr-Versorgung durch professionelle Pflege- oder Betreuungskräfte“ gleichgestellt werden (vgl. MüKoBGB/Fröschle, 8. Aufl. 2020, VBVG § 5 Rn. 36; Jaschinski in: jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 5 VBVG Rn. 40, 41 – Stand 15.10.2019).
Die Familienpflege … erbringt selbst keine Pflege- oder Betreuungsleistungen. Ziel des „Familienpflegevertrages“ ist es, „dem Gast eine Entwicklung zu mehr Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Verantwortung seiner Umwelt gegenüber zu ermöglichen und (ihn) in die Gastfamilie zu integrieren“ (Ziff. § 3 Vertrages). Die Familienpflege … steht der Gastfamilie nur beratend zur Seite. Selbst bei einer „professionell begleiteten Gast- oder Pflegefamilie“ könnte diese Wohnform nicht der Unterbringung in einer stationären Einrichtung gleichgestellt werden (Fröschle, FamRZ 2019, 680).
Wenn im Rahmen dieser Wohnform ein besonderer Pflegebedarf entstehen sollte (z.B. Einstufung in einen Pflegegrad gem. § 15 SGB XI) oder es zu behandlungsbedürftigen Erkrankungen kommt, muss der Betreuer im Einzelfall die notwendigen Maßnahmen ergreifen, wie z.B. einen Pflegedienst auswählen und beauftragen oder die ärztliche Behandlung veranlassen und organisieren. Eine Festlegung auf bestimmte Anbieter besteht nicht. Der Anbieter der extern angebotenen Betreuungs- und Pflegeleistungen wäre frei wählbar. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme solcher Dienstleister kommt es laut Gesetzesbegründung nicht an.
Damit handelt es sich bei der „Familienpflege“ im vorliegenden Fall um eine „andere Wohnform“ i.S.v. § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG für die gegenüber einer Unterbringung in einer „stationären“ oder gleichgestellten ambulanten Einrichtung eine erhöhte Vergütung geltend gemacht werden kann.
Die Vergütung des Betreuers ist daher für den Zeitraum 19.08.2019 bis 18.10.2019 gem. Vergütungstabelle C Nr. C5.2.1 (Merkmale „andere Wohnform“, „mittellos“) auf 171,00 Euro pro Monat festzusetzen. Zusammen mit der Vergütung für den Zeitraum 19.07.2019 bis 18.08.2019 i.H.v. 154 Euro ergibt sich der im Tenor festgesetzte Betrag von insgesamt 496 Euro.
Da nach der Neuregelung der Vergütung für Berufsbetreuer eine Klärung erforderlich ist, nach welchen Kriterien zwischen der Wohnform „stationäre Einrichtung“ und gleichgestellter ambulanter Wohnformen auf der einen Seite sowie „anderen Wohnformen“ auf der anderen Seite zu differenzieren ist, hat die Sache grundsätzliche Bedeutung. Daher war die Beschwerde zum Landgericht zuzulassen (§ 61 Abs. 2, 3 FamFG).


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