Arbeitsrecht

Betriebliche Altersversorgung – Auslegung von Versorgungsregelungen

Aktenzeichen  3 AZR 461/16

Datum:
12.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2017:121217.U.3AZR461.16.0
Normen:
§ 16 BetrAVG
§ 133 BGB
§ 157 BGB
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Hamburg, 2. Dezember 2015, Az: 8 Ca 39/15, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg, 27. April 2016, Az: 5 Sa 71/15, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 27. April 2016 – 5 Sa 71/15 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 2. Dezember 2015 – 8 Ca 39/15 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, nach welchen Rechtsgrundlagen sich die Anpassung des Ruhegeldes des Klägers richtet.
2
Der im Oktober 1939 geborene Kläger war seit dem 1. Januar 1969 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, der H AG (im Folgenden H AG alt) als Arbeitnehmer tätig. Bei der H AG alt war die betriebliche Altersversorgung in der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien (BV 75.14; im Folgenden BV Soziale Richtlinien) geregelt. Diese – für die Versorgung des Klägers maßgebliche – Betriebsvereinbarung bestimmt in der am 1. Juli 1986 geltenden Fassung auszugsweise:
        
„2. Abschnitt
        
Ruhegeld
           
        
1.    
Voraussetzungen
        
        
Mitarbeiter, die ununterbrochen mindestens 10 Dienstjahre bei H erfüllt haben, können unter Bezug von Ruhegeld in den Ruhestand übertreten, wenn eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist.
        
1.1     
Altersgrenzen
        
        
a)    
Vollendung des 65. Lebensjahres;
        
        
b)    
Vollendung des 63. Lebensjahres und Bezug von Altersrente aus der Rentenversicherung;
        
        
c)    
Vollendung des 61. Lebensjahres;
        
        
d)    
Vollendung des 60. Lebensjahres von
        
        
        
–       
Schwerbehinderten,
        
        
        
–       
Beziehern einer Berufsunfähigkeitsrente oder
        
        
        
–       
Mitarbeiterinnen
        
        
        
und Bezug von Altersrente aus der Rentenversicherung.
        
        
Der Ruhestand beginnt jeweils mit dem Monatsersten, frühestens mit Erfüllung der Voraussetzungen.
        
        
…       
        
        
1.2     
Gesundheitliche Gründe
        
        
a)    
Erwerbsunfähigkeit
        
        
        
Bei Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente beginnt der Ruhestand spätestens mit dem Monatsersten nach Zustellung und Vorlage des Rentenbescheides.
        
        
        
…       
        
        
b)    
Berufsunfähigkeit
        
        
        
Bei Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente wird der Beginn des Ruhestandes von der Personalabteilung im Einvernehmen mit Betriebsrat und betroffenem Mitarbeiter festgelegt. Voraussetzung ist, daß
        
        
        
–       
die Berufsunfähigkeit während des Arbeitsverhältnisses bei H eintritt und
        
        
        
–       
keine Möglichkeit eines angemessenen und zumutbaren anderweitigen Einsatzes bei H besteht.
        
        
        
…       
        
        
        
c)    
Wegfall von Lohnersatzleistung
        
        
        
Ein vorläufiger Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen ist möglich, wenn
        
        
        
–     
Antrag auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente beim Rentenversicherungsträger gestellt wurde und
        
        
        
–       
der Mitarbeiter arbeitsunfähig krank ist (Nachweis durch Attest) und die sichere Kenntnis vorliegt, daß auf absehbare Zeit nicht mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist und
        
        
        
–     
ein Ruhestand aus anderen Gründen ausgeschlossen ist.
        
        
        
…       
        
        
1.3     
Betrieblicher Grund
        
        
Ein Mitarbeiter kann bei Vorliegen besonderer betrieblicher Gründe vorzeitig in den Ruhestand übertreten. Als solche Gründe sind beispielsweise anzusehen
        
        
–       
Fortfall des Arbeitsplatzes ohne gleichwertige zumutbare Einsatzmöglichkeit,
        
        
–       
Lösung betriebsnotwendiger Nachwuchsfragen.
        
        
Der Ruhestand soll nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres – bei Frauen des 55. Lebensjahres – erfolgen. In besonders begründeten Ausnahmefällen kann hiervon abgewichen werden.
        
        
Die Personalabteilung entscheidet auf Vorschlag des Fachbereiches im Einvernehmen mit Mitarbeiter und Betriebsrat; der Gesundheitsdienst ist ggf. anzuhören.
        
1.4     
Schichtgänger
        
        
Schichtgänger können auf eigenen Wunsch vorzeitig mit Ablauf des Monats in den Ruhestand treten, in dem sie
        
        
–       
bei mindestens 6-Wochen-Schichtrhythmus:
        
        
        
das 61. Lebensjahr
        
        
–     
bei längerem Schichtrhythmus:
        
        
        
das 62. Lebensjahr
        
        
vollendet haben. …
        
2.    
Höhe des Ruhegeldes
        
        
Das Ruhegeld richtet sich nach
        
        
        
–       
dem ruhegeldfähigen Gehalt
        
        
        
–     
der Anzahl der Dienstjahre und
        
        
        
–       
möglichen Anrechnungen.
        
2.1     
Ruhegeldfähiges Gehalt
        
        
Ruhegeldfähiges Gehalt ist das letzte Monatsgehalt, multipliziert mit dem Faktor 1,2. Es setzt sich aus folgenden im Monat des Ausscheidens geltenden Gehaltsteilen zusammen:
        
        
        
–       
Tarifgruppen-Anfangsgehalt bzw. AT-Gehalt,
        
        
        
–       
Dienstalterszulage,
        
        
        
–       
Leistungszulage,
        
        
        
…       
        
        
2.2     
Anzahl der Dienstjahre
        
        
Das Ruhegeld beträgt nach 10 Dienstjahren 21 % des ruhegeldfähigen Gehaltes. Es wird je weiteres Dienstjahr um 1,25 %-Punkte (Steigerungssatz) erhöht. Jeder angefangene Monat nimmt mit 1/12 an der Steigerung teil.
        
        
Soweit Anwartschaft auf späteres betriebliches Ruhegeld beim Ausscheiden eines Mitarbeiters aufrechtzuerhalten ist, mindert sich dessen Höhe entsprechend dem Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zur möglichen Dauer der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (gesetzliche Regelung).
        
…       
        
        
        
        
4.2     
Grenze der Gesamtversorgung
        
        
Die Grenze der Gesamtversorgung beträgt 70 %, wenn ein Mitarbeiter mit Vollendung des 63. Lebensjahres in den Ruhestand geht. Sie erhöht sich um 0,21 %-Punkte je vollen Kalendermonat bzw. 2,5 %-Punkte je Jahr, wenn der Ruhestand später beginnt. Sie wird im selben Umfang reduziert, sofern der Mitarbeiter nach Ziffer 1.1 c) früher in den Ruhestand tritt; diese Kürzung erfolgt nicht bei Übertritt in den Ruhestand vor Vollendung des 63. Lebensjahres aus anderen Gründen. Die Erhöhung/Minderung kann höchstens 5 %-Punkte betragen.
        
        
…       
        
7.    
Beginn/Ende der Ruhegeldzahlung
        
        
Die Zahlung des Ruhegeldes beginnt mit dem Eintritt in den Ruhestand. Die Versorgungsleistungen werden monatlich nachträglich gezahlt. Sie entfallen mit Ablauf des Monats, in dem der Berechtigte verstirbt oder seine Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrente entzogen wird.
        
        
Im Rahmen der Unverfallbarkeit bei den H ausgeschiedene Mitarbeiter erhalten Ruhegeld nur auf Antrag. Die Leistungen werden erstmals für den auf Antragseingang folgenden Monat gewährt. Rückwirkende Zahlungen erfolgen nicht.
        
…       
        
4. Abschnitt
        
Witwen- und Waisengeld
           
        
…       
        
5. Abschnitt
        
Sonderzahlungen
           
        
        
Tritt ein Mitarbeiter unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis mit H unter Bezug von Ruhegeld in den Ruhestand, erhalten er bzw. später seine Witwe/Vollwaisen nachstehende Leistungen. Dasselbe gilt, wenn ein Mitarbeiter während des Arbeitsverhältnisses bei H verstirbt.
        
1.    
Übergangszahlung
        
…       
        
        
2.    
Weihnachtsgeld
        
        
Weihnachtsgeld wird in Höhe des ungekürzten Ruhe-, Witwen- bzw. Waisengeldes ohne Anrechnung gewährt.
        
        
…       
        
3.    
Überbrückungszulagen
        
        
Mitarbeiter, die
        
        
–       
nach Vollendung des 62. (ab 1.7.1986: 61.) Lebensjahres (Abschnitt 2, Ziffer 1.1 c),
        
        
–       
aus gesundheitlichen Gründen (Abschnitt 2, Ziffer 1.2 c),
        
        
–       
aus betrieblichen Gründen (Abschnitt 2, Ziffer 1.3) oder
        
        
–       
als Schichtgänger (Abschnitt 2, Ziffer 1.4)
        
        
in den Ruhestand treten, erhalten zusätzlich zum Ruhegeld eine Überbrückungszulage in Höhe der Differenz zwischen Ruhegeld und der jeweiligen Grenze der Gesamtversorgung (Abschnitt 2, Ziffer 4.2).
        
        
Diese Zahlung beginnt nach Ablauf von 2 Monaten und wird monatlich zusammen mit dem Ruhegeld überwiesen.
        
        
Die Überbrückungszulage ruht im vollen Umfang bei
        
        
–       
Einkünften aus Erwerbstätigkeit einschließlich fremder Betriebsrenten/Pensionen,
        
        
–     
Bezug sonstiger anrechenbarer Zahlungen (allg. Bestimmungen, Ziffer 4).
        
        
Die Überbrückungszulage endet mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter
        
        
–       
das 63. Lebensjahr vollendet,
        
        
–       
Rente aus der Rentenversicherung bezieht,
        
        
–       
nach Wegfall des vorläufigen Ruhestandes aus gesundheitlichen Gründen (Abschnitt 2, Ziffer 1.2 c) das Arbeitsverhältnis hätte fortsetzen können oder
        
        
–     
verstirbt.
        
…       
        
Allgemeine Bestimmungen
           
        
…       
        
        
7.    
Anpassung
        
        
Die Ruhegeldberechnung wird zu bestimmten Zeitpunkten jeweils der Entwicklung der Gehaltstarife angepaßt.
        
        
Soweit bestehende Anwartschaften vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter in Ruhegeld umgewandelt werden, ist dieses alle drei Jahre auf eine Anpassung hin zu überprüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftlich Lage der H zu berücksichtigen (gesetzliche Regelung).
        
…       
        
        
9.    
Ausschlußfrist
        
        
…       
        
        
Ansprüche nach den Sozialen Richtlinien müssen innerhalb von 4 Monaten nach Fälligkeit bzw. Erfüllung der in Ziffer 6 vorgeschriebenen Pflichten geltend gemacht werden. Nach Ablauf der Frist erlischt der Anspruch.“
3
Die „Betriebsvereinbarung Nr. 96.02 über den vorzeitigen Ruhestand aus betrieblichen Gründen“ (im Folgenden BV 96.02), bestimmt auszugsweise:
        
„1.    
Allgemeines
        
        
Auf Veranlassung H können Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen mit ihrem Einverständnis vorzeitig in den Ruhestand treten, wenn sie die nachstehenden Voraussetzungen erfüllen. Ein Anspruch des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin ist ausgeschlossen.
        
2.    
Voraussetzungen
        
2.1     
Alter, Dienstjahre
        
        
Der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin muß bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mindestens
        
        
–       
20 Dienstjahre erfüllt haben und
        
        
–       
58 Jahre alt sein.
        
        
Über die Pensionierung von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen mit weniger als 20 Dienstjahren entscheidet PP im Einvernehmen mit XB im Einzelfall.
        
2.2     
Wegfall des Arbeitsplatzes
        
        
–       
Der Arbeitsplatz des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin entfällt mit dem Übertritt in den vorzeitigen Ruhestand ersatzlos oder
        
        
–       
Der Arbeitsplatz wird mindestens innerhalb der nächsten 5 Jahre nach Ausscheiden des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin nicht wiederbesetzt (einschl. ANÜ/Werkvertrag).
        
        
…       
        
2.4     
Vorgezogenes Altersruhegeld
        
        
Der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin muß die Voraussetzungen für den Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld nach Arbeitslosigkeit mit Vollendung des 60. Lebensjahres oder auf vorgezogenes bzw. flexibles Altersruhegeld nach SGB VI erfüllen.
        
3.    
Grenze der Gesamtversorgung
        
        
Die Grenze der Gesamtversorgung beträgt 65 % des ruhegeldfähigen Gehaltes.
        
4.    
Ruhegeldleistungen
        
        
Während der ersten beiden Monate des Ruhestandes wird Ruhegeld in Höhe des letzten Monatsgehaltes gezahlt (Übergangszahlung). Daran anschließend erhält der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin bis zum frühestmöglichen Bezug von SV-Rente nominelles Ruhegeld sowie eine Überbrückungszulage.
        
        
Das Ruhegeld wird im Rahmen von § 3 Nr. 9 EStG steuerfrei als Abfindung gezahlt.
        
        
Ein ggf. bezogenes Arbeitslosengeld wird auf die H-Leistungen in vollem Umfang angerechnet.
        
5.    
Zugangsfaktor
        
        
Für Mitarbeiter, die im Rahmen dieser Vereinbarung ein vorgezogenes Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit erhalten, gelten bezüglich des Zugangsfaktors (Abschlag von der Rente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme) folgende Besonderheiten:
        
        
Grundsätzlich geht die Hälfte der Auswirkungen des Zugangsfaktors zu Lasten des Mitarbeiters, d. h., es erfolgt kein Ausgleich durch H.
        
        
Der vom Mitarbeiter tatsächlich zu tragende Abschlag von der SV-Rente ist jedoch – abweichend von den Bestimmungen der Sozialen Richtlinien auf 3,6 % begrenzt.
        
        
Ein evtl. sich ergebender höherer Abschlag wird durch H ausgeglichen.
        
6.    
Pflichten des Mitarbeiters
        
        
Die Mitarbeiter sind verpflichtet, auf Veranlassung des Unternehmens
        
        
–       
sich rechtzeitig arbeitslos zu melden, und
        
        
–       
zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu stellen.
        
        
Bei einem schuldhaften Verstoß gegen diese Verpflichtungen mit der Folge, daß Leistungen versagt werden, wird eine fiktive SV-Rente im Rahmen der Gesamtversorgung angerechnet.
        
        
Der Mitarbeiter soll dem Arbeitsamt gegenüber auf den Bezug von Arbeitslosengeld verzichten.
        
        
Der Mitarbeiter kann dem Arbeitsamt gegenüber darauf verzichten, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen.
        
…     
        
        
8.    
Soziale Richtlinien
        
        
Im übrigen finden die SOZIALEN RICHTLINIEN (Abschnitte 2, 4, 5, Allgemeine Bestimmungen) in der jeweils gültigen Fassung entsprechend Anwendung, sofern vorstehend keine besonderen Bestimmungen getroffen worden sind.“
4
Am 1./3. Februar 2000 schlossen die Arbeitgeberin und der Kläger eine „Vereinbarung zum vorzeitigen Ruhestand“. Diese Vereinbarung lautet ua.:
        
„Sehr geehrter Herr B,
        
durch Änderung von Arbeitsabläufen und -verfahren ist auch Ihr Arbeitsplatz aufgelöst. Wir beabsichtigen aus diesem Grunde, das zwischen Ihnen und der H bestehende Arbeitsverhältnis aufzuheben.
        
Damit werden Sie mit Wirkung vom 01.05.2000 unter Einhaltung der nachfolgenden Regelungen vorzeitig in den betrieblichen Ruhestand treten.
        
Betriebliche Leistung
        
Entsprechend den Sozialen Richtlinien in der Fassung vom 1.3.1995 (BV 95.02) und den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung ‚Vorzeitiger Ruhestand aus betrieblichen Gründen‘, gültig ab 1.1.1997 (BV 96.02), zahlt Ihnen die H mit Eintritt in den vorzeitigen betrieblichen Ruhestand bis zum frühestmöglichen Bezug von Rente aus der Sozialversicherung das betriebliche Ruhegeld sowie eine Überbrückungszulage.
        
In diesem Zusammenhang kommt, vorbehaltlich zukünftiger Änderungen im Steuerrecht, § 3 Nr. 9 EStG zur Anwendung.
        
Pflichten des Mitarbeiters
        
A Meldepflicht beim Arbeitsamt:
        
Um den Nachweis für die vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (§ 38 SGB VI) zu erwerben und damit frühestmöglich Rente aus der Sozialversicherung beziehen zu können, verpflichten Sie sich zur Arbeitslosmeldung. …
        
B Verzicht auf Leistungen des Arbeitsamtes:
        
Unsere betrieblichen Regelungen zum vorzeitigen betrieblichen Ruhestand (BV 96.02) basieren darauf, daß Sie dem Arbeitsamt gegenüber auf den Bezug von Arbeitslosengeld verzichten.
        
…       
        
C Rechtzeitige Beantragung der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit:
        
Zur Erfüllung unserer betrieblichen Regelungen zum vorzeitigen betrieblichen Ruhestand (BV 96.02) sind Sie verpflichtet, (9 Monate nach Beginn Ihres Ruhestandes und Ihrer Arbeitslosigkeit) zum 01. Februar 2001 persönlich bei dem für Ihren Wohnsitz zuständigen Bezirksamt oder bei der zuständigen Gemeindeverwaltung den Antrag auf eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu stellen (§ 38 SGB VI), um ab dem 01.05.2001 Rente aus der Sozialversicherung zu beziehen.
        
…     
        
Ende des vorzeitigen Ruhestandes
        
Ihr vorzeitiger Ruhestand wird zum 30.04.2001 enden, da Sie ab dem 01.05.2001 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (§ 38 SGB VI) beziehen können.
        
Entsprechend den Sozialen Richtlinien erhalten Sie nach Ablauf des vorzeitigen betrieblichen Ruhestandes mit Beginn des Bezuges der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ein neu berechnetes H-Ruhegeld (Gesamtversorgungsbetrachtung).
        
…“    
5
Im Jahr 2000 vereinbarten die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V., deren Mitglied die H AG alt war, einerseits und die IG Metall sowie die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (im Folgenden DAG) andererseits einen neuen Manteltarifvertrag (im Folgenden MTV H) für die H AG alt. In diesem ist unter II/D Nr. 5.3 geregelt:
        
„Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die direkt aus dem Arbeitsverhältnis mit der H AG unter Bezug von Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den Ruhestand gehen, haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung.
        
Für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die nach dem 30.09.1998 ein Arbeitsverhältnis mit der H AG aufgenommen haben, leistet das Unternehmen einen Beitrag zur betrieblichen Altersversorgung, wenn die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich an ihrer Altersversorgung in festzulegendem Umfang in Form von Eigenbeiträgen beteiligen.
        
Einzelheiten, insbesondere Anspruchsvoraussetzungen, Zeitpunkt des Übertrittes in den (vorzeitigen) Ruhestand, Höhe der Beiträge und Leistungen u. ä. werden – ebenso wie die Behandlung besonderer Personengruppen und Härtefälle – durch die Betriebspartner geregelt.“
6
Die Arbeitgeberin des Klägers – die H AG alt – gliederte nach Maßgabe eines Ausgliederungs- und Übernahmevertrages vom 22. August 2002 einen Teil ihres Vermögens und zwar das von ihr betriebene operative Geschäft mit allen zugehörigen Vermögensgegenständen und Schuldposten als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung auf die Erste H AG aus. Die Erste H AG wurde mit Beschluss der Hauptversammlung vom 22. August 2002 in H Aktiengesellschaft (im Folgenden H AG neu) und mit Beschluss der Hauptversammlung vom 7. April 2005, ins Handelsregister am 2. Januar 2006 eingetragen, in V H Aktiengesellschaft umfirmiert. Die H AG alt wurde mit Beschluss der Hauptversammlung vom 21. August 2002 in V Aktiengesellschaft umfirmiert und hat ihren Sitz nach B verlegt. Sie ist aufgrund des Verschmelzungsvertrages vom 27. August 2012 durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes unter Auflösung ohne Abwicklung auf die V GmbH in B (vormals V [D] GmbH) verschmolzen worden. Die Eintragung erfolgte am 17. September 2012. Die V GmbH ist die Versorgungsschuldnerin des Klägers und Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits.
7
Entsprechend den vertraglichen Regelungen der Parteien trat der Kläger zum 1. Mai 2000 in den vorzeitigen betrieblichen Ruhestand. Dieser endete mit Ablauf des 30. April 2001. Seit dem 1. Mai 2001 bezieht der Kläger eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und von der Beklagten ein betriebliches Ruhegeld.
8
Wegen der bevorstehenden Ausgliederung von Teilen des Vermögens von der H AG alt auf die Erste H AG vereinbarten die Erste H AG und die IG Metall in einem Tarifvertrag vom 26. Juni 2002 die kollektivrechtliche Fortgeltung der zum Stichtag des Wirksamwerdens der Ausgliederung gültigen Tarifverträge der H AG alt bei der Erste H V AG.
9
Die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. einerseits und die IG Metall andererseits änderten mit einem Tarifvertrag vom 24. Juli 2003 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2003 den MTV H ua. wie folgt:
        

Abschnitt II/D (Beendigung des Arbeitsverhältnisses):
         
        
Abs. 5.3 Abs. 3 erhält folgende Neufassung; Datum des Inkrafttretens: 01.01.2003:
        
Einzelheiten, insbesondere Anspruchsvoraussetzungen, Zeitpunkt des Übertrittes in den (vorzeitigen) Ruhestand, Höhe der Beiträge und Leistungen u. ä. werden – ebenso wie die Behandlung besonderer Personengruppen und Härtefälle – durch Betriebsvereinbarung geregelt. Änderungen werden nur nach Zustimmung der Tarifpartner wirksam.“
10
Am 26. September 2003 schlossen die im „V-Konzern“ vertretenen Gewerkschaften IG BCE, ver.di und IG Metall eine Vereinbarung, wonach sie „für die Erarbeitung und Verhandlung eines Konzerntarifwerkes sowie dessen Fortentwicklung“ eine Tarifgemeinschaft bildeten. Die bisherigen Zuständigkeiten der Einzelgewerkschaften sollten unverändert weiter fortbestehen.
11
Mit Wirkung zum 1. Juli 2005 schlossen die H AG neu, die später als V H AG firmierte, und der bei ihr gebildete Betriebsrat die Betriebsvereinbarung Nr. 2005.03 (im Folgenden BV 2005.03). Diese bestimmt:
        
„In den Sozialen Richtlinien (BV 75.14, zuletzt geändert durch BV 2004.11) wird die Ziff. 7 im Abschnitt ‚Allgemeine Bestimmungen‘ wie folgt neu gefasst:
        
‚Die Anpassung der Ruhegeldzahlbeträge, des Weihnachtsgeldes (nominelles Ruhegeld) und der Hinterbliebenenbezüge erfolgt jährlich zum Zeitpunkt der allgemeinen Anpassung der Sozialversicherungsrenten (SV-Renten). In Jahren ohne SV-Rentenerhöhung erfolgt die Anpassung der betrieblichen Leistungen grundsätzlich zum gleichen Stichtag wie im Vorjahr.
        
Dieses Verfahren gilt auch für bereits im Ruhestand befindliche ehemalige Mitarbeiter und deren Hinterbliebene.
        
Die Festlegung der Höhe des Anpassungssatzes erfolgt unter Berücksichtigung der Entwicklung der Gehaltstarife, der Lebenshaltungskosten bzw. der Realeinkommen sowie der wirtschaftlichen Lage der H.
        
Soweit bestehende Anwartschaften vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter in Ruhegeld umgewandelt werden, ist dieses alle drei Jahre auf eine Anpassung hin zu überprüfen und hierüber nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung von § 16 BetrAVG zu entscheiden.‘
        
…“     
12
Dieser Betriebsvereinbarung stimmten die IG Metall und die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. am 26. Oktober 2006 rückwirkend für den Zeitpunkt ihres vorgesehenen Inkrafttretens zu.
13
Unter dem Datum des 20. November 2006 schlossen die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V., der Arbeitgeberverband energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmen e. V. und der Wirtschaftsverband Kohle e. V. einerseits sowie die IG BCE, ver.di und die IG Metall andererseits ua. für die V H Aktiengesellschaft den Manteltarifvertrag für die Mitgliedsunternehmen der Tarifgemeinschaft V (im Folgenden MTV 2006). Der MTV 2006 enthält ua. folgende Regelung:
        
„VII. Altersversorgung
        
§ 36 Altersversorgung
        
1.    
Arbeitnehmer, die ab dem 01.01.2007 bei einem Mitgliedsunternehmen der Tarifgemeinschaft V eingestellt werden, erhalten eine betriebliche Altersversorgung nach einem neuen einheitlichen System. Die Einzelheiten dieser betrieblichen Altersversorgung werden auf betrieblicher Ebene geregelt. Für die bis zum 31.12.2006 eingestellten Arbeitnehmer gelten die bisherigen Versorgungssysteme weiter.“
14
Die Beklagte erhöhte das Ruhegeld des Klägers in den Jahren 2006 bis 2010 jeweils zum 1. Juli entsprechend der Entwicklung der Gehaltstarife. Zum 1. Juli 2011 steigerte sie das Ruhegeld um 3,16 vH, zum 1. Juli 2012 um 2,49 vH und zum 1. Juli 2013 um 2,4 vH. Dabei legte die Beklagte die jeweilige prozentuale Tariferhöhung zugrunde und rechnete diese aufgrund der jeweils 13-monatigen Laufzeit des Gehaltstarifvertrages auf einen Zwölf-Monats-Zeitraum um.
15
Nach dem „Tarifvertrag über die Tabellenvergütung (TVT)“ vom 10. April 2013 wurden die Tabellenvergütungen ua. ab dem 1. April 2014 um 1,8 vH angehoben.
16
Das Ruhegeld des Klägers belief sich bis zum 30. Juni 2014 auf monatlich 3.419,67 Euro brutto. Zum 1. Juli 2014 erhöhte die Beklagte das Ruhegeld um 1,03 vH und zahlte an den Kläger monatlich 3.454,89 Euro brutto. Die Anpassung um 1,03 vH erfolgte auf der Grundlage der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes seit der letzten Anpassung zum 1. Juli 2013.
17
Mit seiner – der Beklagten am 19. Mai 2015 zugestellten – Klage hat der Kläger die vollständige Weitergabe der tariflichen Gehaltserhöhung ab dem 1. Juli 2014, die er der Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 12. Januar 2015 geltend gemacht hat, begehrt. Sein Ruhegeld sei nach Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 1 BV Soziale Richtlinien an die Entwicklung der Gehaltstarife anzupassen. Die BV 2005.03 sei unwirksam und finde auf sein Versorgungsverhältnis keine Anwendung. Er habe deshalb Anspruch auf eine Erhöhung des Ruhegeldes um 1,96 vH zum 1. Juli 2014. Die Tariflohnerhöhung von 1,8 vH sei auf zwölf Monate hochzurechnen. Ab Juli 2014 ergebe sich daher eine monatliche Differenz iHv. 31,81 Euro. Weiter habe er Anspruch auf Zahlung eines um 40,36 Euro erhöhten Weihnachtsgeldes für das Jahr 2014.
18
Der Kläger hat beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 354,66 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
        
2.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für die Erhöhung und Festsetzung der laufenden Ruhegeldbezüge jeweils die Steigerung der Gehaltstarife gemäß Ziffer 7 der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien (BV 75.14 in der Fassung ab 1. Juli 1986) zugrunde zu legen.
19
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger sei vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter iSv. Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 BV Soziale Richtlinien. Er habe deshalb keinen Anspruch auf Anpassung seines Ruhegeldes an die Entwicklung der Gehaltstarife. Zudem sei Absatz 1 dieser Vorschrift durch die BV 2005.03 wirksam abgelöst worden; dafür hätten tragfähige Gründe vorgelegen. Im Übrigen könne der Kläger höchstens eine Anpassung um 1,8 vH verlangen, soweit Ansprüche nicht sowieso verfallen seien.
20
Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag insgesamt und dem Zahlungsantrag für die Monate ab September 2014 bis April 2015 iHv. 26,33 Euro brutto monatlich stattgegeben und die weiter gehende Zahlungsklage (Monate Juli und August 2014, Erhöhung des Ruhegeldes um mehr als 1,8 vH und hinsichtlich des Weihnachtsgeldes 2014) abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.


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