Arbeitsrecht

Bindung des FG an Vorgaben des BFH

Aktenzeichen  VI B 155/12

Datum:
21.3.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
§ 116 Abs 3 S 3 FGO
§ 126 Abs 5 FGO
§ 118 Abs 2 FGO
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. NV: Mit der Rüge, das FG sei mit seinem Urteil im zweiten Rechtsgang von Vorgaben des zurückverweisenden BFH-Urteils abgewichen, wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht.  
2. NV: Die Bindungswirkung nach § 126 Abs. 5 FGO erstreckt sich nicht auf die tatsächlichen Grundlagen der Revisionsentscheidung.

Verfahrensgang

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 27. September 2012, Az: 5 K 1657/11 (Kg), Urteilvorgehend BFH, 4. August 2011, Az: III R 24/09, Urteilvorgehend Sächsisches Finanzgericht, 26. Juni 2008, Az: 5 K 288/08 (Kg), Urteil

Tatbestand

1
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Kindergeld für ein behindertes Kind (K) zu gewähren war. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
2
Der im Jahr 1961 geborene K leidet ausweislich eines im Jahr 1998 erstellten Betreuungsgutachtens an einer Anpassungsstörung bei Persönlichkeitsstörung, offensichtlich frühkindlichen Hirnaffektion mit milieuaktivem Faktor sowie einem Zustand nach einem Schädelhirntrauma. Die Gutachterin bezieht sich hierbei auf eine anlässlich eines Unfalls –bei dem K ein Schädelhirntrauma 1. Grades sowie eine offene Schädelfraktur mit Skalpierungsverletzung erlitten habe– getroffene diagnostische Einschätzung aus dem Jahr 1978, nach der angenommen werden müsse, dass bei K eine frühkindliche Hirnschädigung vorliege. Weiter stellte sie fest, in der Vergangenheit habe offenbar auch Abususverhalten in Richtung Alkohol und Nikotin vorgelegen. Nach Abschluss der 8. Klasse habe K eine Lehre als Maurer gemacht. Später sei er als Zerspaner bzw. Gießer berufstätig gewesen. Bis zur Wende habe er in einem … Betrieb gearbeitet; danach sei er durch Umstrukturierungsmaßnahmen arbeitslos geworden. Seit September 1998 bezieht K eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit Bescheid des Versorgungsamts vom Februar 2006 wurde ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt. K steht unter Betreuung.
3
Gleichwohl lehnte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) den im Mai 2006 gestellten Antrag der (mittlerweile verstorbenen) Mutter des K auf Gewährung von Kindergeld mit Bescheid vom Juli 2007 ab. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) im ersten Rechtsgang ab (Urteil vom 26. Juni 2008  5 K 288/08 (Kg), juris). K sei zwar seit seinem Kindesalter behindert. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung setze § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung (EStG) aber voraus, dass neben der Behinderung des Kindes auch dessen behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen habe. Hiervon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden. K sei im Zeitpunkt der Vollendung seines 27. Lebensjahres im Jahre 1988 noch berufstätig gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte vor Vollendung des 27. Lebensjahres behinderungsbedingt nicht zu seinem Unterhalt genügt hätten, lägen nicht vor.
4
Auf die Revision der Erben der Klägerin, die während des Beschwerdeverfahrens über die Zulassung der Revision verstorben ist, hat der Bundesfinanzhof (BFH) das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Sächsische FG zurückverwiesen.
5
Entgegen der Auffassung des FG setze § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG nicht voraus, dass neben der Behinderung des Kindes auch dessen behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Erreichen des 27. Lebensjahres eingetreten sein müsse. Es genüge, wenn die Behinderung des Kindes –wie im Streitfall– vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten sei. Die Sache sei jedoch nicht spruchreif. Im zweiten Rechtsgang werde das FG die fehlenden Feststellungen dazu, ob K im Streitzeitraum wegen seiner bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen Behinderung außerstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten, nachzuholen haben.
6
Im zweiten Rechtsgang hat das FG die Klage (erneut) abgewiesen. Im Streitfall sei kein Kindergeld zu gewähren. Denn es sei (immer noch) nicht nachgewiesen worden, dass die Behinderung von K vor Vollendung des 27. Lebensjahres (im Oktober 1988) eingetreten sei. Es seien keine aus dieser Zeit stammenden Unterlagen vorgelegt worden. Erst 10 Jahre nach dem Stichtag habe K eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen; die Feststellung der Schwerbehinderung sei erst im Februar 2006 und damit 18 Jahre nach dem kindergeldrechtlichen Stichtag erfolgt. Das im Klageverfahren vorgelegte Betreuungsgutachten beziehe sich zwar auf eine im Jahr 1978 erstellte diagnostische Einschätzung, wonach “dringender Verdacht auf einen Zustand nach frühkindlicher Hirnschädigung” vorliege. Zum Schweregrad der angenommenen Hirnschädigung finde sich im Gutachten keine Aussage; auch ließen sich Anhaltspunkte für eine Schwerbehinderung zum Oktober 1988 nicht entnehmen. Im Übrigen sei K trotz frühkindlicher Schädigung und erlittenem Unfall in die Schule gegangen, habe eine Lehre absolviert und sei berufstätig gewesen. Hirnschädigung und Unfallfolgen könnten damit keine so schwerwiegenden Folgen gezeitigt haben, dass K die Ausübung eines regulären Berufs nicht möglich gewesen sei. Dass K bereits 1988 gesundheitliche Probleme gehabt habe, die seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft –mehr als nur geringfügig– beeinträchtigt hätten, habe die Klägerseite weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt. Dies gelte auch im Hinblick auf eine mögliche Alkoholabhängigkeit des K. Denn aus dem Betreuungsgutachten sei weder ersichtlich, seit wann und in welchem Umfang K alkoholabhängig gewesen sei noch mit welchem Ausmaß und welchen Folgen seine Alkoholabhängigkeit in physischer, psychischer, beruflicher und sozialer Hinsicht zum Stichtag bestanden hätte.
7
Hiergegen wenden sich die Rechtsnachfolger der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision.
8
Das FG habe den Anspruch auf Kindergeld zu Unrecht abgelehnt. Durch das –schon im ersten Rechtsgang vorgelegte– Gutachten aus dem Jahr 1998 sei der Beweis erbracht worden, dass bei K die streitgegenständliche Behinderung vor dem Erreichen des 27. Lebensjahres eingetreten sei. Hiervon sei auch der BFH im ersten Rechtsgang ausgegangen. Die Entscheidung des FG im zweiten Rechtsgang stehe hierzu im Widerspruch. Im Übrigen könne aus der Bezeichnung “frühkindliche Gehirnschädigung” geschlossen werden, dass die Behinderung des K vor dem 27. Lebensjahr eingetreten sei. Hierzu könnten auch Unterlagen des Krankenhauses A eingeholt werden. Dies sei mit Schriftsatz vom 26. September 2012 angeregt worden. Ohne Einsicht in diese Unterlagen hätte das FG die Klage nicht abweisen dürfen. Deshalb sei vorliegend ein Verstoß gegen § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu beklagen. Das Gericht habe den Sachverhalt nicht vollständig festgestellt. Der Vorwurf fehlender Mitwirkung, weil weder K noch ein Betreuer ihr Einverständnis zur Offenlegung personenbezogener Daten erklärt hätten, sei zurückzuweisen. Das FG habe die Rechtsnachfolger der Klägerin nicht aufgefordert, entsprechende Erklärungen abzugeben oder beizubringen. Bei weiteren Ermittlungen hätte es nicht von einer fehlenden Schwerbehinderung ausgehen können. Außerdem habe das Gericht weder Feststellungen zum behinderungsbedingten Mehrbedarf noch zur Höhe des Einkommens des K getroffen.
9
Die Familienkasse ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.


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