Arbeitsrecht

Disziplinarklage, Kürzung der Dienstbezüge, Mehrfache sexuelle Belästigung untergebener Mitarbeiterinnen durch Verwaltungsbeamten

Aktenzeichen  M 19L DK 20.6656

Datum:
19.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9543
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 9
BeamtStG § 34 S. 3
AGG § 3 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/10 für die Dauer von 21 Monaten erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/10 für die Dauer von 21 Monaten erkannt (Art. 9 Bayerisches Disziplinargesetz – BayDG).
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine wesentlichen Mängel auf.
Zwar beruhen die von der Zeugin W. gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfe auf Beweismitteln, die nicht der Beweiserhebungsvorschrift des Art. 26 BayDG entsprechen. Danach ist die Beweiserhebung insbesondere durch schriftliche dienstliche Auskünfte (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayDG) und schriftliche Äußerungen von Zeugen und Zeuginnen (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayDG) möglich. Dem Schriftformerfordernis entspricht jedoch weder das Frau W. zugeschriebene, undatierte und nicht unterzeichnete Schreiben (Disziplinarakte = DA Bl. 24) noch – mangels elektronischer Signatur (vgl. § 3a Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG) – die von ihr am 27. Dezember 2017 versandte E-Mail (DA Bl. 25). Im Disziplinarverfahren wurde sie nicht eigens als Zeugin vernommen. Allerdings wurde dieser Verfahrensmangel im gerichtlichen Verfahren von Beklagtenseite nicht nach Art. 53 BayDG geltend gemacht und gesteht der Beklagte die Vorwürfe im Hinblick auf Frau W. im Wesentlichen zu. Damit bleibt der Verfahrensmangel ohne Ergebnisrelevanz auf das gerichtliche Disziplinarverfahren und legt das Gericht in diesem Verfahren auch die Vorwürfe hinsichtlich der Zeugin W. zugrunde.
2. Das Gericht geht in tatsächlicher Hinsicht von dem Sachverhalt aus, der Gegenstand der Disziplinarklage ist.
Danach hat der Beklagte im Zeitraum von Anfang 2014 bis Ende 2017 und damit über vier Jahre im Dienst vier ihm als Vorgesetzter bzw. Ausbildungsleiter unterstellte Bedienstete mehrfach durch Berührungen und Bemerkungen sexuell belästigt. Hinsichtlich aller vier Zeuginnen sind dem Beklagten von diesen unerwünschte Berührungen etwa an Handrücken, Hüfte, Rücken und Außenseite des Oberschenkels vorzuwerfen, die insbesondere bei Erklärungen am Computer oder bei Begegnungen im Druckerraum erfolgt sind. Außerdem hat er der Zeugin S. Mitte November 2017 an ihrem Arbeitsplatz den Arm um die Schulter gelegt und ihr Ende November 2017 als Suchbegriff für eine Datenbankabfrage „Sexy-Steffi“ vorgeschlagen. Zudem hat er die Zeugin M. dadurch sexuell belästigt, dass er sie am 28. November 2016 an der Tür zum Büro eines Kollegen um die Taille fasste, sie am 23. Dezember 2016 als Dank für einen Schokoladen-Nikolaus in ihrem Büro auf die Wange küsste, ihr im November 2017 in ihrem Büro den Kopf tätschelte und sie am 22. Dezember 2017 von hinten umarmte und ihr einen Kuss auf den Hals gab. Außerdem hat er der Zeugin W. zu ihrem Geburtstag vor einigen Jahren ein Geburtstagsbussi gegeben, bei dem er – wäre sie nicht ausgewichen – ihren Mund und nicht nur ihre Wange getroffen hätte.
Dieser Sachverhalt steht für das Gericht fest aufgrund der glaubhaften und überzeugenden Aussagen der Zeuginnen S., R. und M. im behördlichen Disziplinarverfahren. Auch an dem gegenüber Frau W. vorgeworfenen Verhalten bestehen für das Gericht keine Zweifel, nachdem der Beklagte dieses im Wesentlichen zugestanden hat. Die Zeuginnen schildern die Sachverhalte detailliert, nachvollziehbar und ohne Belastungseifer gegenüber dem Beklagten. Sämtliche Vorwürfe wurden vielmehr nach anfänglichem Schweigen erst öffentlich erhoben, nachdem sich der Personalrat der Dienststelle eingeschaltet hatte. Zudem erwähnen die Zeuginnen M. und W., dass sie überzeugt davon seien, dass der Beklagte sein Verhalten einstellen werde, sobald man ihn direkt darauf anspreche (DA Bl. 25 und 76). Die Überzeugung des Gerichts von dem zugrunde gelegten Sachverhalt wird zudem durch die Übereinstimmung der von allen Betroffenen gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfe gestützt.
Als nicht glaubhaft erachtet das Gericht die von ihm vorgebrachte Rechtfertigung, wonach jedenfalls die gelegentlichen Berührungen nicht in sexueller Absicht, sondern nur zufällig und unbeabsichtigter Weise erfolgt und auch der räumlichen Enge am Arbeitsplatz geschuldet gewesen seien. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die jungen Frauen ein sehr klares Empfinden für grenzüberschreitendes Verhalten haben und dieses eindeutig von rein zufälligen Berührungen unterscheiden können und dass die Einhaltung sozialadäquater Abstände auch zu jungen, weiblichen und untergebenen Beschäftigten durchaus möglich gewesen wäre. So führt etwa die Zeugin M. aus, gegenüber männlichen Kollegen habe sie kein vergleichbares Verhalten beobachtet und trotz Platzmangels bestehe im ADBV die Möglichkeit, sich so einzurichten, dass jeder seine Komfortzone habe.
Zu seinem Fehlverhalten erfolgte – wie vom Beklagten vorgetragen und von allen Zeuginnen bestätigt – lediglich einmal der Hinweis an ihn, dass er dieses unterlassen solle; dies geschah nach einem Kopftätscheln im November 2017 durch Frau M. Hinsichtlich der übrigen Verhaltensweisen machte keine der betroffenen Frauen ihn darauf aufmerksam, dass ihr seine Annäherungen und Berührungen unangenehm seien und er sein diesbezügliches Verhalten einstellen solle.
3. Durch die dem Beklagten zur Last gelegten Taten hat er innerdienstlich ein einheitliches Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft ihm obliegende Pflichten verletzt hat.
Durch sein Verhalten hat er gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 34 Satz 3 BeamtStG und gegen das für ihn als Beschäftigten (§ 7 Abs. 3, § 24 Nr. 1 AGG) geltende Verbot der sexuellen Belästigung aus § 3 Abs. 4 AGG verstoßen.
Nach den Bestimmungen des AGG werden sexuelle Belästigungen auch durch Beschäftigte erfasst (vgl. 7 Abs. 3 AGG) und deren Rechtswidrigkeit normativ festgelegt. Nach § 3 Abs. 4 AGG ist eine sexuelle Belästigung eine Benachteiligung, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Maßgeblich dafür, ob ein Verhalten als dienstpflichtwidrig zu qualifizieren ist, sind die Umstände des Einzelfalls. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert dabei nicht, dass dem Belästigenden die ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen zuvor aktiv verdeutlicht wurde. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war. Ausreichend ist, dass der Handelnde aus der Sicht eines objektiven Beobachters davon ausgehen kann, dass das Verhalten unter den gegebenen Umständen von der/dem Betroffenen nicht erwünscht ist oder nicht akzeptiert wird (BVerwG, U.v. 6.4.2017 – 2 WD 13/16 – unter Berufung auf BT-Drucks. 16/1780, S. 33 und BAG, U.v. 9.6.2011 – 2 AZR 323/10 – juris). Eine Handlung ist sexuell, wenn sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild für das allgemeine Verständnis eine Beziehung zum geschlechtlichen aufweist. Auch insoweit gilt nur der Maßstab eines objektiven Betrachters; auf die subjektive Sicht des Handelnden kommt es nicht an (Staudinger/Serr (2020), Online-Kommentar zum AGG, § 3 Rn. 52). Als Beispiele für sexuelle Handlungen werden Umarmungen oder das Arm umlegen, wenn es objektiv unerwünscht und sexuell bestimmt ist, genannt. Hierzu gehört auch, wenn ein Vorgesetzter die am Arbeitsplatz allgemein übliche minimale körperliche Distanz zu seinen Mitarbeitern regelmäßig nicht wahrt, sondern diese gezielt unnötig und wiederholt anfasst bzw. berührt oder gar sich mit seinem Körper an diese „heran drängelt“ (Staudinger/Serr (2020), Online-Kommentar zum AGG, § 3 Rn. 53).
Nach diesen rein objektiven Maßstäben ist das Verhalten des Beklagten, der sich den ihm untergebenen Mitarbeiterinnen immer wieder ohne Einhaltung eines ausreichenden Sozialabstands genähert und sie an Handrücken, Arm, Schultern oder Oberschenkel berührt hat, zweifellos als sexuelle Belästigung zu qualifizieren. Eines Hinweises der Betroffenen bedurfte es hierfür nicht.
4. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer. Wegen der zu Gunsten des Beklagten zu berücksichtigenden Milderungsgründe erfordert es dennoch nicht die vom Kläger beantragte Zurückstufung, sondern lediglich eine Kürzung der Dienstbezüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Regeleinstufung nicht angezeigt. Die Variationsbreite sexueller Zudringlichkeiten im Dienst ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In schweren Fällen innerdienstlicher sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern, insbesondere wenn der Beamte unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versagt und dadurch nicht nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend eingebüßt, sondern auch sein Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn schwer erschüttert ist, kann sich grundsätzlich die Frage seiner weiteren Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen, während in minderschweren Fällen eine mildere Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann (BVerwG, B.v. 16.7.2009 – 2 AV 4.09 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 13.7.2011, 16a D 10.565 – juris Rn. 64).
In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurden Fälle innerdienstlich begangener sexueller Belästigung bislang insbesondere wie folgt geahndet:
Im Fall zweimaliger, insbesondere verbaler, sexueller Belästigung durch einen Beamten kürzte das Bundesverwaltungsgericht die Dienstbezüge für zehn Monate (BVerwG, U.v. 22.10.2002 – 1 D 4.02 – juris). In einem weiteren Fall ausschließlich verbaler Belästigung, dies durch obszöne Ansprachen, über einen Zeitraum von (nur) eineinhalb Wochen ohne Ausnutzung der Vorgesetztenstellung sprach es eine Kürzung der Dienstbezüge für die Dauer von sechs Monaten aus (BVerwG, U.v. 4.4.2001 – 1 D 15.00 – juris). In einem weiteren Fall, in dem der Beamte eine Kollegin in einer Gemeinschaftsunterkunft handgreiflich wie eine käufliche Prostituierte behandelt und ihr vorgetäuscht hatte, sie notfalls mit Gewalt zu nehmen, kürzte es die Dienstbezüge für 24 Monate (BVerwG, U.v. 14.5.2002 – 1 D. 30.01 – juris). Einen Beamten, der über einen Zeitraum von vier Jahren neun ihm zum Teil untergebene Frauen trotz vielfacher Hinweise durch zweideutige Gespräche, anzügliche Bemerkungen, intime Fragen und körperliche Kontakte bis hin zum Berühren der Brust sexuell belästigte hatte, stufte es um eine Stufe zurück (BVerwG, U.v. 12.11.1997 – 1 D 90.95 – juris).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stufte einen Beamten, der fünf Kolleginnen über einen Zeitraum von knapp drei Jahren durch anzügliche Bemerkungen und Berührungen massiv sexuell belästigt hatte, um zwei Stufen zurück (BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 10.565 – juris). Dabei ordnete er das einzelne Fehlverhalten jedenfalls teilweise dem schweren Bereich zu (Busenberührungen, Griffe in den Schritt, Küsse auf Wange, Nacken oder Haare). Einen Beamten, der über einen Zeitraum von über vier Jahren neun Dienstverfehlungen durch obszöne Bemerkungen und unerwünschte Berührungen begangen hatte, stufte er um eine Stufe zurück (BayVGH, U.v. 26.11.2003 – 16a D 02.1228 – juris) und berücksichtigte dabei das Versagen als Vorgesetzter erschwerend. Im Falle eines Beamten, der durch Auftreten in Unterwäsche und anzügliche Bemerkungen ihm unterstehende Kolleginnen unter Missbrauch seiner Stellung als Vorgesetzter und Ausbilder sexuell belästigt hatte, verhängte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof – wegen Eintritts des Beamten in den Ruhestand nur -eine Ruhegehaltskürzung für die Dauer von 30 Monaten (BayVGH, U.v. 23.5.2001 – 16 D 99.2235 – juris).
Auf der Grundlage der aus den genannten Entscheidungen zutage tretenden Maßstäbe erscheint im vorliegenden Fall bei Würdigung aller Umstände eine Disziplinarmaßnahme bis zur Zurückstufung um eine Stufe möglich. Das einzelne Fehlverhalten des Beklagten ist nach seiner Schwere dem weniger (leichte Berührungen an Handrücken, Arm, Schulter oder Oberschenkel) oder dem mittelschweren Bereich (Arm um die Schulter legen, Umfassen der Taille, Kuss auf die Wange, Umarmung von hinten mit Kuss auf den Hals) zuzuordnen. Er hat die betroffenen Frauen lediglich in nicht intimen körperlichen Bereichen berührt. Seine Äußerungen hatten keinen obszönen oder zweideutigen Inhalt. Erhebliches Gewicht erlangen seine Verfehlungen jedoch durch ihre Häufigkeit und die vierjährige Dauer seines Verhaltens sowie den Umstand, dass sehr junge, unerfahrene und ihm zudem zur Ausbildung zugewiesene oder jedenfalls untergebene Frauen betroffen waren, bei denen eine besondere Schutzbedürftigkeit vorliegt. Zudem wurde der Betriebsfrieden durch sein Verhalten massiv gestört, was sich an den Ereignissen kurz vor Weihnachten 2017 zeigte. Zudem haben die Betroffenen sich nach ihren Aussagen massiv bedrängt gefühlt und haben die Übergriffe des Beklagten sie auch noch in ihrem privaten Lebensbereich verfolgt. So gab etwa die Zeugin M. an, das Verhalten des Beklagten habe sie so belastet, dass sie manchmal am nächsten Tag nicht in die Arbeit gehen wollte.
Zugunsten des Beklagten ist zu werten, dass er während der gesamten Zeitdauer seines Fehlverhaltens lediglich einen expliziten Hinweis auf dessen Unerwünschtheit erhalten hat. Im Übrigen zogen sich die betroffenen Frauen lediglich still vor seinen Berührungen zurück, was ihm aber entgangen sein mag. Zu seinen Gunsten ist weiter zu werten, dass er sich glaubhafter Weise im Dienst um einen lockeren Umgangston und ein nahes Verhältnis zu den Auszubildenden bemüht hat, was diese auch bestätigt haben (vgl. insoweit auch BayVGH, U.v. 26.11.2003 – 16a D 02.1228 – juris Rn. 102; U.v. 23.5.2001 – 16 D 99.2235 – juris Rn. 16), so dass ihm die Schwelle von seinem lockeren Umgangston zu den Berührungen nicht mehr so hoch erschienen sein mag.
Auch wenn danach bei der konkreten Betrachtung der Dienstpflichtverletzung eine Disziplinarmaßnahme bis zur Zurückstufung um eine Stufe möglich wäre, sieht das Gericht hier aufgrund der vielen zugunsten des Beklagten sprechenden Umstände lediglich eine Kürzung der Dienstbezüge (Art. 9 BayDG) um 1/10 (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2001 – 1 D 29.00 – juris Ls.) für die Dauer von 21 Monaten als angemessene, aber auch erforderliche Disziplinarmaßnahme an. Die anerkannten Milderungsgründe, die die Rechtsprechung ursprünglich zu den Zugriffsdelikten entwickelt hat, stellen keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Zur Prognosebasis gehören vielmehr alle für die Entscheidung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 44 f.).
Hier ist zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen, dass er straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist. Er zeigt seit vielen Jahren sehr anerkennenswerte dienstliche Leistungen und hohes dienstliches Engagement. In der letzten Beurteilung 2016 erhielt er das Gesamtergebnis 12 Punkte. Zudem wurden ihm auch im aktuellen Persönlichkeitsbild sehr gute dienstliche Leistungen und ein tadelloses dienstliches Verhalten an der neuen Dienststelle bescheinigt.
Der Beklagte hat zudem konstruktiv im Verfahren mitgewirkt und die ihm vorgeworfenen Sachverhalte jedenfalls teilweise eingestanden. Hierdurch wurde den Betroffenen eine weitere Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung erspart. Ferner hat er sein Bedauern über die Taten zum Ausdruck gebracht.
Zugunsten des Beklagten streitet weiter die lange Verfahrensdauer von Dezember 2017 bis heute, die nicht nachvollziehbare Unterbrechungen von März bis Juni 2018 (4 Monate), 13. September 2018 bis 3. Februar 2020 (17 Monate) und Mai bis November 2020 (7 Monate) und damit über insgesamt 28 Monaten aufweist. Die lange Verfahrensdauer beruhte nicht auf einem verfahrensverzögernden Verhalten des Beklagten, sondern allein auf der Behandlung des Verfahrens durch die Disziplinarbehörde und ist daher mildern zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Rn. 44).
Diesen Milderungsgründen steht lediglich erschwerend gegenüber, dass der Beklagte das Gewicht seines Fehlverhaltens noch immer nicht vollumfänglich eingesehen zu haben scheint. Dies ergibt sich aus seiner Äußerung in der mündlichen Verhandlung, er verstehe nicht, warum die betroffenen Mitarbeiterinnen ihn nicht auf sein Fehlverhalten hingewiesen haben, mit der er einen Teil der Verantwortung von sich weist. Auch wenn ihm ein entsprechender Hinweis wünschenswert erschienen wäre und er glaubhaft vorträgt, dass er sein Fehlverhalten dann umgehend eingestellt hätte, ist es naheliegend und verständlich, dass die jungen Frauen, die im Falle einer Zurückweisung Nachteile in ihrem dienstlichen Fortkommen befürchteten, das Gespräch mit ihm nicht gesucht haben.
Insgesamt erscheint damit eine Bezügekürzung, die nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayDG auf längstens 36 Monate zulässig wäre, im mittleren Bereich (hier 21 Monate) angemessen.
7. Dieser Disziplinarmaßnahme steht auch nicht ein Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs nach Art. 16 Abs. 2 BayDG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf eine Kürzung der Dienstbezüge nicht mehr ausgesprochen werden, wenn seit der Vollendung eines Dienstvergehens mehr als drei Jahre vergangen sind. Zwar sind hier inzwischen seit der letzten Tat am 22. Dezember 2017 mehr als drei Jahre vergangen. Die Dreijahresfrist beginnt jedoch sowohl mit der ersten Anhörung des Beklagten Ende Dezember 2017 als auch mit Erhebung der Disziplinarklage am 16. Dezember 2020 neu zu laufen (vgl. Art. 16 Abs. 4 Nr. 1 und 3 BayDG).
Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG. Da gegen den Beklagten im Verfahren der Disziplinarklage auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt er die Kosten des Verfahrens, auch wenn er mit seinem Antrag, eine mildere Disziplinarmaßnahme als die vom Kläger beantragte Zurückstufung auszusprechen, obsiegt hat.


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