Arbeitsrecht

Eingliederung eines Arbeitnehmers in den Betrieb

Aktenzeichen  3 Ca 1199/19

Datum:
24.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35388
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG § 2 Abs. 1
GVG § 17a Abs. 2, Abs. 3 S. 2
SGV IV § 7a
BGB § 611a Abs. 1, § 812
HGB § 84 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Arbeitnehmer ist gem. § 611a Abs. 1 BGB und nach der über das Handelsrecht hinausreichenden Wertung des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB derjenige, der seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht frei bestimmen kann. Für die Abgrenzung von Bedeutung sind in erster Linie die tatsächlichen Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist. Die Eingliederung zeigt sich insbesondere daran, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit unterliegt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kennzeichnendes Merkmal der Arbeitnehmereigenschaft ist die persönliche Abhängigkeit des Mitarbeiters. Diese ergibt sich aus der Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation und dem Umfang der Weisungsgebundenheit. Die fachliche Weisungsgebundenheit ist allerdings insbesondere für Dienste höherer Art häufig nicht typisch; die Art der Tätigkeit kann es mit sich bringen, dass dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbständigkeit verbleibt.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Abgrenzung entscheidend sind in erster Linie die Umstände der Dienstleistung und die Eigenart der Tätigkeit, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung oder andere formelle Merkmale. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der sozialversicherungsrechtlichen der Statusfeststellung nach § 7a SGB IV aus. Das Statusfeststellungsverfahren bindet lediglich die Sparten der Sozialversicherung und hat keinerlei Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Beziehungen der Parteien. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht eröffnet.
2. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Landgericht Bamberg verwiesen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über Erstattungsansprüche von Sozialversicherungsbeiträgen. Streitig ist insbesondere, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, das in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fällt.
Der Kläger trägt vor:
Es liege keine Eingliederung in Betrieb des Klägers vor, da der Beklagte seiner Arbeitszeit selbst bestimmt hat, indem er den Zeitpunkt der Durchführung der in Auftrag gegebenen Arbeiten gebunden an das Netzwerk der Bauvorgaben des Bauherrn eigenständig wählte. Auch der vereinbarte Stundenlohn sei für eine selbstständige Gartenbauleistung nicht ungewöhnlich. Beide Parteien seien daher übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Beklagte selbstständig tätig war.
Aufgrund der von der Deutschen Rentenversicherung durchgeführten Prüfung sei nunmehr festgestellt worden, dass der Beklagte ein scheinselbstständiger Unternehmer war. Die Klägerseite habe Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen müssen, für die der Beklagte bereicherungsrechtlich in Anspruch genommen wird.
Einzuräumen sei, dass der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses nicht deckungsgleich mit dem Arbeitsverhältnis ist. Die sozialversicherungsrechtliche Bewertung einer bestimmten Tätigkeit könne daher für deren arbeitsrechtliche Beurteilung keine uneingeschränkte Geltung haben. Dem stehe jedoch entgegen, dass ein Statusfeststellungsverfahren gem. § 7 a SGV IV eingeleitet und durchgeführt wurde. Hiermit sei der Arbeitnehmerstatus des Beklagten verbindlich festgestellt worden.
Der Beklagte trägt vor:
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei nicht eröffnet. Der Beklagte habe beim Kläger eine selbstständige Tätigkeit ausgeführt. Der Beklagte habe bereits in der Zeit vom 8.6.2015 bis 31.12.2016 beim Kläger als Arbeitnehmer gearbeitet. Nach Ausscheiden aus dem Betrieb habe der Beklagte ein Gewerbe angemeldet. Seit dem 1.3.2017 führte er einen Betrieb. Nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit sei der Beklagte vom Kläger gebeten worden, als Subunternehmer Tätigkeiten für den Betrieb des Klägers auszuführen. In der Zeit, für die die Klägerseite Rückzahlung von Beiträgen beansprucht, sei der Beklagte weit überwiegend für andere Auftraggeber tätig gewesen.
Es sei Sache des Klägers gegen den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Rechtsmittel einzulegen und den Rechtsweg auszuschöpfen. Mitnichten stelle der Bescheid für das arbeitsgerichtliche Verfahren verbindlich fest, dass der Beklagte Arbeitnehmer ist.
Die Klägerseite gehe in ihrer Klagebegründung selbst davon aus, dass eine selbstständige Tätigkeit vorgelegen hat.
In der Güteverhandlung vom 3.2.2020 wies der Vorsitzende auf Bedenken hinsichtlich des Rechtswegs hin. Die Parteien erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme und führten ihre Auffassungen schriftsätzlich aus.
II.
Gemäß § 17a Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 GVG ist im Falle der Rüge der Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtswegs durch Beschluss der Kammer zu entscheiden und im Falle der Unzulässigkeit dies von Amts wegen auszusprechen und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen.
Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bestimmt sich im vorliegenden Fall nach den Regelungen der §§ 2 Abs. 1 Nr.3 ArbGG.
Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Die Aufzählung des § 2 Abs. 1 ArbGG ist hierbei erschöpfend, so dass nicht unter diese Vorschrift fallende Streitigkeiten dem Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten entzogen sind.
Der Kläger ist nicht Arbeitnehmer der Beklagten. Die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers ist materiell-rechtlich nicht begründet.
1. Ein bereicherungsrechtlicher Erstattungsanspruch nach §§ 812 ff. BGB ist nicht sowohl für die Eröffnung des Rechtswegs, als auch für die begehrte Rechtsfolge Voraussetzung. Es liegt keine sog. doppelt-relevante Tatsache vor, die ohne weitere Sachprüfung den Rechtsweg begründen kann.
2. Arbeitnehmer ist gem. § 611 a Abs. 1 BGB und nach der über das Handelsrecht hinausreichenden Wertung des § 84 Abs. 1 S.2 HGB derjenige, der seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht frei bestimmen kann. Für die Abgrenzung von Bedeutung sind in erster Linie die tatsächlichen Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist (BAG vom 22.4.98, BAGE 88, 263, m.w.N.). Die Eingliederung zeigt sich insbesondere daran, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit unterliegt. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Merkmale lassen sich nicht aufstellen. Letztlich kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles an.
Kennzeichnendes Merkmal der Arbeitnehmereigenschaft ist die persönliche Abhängigkeit des Mitarbeiters. Diese ergibt sich aus der Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation und dem Umfang der Weisungsgebundenheit. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Die fachliche Weisungsgebundenheit ist allerdings insbesondere für Dienste höherer Art häufig nicht typisch; die Art der Tätigkeit kann es mit sich bringen, dass dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbständigkeit verbleibt. Ob und in welchem Maß das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit aufgrund derartiger Weisungsrechte des Arbeitgebers erfüllt ist, hängt vor allem von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Kann der Beschäftigte im wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit frei bestimmen, so ist er, wie auch die Wertung der §§ 611a Abs. 1 S.3 BGB, 84 Abs. 1 S. 2 HGB zeigt, kein Arbeitnehmer (st. Rspr. vgl. BAG 13.11.1991 AP Nr. 60 zu § 611 BGB Abhängigkeit).
Für die Abgrenzung entscheidend sind in erster Linie die Umstände der Dienstleistung und die Eigenart der Tätigkeit, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung oder andere formelle Merkmale (BAG AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Andererseits spricht nicht schon für ein Arbeitsverhältnis, dass es sich um ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis handelt. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses kann auch aus der Art oder Organisation der zu verrichtenden Tätigkeit folgen. Für die Einordnung ist nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung oder deren subjektive Vorstellung maßgeblich, sondern der objektive Geschäftsinhalt, wie er sich aus den Vereinbarungen der Parteien und der tatsächlichen Durchführung des Vertrages ergibt (vgl. BAG 13.11.1991 AP Nr. 60 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Entscheidend ist, ob und wie intensiv der Kläger eingegliedert war und in welchem Umfang er den Inhalt, die Art und Weise der Tätigkeit, die Arbeitszeit und die sonstigen Umstände seiner Dienstleistung mitgestalten konnte.
3. Ausgehend von diesen Grundsätzen lassen sich dem Sachvortrag des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers keine ausreichenden Tatsachen dafür entnehmen, dass er in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten stand.
Die vom Kläger beschriebenen Tätigkeiten lassen nicht erkennen, dass er hinsichtlich der Ausführung der geleisteten Dienste einem umfassenden Weisungsrecht hinsichtlich Zeit, Ort und Durchführung der Tätigkeit unterliegen sollte oder tatsächlich unterlag. Vielmehr räumt die Klägerseite selbst ein, dass der Beklagte frei in Bezug auf Zeit und Inhalt der zu erbringenden Leistung war.
4. Fälschlich geht der Kläger von einer Bindungswirkung der Statusfeststellung nach § 7 a SGB IV aus. Das Statusfeststellungsverfahren bindet lediglich die Sparten der Sozialversicherung und hat keinerlei Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Beziehungen der Parteien. Dies muss auch bereits deshalb gelten, da die Begriffe des Arbeitnehmers und des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht deckungsgleich sind. Definiert ist der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in § 7 Abs. 1 SGB IV. Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn ist die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Auch wenn § 7 Abs. 1 SGB IV damit weitgehend an das Arbeitsverhältnis anknüpft, zeigt allein der Begriff „insbesondere“, dass für das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis die tatsächlichen Umstände und nicht die zivilrechtliche Einordnung entscheidend sind.
Die Statusfeststellung führt folglich auch nicht zu einer Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte.
5. Zu verweisen war an das Landgericht Bamberg, §§ 71, 23 Nr.1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit folgt §§ 12, 13 ZPO.


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