Arbeitsrecht

Einreise ohne gültiges Visum

Aktenzeichen  AN 5 K 18.00135

Datum:
22.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1199
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ARB 1/80 Art. 6 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 51 Abs. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

1. Ein türkischer Arbeitnehmer ist erst dann vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn er objektiv keine Möglichkeit mehr hat, sich in den Arbeitsmarkt wiedereinzugliedern, oder den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn die 6-Monatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nur um wenige Stunden überschritten wurde, erlischt ein Aufenthaltstitel. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klage ist, soweit die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids begehrt wird, mit dem in Ziffer 1 das Erlöschen der am 15. September 2000 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und in Ziffer 2 das Erlöschen des Rechts nach dem ARB 1/80 in Form eines Verwaltungsaktes festgestellt wurde, als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) statthaft (vgl. BVerwG, U. v. 20.11.1990 – 1 C 8.89 – juris Rn. 15). Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
Die Beklagte hat zu Recht in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids festgestellt, dass das Recht des Klägers aus dem ARB 1/80 erloschen ist.
Nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Der EuGH hat aus dem Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt in ständiger Rechtsprechung ein implizites Aufenthaltsrecht abgeleitet. Mit dem Recht, als Arbeitnehmer jede beliebige Beschäftigung annehmen zu können, korrespondiert damit zugleich das Recht, sich im Aufnahmemitgliedstaat zur Ausübung der Beschäftigung aufhalten zu dürfen (Kurzidem in BeckOK, AuslR, Stand:1.11.2019, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 4). Der Begriff der Zugehörigkeit des türkischen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt bezeichnet dabei die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in dessen Hoheitsgebiet auszuüben (EuGH, U.v. 26.11.1998 – C-1/97 – juris Rn 55). Der Kläger ist nach Aktenlage in der Zeit vom 1. Juli 2007 bis 7. Juli 2012 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland bei demselben Arbeitgeber nachgegangen und hat daher unstreitig Rechte aus Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben.
Die vom Kläger erworbenen Rechte aus Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich ARB 1/80 sind im vorliegenden Fall jedoch erloschen, da der Kläger aus dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland ausgeschieden ist. Zwar führt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht jede Abwesenheit eines türkischen Arbeitnehmers vom Arbeitsmarkt zum Ausscheiden aus dem regulären Arbeitsmarkt. Ein türkischer Arbeitnehmer gehört trotz einer vorübergehenden Unterbrechung seines Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum, der angemessen ist, um eine andere Beschäftigung zu finden, weiterhin im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats an, und zwar unabhängig davon, welchen Grund die Abwesenheit des Betroffenen vom Arbeitsmarkt hat, sofern diese Abwesenheit vorübergehender Natur ist (EuGH, U.v. 7.7.2005 – C-383/03 – juris Rn. 19). Ein türkischer Arbeitnehmer ist erst dann vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn er objektiv keine Möglichkeit mehr hat, sich in den Arbeitsmarkt wiedereinzugliedern, oder den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden. Dies ist vorliegend der Fall.
Das Jobcenter hat gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 18. Juli 2016 mitgeteilt, dass der Kläger seit 2012 nicht mehr gearbeitet hat. Er spreche kaum Deutsch und habe immer wieder gesundheitliche Einschränkungen geltend gemacht. Ein Bemühen um Arbeit sei bei ihm nicht zu erkennen. Er habe über einen Dolmetscher vorgebracht, dass er wegen der Gesundheit keine Arbeit suchen könne. Eine Qualifizierung oder eine anderweitige Maßnahme sei bei dem Kläger aufgrund der sehr geringen Sprachkenntnisse und der gesundheitlichen Probleme kaum möglich. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 hatte das Jobcenter weiter mitgeteilt, dass der Kläger mehrfach hinsichtlich einer ärztlichen Begutachtung angeschrieben worden sei, dass er hierauf jedoch nicht reagiert habe. Der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass er nach Beendigung des sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses im Jahr 2012 lediglich eine achtmonatige Weiterbildungsmaßnahme über die Agentur für Arbeit absolviert hat. Im Anschluss daran, habe er seine Kinder gesucht, es sei in dieser Zeit auch zu Auslandaufenthalten gekommen, gearbeitet habe er nicht mehr. Im Jahr 2013/2014 sei er an der Niere operiert und die Zähne seien behandelt worden. Erst zum 31. Oktober 2018 habe er – mit einer von der Beklagten ausgestellten Fiktionsbescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG – eine Tätigkeit bei der Firma … aufgenommen und sei dieser bis zum 21. März 2019 nachgegangen.
Damit ist der Kläger mehr als sechs Jahre keiner Beschäftigung als Arbeitnehmer im Bundesgebiet nachgegangen. Aussichtsreiche Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle während der gesamten Dauer der Arbeitslosigkeit sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat sich überdies in der Zeit vom 6. April 2015 bis zum 7. Oktober 2015 ohne entsprechende Informationen gegenüber dem Jobcenter in der Türkei aufgehalten. Im Fall des Klägers ist daher jedenfalls nicht von einer nur vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit auszugehen, so dass die Rechte des Klägers aus Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich ARB 1/800 erloschen sind. Die Tatsache, dass der Kläger vom 31. Oktober 2018 bis 21. März 2019 gearbeitet hat, nachdem die Beklagte zu Unrecht eine Fiktionsbescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 S. 2 AufenthG ausgestellt hatte, führt nicht zum Wiederaufleben erloschener Rechte nach dem ARB 1/80.
Auch die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Feststellung des Erlöschens der dem Kläger am 15. September 2000 unbefristet erteilten Aufenthaltserlaubnis ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Niederlassungserlaubnis ist jedenfalls mit Ablauf des 6. Oktober 2015 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Für den Eintritt der Rechtsfolge des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kommt es weder auf die Natur des Ausreisegrundes noch auf diejenigen Gründe an, aus denen ein Ausländer nicht innerhalb der sechs Monatsfrist wieder in das Bundesgebiet eingereist ist, denn § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG stellt grundsätzlich allein auf den Ablauf des Sechs-Monats-Zeitraums ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 10.1.2007 – 24 BV 03.722 – juris Rn. 37). Auf die subjektive Vorstellung des Ausländers von seinem Ausreisezweck kommt es ebenso wenig an, wie auf ein etwaiges Verschulden an der verspäteten Wiedereinreise (VG Augsburg, U.v. 20.6.2012 – AU 6 K 11.1639 – juris Rn. 18). Der Kläger ist am 6. April 2015 in die Türkei ausgereist und – nach Mitteilung der Polizei …-Flughafen – planmäßig am 7. Oktober 2015 um 2.35 Uhr in … gelandet und eingereist. Er hat sich demnach sechs Monate im Ausland aufgehalten, ohne dass die Ausländerbehörde eine längere Frist bestimmt hätte, so dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers jedenfalls nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist. Auf die Tatsache, dass die sechs Monatsfrist nur um wenige Stunden überschritten wurde, kommt es insoweit nicht an.
Der Kläger kann sich auch nicht auf § 51 Abs. 2 AufenthG berufen. Nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 AufenthG, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 oder nach § 54 Abs. 2 Nrn. 5 bis 7 AufenthG besteht. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der Kläger, wie oben ausgeführt, seit Jahren Leistungen nach dem SGB II bezieht und keiner Arbeit nachgeht.
Die hilfsweise erhobene Klage auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist zwar zulässig, aber ebenfalls als unbegründet abzuweisen. Die in Ziffer 3 verfügte Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat schon keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, da nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung die geschiedene Ehefrau des Klägers alleinige Inhaberin des Sorgerechts für die noch minderjährige Tochter des Klägers ist.
Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, erneut über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG zu entscheiden. Nach dieser Regelung kann dem nicht sorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird.
Die Beklagte ist schon zu Recht von dem Nichtvorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ausgegangen, da der Kläger schon nicht mit dem erforderlichen – nationalen – Visum in das Bundesgebiet eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und der Erteilung mit der Verurteilung vom 23. März 2016 wohl auch ein Ausweisungsinteresse (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) entgegensteht. Darüber hinaus liegen im vorliegenden Fall aber auch die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG nicht vor, da der Kläger mit seiner Tochter schon nicht in familiärer Gemeinschaft lebt. § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG setzt dabei eine familiäre Gemeinschaft im Sinne einer Betreuungs- und Erziehungsgemeinschaft voraus. Gefordert wird hierfür in der Regel ein Zusammenleben mit dem Kind. Leben die Familienmitglieder – wie im vorliegenden Fall – getrennt, muss eine differenzierte Bewertung des Einzelfalls ergeben, dass zusätzliche Anhaltspunkte für die Annahme einer familiären Gemeinschaft vorhanden sind. Sie können in Betreuung und Versorgung des Kindes, Unterhaltsleistungen oder intensiven Kontakten bestehen (BayVGH, U.v. 26.9.2016 – 10 B 13.1318 – juris Rn. 32). Im Einzelfall muss jedenfalls deutlich werden, dass in den spezifischen Formen, die das Umgangsrecht ermöglicht, Verantwortung übernommen wird und dass eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG-Kammer, B.v.09.01.2009 – 2 BvR 1064/08 . NVwZ 2009,387/388).
Hiervon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Nach dem Vortrag des Klägers und den Aussagen seiner minderjährigen Tochter, die in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört wurde, leben die Kinder des Klägers bereits seit 2012 ausschließlich bei der Mutter in … Es finden sporadische Kontakte zu der noch minderjährigen Tochter statt, meist in den Ferienzeiten und zu Geburtstagen. Offensichtlich trägt der Kläger eine ersichtliche Verantwortung für seine Tochter derzeit nicht.
Hat die Beklagte nach dem Vorstehenden zu Recht festgestellt, dass die dem Kläger unbefristet erteilte Aufenthaltserlaubnis erloschen ist, so ist der Kläger nach § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, wobei die Ausreisepflicht des Klägers nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG infolge der Einreise ohne Aufenthaltstitel am 7. Oktober 2015 vollziehbar ist. Die in Ziffer 4 und 5 des streitgegenständlichen Bescheids verfügten Annexentscheidungen sind daher rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.


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