Arbeitsrecht

Elterngeld für anerkannte Flüchtlinge

Aktenzeichen  S 46 EG 130/17

Datum:
4.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9120
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 11

 

Leitsatz

Das BEEG enthält keinen Leistungsausschluss für generelle Zweifel der Elterngeldstelle an der Identität der Anspruchsteller. Art. 12 Bayerisches Integrationsgesetz ist auf Elterngeld nach BEEG nicht anwendbar. (Rn. 10 und 18)

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 17. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. September 2017 verurteilt, der Klägerin Elterngeld für die Zeit vom ersten bis einschließlich zwölften Lebensmonat der Tochter C. in Höhe von monatlich 300,- Euro zu gewähren.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Gründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist auch begründet, weil die Klägerin Anspruch auf Elterngeld hat. Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) enthält keinen Leistungsausschluss für generelle Zweifel der Elterngeldstelle an der Identität der Anspruchsteller.
1. Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Das örtlich zuständige Jobcenter wurde gemäß § 75 Abs. 1 SGG beigeladen. Elterngeld ist grundsätzlich gemäß §§ 11 ff SGB II, § 10 Abs. 1 und 5 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II anzurechnen (BSG, B 4 KG 2/14 R, 26.07.2016, Rn. 17). Weil sich nach § 104 SGB X ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegenüber dem Beklagten ergeben dürfte, sind die berechtigten Interessen des Beigeladenen berührt.
2. Anwendbar ist das BEEG in der Fassung des Elterngeld-Plus-Gesetzes vom 18.12.2014. Die §§ 2 bis 22 dieser Fassung sind gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 BEEG für Geburten ab dem 01.07.2015 anwendbar. Die Tochter der Klägerin ist am 02.06.2017 geboren.
3. Die Klägerin kann dem Grunde nach Elterngeld beanspruchen, weil sie im Anspruchszeitraum (02.06.2017 bis 01.06.2018) die Grundvoraussetzungen des Elterngeldanspruchs nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BEEG erfüllt. Sie hat in dieser Zeit ihren Wohnsitz in Deutschland, lebt in einem Haushalt mit ihrer Tochter, die sie selbst betreut und erzieht, und übt zumindest keine volle Erwerbstätigkeit im Sinn von § 1 Abs. 6 BEEG aus. Die Klägerin hatte im August 2017 auch rechtzeitig den schriftlichen Leistungsantrag nach § 7 Abs. 1 BEEG gestellt, der bis zu drei Monate vor dem Antragsmonat zurückwirkt.
4. Die Klägerin erfüllt auch die Zusatzvoraussetzungen für Ausländer nach § 1 Abs. 7 BEEG. Sie ist als syrische Staatsangehörige nicht freizügigkeitsberechtigt, verfügt aber mit der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz mit einer Gestattung der Erwerbstätigkeit über den nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG erforderlichen Aufenthaltsstatus.
5. Der Beklagte beruft sich darauf, dass die Identität der Klägerin nicht per Geburtsurkunde des Kindes oder Auszug aus dem Personenstandsregister nachgewiesen sei. Dieser Einwand berechtigt nicht zur Leistungsablehnung. Das BEEG enthält keinen Leistungsausschluss für generelle Zweifel der Elterngeldstelle an der Identität der Leistungsberechtigten.
Das Personenstandsregister, Auszüge daraus und Personenstandsurkunden des Standesamtes nach § 55 Personenstandsgesetz (PStG) haben gemäß § 54 PStG eine besondere Beweiskraft. Die vorläufige Bescheinigung nach § 7 Abs. 2 PStV hat diese Beweiskraft nicht. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 2 PStV: „Dem Anzeigenden ist auf Antrag eine Bescheinigung darüber auszustellen, dass der Personenstandsfall angezeigt wurde, aber noch nicht beurkundet werden konnte.“ Dies bedeutet aber nur, dass die Elterngeldstelle im Wege der Amtsermittlung nach § 26 Abs. 1 BEEG i.V.m. § 20 SGB X auf andere Beweismittel zurückgreifen muss.
Gründe für einen Zweifel an der Identität der Klägerin sind dem Gericht nicht ersichtlich. Das gilt für die Frage der Abstammung, d.h. ob die Klägerin die Mutter von C. ist, als auch für die Frage, ob Name und Nationalität der Klägerin zutreffend angegeben bzw. festgestellt wurden. Auch der Beklagte konnte nicht darlegen, weshalb er in diesem konkreten Leistungsfall Zweifel an der Identität der Klägerin habe. Allgemeine Überlegungen zur generellen Gefahr eines Leistungsmissbrauchs sind jedenfalls nicht geeignet, einen Leistungsausschluss ohne gesetzliche Grundlage zu rechtfertigen. Daran würde auch eine entsprechende verwaltungsinterne Weisung nichts ändern.
Art. 12 BayIntG ist auf Elterngeld nicht anwendbar. Nach Art. 12 BayIntG können landesrechtliche Leistungen davon abhängig gemacht werden, dass die Identität eines Ausländers durch besondere Nachweise belegt wurde (Art. 12 Abs. 1) und Ansprüche auf Landesleistungen können für einen Zeitraum von fünf Jahren verwirkt werden, wenn der Ausländer sich des Identitätsausweises seines Herkunftsstaates entledigt hat, um den Nachweis seiner Identität oder Herkunft zu erschweren (Art. 12 Abs. 2). Diese Vorschrift ist hier schon deswegen nicht anwendbar, weil das Elterngeld eine Bundesleistung ist. Ob deren weitere Voraussetzungen hier vorliegen würden, kann deshalb dahinstehen.
Ein Leistungsausschluss wegen allgemeiner Zweifel an der Identität bzw. am Identitätsnachweis des Antragstellers besteht im BEEG nicht. Wie auch die Existenz des Art. 12 BayIntG zeigt, wäre dafür eine gesetzliche Grundlage nötig, die im BEEG nicht enthalten ist und auch sonst nicht ersichtlich ist. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Beigeladene diese Ansicht des Beklagten nicht teilt und der Klägerin Leistungen zum Lebensunterhalt nach SGB II erbringt. Das Gericht geht davon aus, dass inzwischen auch Kindergeld bewilligt wurde.
5. Die Klägerin übte weder vor der Geburt ihrer Tochter noch während des Bezugszeitraums eine Erwerbstätigkeit aus. Sie hat deshalb für die Zeit vom ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes einen Leistungsanspruch von monatlich 300,- Euro in Höhe des Mindestelterngelds nach § 2 Abs. 4 BEEG. Darauf sind keine anderen Einnahmen nach § 3 BEEG anzurechnen. Die Klägerin bezog kein Mutterschaftsgeld, vgl. § 21i, § 44 Abs. 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V, und keinen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld, vgl. § 14 MuschG.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG


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