Arbeitsrecht

Erfolglose Berufung hinsichtlich einer früheren Gewährung von Regelaltersrente

Aktenzeichen  L 19 R 181/16

Datum:
19.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133456
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 109 Abs. 2, § 235 Abs. 2 S. 3 Nr. 1
BayBG Art. 80d Abs. 2 S. 1 Nr. 3
SGB X § 31, § 34

 

Leitsatz

Die Bewilligung einer Altersteilzeit an einen Beamten nach beamtenrechtlichen Vorgaben stellt keine Altersteilzeitarbeit iS des § 235 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB VI dar, aufgrund derer von einer Anhebung der Regelaltersgrenze abzusehen wäre (Anschluss an LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.01. 2014 – L 2 R 332/13). (Rn. 18 – 21)

Verfahrensgang

S 2 R 650/13 2016-02-15 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.02.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, weil sie vom SG im Gerichtsbescheid vom 15.02.2016 zugelassen wurde. Der an sich für die Statthaftigkeit einer Berufung erforderliche Mindeststreitwert wird mit dem hier streitigen Betrag von 122,72 € bei weitem nicht erreicht. Der Kläger begehrt statt dem mit Bescheid der Beklagten vom 09.09.2013 zuerkannten Rentenbeginn für seine Regelaltersrente ab dem 01.09.2013 in Höhe von monatlich 61,36 € einen um 2 Monate früheren Rentenbeginn, nämlich ab dem 01.07.2013. Der Senat ist jedoch nach § 144 Abs. 3 SGG an die Zulassung der Berufung durch das SG gebunden.
Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen frühzeitigeren Beginn seiner Regelaltersrente. Die Voraussetzungen für eine Anwendung der Übergangsvorschrift des § 235 Abs. 2 S. 3 SGB VI liegen nicht vor. Diese Vorschrift ist auch nicht entsprechend auf den Kläger anzuwenden. Eine von der Prozessbevollmächtigten des Klägers geltend gemachte „individualisierte Rentenauskunft“ ist keine Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X und entfaltet deshalb keine Bindungswirkung für die Beklagte, Rente bereits ab dem 01.07.2013 gewähren zu müssen.
Die Voraussetzungen des § 235 Abs. 2 S. 3 SGB VI erfüllt der Kläger nicht. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat in seinem Beschluss vom 29.01.2014 – auf den sich bereits das SG in seinem Gerichtsbescheid vom 15.02.2016 bezogen hat – entschieden, dass nach dem klaren Wortlaut der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 AtG, auf den § 235 SGB VI Bezug nehme, lediglich Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern Altersteilzeit im Sinne des Gesetzes vereinbaren könnten. Beamte seien hingegen nicht Arbeitnehmer in diesem Sinne (unter Hinweis auf § 5 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz – ArbGG). Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG könne schon bereits aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Bereich des Sozialrechts nicht gesehen werden, insbesondere, was die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises und die Bezugsdauer der einzelnen Sozialleistungen anbelange (BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 10 KG 2/07 R, m.w.N., insbesondere auch zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung). Eine Überschreitung dieser weiten verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Wahrnehmung des gesetzgeberischen Regelungsermessens sei im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang in keiner Weise ersichtlich. Bei Versicherten, bei denen eine Altersteilzeit nicht nach dem Altersteilzeitgesetz vereinbart werde, dürfe der Gesetzgeber für den Regelfall und damit im Rahmen der ihm allein möglichen typisierenden Bewertung davon ausgehen, dass die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht den wesentlichen Teil der Altersvorsorge, sondern nur eine zusätzliche Absicherung von finanziell meist deutlich untergeordneter Bedeutung darstelle. Schon darin sei ein wesentlicher, die Ungleichbehandlung rechtfertigender Unterschied zu sehen. Im Rahmen einer sachlich gebotenen typisierenden Betrachtung dürfe der Gesetzgeber überdies davon ausgehen, dass Versicherte, die Altersteilzeit nach beamtenrechtlichen Vorgaben und damit nicht nach Maßgabe der §§ 2 und 3 AtG in Anspruch nehmen, auch in einem nur geringeren Umfang Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hätten, was ebenfalls einen verfassungsrechtlich zulässigen Differenzierungsgesichtspunkt darstelle (LSG Niedersachsen-Bremen, L 2 R 332/13, Rn. 19, veröffentlicht bei juris).
Der Senat schließt sich dieser Argumentation in vollem Umfang an. Der Kläger hat vor Eintritt in die Beamtenlaufbahn gerade 63 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen absolviert und erzielt hieraus ab dem 01.09.2013 eine monatliche Altersrente, die sich im Zeitpunkt der Bewilligung auf 61,36 € monatlich belaufen hat. Es ist damit offensichtlich, dass es sich hierbei nicht um die wesentliche Altersvorsorge und Absicherung des Klägers handelt, der aus seinem Beamtenverhältnis damals bereits eine Pension in Höhe von knapp 2.800,00 € monatlich bezogen hat. § 235 SGB VI stellt eine Übergangsregelung im Zusammenhang mit der Anhebung der Regelaltersgrenzen mit Wirkung zum 01.01.2008 dar. Es sollten dadurch ältere Arbeitnehmer vor einer Versorgungslücke infolge der Anhebung der Altersgrenzen geschützt werden, die aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage gewesen wären, Versicherungslücken durch ausreichende eigene Beitragsleistungen bis zum Rentenbeginn schließen zu können. Deshalb ist die Regelung auf Personen begrenzt, die vor dem 01.01.1955 geboren waren und im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Altersgrenzenneuregelungsgesetzes zum 01.01.2008 sich bereits in Altersteilzeit befunden haben, d. h. vor dem 01.01.2007 bereits Altersteilzeit mit ihrem Arbeitgeber vereinbart hatten. Die Übergangsregelung des § 235 Abs. 2 S. 3 SGB VI bezieht sich deshalb auf rentennahe Jahrgänge, die vor Anhebung der Regelaltersgrenzen ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben geplant bzw. bereits in Gang gesetzt hatten. Dass der Gesetzgeber hierbei Stichtagsgrenzen einsetzte, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da hierfür nachvollziehbare Gründe vorliegen.
Soweit in der Literatur vereinzelt die Auffassung eines erweiterten Anwendungsbereichs für alle denkbaren Formen von Arbeitszeitermäßigungen wegen Alters diskutiert wird (z. B. Jüttner, in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand 04/2015, § 235 SGB VI, Rdnr 10-12 unter Hinweis auf den Wortlaut des § 235 Abs. 2 S. 3 SGB VI: „im Sinne der“ statt „gemäß der“ §§ 2, 3 AtG), ist dem nicht zu folgen. Der Gesetzgeber hat in § 69 h Abs. 2 Nr. 3 Beamtenversorgungsgesetz eine vergleichbare Regelung für Beamte in Altersteilzeit nach beamtenrechtlichen Vorschriften geschaffen, die ebenfalls nicht entsprechend auf den umgekehrten Fall Anwendung finden würde, wenn der Hauptteil der Altersvorsorge in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt worden wäre. Aufgrund des Charakters der Übergangsregelung und der dahinterstehenden Motive des Gesetzgebers verbietet sich eine analoge Anwendung des § 235 Abs. 2 S. 3 SGB VI, da eine unbewusste Regelungslücke gerade nicht vorliegt.
Auch soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung die Argumentation eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht weiter verfolgt hat und entscheidend auf eine sog. „individualisierte Rentenauskunft“ abstellt, die den Charakter einer Zusicherung nach § 34 SGB X habe, kann diese Argumentation keinen Erfolg haben. Es scheint zwar nach der Aktenlage zutreffend zu sein, dass dem Kläger im Jahr 2009 zunächst die – zutreffende – Renteninformation gegeben wurde, dass auch er von der Anhebung der Regelaltersgrenze um 2 Monate betroffen sei und dass diese Information auf sein Schreiben vom 11.07.2009 hin von der Beklagten dahingehend korrigiert wurde, dass er Vertrauensschutz genieße. Die gleiche Passage taucht in den Rentenauskünften der Jahre 2010, 2011 und 2012 auf. Erst in der Rentenauskunft vom 31.01.2013 war darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des § 235 Abs. 2 S. 3 SGB VI nicht gegeben seien. Es ist auch zutreffend, dass der Kläger die Regelaltersrente zum 01.07.2013 bereits am 27.12.2012 bei der Beklagten beantragt hatte. Nach Antragstellung ist von der Beklagten aber keine fehlerhafte Rentenauskunft mehr erteilt worden, sondern die der Rechtslage des § 235 SGB VI entsprechende Rentenauskunft vom 31.01.2013. Gleichwohl kann sich der Kläger auf einen „aus Treu und Glauben“ folgenden Vertrauensschutz nicht berufen. Die fehlerhaften Angaben der Beklagten waren in den Rentenauskünften enthalten und diese waren jeweils mit den Hinweisen gekennzeichnet, dass es sich bei diesen umfassenden Schreiben nicht um einen Rentenbescheid handele, sondern dass diese nur Auskunft über die derzeit bei der Beklagten gespeicherten Daten gebe. Ausdrücklich ist unter Gliederungspunkt A. noch fettgedruckt der Hinweis enthalten, dass die Rentenauskunft unverbindlich ist. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem Gerichtsbescheid vom 15.02.2016 hierzu wird verwiesen. Der rechtliche Charakter der Rentenauskunft ebenso wie der der Renteninformation ist in § 109 SGB VI geregelt und wird nicht bereits dadurch verändert, dass der Kläger bei der Beklagten wegen einer darin enthaltenen Angabe nachfragt. Wären in der Rentenauskunft für den Kläger negative Feststellungen enthalten gewesen, würde der Kläger diese sicherlich nicht gegen sich gelten lassen wollen.
Eine Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X kann in diesen Rentenauskünften ebenfalls nicht gesehen werden, da sie von ihrem Regelungscharakter her nicht verbindlich sind und auch nicht verbindlich werden, nur weil die Beklagte auf Nachfrage des Klägers eine Änderung der unverbindlichen Rentenauskunft vornimmt. Auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen seines Gerichtsbescheids vom 15.02.2016 verwiesen.
Um eine Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X annehmen zu können, muss der Kläger nachweisen, dass die Beklagte ihm eine verbindliche Zusage geben wollte, dass er ab dem 01.07.2013 eine Regelaltersrente erhalte, obwohl er die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllen würde. Diese Zusage hätte schriftlich und unter konkreter Bezugnahme auf die Regelung des § 235 Abs. 2 S. 3 SGB VI erfolgen müssen. Die Abgabe einer solchen Erklärung mit Bindungswirkung hat der Kläger von der Beklagten aber gerade nicht verlangt.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 15.02.2016 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.


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