Arbeitsrecht

Erfolgreicher Befangenheitsantrag bei Festhalten an Beweisbeschluss über unstreitige Tatsache trotz Gegenvorstellung

Aktenzeichen  9 W 230/20 Bau

Datum:
26.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfBR – 2020, 567
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 42 Abs. 2, § 358

 

Leitsatz

Bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen Verfahrensrecht kann aus einem Beweisbeschluss der Eindruck für eine besonnen und vernünftig denkende Partei entstehen, der Richter werde die verfassungsmäßigen Rechte der Partei missachten und sich ihres Prozessanliegens nicht unvoreingenommen annehmen. Dies ist der Fall, wenn sich der Beweisbeschluss auf eine unstreitige Tatsache (hier Prüffähigkeit einer Werklohnrechnung) bezieht und der Richter an dem Beweisbeschluss trotz Gegenvorstellung der Parteien ohne inhaltliche Auseinandersetzung festhält. (Rn. 21 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

24 O 9555/19 2020-01-15 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klagepartei wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 15.01.2020 (Az. 24 O 9555/19) aufgehoben und das Ablehnungsgesuch der Klagepartei gegen Frau Richterin am Landgericht Dr. R. für begründet erklärt.
2. Der Senat weist darauf hin, dass im Rahmen der vom Landgericht München I für das Klageverfahren noch zu treffenden Kostenentscheidung die durch den Beweisbeschluss vom 15.11.2019 verursachten Kosten wegen unrichtiger Behandlung der Sache nicht zu erheben sein dürften; § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Gründe

I.
Mit der Klage begehrte die Klägerin von den Beklagten als Gesamtschuldner Restwerklohn in Höhe von 54.088,88 € nebst Zinsen aus einem Bauvertrag vom September 2016 über pauschal brutto 799.500 €. Am 04.12.2018 unterzeichneten die Parteien ein Abnahmeprotokoll, in dem die mangelfreie Erbringung der Bauleistungen festgehalten war (Anlage K 19). Am 15.02.2019 stellte die Klägerin ihre Schlussrechnung (Anlage K 20) und forderte abzüglich 5 geleisteter Zahlungen noch 73.601,88 €.
Die Beklagten erwiderten auf die Klage, das von ihnen beauftragte Planungsbüro habe die Schlussrechnung geprüft. Für ein tatsächlich nicht verbautes Rolltor seien 4.000 € abzuziehen gewesen, wegen einer verwirkten Vertragsstrafe 42.307,53 € und wegen eines Mietschadens 6.640,20 € (Klageerwiderungsschriftsatz vom 03.09.2019, Seite 4). Abzüglich dieser drei Beträge habe sich ein korrigierter Endbetrag der Schussrechnung von 20.654,15 € ergeben. Der korrigierte Endbetrag sei im April 2019 der Klägerin mitgeteilt und von den Beklagten vollständig bezahlt worden (Anlage B 8). Etwa noch bestehende Baumängel behaupteten die Beklagten nicht.
Durch Schriftsatz vom 11.11.2019 ließ die Klägerin die Berechtigung der drei Abzugsbeträge bestreiten.
Am 15.11.2019 führte die Richterin am Landgericht Dr. R. als Einzelrichterin eine mündliche Verhandlung durch. Die Parteien stellten unstreitig, dass das Rolltor tatsächlich nicht ausgeführt wurde. Am Ende der Sitzung erließ die Richterin den folgenden Beweisbeschluss:
„Es wird Beweis erhoben über die Behauptung der Klagepartei,
die von der Klägerin vorgelegte Schlussrechnung für das streitgegenständliche Bauvorhaben vom 15.2.2019 … ist prüffähig sowie sachlich und rechnerisch richtig, die berechneten Mengen und Massen stimmen, die Leistungen wurden tatsächlich und ordnungsgemäß ausgeführt. Die Einwendungen der Beklagtenpartei seien unzutreffend. Dabei hat der Gutachter als vertraglich vereinbartes Leistungssoll die Auftragsbestätigung vom 2.3.2017 … zugrunde zu legen durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens …“
Ferner wies das Landgericht den Sachverständigen an, seine Ergebnisse betragsmäßig zusammenzufassen, die Ursachen von Mängeln festzustellen und ggfs. Verursachungsquoten aus technischer Sicht zu bilden, die Verletzung der Regeln der Baukunst zu prüfen, die erforderlichen Mangelbeseitigungsmaßnahmen sowie deren Kosten zu nennen unter Angabe eventueller Sowieso-Kosten, einen Ortstermin durchzuführen, erforderliche Unterlagen direkt von den Parteivertretern anzufordern und auf den Inhalt etwaiger Privatgutachten einzugehen. Von der Klägerin forderte der Beweisbeschluss die Einzahlung eines Kostenvorschusses von 7.000 €.
Durch Schriftsatz vom 29.11.2019 erhoben die Beklagten gegen den Beweisbeschluss eine Gegenvorstellung. Die Prüffähigkeit sei nicht Thema. Die Schlussrechnung sei auch geprüft worden. Allein die Berechtigung der drei Abzugsbeträge sei zwischen den Parteien streitig.
Darauf verfügte die Einzelrichterin am 02.12.2019: „Bei dem Beweisbeschluß vom 15.11.19 hat es sein Bewenden.“
Durch Schriftsatz vom 03.12.2019 erhob die Klägerin aus den selben Gründen Gegenvorstellung und stellte zugleich einen Befangenheitsantrag gegen die Einzelrichterin. Das gesamte Thema des Beweisbeschlusses sei zwischen den Parteien unstreitig. Die Richterin sei in der mündlichen Verhandlung vollkommen unvorbereitet gewesen und nicht auf den Hinweis des Beklagtenvertreters eingegangen, dass es im Wesentlichen nur um Bauzeitverzögerungen gehen würde.
In ihrer dienstlichen Stellungnahme vom 16.12.2019 führte die abgelehnte Richterin aus, es sei nicht ersichtlich, welcher Befangenheitsgrund aus der behauptet mangelhaften Vorbereitung des Gerichts zum Nachteil der Klagepartei folgen solle. Der Sitzungsverlauf ergebe sich aus dem Protokoll, das rechtliche Gehör sei gewahrt.
Durch Schriftsatz vom 09.01.2020 schlossen sich die Beklagten dem Ablehnungsgesuch der Klägerin an.
Die Klägerin führte durch Schriftsatz vom 10.01.2020 aus, die dienstliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin räume die Ablehnungsgründe nicht aus, sondern belege sie.
Durch Beschluss vom 15.01.2020 wies das Landgericht München I den Befangenheitsantrag zurück. Ein Grund für Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richterin bestehe bei vernünftiger Betrachtung nicht. Eine negative Einstellung der Richterin gegenüber einer Partei zum Vorteil der anderen Partei sei nicht ersichtlich. Ein Beweisbeschluss sei eine materielle Entscheidung der Richterin im Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit. Er sei der Anfechtung entzogen und nur eine Gegenvorstellung statthaft. Die Richterin wäre zudem nicht gehindert, nach Eingang der Schriftsätze der Parteien den Beweisbeschluss zu ändern.
Der Beschluss wurde am 17.02.2020 dem Klägervertreter zugestellt.
Am 07.02.2020 verfügte die Einzelrichterin die Aktenversendung an den Sachverständigen.
Durch Schriftsatz vom 17.02.2020 legte die Klägerin sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 15.01.2020 ein, verfolgte ihren Ablehnungsantrag und ihre Gegenvorstellung gegen den Beweisbeschluss weiter und ergänzte ihre Ausführungen durch Schriftsatz vom 20.02.2020.
Mit Schreiben vom 20.02.2020 wandte sich der Sachverständige an das Gericht. Zum Thema „Prüffähigkeit“ merkte er an, dass im Angebot nur ein Gesamtpreis genannt sei, die Einzelleistungen aber nicht bepreist worden seien, auch „Mengen und Massen“ seien weder im Angebot noch in der Schlussrechnung ausgeworfen worden, zu „Leistungen tatsächlich und ordnungsgemäß“ wäre eine Detailprüfung aller Maßnahmen auch ohne konkrete Mangelrüge erforderlich, die „Einwendungen der Beklagtenpartei“ bezögen sich nur auf die geringe Anwesenheit der Bauleitung und Zeitverzögerungen. Im Hinblick auf darauf bat der Sachverständige um Klärung, ob das Gutachten auf dieser Basis bearbeitet werden solle.
Durch Beschluss vom 04.03.2020 half das Landgericht der Beschwerde nicht ab.
Am 17.03.2020 teilte der Beklagtenvertreter mit, am 27.02.2020 sei der Beklagte zu 1) verstorben.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO). Das Verfahren ist durch den Tod des Beklagten zu 1) nicht unterbrochen, weil er anwaltlich vertreten war und bislang weder sein Prozessvertreter, noch sein Gegner die Aussetzung des Verfahrens beantragt haben (§§ 239 Abs. 1, 246 Abs. 1 ZPO).
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Aus Sicht der Klägerin besteht die Besorgnis der Befangenheit gegen die abgelehnte Richterin (§ 42 Abs. 2 ZPO).
Der Beweisbeschluss vom 15.11.2019 zeigt, dass die Einzelrichterin den ihr von den Parteien vorgegebenen Streitstoff nicht zur Kenntnis genommen hat. Im Rahmen der Dispositionsmaxime legen die Parteien fest, was streitig ist und was unstreitig ist. Streitig war nicht die Prüffähigkeit der Schlussrechnung oder das Bestehen von Baumängeln, auch nicht die tatsächliche Nichtausführung eines Rolltores. Zu alldem haben die Parteien übereinstimmend vorgetragen. Der Beweisbeschluss bezog sich allein auf diese unstreitigen Tatsachen. Daher steht er nicht im Einklang mit dem Zivilprozessrecht, sondern in starkem Gegensatz zu diesem. Wie verfehlt der Beweisbeschluss ist, zeigen auch die Rückfragen des Sachverständigen vom 20.02.2020 zu allen Teilen des Beweisthemas.
Ein fehlerhafter Beweisbeschluss ist regelmäßig nicht anfechtbar (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 358 Rdnr. 4). Bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen Verfahrensrecht kann aber aus einem Beweisbeschluss der Eindruck für eine besonnen und vernünftig denkende Partei entstehen, der Richter werde die verfassungsmäßigen Rechte der Partei missachten und sich ihres Prozessanliegens nicht unvoreingenommen annehmen. So liegt der Fall hier.
Schon die Schriftsätze der Parteien vor der mündlichen Verhandlung machten deutlich, dass allein über die drei genannten Abzugspositionen Streit bestand, nicht über Grund, Höhe oder Fälligkeit der eingeklagten Werklohnforderung. Auch den Hinweis des Beklagtenvertreters darauf in der mündlichen Verhandlung hat die Richterin offensichtlich nicht zum Anlass genommen, ihre Einschätzung zu überdenken.
Es kann offen bleiben, ob schon allein aus diesem Verhalten der Richterin die Besorgnis der Befangenheit folgt.
Nachdem beide Parteien mit der vorgenannten Zielrichtung Gegenvorstellungen gegen den Beweisbeschluss erhoben hatten und die Richterin abgelehnt hatten, wäre bei einer unvoreingenommenen Bearbeitungsweise der Richterin zu erwarten gewesen, dass sie sich mit diesem Vorbringen nach Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auseinandersetzt. Dies umso mehr, als die Kammer in ihrem Beschluss vom 15.01.2020 die Berücksichtigung der Schriftsätze und eine Änderung des Beweisbeschlusses durch die Richterin angesprochen hat.
Eine solche Auseinandersetzung hat die Richterin aber zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen. Am 02.12.2019 verfügte sie zur Gegenvorstellung der Beklagten ohne weitere Begründung: „Bei dem Beweisbeschluß vom 15.11.19 hat es sein Bewenden.“ Nach dem Beschluss der Kammer vom 15.01.2020 verfügte sie am 07.02.2020 lediglich die Versendung der Akten an den Sachverständigen, wiederum ohne irgendeine Überlegung zu den Gegenvorstellungen erkennbar werden zu lassen.
Dass zu diesem Zeitpunkt das Ablehnungsverfahren noch nicht abgeschlossen war und der Beschluss der Kammer vom 15.01.2020 dem Klägervertreter noch nicht zugestellt war, mag ihr entgangen sein. Ob daraus ein weiterer Ablehnungsgrund folgt, kann offen bleiben.
Nach Rückkunft der Akten bei der Richterin mit dem Beschluss der Kammer vom 15.01.2020 hätte auch aus Sicht der Richterin eine Auseinandersetzung mit den Gegenvorstellungen gegen ihren Beweisbeschluss erfolgen müssen. Diese Auseinandersetzung ist vollständig unterblieben. Daher darf eine besonnene und vernünftige Partei aus dem Verhalten der Richterin deren Voreingenommenheit folgern (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 42 Rdnr. 12). Die Voreingenommenheit der abgelehnten Richterin besteht darin, sich der Kenntnisnahme und Bearbeitung des konkreten Prozessstoffs zu verweigern.
Unerheblich ist, ob durch ein solches voreingenommenes Verhalten zugleich die andere Partei begünstigt wird. Vorliegend sind beide Seiten durch die evidente Missachtung des Streitstoffs und die daraus folgende Verteuerung und Verlängerung des Prozesses benachteiligt, auch die
Klägerin. Zudem muss die Klägerin nach dem Beweisbeschluss einen Kostenvorschuss leisten, der sie ebenfalls belastet.
Das Ablehnungsgesuch hatte daher Erfolg.
III.
Eine Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren war nicht zu treffen. Es handelt sich um Kosten des Rechtsstreits (Thomas/Putzo/Hüßtege, a.a.O., § 46 Rdnr. 10).
Nach den vorstehenden Ausführungen stellen der Erlass des Beweisbeschlusses vom 15.11.2019 und die Versendung der Akten an den Sachverständigen am 07.02.2020 einen offensichtlichen schweren Fehler des Gerichts dar, so dass die daraus folgenden Kosten nicht zu erheben sein dürften (§ 21 Abs. GKG). Darauf war hinzuweisen.
München, 26.03.2020
 1. Beschluss vom 26.03.2020 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin … mit Anlagen: (Blatt 114/115 der Akten)
Prozessbevollmächtigter des Beschwerdegegners zu 1, 2 …
2. Schlussbehandlung


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