Arbeitsrecht

Fahrtkostenentschädigung: Auslegung einer tarifvertraglichen Regelung (“kürzeste mit dem Pkw zurückzulegende verkehrsübliche Fahrstrecke”)

Aktenzeichen  6 Sa 184/16

Datum:
15.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 120926
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TVG § 1

 

Leitsatz

1. Auslegung der tarifvertraglichen Regelung „kürzeste mit dem Pkw zurückzulegende verkehrsübliche Fahrstrecke zwischen Wohnung und alter bzw. neuer Regelarbeitsstelle/ständiger Dienststelle
2. Sieht ein Tarifvertrag (hier: TV Ratio) eine Fahrtkostenentschädigung auf der Grundlage der “kürzesten mit dem Pkw zurückzulegenden verkehrsüblichen Fahrstrecke zwischen Wohnung und alter bzw. neuer Regelarbeitsstelle/ständiger Dienststelle” vor, ist auf die entfernungsmäßig kürzeste Straßenverbindung abzustellen; eine zusätzliche zeitliche Komponente lässt sich dem Merkmal “verkehrsüblich” nicht entnehmen (entgegen LAG Nürnberg BeckRS 2015, 70842 Rn. 47 ff. zu Art. 12 Abs. 1 BayUKG; OVG Münster BeckRS 9998, 29265 zu § 6 NRWTEVO; vgl. auch VGH München BeckRS 2011, 33573 zu Art. 12 Abs. 1 BayUKG; Revision anhängig: BAG, 1 AZR 37/17). (Rn. 37 – 39) (red. LS Alke Kayser)

Verfahrensgang

4 Ca 5054/15 2016-02-23 Endurteil ARBGNUERNBERG ArbG Nürnberg

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 02.03.2016 – Az. 4 Ca 5054/15 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2a und 2 b ArbGG) und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung erweist sich als begründet.
Zunächst kann auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen zur Anwendbarkeit der fraglichen Vorschriften, den allgemeinen Auslegungsregeln und der Erforderlichkeit einer Auslegung verwiesen werden (Seiten 8 und 9 des Urteils) und von einer rein wiederholenden Darlegung abgesehen werden.
Die von den Tarifvertragsparteien gewählte Formulierung – oder ähnliche Formulierungen – wurden von der Rechtsprechung auch in verschiedenen Gerichtszweigen unterschiedlich ausgelegt und verstanden. Insoweit folgt die Auslegung des Arbeitsgerichts insbesondere der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 14.04.2015, Az.: 7 Sa 432/14, zu der Bestimmung des § 12 BayUKG. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in der Revision (Urteil vom 14.06.2016 – 9 AZR 409/15) insbesondere mit der Frage der „kürzesten verkehrsüblichen Straßenverbindung“ nicht zu befassen. Das Arbeitsgericht folgt ersichtlich mit seiner Entscheidung auch dem Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 06.07.1994, Az.: 6 A 2596/93.
Das erkennende Gericht schließt sich allerdings der Ansicht der Beklagten an. Das Gericht versteht unter „der kürzesten mit dem PKW zurückzulegenden verkehrsüblichen Fahrstrecke zwischen Wohnung und alter bzw. neuer Regelarbeitsstelle“ zunächst die entfernungsmäßig kürzeste Straßenverbindung. Vorrangig ist nach der gewählten Wortwahl auf die kürzeste mit dem PKW zurückzulegende Fahrstrecke abzustellen. Dies ist unstreitig die Strecke über die B8, die zu einer Entfernungsdifferenz von unstreitig 100,5 Kilometer einfach führt. Dabei soll die Einfügung der „verkehrsüblichen“ Fahrstrecke lediglich sicherstellen, dass mit der kürzesten Fahrstrecke nicht solche Fahrstrecken gemeint sind, die nicht öffentlich befahrbar sind oder aufgrund von Besonderheiten allgemein nicht genutzt werden. Die Fahrstrecke muss damit für Fahrzeuge geeignet und von diesen zulässigerweise zu befahren sein. Darüber hinaus muss deren Benutzung auch generell zumutbar sein. Insoweit soll das Wort „verkehrsüblich“ die genannten Kriterien sicherstellen und ist so verstanden nicht überflüssig. Man mag dies für Selbstverständlichkeiten halten, es sichert aber die zutreffende Anwendung der Vorschrift.
Mit dem Begriff „verkehrsüblich“ sollte im Hinblick auf die Pauschalierung von Entfernung und Zeit durch einen Zahlbetrag neben der kürzesten zumutbaren Fahrstrecke nicht auch noch eine zeitliche Komponente in die Beurteilung einfließen. Dies hätte im Bereich der hier vorliegenden Pauschalierung bezüglich Entfernung und Zeitaufwand einer ausdrücklichen Erwähnung bedurft.
Dieses Verständnis ist auch im Hinblick auf die Vielzahl von Anwendungsfällen eine klare Regelung im Vergleich zum Verständnis durch das Arbeitsgericht und die Klägerin. Die kürzeste Fahrstrecke mit dem PKW auf öffentlichen Straßen lässt sich relativ leicht objektiv feststellen. Dies entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung für eine Vielzahl von Fällen. Bei einem Verständnis im Sinne der Klägerin ist es nicht ohne weiteres möglich. Dabei geht es aber entgegen den Ausführungen der Beklagten nicht um die Frage individueller subjektiver Wertungen. Vielmehr ergeben sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Frage, ab welcher Zeitersparnis welcher längere Weg zugrunde zu legen wäre und was geschehen soll, wenn die Zeitersparnis auf längere Zeit geringer ausfällt, ohne dass sich Wohnort oder Dienststelle ändern. Die so gefundene Auslegung erscheint daher näher am Sinn und Zweck der Vorschrift orientiert und praktikabler zu sein. Darüber hinaus bleiben auch rein subjektive Fragen, die sich bei einer pauschalen abstrakten Regelung regelmäßig nicht stellen sollen, außen vor. So die Frage, welche Strecke jemand als stressfreier, angenehmer oder weniger gefährlich erachtet.
Die Klägerin hat demnach einen Erstattungsanspruch nur auf der Basis eines Jahresbetrages von EUR 13.509,00. Auf die Berufung ist das Urteil daher abzuändern und die Klage abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.


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