Arbeitsrecht

Festsetzung des Gegenstandswerts im Asylverfahren auf Antrag, asylrechtliche Untätigkeitsklage auf Verbescheidung, Halbierung des Gegenstandswerts aus Billigkeitsgründen im Einzelfall, Gegenstandswertfestsetzung außerhalb des Erinnerungsverfahrens, Bindung des Urkundsbeamten an vorgegebenen Gegenstandswert, Änderungsmöglichkeit des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach richterlicher Änderung des Gegenstandswertes

Aktenzeichen  W 8 K 22.30235

Datum:
29.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16863
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 30
RVG § 33
VwGO § 75
ZPO § 107

 

Leitsatz

Tenor

Der Gegenstandswert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger, ein iranisches Ehepaar, erhoben am 27. März 2022 Klage gegen die Beklagte und ließen beantragen, innerhalb einer Frist von drei Monaten über ihren am 16. September 2020 gestellten Asylantrag zu entscheiden.
Mit Schriftsatz vom 5. April 2022 teilte die Beklagte mit, dass ein Anhörungstermin terminiert sei, und kündigte eine zeitnahe Entscheidung im Anschluss danach an. Daraufhin ließen die Kläger am 22. April 2022 das Verfahren für erledigt erklären. Die Beklagte stimmte der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 25. April 2022 zu. Mit Beschluss vom 3. Mai 2022 stellte das Gericht das Verfahren auf Kosten der Beklagten ein.
Ausgehend von einem Gegenstandswert von 6.000,00 EUR setzte der Kostenbeamte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Mai 2022 – wie von Klägerseite mit Schriftsatz vom 16. Mai 2022 beantragt – die Kosten auf 627,13 EUR fest.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Mai 2022 beantragte die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. Mai 2022 die Entscheidung des Gerichts und die vorläufige Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verwies die Beklagte auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2018, wonach aus Billigkeitsgründen nur die Hälfte des Regelstreitwerts in Höhe von 2.500,00 EUR anzusetzen sei – hier unabhängig von der klagenden Personenzahl.
Der Kostenbeamte half der Erinnerung nicht ab und legte beide Verfahren mit Vermerk vom 23. Mai 2022 (W 8 M 22.30400) bzw. Vermerk vom 25. Mai 2022 (W 8 M 22.30413) dem Richter zur Entscheidung vor. Über diese Verfahren ist noch nicht entschieden.
Dem Klägerbevollmächtigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens W 8 K 22.30235 sowie der beiden Erinnerungsverfahren W 8 M 22.30400 und W 8 M 22.30413 Bezug genommen.
II.
Das Gericht legt den Schriftsatz der Beklagten vom 20. Mai 2022, mit der sie im Rahmen der Erinnerung explizit eine Entscheidung des Gerichts beantragt, zu ihren Gunsten so aus, dass sie darüber hinaus auch gemäß § 33 RVG i.V.m. § 30 Abs. 2 RVG aus Billigkeitsgründen die Festsetzung des Gegenstandswerts durch das Gericht auf die Hälfte des Regelstreitwerts, konkret auf 2.500,00 EUR, begehrt.
Diesem Antrag auf gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts war – im tenorierten Umfang (konkret auf 3.000,00 EUR) – stattzugeben. Soweit die Beklagte eine weitergehende Reduzierung des Streitwerts auf 2.500,00 EUR beantragte, war der Antrag insoweit abzulehnen.
Der weitergehende Antrag war abzulehnen, weil bei mehreren Personen kraft Gesetzes ausdrücklich eine Erhöhung nach Maßgabe des § 30 Abs. 1 Satz 2 RVG zu einem Gesamtwert bestimmt ist. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten kann die Personenzahl nicht außer Acht bleiben, weil hier – wie von Klägerseite begehrt – für beide Kläger gesonderte Anhörungen durchgeführt und die Asylanträge jeweils verbeschieden werden müssen. Die Billigkeitsregelung des § 30 Abs. 2 RVG knüpft systematisch an § 30 Abs. 1 Satz 2 RVG an (vgl. Toussaint in Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, § 30 RVG Rn. 6; Hoppe in Schneider/Volpert/Völtsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 30 RVG Rn. 6 und 12)
Abgesehen davon war dem Antrag der Beklagten auf Festsetzung eines reduzierten Gegenstandswerts auf 3.000,00 EUR statt 6.000,00 EUR stattzugeben.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 20. Mai 2022 den nach § 33 RVG auch im Verfahren des § 30 Abs. 2 RVG erforderlichen Antrag auf Gegenstandswertfeststellung (vgl. Toussaint in Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, § 30 Rn. 11; Hoppe in Schneider/Volpert/Völtsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 30 RVG Rn. 14) gestellt.
Der Gegenstandswert beträgt im Klageverfahren nach dem AsylG gemäß § 30 Abs. 1 RVG 5.000,00 EUR und erhöht sich für jede weitere Person im Klageverfahren um 1.000,00 EUR. Ist der danach bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht gemäß § 30 Abs. 2 RVG einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.
Der Gegenstandswert für den Regelfall von 6.000,00 EUR für zwei Personen – 5.000,00 für den Kläger zu 1) und 1.000,00 EUR für die Klägerin zu 2) gemäß § 30 Abs. 1 Sätze 1 und 2 RVG – war bei der vorliegenden Untätigkeitsklage auf Verbescheidung auf 3.000,00 EUR zu halbieren.
Denn der vorliegenden Konstellation einer auf bloßer Bescheidung beschränkten asylrechtlichen Untätigkeitsklage ist abweichend vom üblichen Gegenstandswert von 5.000,00 EUR bzw. bei zwei Personen von 6.000,00 EUR (§ 30 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 RVG) gemäß § 30 Abs. 2 RVG ein reduzierter Streitwert von lediglich 3.000,00 EUR billig und angemessen. Das Bundesverwaltungsgericht, dem sich der Einzelrichter – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung – anschließt, hat mittlerweile höchstrichterlich entschieden, dass der Streitwert in derartigen Fallkonstellationen bei einer reinen Bescheidungsklage lediglich auf 2.500,00 EUR (bei einer Einzelperson) festzusetzen ist, weil die Voraussetzungen dafür auch bei Umständen bejaht werden können, die – wie hier – in einer Mehrzahl von Fällen bestehen (siehe BVerwG, Streitwertbeschluss vom 11.7.2018 – 1 C 18/17 – EzAR-NF 98 Nr. 99 – juris mit Anmerkung Mayer FD-RVG 2018, 408101; ebenso etwa VG Würzburg, B.v. 8.6.2022 – W 8 K 22.30417 – juris Rn. 7 sowie VG München, B.v. 29.6.2020 – M 31 M 17.45582 – juris, B.v. 5.2.2020 – M 31 M 19.34594 – juris; VG Schwerin, B.v. 4.6.2019 – 15 A 1394/18 SN – juris; OVG Bln-Bbg, B.v. 18.3.2019 – OVG 2 L 32.18 – juris unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung im B.v. 26.10.2017 – OVG 6 K 74.17 – NVwZ-RR 2018, 127; a.A. noch VG Würzburg, B.v. 17.11.2021 – W 2 M 21.31184 – juris; B.v. 24.8.2017 – W 8 M 17.31825 – juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung zur Begründung nachvollziehbar ausgeführt, dass die Klage bei einem Bescheidungsantrag nicht auf eine Sachprüfung eines Asylantrags im Ergebnis gerichtet ist. Ein auf reine Durchführung eines Asylverfahrens und der Entscheidung des Asylantrags durch das Bundesamt beschränktes Begehren erfordert keine für asylrechtliche Streitigkeiten kennzeichnende Bearbeitung. Hinreichend ist die Darlegung des Zeitpunktes der Asylantragstellung, das Abwarten der Mindestfrist des § 75 Satz 2 VwGO und das Vorbringen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe über den Asylantrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden. Dieses asyluntypische Prüfprogramm rechtfertigt die Halbierung des Gegenstandswertes. Dieses Ergebnis knüpft auch an den – nicht unmittelbar anwendbaren – Rechtsgedanken von Nr. 1.4 des Streitwertkatalogs an (BVerwG, Streitwertbeschluss vom 11.7.2018 – 1 C 18/17 – EzAR-NF 98 Nr. 99 – juris Rn. 6).
Im Hinblick auf die noch offenen Erinnerungsverfahren W 8 M 22.30400 und W 8 M 22.30413 weist das Gericht darauf hin, dass die Erinnerung bei ihrer Beantragung unbegründet war, weil der Kostenbeamte mangels vorherigen Antrags der Beklagten auf Gegenstandswertfestsetzung – an die Vorgaben des § 30 Abs. 1 RVG gebunden war – und bei zwei Klägern von einem Gegenstandswert von 6.000,00 EUR ausgehen musste. Denn ohne anderweitige gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kann der Kostenbeamte nicht von einem geringeren Gegenstandswert ausgehen. Infolgedessen kann die Beklagte im Erinnerungsverfahren nicht allein mit dem Argument gehört werden, der zugrunde liegende Gegenstandswert sei zu hoch, weil Gegenstand der Erinnerung nur der Kostenansatz und eine mögliche Verletzung des Kostenrechts ist. Der Gegenstandswert selbst ist inhaltlich nicht Gegenstand des Erinnerungsverfahrens. Im Erinnerungsverfahren wird lediglich überprüft, ob der Kostenbeamte ausgehend von einem vorgegebenen Gegenstandswert die richtigen Beträge ermittelt hat und bestimmte Gebühren angefallen sind (so schon VG Würzburg, B.v. 24.8.2017 – W 8 M 17.31825 – juris Rn. 14; vgl. auch VG Würzburg, B.v. 9.4.2018 – W 8 M 18.30390 – juris Rn. 26.ff.; jeweils mwN).
Allerdings kann die Beklagte nunmehr – zusätzlich zu den noch nicht entschieden kostenrechtlichen Erinnerungsverfahren W 8 M 22.30400 und W 8 M 22.30413 – nach Zustellung des vorliegenden Beschlusses mit der Festsetzung eines reduzierten Gegenstandswerts binnen Monatsfrist einen Antrag auf Änderung des dann unzutreffend gewordenen Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 17. Mai 2022 gemäß § 107 ZPO in Verbindung mit § 173 S. 1 VwGO stellen (Kunze in BeckOK, VwGO, Posser/Wolff, 61. Ed, 1.4.2022, § 164 Rn. 24; Just in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 164 VwGO Rn. 27; Schneider in Schneider/Volpert/Völtsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, Teil 9: Kostenerstattung und Kostenfestsetzung Rn. 121 ff.).


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