Arbeitsrecht

Finanzieller Ausgleich wegen Mehrarbeit eines Brandinspektors

Aktenzeichen  VGH 3 BV 15.1807

Datum:
25.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 46567
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Arbeitszeit-RL Art. 6 lit. b, Art. 7, Art. 15, Art. 16 lit. b S. 2
BayAzV § 4
VwGO § 90
BGB § 288 Abs. 1 S. 2, § 289 S. 1, § 291

 

Leitsatz

1. Der beklagte Dienstherr kann sich auf das Fehlen einer zeitnahen Geltendmachung eines finanziellen Ausgleichs wegen rechtswidriger Zuvielarbeit nicht berufen, wenn er durch eine Mitteilung an seine Bediensteten diese von einer zeitnahen Geltendmachung ihrer Ansprüche abgehalten hat und er im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den geltend gemachten Anspruch anerkannt und damit auch für die vor der Mitteilung liegende Zeit auf die Rügeobliegenheit verzichtet hat.  (Rn. 101) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob und in welchem Umfang Zuvielarbeit geleistet wurde, bestimmt sich nach dem jeweiligen Siebentageszeitraum iSv Art. 6 lit. b Arbeitszeit-RL, wenn der nationale Gesetzgeber keine eigene Regelung getroffen hat. (Rn. 102 – 104) (redaktioneller Leitsatz)
3.  Ausgleichszahlungen, die der Dienstherr anstelle des vorrangig zu gewährenden Freizeitausgleichs für unionsrechtswidrig zu viel geleisteten Dienst an Berufsfeuerwehrleute leistet, unterliegen der Einkommensbesteuerung. (Rn. 105 – 106) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im öffentlichen Recht einschließlich des öffentlichen Dienstrechts anwendbar. Allein mit dem Hinweis auf die Fehleranfälligkeit der Arbeitszeitaufschreibung kann ein Beamter die auf ihn bezogene Aufschreibung mangels konkreter Einwendungen nicht als unrichtig in Zweifel ziehen. Können substantiierte Einwendungen nicht vorgebracht werden, können diese auch nach Treu und Glauben verwirkt sein. (Rn. 111 – 114) (redaktioneller Leitsatz)
5.  Einen allgemeinen Grundsatz, der zur Zahlung von Verzugszinsen im öffentlichen Recht verpflichtet, gibt es nicht. Daher können Verzugszinsen nur verlangt werden, wenn dies im Gesetz oder sonst rechtlich besonders vorgesehen ist. (Rn. 126) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 13.343 2015-06-23 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. Juni 2015 wird in Nr. II. abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine weitere Entschädigung für die im Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis 31. August 2007 über die unionsrechtlich zulässige Wochenarbeitszeit geleistete Dienstzeit in Höhe von 656,00 € brutto zu zahlen. Der Entschädigungsbetrag ist mit 5% Zinsen über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 10.935,27 € für den Zeitraum vom 25. Januar 2013 bis zum 29. Juli 2013 und aus einem Betrag von 656,00 € ab dem 30. Juli 2013 zu verzinsen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die Klage ist als Leistungsklage zulässig (OVG Berlin-Bbg, U.v. 1.7.2015 – 6 B 23.15 – juris Rn. 14 f./34; VGH BW, U.v. 17.6.2014 – 4 S 169/13 – juris Rn. 21; a.A. OVG NW, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1421/16 – juris Rn. 22) und teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung weiterer 656,00 € für die von ihm geleistete unionsrechtswidrige Zuvielarbeit, sowie – im tenorierten Umfang – auf Prozesszinsen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.
Für die in dem streitbefangenen Zeitraum 1. Januar 2001 bis 31. August 2007 geleistete Zuvielarbeit liegen die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs dem Grunde nach vor (1.). Die zeitnahe Geltendmachung der rechtswidrigen Zuvielarbeit war hier aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls entbehrlich (2.). Ob und ggf. inwieweit der Kläger Zuvielarbeit geleistet hat, bestimmt sich mangels einer anderweitigen Regelung durch den nationalen Gesetzgeber nach dem jeweiligen Siebentageszeitraum (3.). Der Kläger hat einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung für Zuvielarbeit in Höhe von weiteren 656,00 € (4.) Der finanzielle Ausgleich richtet sich nach den vom Beamten konkret geleisteten Dienststunden (4.1). Der Kläger ist mit Einwendungen gegen die Arbeitszeitaufschreibung der Beklagten ausgeschlossen. Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im öffentlichen Recht einschließlich des öffentlichen Dienstrechts anwendbar (4.2). Für den Geldausgleich der Zuvielarbeit sind die Sätze der Mehrarbeitsvergütung für Beamte maßgeblich (4.3). Dem Kläger stehen Prozesszinsen gemäß § 90 VwGO i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB – wie tenoriert – zu. Er hat keinen Anspruch auf Verzugs- und Zinseszinsen (5.).
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, U.v. 25.11.2010 – Fuß I, C-429/09 juris Rn. 47 ff. m.w.N.) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 20.7.2017 – 2 C 31.16 – juris Rn. 10 ff.) ist geklärt, dass Art. 6 Buchst. b RL 2003/88/EG dem Kläger ein individuell einklagbares Recht auf (hier) finanziellen Ausgleich verleiht, da die von der Beklagten im streitbefangenen Zeitraum angeordnete regelmäßige Dienstzeit von durchschnittlich 54 Wochenstunden hinreichend qualifiziert gegen diese Vorschrift verstieß und dadurch dem Kläger durch geleistete Zuvielarbeit ein Schaden entstanden ist. Dies wird von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt. Sie hat sich nicht auf die Einrede der Verjährung berufen (vgl. auch Sitzungsvorlage Nr. 08-14/V 12090, S. 4 = Anlage K 14 zum Schriftsatz vom 23. September 2013).
2. Die zeitnahe Geltendmachung der unionsrechtswidrigen Zuvielarbeit war hier aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls entbehrlich.
Ein finanzieller Ausgleich wegen rechtswidriger Zuvielarbeit setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 26.7.2012 – 2 C 29.11 – juris Rn. 26; U.v. 20.7.2017 a.a.O. juris Rn. 43) voraus, dass er vom Beamten zuvor in Form einer schriftlichen Rüge geltend gemacht worden ist. Auszugleichen ist die unionsrechtswidrige Zuvielarbeit, die ab dem auf die erstmalige schriftliche Geltendmachung folgenden Monat geleistet worden ist. Die Geltendmachung durch den Beamten dient dazu, eine Prüfung des Dienstherrn mit dem Ziel herbeizuführen, die Belange des Beamten zu berücksichtigen und die Dienstpläne entsprechend anzupassen (BVerwG, U.v. 26.7.2012 a.a.O. Rn. 28). Zugleich muss sich der Dienstherr darauf einstellen können, dass ab diesem Zeitpunkt möglicherweise Ausgleichsansprüche auf ihn zukommen. Insofern folgt die Rügeobliegenheit aus der allgemein bei Rechtsverletzungen geltenden Schadensminderungspflicht des Gläubigers; sie ist zugleich Ausdruck des Grundsatzes, dass Beamte auf die finanziellen Belastungen des Dienstherrn und dessen Gemeinwohlverantwortung Rücksicht nehmen müssen (BVerwG, U.v. 26.7.2012 a.a.O. Rn. 28).
Der Kläger ist erst mit Schreiben vom 11. bzw. 14. Dezember 2012 und damit hinsichtlich des streitbefangenen Zeitraums zu spät seiner Rügeobliegenheit nachgekommen.
Die Beklagte kann sich hier jedoch auf das Fehlen einer zeitnahen Geltendmachung nicht berufen. Zum einen hat sie mit der „Hölzl-Mitteilung“ den Kläger und weitere Beamtinnen und Beamte der Berufsfeuerwehr der Beklagten von einer zeitnahen Geltendmachung ihrer Ansprüche abgehalten. Es sollte einer „Flut weiterer Anträge und Klagen“ (vgl. Schriftsatz vom 4.5.2018, S. 2) gerade vorgebeugt werden. Zum anderen hat die Beklagte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den geltend gemachten Anspruch hinsichtlich des Zeitraums 1. Januar 2001 bis 31. August 2007 anerkannt (vgl. Antrag zu 1. im Schriftsatz vom 10.6.2013, s. dort auch S. 13, und Schreiben vom 21.12.2012 = Anlage K 7 zum Klageschriftsatz vom 25.1.2013) und damit auch für die vor der „Hölzl-Mitteilung“ liegende Zeit auf die Rügeobliegenheit verzichtet. Auch die bereits erfolgten Auszahlungen berücksichtigen diesen Zeitraum. An diesem Anerkenntnis dem Grunde nach muss sich die Beklagte festhalten lassen.
3. Ob der Kläger unionsrechtswidrig zu viel gearbeitet hat, bestimmt sich hier nach dem jeweiligen Siebentageszeitraum im Sine von Art. 6 Buchst. b) RL 2003/88/EG.
Ebenso wie Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) RL 2003/88/EG wendet sich auch Art. 16 dieser Richtlinie („Die Mitgliedstaaten können … vorsehen“) an den Mitgliedstaat. Dieser ist zu der von Art. 6 Buchst. b) RL 2003/88/EG abweichenden Festlegung des Bezugszeitraums („bis zu vier Monaten“) berechtigt, aber nicht verpflichtet. Ob und inwieweit der Mitgliedstaat diese Ermächtigung zu der für den Arbeitnehmer ungünstigen Ausdehnung des Bezugszeitraums auf bis zu vier Monaten ausnutzt, ist Sache der jeweils zuständigen gesetzgebenden Organe des Mitgliedstaates, weil nur sie die zur Umsetzung einer Richtlinie erforderlichen Rechtsnormen erlassen können. Die Ausübung der Ermächtigung ist jedenfalls nicht den das Recht anwendenden nationalen Gerichten in dem Sinne überantwortet, dass diese den Bezugszeitraum nach dem Aspekt der „Sachgerechtigkeit“ festlegen können. Um die ihm eingeräumte Befugnis in Anspruch zu nehmen, muss der Mitgliedstaat auch die Entscheidung treffen, sich auf diese Ermächtigung zu berufen. Im Interesse der Rechtssicherheit muss diese Entscheidung des Mitgliedstaates bestimmt und klar sein (BVerwG, U.v. 20.7.2017 a.a.O. Rn. 54 m.w.N.).
Im Zeitraum bis zum 31. August 2007 hatte der bayerische Verordnungsgeber einen Bezugszeitraum für die vom Kläger freiwillig erbrachte unionsrechtswidrige Zuvielarbeit in § 4 BayAzV nicht geregelt. Dies erfolgte erst mit Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 3. Juli 2007 (GVBl. S. 451). Es fehlt damit am Erlass einer für die Umsetzung erforderlichen Rechtsnorm.
4. Der Kläger hat einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung für Zuvielarbeit in Höhe von 656,00 € brutto. Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 26. August 2016 (VI B 95/15 – juris Rn. 14/16) unterliegen Ausgleichszahlungen, die der Dienstherr anstelle des vorrangig zu gewährenden Freizeitausgleichs für unionsrechtswidrig zu viel geleisteten Dienst an Berufsfeuerwehrleute leistet, der Einkommensbesteuerung. Die vom Kläger präferierte Nettoauszahlung kommt damit nicht in Betracht.
Die Einkommensbesteuerung widerspricht nicht dem Unionsrecht. Es liegt weder ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz noch eine Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes vor. Das nationale Recht darf im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige, rein nationale Fälle entschieden wird, nicht ungünstiger sein (Diskriminierungsgebot oder Äquivalenzgrundsatz; vgl. Karpenstein, Praxis des EU-Rechts, 2. Auflage 2013 Rn. 258 und Streinz, Europarecht, 9. Auflage 2012, Rn. 593). Ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz liegt nicht vor, weil die Entschädigungszahlungen, die ein Feuerwehrbeamter für rechtswidrig geleistete Mehrarbeit erhält, steuerbare Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sind (BFH, U.v. 14.06.2015 – IX R 2/16 – juris Rn. 13) und damit wie alle anderen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu versteuern sind. Der Effektivitätsgrundsatz besagt, dass die Anwendung der nationalen Vorschriften nicht darauf hinauslaufen darf, „dass die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts praktisch unmöglich wird“. Die nationalen Verwaltungsverfahren dürfen insbesondere „die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“ (vgl. Karpenstein, Praxis des EU-Rechts, 2. Auflage 2013 Rn. 258 und Streinz, Europarecht, 9. Auflage 2012, Rn. 593). Der Kläger hatte die Möglichkeit, seinen Abgeltungsanspruch beim Dienstherrn zu sichern, und konnte den Anspruch auch gerichtlich geltend machen. Der Effektivitätsgrundsatz ist damit gewahrt. Für eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV besteht für den Senat damit kein Anlass.
4.1. Die Berechnung der vom Kläger im Einzelnen erbrachten rechtswidrigen Zuvielarbeit ist konkret zu ermitteln. Dabei folgt schon aus dem Unionsrecht gemäß Art. 16 Buchst. b) Satz 2 RL 2003/88/EG, dass die nach Art. 7 RL 2003/88/EG gewährten Zeiten des bezahlten Jahresurlaubs sowie die Krankheitszeiten bei der Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Höchstarbeitszeit unberücksichtigt bleiben oder neutral sind. Diese Vorgabe des Unionsrechts verlangt, dass ungeachtet der Frage der Umsetzung in innerstaatliches Recht durch eine Rechtsnorm die betreffenden Tage bei der Berechnung mit der jeweiligen Soll-Arbeitszeit anzusetzen sind. Die RL 2003/88/EG nimmt zwar lediglich auf den unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub von vier Wochen Bezug (Art. 7 RL 2003/88/EG). Auch der darüber hinausgehende, im nationalen Recht begründete Mehrurlaub ist indes mit der Soll-Arbeitszeit anzusetzen. Denn Art. 15 RL 2003/88/EG lässt das Recht der Mitgliedsstaaten unberührt, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen. Dies umfasst auch die Einräumung eines über den unionsrechtlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruchs. Da der Kläger am Urlaubstag von der Pflicht zur Dienstleistung befreit ist und auch der Mehrurlaub der Erholung des Klägers dient, können diese Tage nicht als Ausgleich für eine Überschreitung der Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Siebentageszeitraum herangezogen werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.7.2017 a.a.O. Rn. 57 f; U.v. 19.4.2018 – 2 C 39.17 – Rn. 25 – im Internet abrufbar unter www.bverwg.de).
Auch Feiertage, die auf Wochentage fallen, sind mit der jeweiligen Soll-Arbeitszeit einzubeziehen und damit grundsätzlich zu neutralisieren. Soweit der Kläger an diesen Tagen nicht zur Dienstleistung verpflichtet war, können solche Tage nicht zum Ausgleich einer etwaigen Überschreitung der Höchstarbeitszeit herangezogen werden (BVerwG, U.v. 20.7.2017 a.a.O. Rn. 59).
Zur Arbeitszeit zählen unionsrechtlich sämtliche Zeiten, die vom betreffenden Feuerwehrbeamten im Rahmen von Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit in der Dienststelle abgeleistet worden sind, unabhängig davon welche Arbeitsleistung er während dieses Dienstes tatsächlich erbracht hat (BVerwG, U.v. 20.7.2017 a.a.O. Rn. 60).
Der Senat hält die Kritik des Klägers an der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für nicht durchgreifend. Für die Bemessung des nach Unionsrecht anzunehmenden Schadens (EuGH, U.v. 25.11.2010 – C-429/09 – juris Rn. 92 ff.) belässt das Unionsrecht mangels näherer Regelungen in der RL 2003/88/EG den Mitgliedstaaten einen Spielraum, ohne dass anhand des Unionsrechts eine bestimmte Berechnungsmethode den Vorzug verdient. Das Bundesverwaltungsgericht konnte deshalb, wie geschehen, unter (stillschweigender) Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (U.v. 26.7.2012 – 2 C 70.11 – juris Rn. 8, 26: pauschal) nunmehr auf einen finanziellen Ausgleich auf der Basis konkret geleisteter Dienststunden abstellen. Das Bundesverwaltungsgericht führt hierfür den unionsrechtlichem Effektivitätsgrundsatz (U.v. 20.7.2017 a.a.O. Rn. 60) und den Umstand an, dass sich der Geldausgleich an der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeit orientiert an, „was deutlich mache, dass es um die konkret stundenbezogene Abrechnung der Zuvielarbeit geht und nicht um deren pauschale Zugrundelegung“ (U.v. 20.7.2017 a.a.O. Rn. 61; für die Übernahme des auf die richtlinienkonform bemessene Regelarbeitszeit entfallenden Stundensatzes aus der monatlichen Besoldung: von Roetteken, jurisPRArbR 18/2018 Anm. 4). Es ist sachgerecht, eine Parallele zur Mehrarbeit zu ziehen und einen Ausgleich nur für tatsächlich und konkret erbrachte Zuvielarbeit zu gewähren, weil sowohl bei rechtmäßiger Mehrarbeit als auch bei rechtswidrig geleisteter Zuvielarbeit eine überobligationsmäßige Heranziehung des Beamten vorliegt (von der Weiden, jurisPR-BVerwG 9/2018 Anm. 4) und der primär auf Freizeitausgleich gerichtete Anspruch des Beamten keinesfalls pauschal berechnet würde.
4.2 Der Kläger ist mit Einwendungen gegen die Arbeitszeitaufschreibung der Beklagten ausgeschlossen. Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im öffentlichen Recht einschließlich des öffentlichen Dienstrechts anwendbar (BVerwG, B.v. 25.6.2014 – 2 B 1.13 – juris Rn. 27).
Der von der Beklagten bereits ausbezahlte finanzielle Ausgleich basiert ebenso wie die nun im Berufungsverfahren vorgelegte „Wochenbetrachtung“ unter Berücksichtigung der unter 4.1 dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den Arbeitszeitaufschreibungen der Beklagten. Die Beklagte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dargelegt (vgl. Schriftsatz vom 29.11.2013, S. 4), dass die Branddirektion über eine detaillierte Dokumentation der 24-Stunden-Dienste aller Beamtinnen und Beamten im Einsatzdienst verfügt, die eine genaue Auswertung der Dienstzeiten ermöglicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärte ein Vertreter der Beklagten, der Wachabteilungsführer, sein Stellvertreter und auch der Wachschreiber hätten die Berechtigung, die jeweiligen Dienstzeiten und Fehlzeiten für die Beamten in die Dienstplanmaske einzutragen. Dies erfolge per EDV. Das sei auch schon im Jahr 2001 so gewesen. Bei unstimmigen Eintragungen habe es eine programminterne Plausibilitätskontrolle gegeben. Der einzelne Beamte habe die Möglichkeit, Korrekturen anzubringen. Außerdem habe der einzelne Beamte eine Kontrolle über die Besoldungsmitteilung. Denn dann, wenn ein Wachtag nicht voll abgerechnet werde, gebe es keinen Zuschlag für „Dienst zu ungünstigen Zeiten“.
Die Beklagte hat dem Kläger und den übrigen anspruchsberechtigten Beamtinnen und Beamten der Berufsfeuerwehr der Beklagten mit Schreiben vom 19. Juli 2013 (= Anlage K 14 zum Schriftsatz vom 23.9.2013) angeboten, dass bei zu persönlichen Aufzeichnungen festgestellten Unterschieden eine Überprüfung stattfindet. Von dieser Möglichkeit hatten jedoch nur ca. 10 von über 1.600 Beamtinnen und Beamten Gebrauch gemacht. Nur etwa die Hälfte der Beschwerden sei berechtigt gewesen und habe zu einer Korrektur der Berechnungen geführt.
Der Kläger hat keine Einwände erhoben. Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat er zunächst keine substantiierten Einwendungen gegen seine Arbeitszeitaufschreibung erhoben, sondern auf die Fehleranfälligkeit der Aufschreibung verwiesen, die nach einer Power-Point-Präsentation, die der Personalrat der Beklagten anlässlich einer Personalversammlung (wohl) im Jahr 2013 vorgestellt hat, 5% betragen soll. Allein mit dem Hinweis auf die Fehleranfälligkeit der Aufschreibung, die von der Beklagten (wenn auch in geringerem Umfang) eingeräumt wird, kann der Kläger aber die auf ihn bezogene Aufschreibung mangels konkreter Einwendungen nicht als unrichtig in Zweifel ziehen. Erstmals mit Schriftsatz vom 22. Juni 2015, S. 13, führte er Fehler der Dienstplanmaske an, ohne diese jedoch auch nur ansatzweise zu substantiieren. Darüber hinaus hätte der Kläger seine Einwände zeitnah auf das Schreiben der Beklagten vom 19. Juli 2013 vorbringen müssen (BVerwG, B.v. 25.6.2014 – 2 B 1.13 – juris Rn. 27; B.v. 6.7.2014 – 2 B 75.13 – juris Rn. 15). Da er dies nicht getan hat, ist davon auszugehen, dass substantiierte Einwendungen nicht vorgebracht werden können und diese nunmehr auch nach Treu und Glauben verwirkt sind, zumal die Beklagte den Kläger mit dem Anerkenntnis dem Grunde nach von der – anderweitig nicht zu erfüllenden – Rügeobliegenheit für die Zeit vor der „HölzlMitteilung“ freigestellt hat.
4.3 Für den Geldausgleich der Zuvielarbeit sind die Sätze des § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütungen für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Bundesmehrarbeitsvergütungsverordnung – BMVergV) vom 3. Dezember 1998 (BGBl I S. 3494) in der Fassung des Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000 (BGBl I S. 618) und unter Berücksichtigung der Hinweise zum Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz 2000 (Schr. des Bundesministeriums des Innern vom 2. Mai 2001, BayStAnz 48/56 v. 30.11.2001) und vom 10. September 2003 (BGBl I S. 1798) anzuwenden. Hieraus ergibt sich für den Kläger für
– den Zeitraum 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2001 eine Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 15,14 € je Stunde,
– den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 31. März 2004 eine Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 15,47 € je Stunde
– den Zeitraum 1. April 2004 bis 31. August 2007 eine Mehrarbeitsvergütung in Höhe von 16,15 € je Stunde.
Die Berechnung stellt sich damit anhand der Arbeitszeitaufzeichnungen der Beklagten (vgl. Bl. 269 ff. VGH-Akt), die der Senat hinsichtlich der auszugleichenden Stunden und der auszubezahlenden Entschädigung einer eigenständigen Prüfung unterzogen hat, wie folgt dar (Zeiten bezahlten Jahresurlaubs sowie die Krankheitszeiten bleiben bei der Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Höchstarbeitszeit entsprechend der unter 4.1 dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung neutral):
Der Kläger hat bereits eine Entschädigung für unionsrechtswidrige Zuvielarbeit in Höhe von 25.752,44 € erhalten, sodass er einen Anspruch auf eine weitere Entschädigung in Höhe von 656,00 € brutto (26.408,44 € abzgl. 25.752,44 €) hat.
5. Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus § 90 VwGO i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Gemäß § 291 Satz 2 BGB gilt das in § 289 Satz 1 BGB niedergelegte Verbot der Zinseszinsen auch für Prozesszinsen.
Die im Klageschriftsatz vom 25. Januar 2013 unter 1.a) hilfsweise beantragte Entschädigung wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit ist als Teil der Klage mit ihrer Stellung rechtshängig geworden (vgl. Schmid in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage 2014, § 90 Rn. 5; Wysk, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage 2016, § 90 Rn. 4). Mit den am 23. Juni 2015 in der mündlichen Verhandlung erklärten übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist jedoch die Rechtshängigkeit hinsichtlich der beantragten Entschädigung in Höhe von 15.473,17 € mit Rückwirkung beendet (Schmidt in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, § 161 Rn. 8, Wysk a.a.O. § 161 Rn. 24).
Die dem Kläger zustehende Entschädigung ist damit in Höhe von 10.935,27 € (26.408,44 € abzgl. 15.473,17 €) für den Zeitraum ab Rechtshängigkeit (25. Januar 2013) bis zum 29. Juli 2013 mit 5% Zinsen über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Ab dem 30. Juli 2013 ist der dem Kläger über die bisher ausbezahlte Entschädigung hinausgehende Betrag von 656,00 € mit 5% Zinsen weiter zu verzinsen.
Die „Hölzl-Mitteilung“ rechtfertigt keinen darüber hinausgehenden Prozesszinsenanspruch. Sie trifft keinerlei Aussage zu einer etwaigen Verzinsung des Anspruchs auf Ausgleich von unionsrechtswidriger Zuvielarbeit, sondern stellt lediglich klar, dass allen Beamtinnen und Beamten der Berufsfeuerwehr der Beklagten unabhängig von der Antragstellung nach Abschluss des Musterprozesses ein etwaiger Ausgleichsanspruch zusteht. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass auch ein Anspruch auf Prozesszinsen unabhängig von dem Eingehen eines Prozessrisikos gewährt werden sollte.
Verzugszinsen kann der Kläger darüber hinaus nicht beanspruchen. § 288 BGB ist auf den aus Treu und Glauben entwickelten Ausgleichsanspruch für rechtswidrig geforderte und geleistete Zuvielarbeit von Beamten nicht übertragbar. Einen allgemeinen Grundsatz, der zur Zahlung von Verzugszinsen im öffentlichen Recht verpflichtet, gibt es nicht (BVerwG, U.v. 26.7.2012 – 2 C 29/11 – juris Rn. 46). Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts können Verzugszinsen nur verlangt werden, wenn dies im Gesetz oder sonst rechtlich besonders vorgesehen ist (BVerwG, U.v. 13.7.1979 – IV C 66.76 – juris). Letzteres ist hier nicht der Fall (vgl. Art. 4 Abs. 4 BayBesG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Kläger (zuletzt) eine weitere Entschädigung in Höhe von 17.413,61 € beantragt hat, aber nur hinsichtlich eines Betrags in Höhe von 656,00 € obsiegt hat. Der Senat orientiert sich an der zivilgerichtlichen Praxis, die in Bezug auf eine Zuvielforderung die Grenze bei einem Bruchteil von 1/10 des Klagebetrags zieht (vgl. Schulz in Münchner Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 92 Rn. 19; Hartung in BeckOK VwGO, Stand: April 2015, § 155 Rn. 4). Der Bruchteil beträgt hier ca. 4/100 der eingeklagten Summe. Der Kläger hat daher die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Auch eine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Kostenentscheidung war daher nicht veranlasst.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO (vgl. zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bei Leistungsklagen auf Geldleistung: Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2017, § 167 Rn. 135).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2, 191 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 127 BRRG nicht vorliegen. Die vom Verwaltungsgericht für grundsätzlich bedeutsam erachtete Rechtsfrage, ob eine konkrete Berechnung des Ausgleichsanspruchs möglich ist, ist inzwischen durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.


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