Arbeitsrecht

Fremdbestimmung und persönliche Abhängigkeit eines Arbeitnehmers – Eingliederung in die Arbeitsorganisation bei Crowdworkern

Aktenzeichen  8 Sa 146/19

Datum:
4.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NWB – 2019, 3814
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 126, § 127, §§ 293 f., § 611a, § 615, § 623
HBG § 84 Abs. 1 S. 2
TzBfG § 12 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 4, § 17

 

Leitsatz

1. Ist in einem Rahmenvertrag eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht – auch nicht nach einer konkretisierenden Weisung des Vertragspartners – enthalten, begründet der Rahmenvertrag kein Arbeitsverhältnis (§ 611a Abs. 1 S. 1 BGB) (Rn. 120 – 123) (red. LS Ulf Kortstock)
2. Der Abschluss eines formunwirksam befristeten Arbeitsvertrags durch Anklicken eines Auftrags (Kontrollen der Warenpräsentation eines Markenherstellers in Einzelhandelsgeschäften und Tankstellen mittels Photos) in einer App würde jedenfalls mangels Einhaltung der Klagfrist gem. § 17 TzBfG als wirksam befristet gelten. (Rn. 124 – 126) (red. LS Ulf Kortstock)
3. Auch aus der tatsächlichen Durchführung der vielen über die App angenommenen Aufträge in Verbindung mit der Rahmenvereinbarung ergibt sich kein Arbeitsverhältnis, weil auch hieraus keine Verpflichtung zur Übernahme der einzelnen Aufträge und damit zur weiteren Arbeitsleistung entstanden ist und weil der Vertragspartner weder den Umfang, noch die zeitliche oder örtliche Lage der übernommenen Aufträge bestimmen konnte; dies gilt unabhängig davon, dass ein Anreizsystem vorhanden war, das bei Übernahme einer bestimmten Zahl an Aufträgen die gleichzeitige Annahme mehrerer Aufträge ermöglichte, ohne dass sich bei verminderter Aktivität hieran wieder etwas änderte. (Rn. 127 – 138) (red. LS Ulf Kortstock)

Verfahrensgang

19 Ca 6915/18 2019-02-20 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 20.02.2019 – 19 Ca 6915/18 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Dies gilt sowohl für die erstinstanzlichen Klageanträge, die der Kläger mit seinem Rechtsmittel weiterverfolgt, als auch für die mit Klageerweiterung im Berufungsverfahren erhobenen Klageanträge.
A. Berufungsantrag II – Hauptantrag
Das Rechtsmittel des Klägers ist hinsichtlich dieses Klageantrags gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c) ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Denn der Klageantrag ist nicht begründet, wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat.
Voraussetzung für die Begründetheit dieses Antrags wäre, dass zwischen den Parteien zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Dies ist jedoch nicht der Fall.
I.
Ein Arbeitsverhältnis besteht zwischen zwei Personen, die durch einen Arbeitsver trag rechtlich miteinander verbunden sind. Es unterscheidet sich vom Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in dem sich der Verpflichtete befindet (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des BAG etwa: Urteil vom 21.05.2019 – 9 AZR 295/18, juris, Rn. 13). Der Begriff des Arbeitsvertrags ist (nunmehr) in § 611a Abs. 1 BGB gesetzlich definiert, ohne dass die vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze geändert worden wären; die neu eingefügte Vorschrift spiegelt diese Rechtsgrundsätze nur wider (BAG, Urteil vom 21.11.2017 – 9 AZR 117/17, juris, Rn. 23, unter Hinweis auf die BT-Drs. 18/9232 S. 4 sowie S. 18: „die 1:1-Kodifizierung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung lässt die Rechtslage in Deutschland unverändert“). Danach wird durch den Arbeitsvertrag der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (§ 611a Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Weisungsrecht kann dabei Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (§ 611a Abs. 1 Satz 2 BGB). Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (§ 611a Abs. 1 Satz 3 BGB). Der Grad der persönlichen Anhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (§ 611a Abs. 1 Satz 4 BGB). Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen (§ 611a Abs. 1 Satz 5 BGB). Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (§ 611a Abs. 1 Satz 6 BGB). Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich also aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgeblich, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben (vgl. BAG, Urteil vom 21.05.2019 – 9 AZR 295/18, juris, Rn. 13).
II.
Diesen Voraussetzungen ist hier nicht genügt.
1. Durch den Abschluss des als „Basis-Vereinbarung“ bezeichneten Vertrages vom 13.12.2016/06.02.2017 haben die Parteien keinen Arbeitsvertrag begründet.
Wie sich nunmehr § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB entnehmen lässt, setzt die Annahme eines Arbeitsverhältnisses notwendig voraus, dass sich der Arbeitnehmer vertraglich zur Leistung von Diensten verpflichtet hat. Die Arbeitsleistung muss zwar nicht schon von vorne herein festgelegt sein; die arbeitsvertragliche Vereinbarung kann auch beinhalten, dass der Arbeitgeber die konkrete Verpflichtung zur Arbeitsleistung erst durch eine einseitige, nach § 106 Satz 1 GewO zu treffende Weisung auslöst. Ebenso kann vereinbart werden, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 TzBfG). Dagegen ist ein Vertrag, der keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründet, kein Arbeitsvertrag. Daher ist eine Rahmenvereinbarung, die nur die Bedingungen der erst noch abzuschließenden Arbeitsverträge wiedergibt, selbst aber noch keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründet, kein Arbeitsvertrag. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. Urteil vom 15.02.2012 – 10 AZR 111/11, Leitsatz 1 und Rn. 15 m. w. N.), der sich die erkennende Berufungskammer anschließt.
Die von den Parteien abgeschlossene Basis-Vereinbarung stellt einen solchen bloßen Rahmenvertrag dar; denn sie regelt in ihrem § 1 (Bl. 55 d. A.) ausdrücklich, dass keine Verpflichtung des Klägers besteht, einen verfügbaren Auftrag anzunehmen. Der Kläger wurde durch ihren Abschluss nicht zur Leistung von Diensten für die Beklagte verpflichtet. Die „Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen“ enthalten ebenfalls keine derartige Verpflichtung.
Weitere Ausführungen sind nicht geboten, da der Kläger – anders als noch in der Klageschrift – diese Auffassung teilt, wie er mit Schriftsatz vom 16.10.2019, Seite 4 (Bl. 564 d. A.) und im Termin vor der Berufungskammer deutlich gemacht hat (Sitzungsniederschrift vom 06.11.2019, Seite 3; Bl. 658 d. A.).
2. Ein Arbeitsverhältnis der Parteien zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Parteien durch das Anklicken eines Auftrags seitens des Klägers jeweils ein auf den Ablauf des zur Erledigung zur Verfügung stehenden „Zeitfensters“ befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart hätten, das mangels Wahrung der von § 14 Abs. 4 TzBfG vorgeschriebenen Schriftform nach § 16 Satz 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Selbst wenn jede Auftragsannahme als Begründung eines befristeten Arbeitsverhältnisses zu werten wäre, hilft dies dem Kläger nicht, da er die von § 17 TzBfG vorgeschriebene Klageobliegenheit nicht gewahrt hat.
Nach § 17 TzBfG muss ein Arbeitnehmer, der die Rechtsunwirksamkeit der Befristung eines Arbeitsvertrages geltend machen will, innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht beendet sei. Geschieht dies nicht, wird auch der Mangel der gesetzlich vorgeschriebenen Form geheilt. Dies gilt auch dann, wenn der Vertragsstatus ungeklärt ist (zutreffend BAG, Urteil vom 15.02.2012 – 10 AZR 111/11, juris, Rn. 40).
Eine solche Befristungskontrollklage hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt erhoben, weder im vorliegenden Verfahren noch anderweitig, wie er im Termin vor der Berufungskammer eingeräumt hat. Selbst wenn man der Auffassung folgen möchte, eine allgemeine Feststellungsklage wäre ausreichend, um die Klageobliegenheit zu wahren, vermöchte auch dies dem Kläger nicht zu helfen. Denn zwischen der E-Mail der Beklagten vom 10.04.2018 mit der eine Auftragsbearbeitung durch den Kläger (spätestens) ihr Ende gefunden hat, und dem Eingang der Klageschrift beim Arbeitsgericht am 06.07.2018 liegt ein Zeitraum, der die gesetzliche Drei-Wochen-Frist deutlich übersteigt. Ob jeder angenommene Auftrag als befristetes Arbeitsverhältnis einzuschätzen wäre, kann wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit mithin dahinstehen.
3. Ein Arbeitsverhältnis der Parteien auf unbestimmte Zeit ergibt sich – anders als der Kläger meint – auch nicht aus der tatsächlichen Durchführung der Basis-Vereinbarung, die mit dem Anklicken, der Bearbeitung und der Fertigstellung des ersten Auftrags durch den Kläger am 04.02.2017 ihren Anfang genommen hat.
Der Kläger vermochte nicht aufzuzeigen, dass die tatsächliche Zusammenarbeit der Parteien ab der Erledigung des ersten bezahlten Auftrags oder zu einem späteren Zeitpunkt in einer Weise erfolgt ist, dass von einem dauerhaften Arbeitsverhältnis auszugehen wäre. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass nach dem wahren Geschäftsinhalt der durch die Basis-Vereinbarung begründeten Rechtsbeziehung eine Verpflichtung des Klägers zur Übernahme von Aufträgen bestanden hätte, wie sie nach dem Text der Basis-Vereinbarung gerade nicht bestand.
3.1. Die hohe Zahl der durch den Kläger erledigten Aufträge bietet, für sich genommen, keine Grundlage dafür, einen vom Vertragstext abweichenden Geschäftsinhalt anzunehmen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang behauptet hat, auf die damit erzielten Einkünfte für seinen Lebensunterhalt angewiesen (gewesen) zu sein, verkennt er, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit die arbeitnehmerähnlich Beschäftigten kennzeichnet (vgl. dazu etwa ErfK/Preis, § 611a BGB, Rn. 22 u. 80), nicht die – wie dargestellt, im Sinne von § 611a BGB persönlich abhängigen – Arbeitnehmer.
3.2. Eine Pflicht zur Übernahme von Aufträgen oder eine ihr vergleichbare Drucksituation ist – auch unter Berücksichtigung der hohen Zahl erledigter Aufträge – nicht aus dem Umstand herzuleiten, dass der Kläger durch die Zahl der erledigten Aufträge höhere Level erreichen konnte und erreicht hat, dadurch (tatsächlich) die Möglichkeit hatte, mehrere Aufträge gleichzeitig anzuklicken, dass er aufgrund der Ausführungen der Beklagten auf ihrer Homepage annehmen konnte, dadurch lukrativere Aufträge zu erlangen, und ggf. annehmen durfte, auch Auftragslisten zu erhalten. Einer Drucksituation steht schon entgegen, dass unbestritten ein einmal erreichtes Level auch bei Reduzierung der Tätigkeit für die Beklagte nicht reduziert und mit einer solchen Verschlechterung nicht einmal gedroht wurde.
3.3. Soweit der Kläger meinen sollte, nicht die Sorge um den Verlust eines erreichten Status rechtfertige die Annahme, er habe vorhandene Aufträge annehmen müssen, sondern der mit dem Level-System angesprochene menschliche Spieltrieb und das Streben nach Anerkennung für weitere zahlreiche Erledigungen sowie die (angenommene) Chance auf lukrativere Aufträge und Auftragslisten hätten zu einer Situation geführt, die einer andauernden Rechtspflicht zum Tätigwerden entspreche, kann ihm auch hierin nicht gefolgt werden. Es fehlt jede Grundlage dafür, eine Abhängigkeit von positiven Verstärkern in einem derartigen Ausmaß anzunehmen. Dass eine gewisse Motivation zum Tätigwerden entsteht, genügt nicht.
3.4. Ohne Erfolg bezieht sich der Kläger auf eine einer Rechtspflicht vergleichbare Drucksituation durch den Umstand, dass die Beklagte die Möglichkeit hatte, dem Kläger die weitere Nutzung ihrer App zu verwehren. Zwar hat sich die Beklagte unter III 1. der „Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen“ das Recht vorbehalten, „jederzeit und ohne Angabe von Gründen, Accounts zu sperren, zu löschen oder zu kündigen, und sich unter IV. vorbehalten, Nutzer bei Verdacht von Fehlverhalten auszuschließen. Weder der Basis-Vereinbarung noch den „Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen“ ist aber ein Zusammenhang zwischen einer Mindestaktivität und dem Ausschluss von der weiteren Nutzung zu entnehmen.
Es ist zwar richtig, dass ein solcher Zusammenhang in den Schreiben der Beklagten an „X.“ hergestellt wird. Wenn danach aber nach zwei Monaten der Inaktivität eine Nachfrage an den „Nutzer“ erfolgt und nach weiteren zwei Monaten die Beendigung der Nutzungsmöglichkeit angekündigt wird, rechtfertigt dies nicht die Annahme, der Nutzer hielte sich einem vertraglich Verpflichteten vergleichbar zum Tätigwerden verpflichtet.
Unbehelflich ist auch der Hinweis des Klägers darauf, dass die Beklagte die weitere Nutzung der App und so die Erledigung weiterer Aufträge nach Meinungsverschiedenheiten der Parteien beendet hat. Ein Zusammenhang mit unzureichender Aktivität des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen.
3.5. Es hilft dem Kläger ferner nicht, dass er durch die Zusendung von Auftragslisten über die Angaben in der App hinaus Aufträge zur Kenntnis nehmen konnte. Denn er hat nicht dargestellt, dass er – entgegen der Darstellung der Beklagten – gehalten gewesen wäre, gelistete Aufträge auszuführen.
3.6. Ohne Erfolg verweist der Kläger auf eine angebliche Eingliederung in den Betrieb der Beklagten auf unbestimmte Zeit. Soweit er auf das Angewiesensein der Beklagten auf die Dienstleistung der Nutzer hinweist, verkennt er, dass es nicht um die Unentbehrlichkeit menschlicher Arbeitskraft für den Erfolg des Geschäftsmodells geht, sondern um die Gestaltung der Bedingungen, unter denen sie erbracht wird oder zu erbringen ist, kurz: um das Ausmaß der persönlichen Abhängigkeit der Dienstverpflichteten. Dass der Kläger bei offenen Kontrollen seine Berechtigung hierzu durch Legitimationsschreiben nachzuweisen hatte, ist kein maßgebliches Indiz für die dauerhafte Eingliederung. Aus der Bezeichnung als „Mitarbeiter“ in den Legitimationsschreiben ist für die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nichts herzuleiten; dieser Begriff ist schon kein Synonym für „Arbeitnehmer“.
3.7. Für eine Verpflichtung des Klägers zum Tätigwerden oder eine ihr vergleichbare Drucksituation spricht auch nicht die technische Möglichkeit, das Handy des Klägers zu „tracken“. Es ist nicht nachvollziehbar, wie der Umstand, dass damit nach Anklicken eines konkreten Auftrages kontrolliert werden konnte, ob das entsprechende Objekt aufgesucht oder dies nur vorgetäuscht wurde, die Nutzer zur Annahme veranlassen könnte, sie müssten Aufträge gegen ihren Willen übernehmen. Im Übrigen ist – neben der Möglichkeit der regionalen Zuordnung der Angebote an die Nutzer – schon kein Interesse der Beklagten erkennbar, sich mit dem Aufenthaltsort der Nutzer zu befassen.
3.8. Auch eine Gesamtbetrachtung aller vom Kläger angeführten Umstände rechtfertigt nicht seine Einschätzung, er sei wie ein „gewöhnlicher“ (Teilzeit-) Arbeitnehmer oder wie ein Arbeitnehmer in einem Abrufarbeitsverhältnis zu sehen. Dem steht maßgeblich die Zeitsouveränität entgegen, die ihm als Nutzer der App praktisch vollständig verblieben ist; die Beklagte konnte weder den Umfang seiner Tätigkeit noch deren zeitliche Lage bestimmen. Durch die Gestaltung der App als – wie von Seiten des Klägers anschaulich formuliert – „Wühltisch“ für die „Crowd“ bestand auch keine Möglichkeit, dem Kläger vom ihm durchzuführende Aufträge zuzuordnen oder gar ihre Durchführung zu verlangen. Im Übrigen konnte die Beklagte dem Kläger auch keine Orte vorgeben, an denen er tätig zu werden hatte; vielmehr konnte er durch eine Ortsveränderung und die Einstellung des Radius seiner App auch die Region wählen, für die er Angebote einsehen wollte. Damit konnte nur er die Region bestimmen, in der er übertätig werden wollte.
III.
Der Antrag musste daher erfolglos bleiben.
B. Berufungsantrag II – Hilfsantrag
Auch der Klageantrag, den der Kläger als erstinstanzlichen Schlussantrag II und in der Berufungsbegründungsschrift als Hilfsantrag zum Berufungsantrag III formuliert und im Termin vor der Berufungskammer schließlich als Hilfsantrag zum Berufungsantrag II gestellt hat, bleibt ohne Erfolg. Das Rechtsmittel ist insoweit zwar zulässig, aber unbegründet, weil das durch die Basis-Vereinbarung begründete Rechtsverhältnis der Parteien durch die E-Mail der Beklagten vom 10.04.2018 beendet wurde.
I.
Durch den Abschluss der Basis-Vereinbarung wurde zwar kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien begründet, jedoch Rechte und Pflichten anlässlich der Nutzung der App begründet, womit ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zustande gekommen ist.
II.
Dieses Rechtsverhältnis fand jedoch mit Zugang der E-Mail der Beklagten vom 10.04.2018 gemäß § 8 der Basis-Vereinbarung i. V. m. III. 1. und m. IV. der AGBs sein Ende. Denn die E-Mail stellt eine wirksame Kündigung des gesamten Vertragsverhältnisses dar.
1. Die genannte E-Mail ist gemäß §§ 133, 157 BGB als Kündigungserklärung auszulegen. Wenn die Beklagte ausgeführt hat, sie werde zur Vermeidung künftiger Unstimmigkeiten dem Kläger keine weiteren Aufträge anbieten, kommt aus maßgeblicher objektiver Empfängersicht der Wille zum Ausdruck, die Vertragsbeziehung durch einseitige Erklärung zu beenden. Bestätigt wird dieser Wille durch die Aufforderung, sich das vorhandene Guthaben auszuzahlen; denn dies ist in § 8 der Basis-Vereinbarung für den Fall der Kündigung vorgesehen. Soweit die Beklagte das Deaktivieren und das Löschen des Accounts angesprochen hat, stellen sich diese Maßnahmen als Folge der Kündigung dar und nicht als alternative Maßnahmen.
2. Diese Kündigungserklärung ist wirksam; ihre Unwirksamkeit ergibt sich nicht, wie der Kläger vorsorglich geltend gemacht hat, aus fehlender Wahrung der vertraglichen Schriftform.
2.1. Zwar ist es richtig, dass die Parteien in § 8 Satz 2 der Basis-Vereinbarung die Schriftform für eine Kündigung des Vertragsverhältnisses vorgesehen haben. Für die Auslegung der Klausel ist jedoch § 127 BGB zu beachten.
2.2. Diese Norm verweist zwar zunächst in ihrem Absatz 1 für die durch Rechtsgeschäfte bestimmte Form auf die Regelungen zur gesetzlichen Schriftform. Nach ihrem Abs. 2 Satz 1 BGB genügt jedoch – abweichend vom Grundsatz des Abs. 1 – bei gewillkürter Schriftform grundsätzlich die telekommunikative Übermittlung. Nach dieser Regelung wird bei der vereinbarten Schriftform damit vom Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift abgesehen. Eine Kündigung durch E-Mail – wie vorliegend – ist (wie auch durch Fax oder Telegramm) mithin ausreichend, um die Form zu wahren (vgl. hierzu etwa Ahrens, in Prütting/Wegen/Weinreich, § 127 a BGB, Rn. 2; Ehrmann/Arnold, § 127 BGB Rn. 7), sofern sie – wie hier gegeben – mit dem Namen des Erklärenden abschließt.
2.3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB zwar dann, wenn ein anderer Wille der Parteien anzunehmen ist. Dies ist hier aber nicht der Fall. Im Gegenteil spricht die praktisch ausschließliche Kommunikation der Vertragsparteien auf elektronischem Wege, die auch der Kläger hervorhebt, gegen den Willen der Parteien, eine Kündigung nur bei eigenhändiger Unterschrift gelten lassen zu wollen.
2.4. Weitere Unwirksamkeitsgründe sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Damit musste das Rechtsmittel auch insoweit ohne Erfolg bleiben.
C. Berufungsantrag V – Hauptantrag
Die insoweit ebenfalls zulässige Berufung des Klägers bleibt auch ohne Erfolg, soweit der Kläger seinen Klageantrag auf Weiterbeschäftigung zweitinstanzlich weiterverfolgt.
Der Kläger stützt dieses Begehren auf die Grundsätze des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs, wie sie vom BAG in ständiger Rechtsprechung vertreten werden (vgl. grundlegend BAG, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84, juris). Die Grundlage dieses Anspruchs bildet ein Arbeitsvertrag i. V. m. §§ 611a, 613, 242 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Zwingende Voraussetzung dieses Anspruchs ist mithin die Arbeitnehmereigenschaft des Beschäftigten. Da diese beim Kläger, wie oben unter A. ausgeführt, zu verneinen ist, kann der er seine Weiterbeschäftigung von der Beklagten nicht verlangen.
D. Berufungsantrag V – Hilfsantrag
Die Berufung bleibt auch hinsichtlich dieses Hilfsantrags in der Sache erfolglos. Denn für das klägerische Verlangen, die Beklagte müsse ihm, auch wenn er nicht Arbeitnehmer sei, weiter Aufträge zur Durchführung über ihre App anbieten, fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
Ein vertraglicher Anspruch aus der Basis-Vereinbarung bzw. den AGB´s scheidet schon deshalb aus, weil die hierdurch begründete Vertragsbeziehung beendet wurde (vgl. oben unter B). Eine gesetzliche Grundlage für den erhobenen Anspruch ist nicht ersichtlich.
E. Berufungsantrag VII – Hauptantrag
In der Sache erfolglos bleibt das insoweit zulässige Rechtsmittel des Klägers auch hinsichtlich seines Hauptantrags auf Zahlung der Vergütung für den restlichen April, für Mai und für Juni 2018.
Entgegen klägerischer Auffassung fehlt es an den Voraussetzungen des Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1, §§ 293 ff. BGB). Denn ein Arbeitsverhältnis, auf dessen Bestehen der Kläger auch diesen Hauptantrag stützen will, bestand im maßgeblichen Zeitraum nicht; wie oben unter A. ausgeführt. Der Klageantrag ist mithin unbegründet.
F. Berufungsantrag VII – Hilfsantrag
Seinen – für den Fall fehlender Arbeitnehmereigenschaft gestellten – Hilfsantrag möchte der Kläger auf eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten stützen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Beklagte auch nach dem 11.04.2018 noch verpflichtet war, ihm die Durchführung von Aufträgen wie in der Zeit zuvor zu ermöglichen.
Diese Annahme trifft jedoch nicht zu. Wie bereits oben unter D. ausgeführt, bestand aufgrund der wirksamen Kündigung durch die E-Mail vom 10.04.2018 kein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien mehr. Bereits aus diesem Grunde kommt eine vertragliche Pflichtverletzung, wie sie für einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB unerlässliche Voraussetzung ist, nicht in Betracht.
Dass deliktische Ansprüche (etwa § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB oder § 826 BGB) in Betracht kämen und eine sonstige Anspruchsgrundlage bestünde, ist auch nicht ansatzweise ersichtlich.
G. Berufungsantrag VIII
Die Berufung bleibt auch hinsichtlich dieses Klageantrags ohne Erfolg.
I.
Einem Erfolg des Rechtsmittels steht insoweit zwar nicht bereits § 533 ZPO entgegen, wie die Beklagte geltend gemacht hat. Denn die Klageerweiterung erscheint sachdienlich, weil die Rechtsbeziehungen der Parteien auch hinsichtlich der Frage, ob dem Kläger Urlaub zu gewähren ist, so abschließend geklärt werden können. Diese Klärung kann auch auf der Basis der vom Berufungsgericht zu berücksichtigenden Tatsachen erfolgen. Denn neuen Sachvortrag hat der Kläger zu dieser Klageerweiterung nicht unterbreitet. Er stützt sie letztlich ausschließlich auf die Annahme, er sei Arbeitnehmer, womit die Regelungen des BUrlG zur Anwendung kommen müssten.
II.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
1. Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub setzt gemäß § 1 BUrlG voraus, dass der Beschäftigte Arbeitnehmer i. S. v. § 2 BUrlG ist. Dass der Kläger entgegen seiner Ansicht nicht Arbeitnehmer im allgemeinen Sinn ist und so von § 2 Satz 1 BUrlG nicht erfasst wird, ergibt sich aus dem oben unter A. Ausgeführten. Dass § 2 Satz 2, Halbs.2 BUrlG einschlägig wäre, hat er nicht behauptet. Es fehlt mithin an einer zwingenden Anspruchsvoraussetzung.
2. Da eine andere Anspruchsgrundlage weder geltend gemacht noch ersichtlich ist, fehlt es an der Begründetheit des Klageantrags.
H. Berufungsantrag IX – Hauptantrag
Der Berufung bleibt auch insoweit der Erfolg versagt, als der Kläger klageerweiternd Kündigungsschutzklage gegen die Schriftsatzkündigung vom 24.06.2019 erhoben hat.
I.
Auch diese Klageerweiterung scheitert nicht bereits an § 533 ZPO. Die fehlende Zustimmung der Beklagten schadet auch hier nicht, da die Klageerweiterung sachdienlich ist. Durch sie werden die Streitigkeiten über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien abschließend geklärt. Die Berufungskammer kann den Antrag auch auf der Basis des ohnehin der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalts entscheiden.
II.
Die Kündigungsschutzklage ist allerdings unbegründet. Für ihren Erfolg wäre unerlässliche Voraussetzung, dass zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden hat. Dies ist hier nicht der Fall, wie bereits oben unter A. ausgeführt wurde.
I. Berufungsantrag IX – Hilfsantrag
Der Berufung bleibt schließlich der Erfolg auch insoweit versagt, als der Kläger klageerweiternd den Fortbestand des durch die Basis-Vereinbarung begründeten Rechtsverhältnisses über die Schriftsatzkündigung vom 24.06.2019 hinaus festgestellt wissen möchte.
I.
Auch diese Klageerweiterung scheitert nicht bereits an § 533 ZPO. Die fehlende Zustimmung der Beklagten schadet auch hier nicht, da die Klageerweiterung sachdienlich ist. Durch sie werden die Streitigkeiten der Parteien über den Fortbestand der Basis-Vereinbarung abschließend geklärt. Die Berufungskammer kann den Antrag auch auf der Basis des ohnehin der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalts entscheiden.
II.
Der Klageantrag ist indes unbegründet. Denn das durch die Basis-Vereinbarung begründete Rechtsverhältnis wurde bereits durch die Kündigung vom 10.04.2018 beendet, wie bereits oben unter B. ausgeführt wurde.
J. Kosten
Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
K. Revisionszulassung
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Beklagte kann allerdings – mangels Beschwer – kein Rechtsmittel gegen die vorliegende Entscheidung geltend machen.
Für den Kläger gelten nachfolgende Hinweise:


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