Arbeitsrecht

Fristlose Entlassung eines Soldaten wegen unerlaubter Nebentätigkeit

Aktenzeichen  M 21b K 19.3470

Datum:
11.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1699
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 7, § 17 Abs. 2 S. 2, § 20 Abs. 1, § 55 Abs. 5
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine die fristlose Entlassung eines Zeitsoldaten rechtfertigende ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung (§ 55 Abs. 5 SG) ist bei Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, bei Straftaten von erheblichem Gewicht oder bei Bestehen einer Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr anzunehmen (stRspr BVerwG BeckRS 2010, 53021). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Soldat, der wiederholt im Dienst gegen Bezahlung für eine Versicherung wirbt und damit einer ungenehmigten Nebentätigkeiten nachgeht, kann fristlos entlassen werden.  (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21b K 19.3470 2020-02-04 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 25. April 2019 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 26. Juni 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen.
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann. Dies hat die Rechtsprechung im Falle von Affekthandlungen bei geringer Vorbildfunktion des Soldaten angenommen, also in Fällen, in denen eine Wiederholungsgefahr typischerweise nicht besteht und die Dienstpflichtverletzung nicht Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zur Disziplinlosigkeit zu werten war (BVerwG, U.v. 24.9.1992 – 2 C 17.91 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 16.8.2010 – 2 B 33.10 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 15.7.2015 – 6 ZB 15.758 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab ist die Entlassung des Klägers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit gerechtfertigt und die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat wiederholt im Dienst gegen Bezahlung für eine Versicherungsagentur bzw. deren Angebote geworben und damit seine Dienstpflichten, insbesondere das Verbot der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten, § 20 Abs. 1 SG, und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten – auch außer Dienst -, § 17 Abs. 2 SG, sowie die Pflicht zur Kameradschaft, § 12 SG, schuldhaft verletzt.
Der Sachverhalt steht bereits aufgrund der undatierten schriftlichen Stellungnahme des Klägers, eingegangen bei der der Beklagten am 5. November 2018, fest. Hier lässt er sich dahingehend ein, dass er von der P. GmbH und der Pl. UG im Laufe mehrerer Monate Erwerbseinkommen erhalten hat. Er trägt auch vor, dass ihm ein Befehl erteilt wurde, die Nebentätigkeiten unverzüglich zu unterlassen und dass er danach – zwar angeblich seines Verständnisses nach in Einklang mit dem Befehl – mit einem Soldaten zu einer Informationsveranstaltung einer der Versicherungsgesellschaften ging. Auch in der Klagebegründung lässt er vortragen, dass er Kameraden auf einen ihm bekannten Versicherungsvertreter verwiesen hat. Das Gericht geht letztendlich davon aus, dass mindestens fünf Kameraden über Vermittlung des Klägers Verträge mit den Versicherungsgesellschaften abgeschlossen haben und er darüber hinaus eine unbekannte Anzahl weiterer Kameraden hierauf aufmerksam gemacht hat. In der öffentlichen Sitzung am 11. Februar 2020 trug der Kläger letztendlich vor, er habe insgesamt ungefähr zehn Kameraden auf die Versicherungsangebote angesprochen.
Bestätigt wird dieser Vortrag durch die vorgelegten und vom Kläger unterzeichneten Verträge mit den Versicherungsgesellschaften und deren Auskünfte. So teilte die P. GmbH unter dem 11. Juli 2018 mit, dass der Kläger aufgrund eines ungekündigten Tippgebervertrages an sie gebunden ist. Des Weiteren trug sie unter dem 14. November 2018 vor, dass der Kläger eine Gesamtprovision in der Höhe von 3.525,77 Euro erhalten hat und wegen seiner Bemühungen mit über fünf Soldaten Verträge geschlossen werden konnten. Die Pl. UG teilte unter dem 11. Juli 2018 mit, dass der Kläger mit ihnen in einer vertraglichen Beziehung steht und auch dieser Vertrag ungekündigt ist. Auch die G. GmbH informierte die Beklagte unter dem 19. November 2018, dass der Kläger in ungekündigtem Vertragsverhältnis als Tippgeber tätig ist und ein Kunde, der schon bei der P. GmbH gemeldet war, empfohlen wurde.
Hierdurch hat der Kläger jedenfalls seine aus § 20 Abs. 1 SG folgende Pflicht, die Ausübung einer entgeltlichen bzw. unentgeltlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Nebentätigkeit bis zu ihrer vorherigen Genehmigung zu unterlassen, verletzt (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 2 WD 20/03 – juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, B.v. 28.5.2018 – 6 CS 18.775 – juris Rn. 11, 13). Da der Kläger für seine Tätigkeit als Tippgeber Provisionen erhalten hat, kommt die Grundvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 SG zur Anwendung, wonach die Ausübung „jeder entgeltlichen Nebentätigkeit“ – mit den in Abs. 6 abschließend aufgeführten und hier nicht einschlägigen Ausnahmen – der vorherigen Genehmigung bedarf. Nebentätigkeit ist jede Tätigkeit innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes, die neben der Haupttätigkeit (Hauptverwendung) gegen Entgelt ausgeübt wird. Die vom Kläger ausgeübte, durch Provisionen abgegoltene Tätigkeit als Tippgeber ist von dieser Vorschrift erfasst (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2019 – 6 CS 19.940 – juris Rn.11).
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass der Kläger – unbestritten – nicht explizit über das Verbot von Nebentätigkeiten nach § 20 SG belehrt wurde. Denn zum einen war dies zumindest den von ihm unterschriebenen Belehrungen über die Möglichkeit der Anhörung der Vertrauensperson bei der Genehmigung von Nebentätigkeiten zu entnehmen. Überdies ist es auch einem Soldaten auf Zeit (niedrigen Dienstgrades) zumutbar, sich ein Mindestmaß an rechtlichen Kenntnissen über seine Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis anzueignen, was die Vorschriften über die Genehmigungsbedürftigkeit von Nebentätigkeiten, die sich unmissverständlich aus dem Soldatengesetz ergeben, umfasst. Außerdem muss sich einem nur minimal umsichtigen Soldaten, der im Kameradenkreis für einen externen Auftraggeber tätig wird, die Frage aufdrängen, ob eine solche Tätigkeit zulässig ist und sich entsprechend informieren. Eine ausdrückliche Belehrungspflicht der Bundeswehr über die Vorschriften des § 20 SG besteht nicht (VG Lüneburg, B.v. 12.04.2019 – 8 B 52/19 – juris Rn. 38).
Der Kläger hat durch die nicht genehmigte Nebentätigkeit auch seine Verpflichtung nach § 17 Abs. 2 SG zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten – auch außer Dienst – verletzt, da sein Verhalten geeignet war, sowohl die Achtung seiner Kameraden als auch das Vertrauen seiner Vorgesetzten erheblich zu beeinträchtigen (BayVGH, B.v. 19.6.2019 – 6 CS 19.940 – juris Rn. 10). Ein Soldat, der gesetzeswidrig eine nicht genehmigte Nebentätigkeit innerhalb des Dienstes ausübt, erschüttert seine persönliche und dienstliche Integrität (BayVGH, B.v. 28.5.2018 – 6 CS 18.775 – juris Rn. 14). Weiter hat der Kläger entgegen dem ausdrücklichen Befehl seines Vorgesetzten, seine Tätigkeit einzustellen, in der Folge erneut mit einem anderen Soldaten eine Informationsveranstaltung zu Versicherungsverträgen besucht. Dieses Verhalten ist objektiv geeignet, das Vertrauen des Vorgesetzten in den Kläger zu zerstören, was, wie jener in seiner Stellungnahme nachvollziehbar angab, auch subjektiv geschehen ist. Die diesbezüglichen Erklärungen des Klägers, wonach der Besuch der Informationsveranstaltung streng genommen keine Tippgebertätigkeit darstellen würde, weil auf dieser Veranstaltung keine Verträge abgeschlossen worden seien, sind nicht geeignet, das Vertrauen des Vorgesetzten in die persönliche und dienstliche Integrität des Klägers wieder herzustellen. Im Gegenteil: Sie bestätigen und bekräftigen den Anschein der Vertrauensunwürdigkeit durch die wortklauberische Interpretation des in der Aussage klaren Befehls und legen die Vermutung nahe, dass der Kläger sogar charakterlich nicht zum Soldaten geeignet ist (BayVGH, B.v. 28.5.2018 – 6 CS 18.775 – juris Rn. 14; zur Entlassung eines Soldaten auf Zeit wegen charakterlicher Nichteignung nach § 55 Abs. 4 SG wegen einer durch Provisionen abgegoltenen ungenehmigten Tätigkeit als Tippgeber: BayVGH, B.v. 19.6.2019 – 6 CS 19.940 – juris Rn. 14). Denn zum Zeitpunkt der Veranstaltung stand der Kläger nach wie vor in den bestehenden vertraglichen Beziehungen zu den ausrichtenden Unternehmen. Somit hätte auch ein späterer Vertragsschluss durch den mitgebrachten Soldaten seinen Provisionsanspruch begründet. Der Besuch der Veranstaltung stellt folglich objektiv einen Teil seiner Tätigkeit als Tippgeber dar, die zu unterlassen ihm befohlen war. Soweit der Kläger hiergegen einwendet, er habe gegenüber den Versicherungsgesellschaften oder dem Versicherungsvertreter kundgetan, hierfür ausnahmsweise keine Provision erhalten zu wollen, ändert dies ebenfalls nichts an der Entscheidung. Denn gerade das „Zuführen“ an den Versicherungsvertreter erfüllt, wie ausgeführt, die dem Kläger ungenehmigte und letztendlich untersagte Dienstpflicht. Im Übrigen belegt er damit, dass er sich durchaus bewusst war, hierbei im Rahmen seiner Tippgebertätigkeit gehandelt zu haben.
Mit seinem Verhalten hat der Kläger gegenüber seinen Kameraden letztlich auch gezeigt, dass er seine eigenen finanziellen Vorteile über die Kameradschaft in der Bundeswehr stellt. Insoweit liegt auch ein Verstoß gegen die aus § 12 SG resultierende Pflicht zu gegenseitiger Achtung und Fairness vor (vgl. VG Lüneburg, B.v. 12.4.2019 – 8 B 52/19 – juris Rn. 34). Hierbei ist besonders zu beachten, dass der vertragliche Rückforderungsvorbehalt im Falle der Kündigung eines vermittelten Vertrags dazu führt, dass auf Seiten des Vermittlers ein objektives monetäres Interesse daran besteht, dass die Vertragspartner an den abgeschlossenen Verträgen festhalten. Dieses Interesse bezieht sich auf den persönlichen Lebensbereich der jeweiligen Soldaten und ist somit geeignet, das durch § 12 SG geschützte Kameradschaftsverhältnis, das eine militärische Schicksalsgemeinschaft beschreibt (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Aufl. 2016, § 12 Rn. 6), dadurch zu belasten, dass außerdienstliche Individualinteressen hineingetragen werden. Ein Soldat, der einen aufgrund der Vermittlung des Klägers geschlossenen Vertrag kündigt, begibt sich gegenüber diesem in eine rechtfertigungsbedürftige Position, da er durch die Kündigung dessen Vermögen schmälert. Letztendlich ist auch der Vortrag des Klägers, er habe seine Kameraden lediglich informieren und unterstützen wollen, eine reine Schutzbehauptung oder zumindest nur ein (winziger) Teilaspekt seiner Tätigkeit als Tippgeber in einem Schneeballsystem.
Da der Kläger folglich seine Dienstpflichten betreffend des Verbots der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten, § 20 Abs. 1 SG, der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten, § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, sowie der Pflicht zur Kameradschaft, § 12 SG, verletzt hat, kann offen bleiben, ob darüber hinaus eine von der Beklagten angenommene Verletzung der Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) vorliegt.
Der Kläger hat auch schuldhaft im Sinne des § 23 Abs. 1 SG gehandelt. Selbst wenn er wirklich geglaubt haben sollte, dass seine Vermittlungen keiner vorherigen Nebentätigkeitsgenehmigung bedürften, könnte er sich insoweit nicht auf einen Verbotsirrtum berufen, weil dieser vermeidbar gewesen wäre. Denn nach seiner Vor- und Ausbildung ist davon auszugehen, dass Umfang und Inhalt der Dienstpflicht nach § 20 Abs. 1 SG im weitesten Sinne von ihm erfasst werden können. Davon ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Regelfall schon aufgrund der Ausbildung des Soldaten auszugehen. Im Zweifel wird von diesem erwartet, dass er sich bei seiner Dienststelle rechtzeitig über Umfang und Inhalt seiner Dienstpflichten erkundigt (vgl. BVerwG, U.v. 13.9.2011 – 2 WD 15/10 – juris Rn. 36 m.w.N.). Soweit der Kläger also vorträgt, sich in einem Verbotsirrtum entsprechend des § 17 StGB befunden zu haben, war dieser zumindest vermeidbar. Selbst wenn man dies anders sehen würde, hat er zumindest ab dem Zeitpunkt des erteilten Befehls – durch Besuch der Informationsveranstaltung mit einem Kameraden – schuldhaft gehandelt.
Dem Kläger ist zwar nach alldem keine Dienstpflichtverletzung im militärischen Kernbereich anzulasten (BayVGH, B.v. 28.5.2018 – 6 CS 18.775 – juris Rn. 15). Bei einer einzelfallbezogenen Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzungen besteht aber jedenfalls Nachahmungsgefahr, weil es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die um sich zu greifen droht, und die eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr darstellt. Dies zeigt sich schon darin, dass es sich, wie dem Gericht aus anderen – nicht-veröffentlichten – Fällen bekannt ist (z.B. VG München, U.v. 27.11.2019 – M 21a K 19.754; B.v. 28.3.2019 – M 21 S 18.3695; v. 19.3.2018 – M 21 S 17.4261; v. 27.3.2018 – M 21 S 17.5898) bei der Tippgeber-Tätigkeit des Klägers um keinen Einzelfall in der Bundeswehr handelt. Hieraus und der Häufigkeit ähnlicher Entscheidungen (vgl. nur BayVGH, B.v. 19.6.2019 – 6 CS 19.940 – juris; v. 28.5.2018 – 6 CS 18.775 – juris; v. 9.4.2019 – 6 ZB 18.2402 – juris; VG Lüneburg, B.v. 12.4.2019 – 8 B 52/19 – juris) ist zu entnehmen, dass es sich um ein Problem der Bundeswehr von nicht zu verachtendem Umfang handelt und es durchaus regelmäßig vorkommt, dass Soldaten ihre Kameraden als Kunden für Versicherungsvermittler/-agenturen zu gewinnen versuchen. Die Beklagte hat insoweit in ihrer Begründung der Entlassung bzw. ihrer Beschwerdeentscheidung ausgeführt, dass das Ausüben einer nicht genehmigten Nebentätigkeit geeignet ist, andere Soldaten zur Nachahmung zu verleiten und deshalb einer Gefährdung der militärischen Ordnung Vorschub zu leisten, zumal es in vergleichbaren Fälle auch bereits zur Nachahmung gekommen ist. Dies bestätigte der Kläger mit seiner dahingehenden Einlassung in der öffentlichen Sitzung am 11. Februar 2020 eindrucksvoll, als er vortrug, er selbst sei nicht von den Versicherungsgesellschaften, sondern von einem anderen Kameraden angeworben worden. Zu Recht geht die Beklagte folglich davon aus, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass der Dienstherr die Anbahnung der Vermittlung von Versicherungsleistungen zu dem persönlichen Vorteil eines Soldaten als Kavalierdelikt ansehe und dieses daher ohne Folgen für das Dienstverhältnis bliebe (vgl. VG Lüneburg, B.v. 12.4.2019 – 8 B 52/19 – juris Rn. 39). Für die Bundeswehr besteht daher ein wesentliches Interesse daran, diesen ungenehmigten Nebenbeschäftigungen (nicht nur im Dienst) entgegenzutreten, um die Nachahmungsgefahr zu mindern.
Im Übrigen belegt die schon per se auf Wiederholung ausgelegte Natur dieser Dienstpflichtverletzungen, aber auch der Umstand ihrer tatsächlich über mehrere Monate fortgesetzten Begehung eine Wiederholungsgefahr durch den Kläger (vgl. VG München, U.v. 27.11.2019 – M 21a K 19.754 – n.v.). Dies insbesondere deswegen, da der Kläger – auch nicht als er die Rechtswidrigkeit seines Handelns erkannt haben will – die Partnervereinbarungen kündigte oder seinen Disziplinarvorgesetzten unverzüglich über sein Fehlverhalten informierte. Dass er – seinen eigenen Angaben zufolge – vom Versicherungsvertreter an der Kündigung gehindert worden sei, gereicht ihm dahingehend nicht zum Vorteil, sondern drängt wiederum Zweifel an seiner charakterlichen Eignung zum Soldaten auf. Überdies hat er es nicht einmal in seiner Stellungnahme zur beabsichtigten Entlassung für notwendig erachtet, seinen dritten Vertragspartner, die G. GmbH, offenzulegen. Hiervon erhielt die Beklagte erst über die Ermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft Kenntnis. Auch wenn der Kläger zwar vortrug, zu diesem Zeitpunkt sei der Beklagten bereits bekannt gewesen, dass es sich um drei Verträge mit Versicherungsgesellschaften handele, war ihm – zumindest damals – nicht einmal im Ansatz bewusst, dass er sich dienstpflichtwidrig verhalten hatte. Vielmehr zeigte er sich in seiner Stellungnahme uneinsichtig und verstand nicht, warum man „aus einer Mücke einen Elefanten macht“. Nach alledem ist bei dem Kläger – auch im Hinblick auf die Nichtbeachtung oder anderweitige Interpretation des Befehls – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und aufgrund seiner hierdurch zur Schau gestellten Uneinsichtigkeit die fortgesetzte Begehung von Dienstpflichtverletzungen zu befürchten.
Die vom Kläger schuldhaft und fortgesetzt begangenen Dienstpflichtverletzungen sind nicht als geringfügig zu bewerten (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 2 WD 20/03 – juris Rn. 9 ff. m.w.N.; OVG MV, B.v. 23.10.1997 – 2 L 32/97 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.) oder sonst als voraussichtlich einmalige Verfehlungen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu verstehen (vgl. hierzu OVG NRW, U.v. 5.12.2012 – 1 A 846/12 – juris Rn. 51 ff. m.w.N.). Im Übrigen schließt eine einfache nicht-gerichtliche Disziplinarmaßnahme (hier: Disziplinarbuße nach § 24 WDO) die fristlose Entlassung nicht aus (vgl. VG Kassel, B.v. 27.3.2014 – 1 L 1504/13.KS – juris Rn. 18; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Aufl. 2016, § 55 Rn. 85).
Die von der Beklagten getroffene Maßnahme ist auch nicht ermessensfehlerhaft.
Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine – sich im Grunde bereits aus der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift ergebende – drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem bestimmten Zweck ist in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen bereits durch die Vorschrift selbst – und zwar auf der Tatbestandsebene – konkretisiert worden. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit auch nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG (grundsätzlich) kein Raum (vgl. OVG NRW, B.v. 20.1.2005 – 1 B 2009/04 – juris Rn. 34 m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, ist das Ermessen der zuständigen Behörde, beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vom Ausspruch der fristlosen Entlassung absehen zu können, trotz des Wortlauts „kann“ im Sinne einer sogenannten „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle zu beschränken (vgl. OVG NRW, B.v. 20.1.2005 – 1 B 2009/04 – juris Rn. 34. m.w.N.; BayVGH, U.v. 25.7.2001 – 3 B 96.1876 – juris Rn. 58 ff. m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab liegt kein atypischer Sachverhalt vor, der eine andere Betrachtungsweise rechtfertigt. Insbesondere ist die Entlassung nicht deswegen ermessensfehlerhaft, da die Beklagte keine Umstände zugunsten des Klägers ermittelt hätte. Hierin ist keine Ausnahmekonstellation, die eine andere Entscheidung rechtfertigt, zu erkennen. Nach den Umständen des Falles war die fristlose Entlassung des Klägers als „intendierte Entscheidung“ wie geschehen auszusprechen.
Folglich war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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