Arbeitsrecht

Frühere DDR; Verfolgter im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes; Abgrenzung Facharbeiter / Teilfacharbeiter

Aktenzeichen  3 A 131/21 MD

Datum:
22.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 3. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0222.3A131.21MD.00
Spruchkörper:
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Leitsatz

Eine „Teilfacharbeiterausbildung“ stellte in der DDR eine geringere Berufsausbildung als die eines „Facharbeiters“ dar.(Rn.23)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, falls nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine weitergehende Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG).
Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 29.08.2018 erkannte der Beklagte den Kläger als Verfolgten im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes für die Zeit seiner Inhaftierung vom 20.04.1979 bis zum 04.11.1979 an. Die Feststellung einer darüberhinausgehenden Verfolgungszeit bis 1988 wurde abgelehnt.
Nach dem Abschluss der 8. Klasse absolvierte der am …1960 geborene Kläger eine Teilfacharbeiterausbildung zum Dreher bzw. Zerspaner im VEB Hydraulik S.. Unmittelbar vor seiner Inhaftierung am 20.04.1979 arbeitete er als Abdichter im VEB Spezialbaukombinat M. Mit Urteil des Kreisgerichts W. vom 24.05.1979 wurde der Kläger wegen des Vorwurfs des „Rowdytums in der Gruppe handelnd“ zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, welche er bis zum 01.11.1979 verbüßte. Ab dem 05.11.1979 war der Kläger als Dachdeckerhelfer bei der PGH des Dachdeckerhandwerkes „Empor“ in S. tätig.
Das Landgericht M. hob mit Beschluss vom 07.02.2017 das Urteil des Kreisgerichts als teilweise rechtsstaatswidrig auf und stellte die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung für die Zeit vom 20.04.1979 bis zum 01.11.1979 fest.
Zur Begründung führt der Beklagte in dem streitbefangenen Bescheid aus, dass eine über die Haft hinausgehende politische Verfolgungsmaßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG nicht feststellbar sei. Laut vorliegendem Sozialversicherungsausweis habe der Kläger ab dem 05.11.1979 wieder eine Tätigkeit als Dachdeckerhelfer und somit eine sozial gleichwertige Tätigkeit aufgenommen. Ein spürbarer sozialer Abstieg habe nicht stattgefunden. Aus den vorliegenden Unterlagen des BStU gehe hervor, dass der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem VEB Hydraulik selbst gelöst habe. Es sei daher kein Eingriff in den Beruf feststellbar. Die von dem Kläger aufgeführten fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten im Beruf seien nach dem BerRehaG nicht erfasst.
Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt vor, dass er nach der Haft nicht entsprechend seiner Qualifikation als Teilfacharbeiter arbeiten durfte. Er habe bereits vor der Haft seinen Arbeitsplatz im VEB Hydraulik S. verfolgungsbedingt verloren. Er sei ausschließlich mit der Verrichtung von sozial nicht gleichwertigen Hilfsarbeiten beschäftigt gewesen. Er sei umfassenden staatlichen Kontrollmaßnahmen ausgesetzt gewesen. Er habe sich wöchentlich im Volkspolizei-Kreisamt melden müssen. Sein Personalausweis sei ihm entzogen worden. Für einen Arbeitsplatzwechsel sei eine Genehmigung der staatlichen Organe erforderlich gewesen.
Im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung erklärt der Kläger gegenüber dem Gericht, dass er wiederholt entschieden Kritik an den Arbeitsabläufen im Betrieb geäußert und dies mit kritischen Äußerungen über den Staat DDR verbunden habe. Daraufhin sei er von den Gremien des Betriebes zu Aussprachen vorgeladen worden. Dabei habe man ihm 1978 mitgeteilt, dass er „nicht würdig sei“, im VEB Hydraulik S. zu arbeiten, und man habe ihn unter Druck veranlasst einen Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen und seine Tätigkeit im VEB Hydraulik S. zu beenden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter insoweitiger Aufhebung des Bescheids vom 29.08.2018 zu verpflichten, die Verfolgungszeit nach dem BerRehaG ab dem 01.01.1978 und über den 04.11.1979 hinaus bis 1988 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verteidigt den Bescheid. Der Kläger habe vor und nach seiner Inhaftierung als ungelernter Dachdecker/Abdichthelfer gearbeitet. Hierbei handele es sich grundsätzlich um eine sozial gleichwertige Tätigkeit. Ein spürbarer beruflicher Abstieg, der für eine berufliche Rehabilitierung erforderlich sei, habe nicht stattgefunden. Der Kläger sei von keinem Berufsverbot betroffen gewesen.
Das Gericht hat bei der Nachfolge-Firma Hydraulik S. GmbH erfolglos um Personalunterlagen aus der damaligen Zeit nachgesucht. Auch eine Nachfrage bei der Stasi-Unterlagen Behörde (BStU) ergab keine neuen Erkenntnisse.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis über die Beschäftigung des Klägers im VEB Hydraulik S. durch Vernehmung des Zeugen B. erhoben. Zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die begehrte Feststellung der Verfolgungszeit nach dem BerRehaG vor der Inhaftierung und über den 04.11.1979 (Haftentlassung) hinaus zu Recht abgelehnt und den Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung einer weiteren, vor der und über die Haft hinausgehenden Verfolgungszeit. Der Kläger unterlag insoweit keiner Verfolgung im Sinne des BerRehaG.
1.) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG hat Anspruch auf Leistungen nach dem BerRehaG, wer in der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 durch eine andere Maßnahme als nach Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BerRehaG im Beitrittsgebiet, wenn diese der politischen Verfolgung gedient hat, zumindest zeitweilig weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen, erlernten oder durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben konnte (Verfolgter). Verfolgungszeit ist nach § 2 Abs. 1 BerRehaG der gemäß § 1 Abs. 2 festgestellte Zeitraum einer zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung oder eines Gewahrsams (Nr. 1) sowie die Zeit, in der der Verfolgte auf Grund einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 oder als Folge einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 seine bisherige oder eine angestrebte Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt oder ein geringeres Einkommen als aus der bisherigen Erwerbstätigkeit erzielt hat (Nr. 2).
Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger für die von ihm begehren Zeiträume vor und nach seiner – als Verfolgungszeit nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 BerRehaG anerkannten – Haftzeit nicht vor.
a.) Zur Überzeugung der Kammer war der Kläger bereits vor seiner Inhaftierung seit dem von ihm angegebenen Zeitraum 01.01.1978 keiner politischen Verfolgung nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG ausgesetzt. Soweit er eine politische Verfolgung in den Arbeitsplatzbedingungen sieht, welchen er ab dem Jahr 1978 im VEB Hydraulik S. ausgesetzt gewesen sein will und schließlich zu seiner Kündigung und Weggang zum VEB Spezialkombinat M. geführt haben sollen, erfüllen diese nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG. Dabei lassen bereits seine schriftlichen Ausführungen im Antragsformular und in den behördlichen und gerichtlichen Stellungnahmen den notwendigen Detailreichtum vermissen, um überhaupt von greifbaren Anhaltspunkten für eine mögliche Verfolgung ausgehen zu können.
Benannte er in dem Antragsformular vom 28.06.2016 seine berufliche Benachteiligung wegen „Verurteilung auch wegen Verhöhnung des Staates DDR und Ausreiseantrag“ nur „nach seiner Haftentlassung in dem Zeitraum „1979 bis ca. 1988“ durch „Minderverdienst nach Haftentlassung, Ausschluss aus gesellschaftlichen Vereinen wie z.B. Feuerwehr, Fußball, hohe Auflagen und Meldepflichten nach Haftentlassung, Behandlung wie ein ewiger Strafgefangener, keine Vergünstigungen“, äußerte sich der Kläger im behördlichen Verfahren unter dem 15.08.2018 (BL. 38, Beiakte A) erstmals dahingehend, wonach man ihm seitens des Betriebes VEB Hydraulik S. 1978 mitgeteilt habe, dass er „nicht würdig sei, dort zu arbeiten und veranlasste mich unter Druck, einen Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen und meine Tätigkeit im VEB Hydraulik S. zu beenden.“
Im gerichtlichen Verfahren teilte er in einer eidesstaatlichen Erklärung vom 17.01.2019 mit, dass er wiederholt entschiedene Kritik an den Arbeitsabläufen im Betrieb verbunden mit kritischen Äußerungen über den Staat DDR geäußert habe. Daraufhin sei er von Gremien des Betriebes zu Aussprachen vorgeladen worden. In späteren Schriftsätzen (28.06.2021, Bl. 125 GA) ließ er über seine Prozessbevollmächtigten vortragen, dass er abgemahnt worden und von der Drehbank in die Waschanlage versetzt worden sei. Dort habe er seiner bisherigen Facharbeitertätigkeit an der Drehbank nicht mehr nachkommen können, sondern nur noch Hilfsarbeiten. Er sei von den Kollegen und Vorgesetzten geschnitten und kaltgestellt worden. Seine Stundenzettel seien ihm gestohlen worden. Schließlich habe man von ihm verlangt, den Betrieb durch Kündigung zu verlassen. Ähnlich äußerte er sich unter dem 14.06.2021 (Bl.128 R, GA). Er habe politische Äußerungen und Kritik geübt, wofür er vom Kaderleiter gerügt und mit minderwertigen Arbeiten betraut worden sei.
Diese Ausführungen sind insgesamt zu vage und zu unsubstantiiert, um die Voraussetzungen einer politischen Verfolgung im Sinne des BerRehaG annehmen zu können. Es fehlen substantiierte detailreiche Ausführungen zu der „geäußerten Kritik“ und den näheren Umständen der damaligen Lebens- und Arbeitssituation, welcher der Kläger in dieser Zeit ausgesetzt gewesen war. Auch nach einem solch langen zurückliegenden Zeitraum muss und darf erwartet werden, dass ein tatsächlich politisch Verfolgter sich an genauere Gegebenheiten und Situationen aus dieser, sein tatsächliches (Arbeits-)Leben prägenden Zeit erinnern kann. Im Übrigen beruft sich der Kläger auch nicht auf Erinnerungslücken. Er ist vielmehr auch nach der intensiven Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen, dem Gericht glaubhafte Angaben über sein behauptetes Verfolgungsschicksal zu machen. Der Anspruch nach dem BerRehaG erfordert einen glaubhaften schlüssigen substantiierten Vortrag des Antragstellers, woraus sich seine politische Verfolgung glaubhaft ergibt. Auch die Anwendung des § 25 Abs. 2 BerRehaG verlangt einen glaubhaften Vortrag des Antragstellers, der die behauptete politische Verfolgung schlüssig ergibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 – 3 B 39.14 – Buchholz 428.8 § 25 BerRehaG Nr. 1 Rn. 5). Danach können die Angaben des Antragstellers zu seiner Verfolgteneigenschaft nach § 1 Abs. 1 BerRehaG der Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn diese Angaben dem Gericht glaubhaft erscheinen und der Antragsteller nur aus Beweisnöten nicht in der Lage ist, seine schlüssigen Angaben zu beweisen. Für darüber hinausreichende Reduzierungen der für die behördliche oder gerichtliche Überzeugungsbildung geforderten Gewissheit (§ 108 VwGO) gibt es ebenso wenig eine rechtliche Grundlage wie für eine gesetzliche Vermutung, die Eigenkündigung eines Arbeitsverhältnisses nach Stellung eines Ausreiseantrags stelle sich regelmäßig als Folge einer Maßnahme dar, die der politischen Verfolgung gedient hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2007 – 3 B 47.07 – juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 08. Mai 2019 – 8 B 7/19 –, Rn. 6, juris).
Der Kläger interpretiert seine damaligen Arbeitsbedingungen in der zeitlichen Rückschau vielmehr als von ihm wahrgenommene politische Verfolgung, ohne dass diese objektiv betrachtet tatsächlich vorlag. Dabei geht er bereits davon aus, dass er eine „Facharbeiterausbildung“ absolviert habe. Dies ist aber nicht zutreffend. Denn der Kläger hat vielmehr lediglich einen Abschluss als sog. „Teilfacharbeiter“. Während der „Facharbeiter“ einen vollwertigen Abschluss seiner ausgebildeten Berufsausrichtung nach Abschluss der 10. Klasse erhielt, beschränkte sich die Ausbildung zum „Teilfacharbeiter“ nach dem Abschluss der 8. Klasse auf einen Ausschnitt aus der umfassenderen Vollausbildung des “Facharbeiters“, eben nur auf eine angelernte und nicht ausgelernte Ausbildung (vgl. nur: Bildungssystem in der DDR: https://de.wikipedia.org). Der Kläger wurde bereits aus der 7. Klasse entlassen (so in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 20.04.1979, Beiakte A), nachdem er zuvor eine Klasse wiederholen musste (so Lebenslauf vom 30.07.1979; Beiakte A). Die mindere Ausbildung vermittelt im Übrigen bereits die Begrifflichkeit „Teil“-Facharbeiter. Dementsprechend hat auch der Beklagte die berufliche Tätigkeit des Klägers von vornherein in die sog. Qualifikationsgruppe 5 (Angelernte und ungelernte Tätigkeiten), als unterste der in der Anlage 13 SGB VI enthaltenen Qualifikationsgruppen eingestuft (siehe dazu die in der mündlichen Verhandlung von dem Beklagten überreichte „Anlage 13 SGB VI: Definition der Qualifikationsgruppen“).
Die unterschiedlichen Ausbildungen erklärte auch der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge B.. Der Zeuge hat mit dem Kläger im Jahre 1975 im VEB Hydraulik S. nach Abschluss der 8. Klasse die „Teilfacharbeiterausbildung“ absolviert, dann aber die 10. Klasse und auch die „Facharbeiterausbildung“ nachgeholt. Demnach gab es einen qualitativen Unterschied beider Ausbildungen. Auf eine höherwertige Einstufung aufgrund von langjähriger Berufserfahrung kann es vorliegend nicht ankommen, weil der Kläger seine Arbeitsplatzbenachteiligungen bereits unmittelbar nach seiner Ausbildung im Jahre 1977 erfahren haben will.
Soweit der Kläger aus seiner heutigen Sicht seine berufliche Benachteiligung in dem Einsatz an der sog. „Waschmaschine“ sieht, belegt dies gerade nicht die gegen ihn gerichtete politische Verfolgung im Sinne des BerRehaG. Denn der Zeuge B. schilderte dem Gericht in seiner Vernehmung glaubhaft und glaubwürdig, dass auch er zur unliebsamen und schmutzigen Tätigkeit an der „Waschmaschine“ herangezogen wurde. Dabei habe es sich um eine große Maschine mit Düsen usw. zur Reinigung der Metallteile gehandelt. Der Zeuge bekundete, dass dafür derjenige eingesetzt wurde, der gerade Zeit hatte. Dass er nicht so oft dafür herangezogen wurde, mag mit seiner besseren Ausbildung zusammenhängen. Ebenso mag es sein, dass der Kläger öfter als andere und auch als Sanktion für unbotmäßiges Verhalten zum Einsatz an der „Waschmaschine“ verwendet wurde. Darin liegt aber noch keine bewusste politische Verfolgung im Sinne des BerRehag. Denn nach der glaubhaften Zeugenaussage ist davon auszugehen, dass auch diese Tätigkeit zu dem Aufgabenbereich und der Ausbildung des Klägers gehörte. Von einer Nichtausübung seines durch eine berufsbezogene Ausbildung angestrebten Berufs im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG kann daher keine Rede sein.
Auch soweit der Zeuge in der mit dem klägerischen Schriftsatz vom 15.07.2021 von ihm unterschrieben Erklärung vom 02.07.2021 (Bl. 131 R GA) mitteilte, dass der Kläger öfters zur Kaderabteilung musste und „als er wiederkam er ganz komisch [war] und [er] erzählte nicht mehr“, ist dies mangels Detailreichtums kein Beleg für eine politische Verfolgung im Sinne des BerRehaG. Dazu darf das Gericht bemerken, dass dieser Text – wie der Zeuge bekundete – vom Kläger verfasst und dem Zeugen zur Unterschrift vorgelegt wurde. Schließlich konnte der Zeuge diese Aussage bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht weiter beleuchten. Im Gegenteil bekundete er, dass „viele hoch [mussten] und die haben dann dort geschimpft“. Greifbare Anhaltspunkte für die vom Kläger gesehene politische Verfolgung im Sinne des BerReahG konnte der Zeuge nicht liefern. Weder konnte er eine regimekritische Betätigung des Klägers, sei es durch Worte, Taten, Aktionen oder sonstige Tätigkeiten bekunden noch über als Verfolgung zu wertende Eingriffe in die Berufsausübung berichten. Allein die Äußerung des Zeugen, „ab und zu hat Herr C. schon was gesagt, er war ja auch im Recht“, genügt dafür zur Überzeugung des Gerichts nicht für die vom Kläger vermutete politische Verfolgung.
Zu den Angaben des Klägers, er habe sich dahingehend geäußert, dass es „eine Sklaverei sei und ein Scheißladen“, es sei „schlimmer als bei der Stasi“, „man werde behandelt wie im KZ“ und er vom Kaderleiter ermahnt worden sei, „man könne auch anders“, ist zu bemerken, dass diese Angaben erst in der mündlichen Verhandlung und nach intensiver Befragung des Klägers getätigt wurden. Insoweit handelt es sich um ein gesteigertes Vorbringen, sodass das Gericht bereits Zweifel daran hat, dass diese Aussagen tatsächlich vor 44 Jahren so gefallen sind. Denn dann wäre mit Sicherheit davon auszugehen, dass der Kläger in das Visier der Staatssicherheit gelangt wäre, wofür aber keine Anhaltspunkte bestehen. Im Gegenteil ergab die vom Beklagten und dem Gericht vorgenommene Recherche bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, dass dort keine entsprechenden Unterlagen, wie Observationsberichte oder auch nur Aktenvermerke über das Verhalten des Klägers am Arbeitsplatz oder überhaupt in der Republik vorhanden sind. Dort sind nur die Geschehnisse bezüglich der Inhaftierung des Klägers vorhanden (vgl. Auskunft v. 29.06.2020; Bl. 46 GA und Beiakte A). Vielmehr ergibt sich aus diesen Unterlagen, dass der Kläger keinerlei Bezugnahme auf Probleme am Arbeitsplatz im Jahre 1977/78 verlautbarte. In dem von ihm gefertigten Lebenslauf vom 30.07.1979 berichtet er, dass er 1978 sein Arbeitsverhältnis mit der Hydraulik aufgelöst und im Spezialbau M. als Dachdecker angefangen habe. Ebenso äußert er sich in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 20.04.1979. Auch in dem „Führungsbericht“ vom 10.10.1979 zur vorzeitigen Haftentlassung des Klägers finden sich keinerlei Hinweise auf vorangegangene Probleme am Arbeitsplatz oder regime- und staatsfeindliche Äußerungen des Klägers. Dies erst recht, wenn der Kläger behauptet, einen Ausreiseantrag gestellt zu haben. Hat er die Stellung eines Ausreiseantrages in seinem Antrag auf berufliche Rehabilitierung noch erwähnt, verliert er in den folgenden behördlichen und gerichtlichen Erklärungen kein Wort darüber und greift dies erst in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage durch das Gericht wieder auf, wobei er diesen in der Haft gestellt haben will. Das Gericht schenkt dem daher keinen Glauben, wofür auch die fehlende Angabe in der Stasi-Akte des Klägers spricht.
Schließlich belegt der vom Kläger geschilderte Verlust seiner Stundenzettel kein Verfolgungsschicksal. Denn auch hierzu bekundete der Zeuge, dass „diese oft nicht da“ waren und „geklaut“ wurden, „weil jeder die Minuten brauchte.“ Belegt dies doch eher das unkollegiale Verhalten untereinander aufgrund der für alle Kollegen geltenden Erhöhung der Schlagzahl und nicht eine politische Verfolgung.
Letztendlich ist das Gericht der Überzeugung, dass die Eigenkündigung des Klägers im VEB Hydraulik S. nicht verfolgungsbedingt geschah. Bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung liegt ein rehabilitierungsfähiger Eingriff in den Beruf nur vor, wenn der Betroffene damit einer von Arbeitgeberseite drohenden, politisch motivierten Kündigung oder einer sonstigen Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG zuvorkommen wollte, die seine politische Benachteiligung bezweckte. Kein rehabilitierungsfähiger Eingriff in den Beruf liegt vor, wenn der Betroffene mit der Kündigung auf eine Benachteiligung auf anderem Gebiet reagiert hat (BVerwG, Beschluss vom 05. Dezember 2007 – 3 B 47/07 –, Rn. 5, juris). Davon geht das Gericht aus. Der Kläger war zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der Eigenkündigung im September/Oktober 1978 gerade 18jährig geworden und dürfte sich damit in einer schwierigen Lebensphase befunden haben, wofür auch spricht, dass der Kläger im April 1979 das ihm vorgehaltene Rowdytum unter Alkoholeinfluss verübt hat. Es ist daher lebensnah anzunehmen, dass der Kläger sich den aus vielerlei Gründen bestandenen schlechten und unkollegialen Arbeitsbedingungen entziehen wollte; mag man dem Kläger dies auch „nahe gelegt haben“, spricht dies allein noch nicht für eine verfolgungsbedingte Kündigung.
b.) Fehlt es somit an einer politischen Verfolgung im Sinne des BerRehaG vor der Inhaftierung des Klägers, setzte sich eine solche auch nicht nach der Haftentlassung fort bzw. wurde auch nicht ab diesem Zeitraum begründet.
Die vom Kläger vorgetragenen staatlichen und betrieblichen Kontrollmaßnahmen waren Teil des staatlichen Eingliederungs- und Kontrollprograms, ohne dass diese selbst aber zu einer Verfolgung im Sinne des BerRehaG führen. Entscheidend ist, dass der Kläger vor wie nach seiner als Verfolgung anerkannten Inhaftierung eine sozial gleichwertige berufliche Tätigkeit wahrgenommen hat. In dem “Führungsbericht“ vom 10.10.1979 (Anlage 8, Bl. 26 Beiakte A) heißt es, dass das Arbeitsverhältnis mit dem ehemaligen Betrieb Spezialbau M. noch bestehe und er dort wieder die Tätigkeit eines Dachdeckers aufnehmen möchte. Nichts anderes ergibt sich aus seinem „Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung“.
Der Gesetzgeber hat die Schutzwirkung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes auf Eingriffe in eine verfestigte berufsbezogene Position beschränkt. Dies sind nur Eingriffe in eine begonnene, tatsächlich ausgeübte Berufstätigkeit oder Fälle der Verhinderung, einen erlernten Beruf auszuüben oder eine Ausbildung abzuschließen. Das lässt eine Berücksichtigung bloß hypothetischer Karrieremöglichkeiten nicht zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1998 – 3 C 25.97 – Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 11 S. 20; Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 3 PKH 6.10 – juris Rn. 5). Maßnahmen der DDR, durch die einem Einstellungsbewerber der Zugang zu einer neuen – berufsadäquaten – Tätigkeit verwehrt worden ist, sind als sogenannte Aufstiegsschäden einzuordnen und stellen keine berufliche Benachteiligung im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2010 – 3 B 11.10 – ZOV 2010, 234 <235>). Danach erstreckt sich die Schutzwirkung des § 1 Abs. 1 BerRehaG nicht auf Fälle, in denen ein Beruf lediglich im Sinne einer sozialen Wahrscheinlichkeit angestrebt wurde, ohne dass eine entsprechende Ausbildung begonnen oder der Beruf tatsächlich ausgeübt worden wäre (BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 8 PKH 10/19 –, Rn. 6 – 7, juris; ständige Rechtsprechung: vgl. nur zuletzt: BVerwG, Beschl. v. 05.05.2020, 8 B 83.19 und 8 B 6.20: alle juris).
Ein verfolgungsrelevanter Eingriff in den Beruf ist deshalb nicht feststellbar. Das Gericht darf zur weiteren Begründung ergänzend auf den streitbefangenen Bescheid verweisen und sich den dortigen Ausführungen anschließen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
2.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Entscheidung ist nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG nicht mit der Berufung oder Beschwerde anfechtbar. Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegt.
Mangels weiterer Anhaltspunkte erfolgte die Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 2 GKG in Höhe des Regelwertes.


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