Arbeitsrecht

für die Bayerischen (Erz-)Diözesen

Aktenzeichen  2 MV 22/19

Datum:
29.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50858
Gerichtsart:
Kirchliches Arbeitsgericht
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Kirchengerichte
Normen:

 

Leitsatz

Zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 27b Abs. 1 MAVO Augsburg durch Beschluss der Gesamtmitarbeitervertretung bzw. der erweiterten Gesamtmitarbeitervertretung ist das Einvernehmen mit dem Dienstgeber nicht erforderlich. Der Dienstgeber kann der Bildung des Wirtschaftsausschusses auch nicht widersprechen.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Gesamtmitarbeitervertretung der Stiftung A. am 03.06.2019 einen Wirtschaftsausschuss nach § 27b der Mitarbeitervertretungsordnung für die Diözese Augsburg gebildet hat.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Auslagen der Klägerin, auch für die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten, zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Feststellungsklage hat Erfolg.
I.
Die vorliegende Entscheidung des Kirchlichen Arbeitsgerichts ergeht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 KAGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
II.
Die Klage ist zulässig.
1. Die sachliche Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 2 der Kirchlichen Arbeitsgerichtsordnung (KAGO). Dem vorliegenden Verfahren liegt ein Rechtsstreit aus der Mitarbeitervertretungsordnung für die Diözese Augsburg (MAVO Augsburg – im Folgenden kurz MAVO genannt) zugrunde. Die klagende Gesamtmitarbeitervertretung und der beklagte Dienstgeber streiten darüber, ob die Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 27b MAVO Augsburg nur im Einvernehmen mit dem Dienstgeber erfolgen kann.
Das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-)Diözesen ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KAGO örtlich zuständig, weil die Beklagte ihren Sitz in dessen Dienstbezirk hat.
2. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 Abs. 1 der Zivilprozess ordnung (ZPO) in Verbindung mit § 46 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) und § 27 KAGO an einer alsbaldigen antragsgemäßen Feststellung.
Der Klageantrag wird vom Kirchlichen Arbeitsgericht unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivorbringens dahingehend ausgelegt, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass allein durch ihren am 03.06.2019 gefassten Beschluss ein Wirtschaftsausschuss rechtswirksam gebildet worden ist.
Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Einrichtungspartnern darüber, ob in einem Unternehmen oder einer Einrichtung zu Recht ein Wirtschaftsausschuss gebildet worden ist, kann dies durch einen entsprechenden Feststellungsantrag im Rahmen eines kirchengerichtlichen Verfahrens zum kollektiven Arbeitsrecht geklärt werden (vgl. Gemeinsames Kirchliches Arbeitsgericht erster Instanz für die [Erz-]Bistümer Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz, Hamburg, Hildesheim, Magdeburg, Osnabrück und den Oldenburgischen Teil des Bistums Münster [GKAG Hamburg] 17. Oktober 2019 – I MAVO 7/19 – sowie zum weltlichen Recht Bundesarbeitsgericht 15. März 2006 – 7 ABR 24/05 – mit weiteren Nachweisen).
Die Beklagte hat die rechtswirksame Bildung eines Wirtschaftsausschusses ausdrücklich in Abrede gestellt. Mit der Entscheidung über die Feststellungsklage kann hier geklärt werden, ob bereits ein Wirtschaftsausschuss gebildet worden ist oder nicht oder noch gebildet werden kann.
3. Der – nach Ansicht der Klägerin bereits rechtswirksam gebildete – Wirtschaftsausschuss ist an dem Verfahren weder nach § 8 Abs. 2 KAGO zu beteiligen noch nach § 9 KAGO beizuladen.
Der Wirtschaftsausschuss nach § 27b MAVO übt lediglich Hilfsfunktionen für die Gesamtmitarbeitervertretung aus. Er hat keine eigenen Entscheidungsbefugnisse. Diese sind der Gesamtmitarbeitervertretung vorbehalten. Auch Meinungsverschiedenheiten etwa über Auskunftspflichten gegenüber dem Wirtschaftsausschuss sind nicht vom Wirtschaftsausschuss selbst, sondern von der Gesamtmitarbeitervertretung mit der Einrichtung auszutragen. Wegen dieser Hilfsfunktion des Wirtschaftsausschusses berührt die Entscheidung darüber, ob die kirchengesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung eines Wirtschaftsausschusses gegeben sind, nur die Rechtsstellung der Gesamtmitarbeitervertretung, nicht jedoch die Rechtsposition des Wirtschaftsausschusses (vgl. GKAG Hamburg 17. Oktober 2019 – I MAVO 7/19 – sowie zum weltlichen Recht Bundesarbeitsgericht 15. März 2006 – 7 ABR 24/05 -).
III.
Die zulässige Klage ist mit dem Feststellungsantrag auch begründet.
Nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Kirchlichen Arbeitsgerichts (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 KAGO) hat die Klägerin am 03.06.2019 rechtswirksam einen Wirtschaftsausschuss nach § 27b MAVO gebildet.
Das Einvernehmen mit der Beklagten ist hierfür nicht erforderlich. Die Beklagte kann der Bildung des Wirtschaftsausschusses auch nicht widersprechen.
1. Das Kirchliche Arbeitsgericht für die Bayerischen (Erz-)Diözesen schließt sich bei der Entscheidung der anstehenden Rechtsfrage der Auffassung des Gemeinsamen Kirchlichen Arbeitsgerichts erster Instanz für die (Erz-)Bistümer Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz, Hamburg, Hildesheim, Magdeburg, Osnabrück und den Oldenburgischen Teil des Bistums Münster (GKAG Hamburg) an.
a) Das GKAG Hamburg hat in seinem Urteil vom 17. Oktober 2019 – I MAVO 7/19 – auszugsweise Folgendes ausgeführt:
Nach § 27b Abs. 1 MAVO kann in Einrichtungen, deren Betrieb überwiegend durch Zuwendungen der öffentlichen Hand, aus Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit Kostenträgern oder Zahlungen sonstiger nichtkirchlicher Dritter finanziert wird, eine Gesamtmitarbeitervertretung oder erweiterte Gesamtmitarbeitervertretung gebildet wurde und diese mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter repräsentiert, ein Wirtschaftsausschuss gebildet werden.
Weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht. Insbesondere ist für die wirksame Bildung eines Wirtschaftsausschusses nicht das Einvernehmen mit der Beklagten erforderlich.
Durch § 27b MAVO ist der Aufbau kollektiver Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten abgeschlossen. Mit seiner Aufnahme hat der kirchliche Gesetzgeber die Informationsrechte der Mitarbeitervertretung in wirtschaftlichen Angelegenheiten vervollständigt, indem er die Beteiligungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz in diesem Punkt fast vollständig nachvollzogen hat. Ein Unterschied zum staatlichen Recht besteht (nur) darin, dass die Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 27b MAVO nicht zwingend vorgeschrieben ist.  Sie besteht als mögliche Alternative. Auch ist der Wirtschaftsausschuss grundsätzlich nicht der Mitarbeitervertretung, sondern der (erweiterten) Gesamtmitarbeitervertretung zugeordnet. Außerdem zielt die Pflicht zur Information nach § 27b in Verbindung mit § 27a MAVO nicht auf den Rechtsträger, sondern auf die Einrichtung. Die Norm ist angelehnt an § 27a MAVO. Die Auslegung der überwiegenden Fremdfinanzierung hat daher demselben Verständnis zu folgen. Die Dienstgemeinschaft soll einbezogen werden, weil im drittmittelfinanzierten Bereich aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein tendenziell höheres Arbeitsplatzrisiko besteht.
Die Errichtung eines Wirtschaftsausschusses erfordert kein Einvernehmen mit dem Dienstgeber; dieser kann der Bildung auch nicht widersprechen.
Ein anderes Verständnis folgt nicht aus dem Rechtsgedanken der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Diesem hat der Gesetzgeber bereits dadurch Rechnung getragen, dass er der Norm zwei Einschränkungen beigelegt hat. Zum einen hat er sie als „Kann“-Bestimmung formuliert und zum anderen ist die Bildung eines Wirtschaftsausschusses an die Voraussetzung geknüpft, dass die Einrichtung überwiegend fremdmittelfinanziert sein muss. Der Begriff der Dienstgemeinschaft ist nicht geeignet, Rechtspositionen, die der Bischof durch Inkraftsetzung einer novellierten Mitarbeitervertretungsordnung begründet hat, zu schmälern. Im Ergebnis könnten sonst nämlich mit dieser Begründung alle der Beteiligung unterliegenden Rechte der Mitarbeitervertretungen durch ein bestehendes Veto-Recht oder das Erfordernis eines (gedanklich hinzuzufügenden) Einvernehmens mit dem Dienstgeber in ihr Gegenteil verkehrt werden.
Der Dienstgeber wird auch nicht schutzlos gestellt. Der Hinweis auf die Nichtanwendbarkeit der staatlichen Norm zum Wirtschaftsausschuss (§ 106 BetrVG) auf Tendenzträger steht kirchenrechtlichen Vorschriften wie der vorliegenden nicht entgegen. Auch im staatlichen Bereich kann der Unternehmer auf einen bestehenden Tendenzschutz verzichten, wenn dieser sich aus einer caritativen oder erzieherischen Zwecksetzung ergibt. Außerdem spielt der Tendenzschutz in wirtschaftlichen Angelegenheiten nur eine untergeordnete Rolle, wenn die Finanzierung der Einrichtung durch nicht kirchliche Dritte erfolgt, was nach § 27b MAVO Voraussetzung für die Bildung eines Wirtschaftsausschusses ist.
Ebenfalls geht der Hinweis auf § 27a MAVO fehl. Die Vorschrift des § 27b MAVO unterscheidet sich von der des § 27a MAVO dadurch, dass der Wirtschaftsausschuss nicht nur der Information, sondern auch der gemeinsamen Beratung zwischen Dienstgeber und Wirtschaftsausschuss dient. Dadurch soll eine engere Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den Einrichtungsparteien ermöglicht werden. Gerade diese Doppelfunktion des Wirtschaftsausschusses zeigt, dass die Regelung über den Anwendungsbereich des § 27a MAVO hinausgeht. Anders als § 27a MAVO wird für die Errichtung eines Wirtschaftsausschusses grundsätzlich das Vorhandensein einer (erweiterten) Gesamtmitarbeitervertretung verlangt, die ihrerseits eine Mehrheitsentscheidung der Mitarbeitervertretung voraussetzt. Sie erfordert damit nicht mehr ein Einvernehmen mit dem Dienstgeber.
Der Wortlaut steht dem gefundenen Auslegungsergebnis nicht entgegen. Die Ausgestaltung der Norm als „Kann“-Bestimmung begründet das Erfordernis eines vorherigen Einvernehmens mit dem Dienstgeber nicht. Sie diente allein der Abgrenzung zum staatlichen Betriebsverfassungsrecht, welches die Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG zwingend vorschreibt: „muss … gebildet werden“. Hätte der kirchliche Gesetzgeber ein Einvernehmen mit dem Dienstgeber fordern wollen, hätte er das in der Norm mit verständlichen Worten ausgedrückt. Das ist ihm ohne weiteres möglich und wurde in der Vergangenheit entsprechend gehandhabt. Beispielsweise sah § 24 Abs. 1 MAVO a.F. (Bildung der Gesamtmitarbeitervertretung) ein Einvernehmen mit dem Dienstgeber ausdrücklich vor; die Norm lautete: „Bestehen bei einem Dienstgeber (§ 2) mehrere Mitarbeitervertretungen, so kann im Einvernehmen zwischen Dienstgeber und allen Mitarbeitervertretungen eine Gesamtmitarbeitervertretung gebildet werden“. Da eine entsprechende Formulierung in § 27b Abs. 2 MAVO für die Bildung des Wirtschaftsausschusses nicht aufgenommen wurde, ist davon auszugehen, dass auf ein Einvernehmen mit dem Dienstgeber verzichtet werden sollte.
b) Der in seinem Urteil vom 17. Oktober 2019 – I MAVO 7/19 – überzeugend begründeten Rechtsauffassung des GKAG Hamburg ist zu folgen.
Dafür spricht nicht nur, doch insbesondere die Argumentation mit § 24 Abs. 1 MAVO alter Fassung (a.F.). Hätte der kirchliche Gesetzgeber die Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 27b MAVO an das Einvernehmen mit dem Dienstgeber knüpfen wollen, hätte es nahe gelegen, in Anlehnung an § 24 Abs. 1 MAVO a.F. statt der Formulierung „kann … gebildet werden“ die Formulierung „kann im Einvernehmen mit dem Dienstgeber … gebildet werden“ zu wählen. Dies ist gerade nicht geschehen.
Soweit das weltliche Recht in § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bestimmt, dass die Vorschriften der §§ 106 bis 110 BetrVG über den Wirtschaftsausschuss in Tendenzbetrieben keine Anwendung findet, gibt dies für die Auslegung einer eigenständigen kirchengesetzlichen Regelung über die Voraussetzungen der Bildung eines Wirtschaftsausschusses nichts her. Gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG findet das staatliche Betriebsverfassungsrecht ohnehin keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.
c) Eine Rechtsunwirksamkeit der Bildung des Wirtschaftsausschusses aus anderen Gründen ist nicht ersichtlich.
Die Beschlussfassung zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach § 27b MAVO In der Sitzung der Klägerin vom 03.06.2019 erfolgte offenbar ordnungsgemäß. Auch die Beklagte hat diesbezüglich keine Zweifel begründenden Tatsachen vorgebracht.
IV.
Gerichtsgebühren werden nach § 12 Abs. 1 Satz 1 KAGO nicht erhoben.
Die Beklagte hat die notwendigen Auslagen der Klägerin, auch für die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten, zu tragen. Diese Kostenentscheidung beruht auf § 12 Abs. 1 Satz 2 KAGO in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Spiegelstrich 4 MAVO. Die Beauftra gung und Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts ist hier zur Wahrung der Rechte der Gesamtmitarbeitervertretung notwendig. Zum einen wirft die Auslegung und Anwendung des neuen § 27b MAVO durchaus rechtliche Probleme auf, zum anderen hat auch die Beklagte anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen.
V.
Die Revision wird nach § 47 Abs. 2 KAGO zugelassen.
Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 47 Abs. 2 Buchst. a) KAGO.
Auch das GKAG Hamburg hat in seinem zitierten Urteil vom 17. Oktober 2019 – I MAVO 7/19 – die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.


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