Arbeitsrecht

Geltendmachung eines finanziellen Ausgleichsanspruchs für über die regelmäßige Arbeitszeit erbrachte Dienststunden in einer Justizvollzugsanstalt

Aktenzeichen  AN 1 K 20.02699

Datum:
4.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 17468
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 87
BGB § 242

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollsteckbar. 
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Justizvollzugsanstalt … vom 2. Dezember 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids dieser Behörde vom 26. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Rechtsanspruch auf Vergütung der im Zeitraum von …2017 bis …2018 über die regelmäßige Dienstzeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden.
Ein solcher ergibt sich weder aus Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG i.V.m. Art. 61 Abs. 1 BayBesG (dazu I.) noch aus einer analogen Anwendung dieser Vorschriften (dazu II.). Ebenso wenig ergibt sich ein Anspruch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (dazu III.) oder aus einer anderen nationalen oder unionsrechtlichen Anspruchsgrundlage (dazu IV.).
I.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung der über die regelmäßige Dienstzeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden aus Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG i.V.m. Art. 61 Abs. 1 BayBesG.
Gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 1 BayBG sind Beamte und Beamtinnen verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Werden sie durch dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren (Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG). Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können an ihrer Stelle Beamte und Beamtinnen in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern eine Vergütung erhalten (Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG).
Gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 BayBesG setzt eine Vergütung nach Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG voraus, dass sich die angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit auf konkrete, zeitlich abgrenzbare und messbare Dienste bezieht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Mehrarbeit der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamts oder, soweit ihm ein Amt nicht verliehen ist, zur Erfüllung der einem Hauptamt entsprechenden Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus – d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs – verrichtet. Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten Mehrarbeitsstunden bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll. Rechtmäßige Mehrarbeit darf nur verfügt oder erteilt werden, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Danach zeichnet sich Mehrarbeit – neben der Notwendigkeit einer (zwangsläufig) individuellen Ermessensentscheidung, ob überhaupt, und falls ja, von wem Mehrarbeit zu leisten ist – vor allem dadurch aus, dass sie auf Ausnahmefälle beschränkt ist und über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgeht (BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 2 C 40/17 – juris Rn. 13 f. m.w.N.).
Bei Zugrundelegung dieser Maßgaben handelt es sich bei den vom Kläger unstreitig im Zeitraum von …2017 bis …2018 über die regelmäßige Dienstzeit hinaus geleisteten 176 Arbeitsstunden nicht um angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit im Sinne des Art. 87 Abs. 2 BayBG.
Der Kläger hat vorliegend über einen längeren Zeitraum hinweg ohne konkrete zeitliche Begrenzung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst geleistet, was mit dem Ausnahmecharakter der Mehrarbeit nach Art. 87 Abs. 2 Satz 1 BayBG nicht zu vereinbaren ist. Eine für die Anordnung von Mehrarbeit erforderliche einzelfallbezogene Entscheidung im oben beschriebenen Sinne hat der Beklagte vorliegend nicht getroffen. Insbesondere ist in der bloßen Aufstellung eines Dienstplans keine Anordnung von Mehrarbeit zu sehen, selbst wenn dieser zwingend zu einer Überschreitung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit führen musste (VG Bayreuth, U.v. 25.10.2016 – B 5 K 15.570 – juris Rn. 32) und der höhere Dienstvorgesetzte Kenntnis von der Einteilung hat (VG Augsburg, B.v. 14.2.2019 – Au 2 K 18.961 – juris Rn. 33 m.w.N.). Dass die Einteilung in den Dienstplan für den Kläger zwingend und aufgrund des bestehenden Personalengpasses zur Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Betriebs der Justizvollzugsanstalt erforderlich gewesen sein mag, ändert daran nichts. Die Aufstellung eines Dienstplans stellt allenfalls eine innerdienstliche Weisung dar, überhaupt Dienst zu tun, nicht aber eine Anordnung, Mehrarbeit zu leisten (OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 44). Ebenso wenig begründet allein die Kenntnis des Dienstherrn, dass ein Beamter über einen langen Zeitraum hinweg erhebliche Überstunden geleistet hat, eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit (vgl. BayVGH, B.v. 10.5.2019 – 3 ZB 17.275 – juris Rn. 6). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer nachträglichen Genehmigung der von ihm geleisteten Überstunden als Mehrarbeit (BayVGH, B.v. 10.5.2019 – 3 ZB 17.275 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die vom Dienstherrn zu treffende Ermessensentscheidung kann nur in einem relativ engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den die Mehrarbeit rechtfertigenden Umständen sachgerecht getroffen werden, so dass eine über einen längeren Zeitraum hinweg anfallende ständige Zuvielarbeit nicht nachträglich als Mehrarbeit genehmigt werden kann (BayVGH, B.v. 10.5.2019 – 3 ZB 17.275 – juris Rn. 6).
Da somit bereits der Anwendungsbereich des Art. 87 BayBG im vorliegenden Fall nicht eröffnet ist, kommt es auf die Frage, ob die nach Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG vorrangige Dienstbefreiung im Fall des Klägers aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich war (Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG), nicht mehr an.
II.
Eine analoge Anwendung von Art. 87 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BayBG i.V.m. Art. 61 Abs. 1 BayBesG auf Fälle, in denen der Dienstherr den Beamten über eine lange Zeitspanne hinweg rechtswidrig zum Dienst über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus heranzieht, scheidet aus (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2003 – 2 C 28/02 – juris Rn. 20 f. zu § 72 Abs. 2 und 3 BBG in der bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung; OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 52 zu § 61 LBG NRW). Es fehlt die für eine Analogie erforderliche vergleichbare Interessenlage. Die Regelung des Art. 87 Abs. 2 BayBG ist auf Mehrarbeit im oben beschriebenen Sinne zugeschnitten. Diese darf nur für kurze Zeit und nur in Ausnahmefällen angeordnet werden. Dementsprechend zeigt die Festlegung der Zeitspanne, innerhalb derer die Mehrarbeit auszugleichen ist, einerseits, dass der Gesetzgeber die Ansammlung von Freizeitausgleichsstunden in größerer Zahl im Interesse eines kontinuierlichen Dienstbetriebs vermieden wissen will. Andererseits ist der innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmende Ausgleich auch ein Hinweis darauf, dass die vorgesehene Kompensation mit dem Ausnahmecharakter der auszugleichenden Mehrarbeit zusammenhängt: Die alsbaldige Realisierung des Ausgleichs soll eine rasche Rückkehr zur Normalität des Dienstablaufs möglich machen (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2003 – 2 C 28/02 – juris Rn. 20 f. zu § 72 Abs. 2 und 3 BBG in der bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung). In den Fällen einer beständigen Zuvielarbeit, die keine angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit darstellt, ist der Beamte zumindest dem Grunde nach auch nicht rechtlos gestellt. In solchen Fällen kann – vorbehaltlich des Vorliegens der Voraussetzungen – ein beamtenrechtlicher Ausgleichsanspruch nach Treu und Glauben bestehen (dazu III.).
III.
Ein Anspruch des Klägers auf finanziellen Ausgleich der über die regelmäßige Dienstzeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden ergibt sich auch nicht aus dem auf den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB gestützten beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch.
1. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Ausgleichsanspruch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben. Zieht der Dienstherr Beamte über die regelmäßige Dienstzeit hinaus zum Dienst heran, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt sind, so ist diese Inanspruchnahme rechtswidrig. Die Beamten haben einen Anspruch darauf, dass sie unterbleibt. Das Gesetz enthält keine Regelung der Konsequenzen, die eintreten, wenn der Dienstherr diese Unterlassungsverpflichtung verletzt. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass die rechtswidrige Festlegung einer Arbeitszeit, die über die normativ zulässige Arbeitszeit hinausgeht, ohne Folgen bleibt. Eine ohne jeden Ausgleich bleibende Mehrbeanspruchung des Beamten über einen langen Zeitraum würde Grundwertungen widersprechen, die in den Vorschriften des beamtenrechtlichen Arbeitszeitrechts zum Ausdruck kommen. Ein Wertungswiderspruch bestünde insbesondere zu den Regelungen über die Mehrarbeit, die – wie Art. 87 Abs. 2 BayBG – bei einer über die Wochenarbeitszeit hinausgehenden Beanspruchung in der Form kurzzeitiger Mehrarbeit von mehr als fünf Stunden pro Monat einen Freizeitausgleich vorsehen.
Auch wenn Art. 87 BayBG auf Fälle einer rechtswidrigen Heranziehung zu Zuvielarbeit nicht entsprechend anwendbar ist, lässt die Vorschrift doch erkennen, dass Überschreitungen der regelmäßigen Arbeitszeit den Beamten nicht prinzipiell ohne jeglichen Ausgleich durch Dienstbefreiung zugemutet werden sollen. Eine kompensationslose Benachteiligung der mehrbeanspruchten Beamten wäre zudem mit dem sozialen Zweck der Arbeitszeitregelung einschließlich des Ausgleichs der Überbeanspruchung durch Dienstbefreiung schwerlich vereinbar. Art. 87 BayBG ist deshalb nach Treu und Glauben in einer Weise zu ergänzen, welche die beiderseitigen Interessen zu einem billigen Ausgleich bringt und dabei dem Sinn und Zweck der Arbeitszeitregelung gerecht wird. Dies bedeutet, dass Beamte, die Dienst mit einer rechtswidrig festgesetzten Wochenstundenzahl leisten mussten, Anspruch auf eine angemessene Dienstbefreiung haben (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2003 – 2 C 28/02 – juris Rn. 20 f. zu § 72 Abs. 2 und 3 BBG in der bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung; OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 52 zu § 61 LBG NRW).
2. Allerdings kann sich der Kläger vorliegend auf einen solchen beamtenrechtlichen Ausgleichanspruch nicht berufen. Denn unabhängig davon, ob die Zuvielarbeit rechtswidrig gewesen ist, hat der Kläger diese jedenfalls nicht schriftlich gerügt.
a) Voraussetzung für einen finanziellen Ausgleichsanspruch wegen rechtswidriger Zuvielarbeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass er vom Beamten zuvor zumindest in Form einer Rüge geltend gemacht worden ist. Auszugleichen ist demnach (nur) die rechtswidrige Zuvielarbeit, die ab dem auf die erstmalige schriftliche Geltendmachung folgenden Monat geleistet worden ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, B.v. 2.4.2019 – 2 B 43/18 – juris Rn. 10; U.v. 20.7.2017 – 2 C 31/16 – juris Rn. 43; v. 17.11.2016 – 2 C 28/15 – juris Rn. 12; v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – juris Rn. 25; v. 26.7.2012 – 2 C 29/11 – juris Rn. 26; v. 29.9.2011 – 2 C 32/10 – juris Rn. 19).
Hierzu führt das Bundesverwaltungsgericht aus: Ansprüche, deren Festsetzung und Zahlung sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, bedürfen einer vorherigen Geltendmachung. Denn hier ist eine vorgängige Entscheidung über Grund und Höhe der begehrten Zahlung erforderlich. Für Ansprüche wegen rechtswidriger Zuvielarbeit gilt dies in besonderer Weise. Diese sind nicht primär auf die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs gerichtet, sondern auf die Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Durch den Hinweis des Beamten ist daher zunächst eine Prüfung seines Dienstherrn veranlasst, ob eine Änderung der Arbeitszeitgestaltung erforderlich ist und ob eine rechtswidrige Zuvielarbeit – etwa durch Anpassung der maßgeblichen Dienstpläne – vermieden oder durch die Gewährung von Freizeitausgleich kompensiert werden kann. Ohne entsprechende Rüge muss der Dienstherr nicht davon ausgehen, jeder Beamte werde die Überschreitung der aktuellen Arbeitszeitregelung beanstanden. Auch hinsichtlich der möglichen finanziellen Ausgleichspflicht hat der Dienstherr ein berechtigtes Interesse daran, nicht nachträglich mit unvorhersehbaren Zahlungsbegehren konfrontiert zu werden (BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – juris Rn. 27 f.). Insofern folgt die Rügeobliegenheit aus der allgemein bei Rechtsverletzungen geltenden Schadensminderungspflicht des Gläubigers. Sie ist zugleich Ausdruck des Grundsatzes, dass Beamte auf die finanziellen Belastungen des Dienstherrn und dessen Gemeinwohlverantwortung Rücksicht nehmen müssen (BVerwG, U.v. 26.7.2012 – 2 C 29/11 – juris Rn. 28). Der Beamte wird durch das Erfordernis der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs gegenüber seinem Dienstherrn auch nicht unzumutbar belastet. Denn an die Rüge des Berechtigten sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, wenn sich aus der schriftlichen Äußerung ergibt, dass der Beamte die wöchentliche Arbeitszeit für zu hoch festgesetzt hält. Weder ist ein Antrag im rechtstechnischen Sinne erforderlich noch muss Freizeitausgleich, hilfsweise finanzieller Ausgleich, beantragt oder der finanzielle Ausgleich konkret berechnet werden (BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – juris Rn. 29).
b) Unter diesen Maßgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf finanziellen Ausgleich seiner zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden. Er hat die Zuvielarbeit nicht gerügt. Unabhängig davon, ob das Schreiben des Klägers vom 18. Dezember 2018 mit dem Betreff „Antrag auf Auszahlung meiner Überstunden/Mehrarbeit“ beim Beklagten eingegangen ist, stellt dieses jedenfalls keine rechtzeitige Rüge der geleisteten Zuvielarbeit im streitgegenständlichen Zeitraum dar. Denn wie oben ausgeführt, ist nur die Zuvielarbeit auszugleichen, die nach der schriftlichen Geltendmachung geleistet worden ist.
c) Die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte schriftliche Rüge war im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (so aber das VG Düsseldorf in einem ähnlich gelagerten Fall, U.v. 4.5.2016 – 13 K 5760/15 – juris Rn. 53 ff.).
Soweit der Kläger vorträgt, dass dem Dienstherrn der Personalengpass und das deshalb erforderliche Ableisten von Überstunden bewusst gewesen sei, macht dies die Rüge nicht entbehrlich. Denn Sinn und Zweck der Rüge ist es nicht, den Dienstherrn über die Zuvielarbeit in Kenntnis zu setzen, sondern vielmehr diesen zur Prüfung einer Abhilfemöglichkeit zu veranlassen (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – juris Rn. 28; OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 67). Der Verstoß gegen Treu und Glauben liegt demnach nicht schon in dem Herbeiführen oder Dulden von Zuvielarbeit, sondern erst darin, dass der Dienstherr auf eine entsprechende Rüge hin weder den rechtswidrigen Zustand abstellt noch Freizeitausgleich gewährt (vgl. OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 66). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach dem Vortrag des Klägers der Dienstherr selbst die Dienstpläne unter Heranziehung von Überstunden aufgestellt hat, um den Personalengpass aufzufangen. Denn der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch nach Treu und Glauben setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (lediglich) eine rechtswidrige Zuvielarbeit und eine Rüge voraus, nicht hingegen eine weitere Abwägung. Es kommt daher auch nicht darauf an, wer für bestehende rechtswidrige Zustände (mit-)verantwortlich ist (OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 66).
Ebenso wenig kann der Kläger mit dem Einwand durchdringen, dass der Dienstherr aufgrund der Personalsituation gar nicht in der Lage gewesen wäre, die Dienstpläne anzupassen, weswegen in einer solchen Situation die Rügeobliegenheit zur bloßen Förmelei verkomme. Die Rüge soll dem Dienstherrn gerade die Möglichkeit zur Prüfung geben, ob und inwieweit eine rechtswidrige Zuvielarbeit vermieden oder durch Dienstbefreiung ausgeglichen werden kann. Ob der Dienstherr tatsächlich eine solche Prüfung vornimmt bzw. zu welchem Ergebnis diese Prüfung führt, ist allein dem Dienstherrn vorbehalten. Erst wenn dieser den Beamten trotz Rüge (weiterhin) zur Zuvielarbeit heranzieht und keinen Freizeitausgleich gewährt, muss er einen Ausgleich in finanzieller Form leisten. In einem solchen Fall kann sich der Dienstherr dann nicht mehr darauf berufen, dass ein finanzieller Ausgleich nicht vorgesehen sei (OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 63). Ohne einen entsprechenden Hinweis muss der Dienstherr jedoch gerade nicht davon ausgehen, dass jeder Beamte die Überschreitung der Regelarbeitszeit beanstanden wird. Dies gilt umso mehr, als die betreffenden Beamten in der Regel durchaus ein Interesse daran haben, durch den Aufbau von Überstunden einen neben dem Urlaubsanspruch bestehenden Freizeitausgleich zu gewinnen. Hätte der Kläger die Zuvielarbeit rechtzeitig gerügt, hätte der Beklagte zumindest die Möglichkeit gehabt, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, um einen Ausgleich für die Zuvielarbeit gewähren zu können. Ob ein Freizeitausgleich angesichts einer angespannten Personalsituation überhaupt möglich wäre, kann nicht im Voraus vom Beamten beurteilt werden, sondern unterliegt allein einer Prüfung des Dienstherrn, welche diesem durch die Rüge aber überhaupt erst ermöglicht werden muss. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es nach dem Vortrag des Beklagten in den letzten Jahren innerhalb der Justizvollzugsanstalt … durchaus gelungen ist, die in den Vorjahren angefallenen Überstunden abzubauen.
Selbst wenn im vorliegenden Fall – wie der Kläger vorträgt – tatsächlich bereits bei der Aufstellung der Dienstpläne klar gewesen sein sollte, dass eine Dienstbefreiung nicht zeitnah gewährt werden kann, wäre eine Rüge des Klägers deshalb nicht entbehrlich, sondern vielmehr erst recht angezeigt gewesen. Ohne Rüge trägt der Beamte das Risiko, dass ein Freizeitausgleich aufgrund einer Erkrankung oder der Versetzung in den Ruhestand, mithin also aus persönlichen Gründen nicht mehr gewährt werden kann und ein finanzieller Ausgleich mangels Rüge ebenfalls ausscheidet. Unter diesem Blickwinkel besteht auch kein schützenswertes Vertrauen des Beamten dahingehend, dass der Dienstherr ihn nicht ohne Freizeitausgleich oder Vergütung zum Dienst heranziehen wird.
Den bereits erörterten Sinn und Zweck der Rüge zugrunde gelegt, geht auch der Einwand des Klägers fehl, es handele sich um ein widersprüchliches Verhalten des Dienstherrn, wenn er wegen einer bestehenden Personalknappheit wie selbstverständlich verbindliche Dienstpläne unter Rückgriff auf eine Zuvielarbeit des Klägers anordne, sich im Fall der Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs aber darauf zurückziehen wolle, dass eine schriftliche Rüge des Beamten hätte erfolgen müssen. Wie bereits ausgeführt, muss der Dienstherr ohne eine Rüge nicht von einer Missbilligung der Zuvielarbeit durch jeden Beamten ausgehen. Insofern würde es vielmehr umgekehrt eine unzulässige Ausübung eines „dulde und liquidiere“ darstellen, wenn der Beamte einerseits eine rechtswidrige Zuvielarbeit über einen langen Zeitraum hinweg ohne Beanstandung hinnimmt und andererseits dann, wenn ein Freizeitausgleich nicht mehr gewährt werden kann, einen finanziellen Ausgleich begehrt (vgl. OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 61). Wie der Ausgleichsanspruch im Rahmen einer Mehrarbeit ist auch der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch zunächst nur auf eine Dienstbefreiung gerichtet. Nur wenn eine solche nicht möglich ist, kommt ein finanzieller Ausgleich in Betracht. Dem Beamten steht also gerade kein Wahlrecht zwischen dem Freizeitausgleich und einem Ausgleich in Geld zu (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – juris Rn. 39; OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 61). Vor diesem Hintergrund ist ein widersprüchliches Verhalten des Beklagten nicht erkennbar.
Im vorliegenden Fall kann auch nicht deshalb etwas anderes gelten, weil die eingetretene Dienstunfähigkeit des Klägers auf einem Dienstunfall beruht. Wie bereits ausgeführt, ist eine weitere Abwägung für den beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vorgesehen. Die Rügeobliegenheit besteht unabhängig davon, weshalb die Gewährung von Freizeitausgleich nicht (mehr) möglich war. Dies liegt darin begründet, dass im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit die Zuvielarbeit bereits vor ihrer Verrichtung beanstandet werden muss, um bei Nichtgewährung einer Dienstbefreiung einen finanziellen Ausgleichanspruch geltend machen zu können. Hat ein Beamter ohne vorherige Beanstandung Zuvielarbeit geleistet, kann es für die Frage, ob ein finanzieller Ausgleichanspruch besteht, demnach nicht darauf ankommen, aus welchen Gründen die Gewährung von Freizeitausgleich nicht möglich war. Unter diesem Blickwinkel können etwaige Billigkeitserwägungen trotz der dem Fall zugrunde liegenden Tragik des Einzelschicksals des Klägers keine Berücksichtigung finden.
IV.
Auch eine andere Rechtsgrundlage, aus der sich ein Anspruch des Klägers auf finanziellen Ausgleich ergeben könnte, ist nicht ersichtlich.
1. Ein Anspruch ergibt sich nicht aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 45 BeamtStG, da eine hierfür erforderliche Verletzung in ihrem Wesenskern durch eine unzumutbare Belastung des Klägers nicht ersichtlich ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2003 – 2 C 28/02 – juris Rn. 16; OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 71 f. m.w.N.)
2. Ein Schadensersatzanspruch scheidet ebenfalls aus, da es an einem zu ersetzenden Schaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB fehlt. Der zur Leistung zusätzlichen Dienstes erbrachte zeitliche Aufwand und der damit verbundene Verlust von Freizeit stellt keinen durch Geld zu ersetzenden materiellen Schaden dar (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2003 – 2 C 28/02 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 10.5.2019 – 3 ZB 17.275 – juris Rn. 10; OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 73).
3. Auch im Wege eines Folgenbeseitigungsanspruchs kann der Kläger einen finanziellen Ausgleich nicht verlangen. Ein solcher ist lediglich auf die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands, nicht aber auf die Gewährung einer finanziellen Entschädigung gerichtet (vgl. OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 74 f. m.w.N).
4. Ebenso wenig ergibt sich ein Anspruch aus einem auf dem Bereicherungsrecht beruhenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Die zusätzliche Arbeitsleistung des Klägers stellt keine rechtsgrundlos erlangte Bereicherung des Dienstherrn dar, da die Besoldung nicht in einem unmittelbaren Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung steht (OVG Münster, U.v. 12.4.2018 – 6 A 1422/16 – juris Rn. 76 f. m.w.N.)
5. Ein unionsrechtlicher Ausgleichsanspruch wegen Zuvielarbeit scheidet jedenfalls wegen des Fehlens der – für diesen ebenfalls erforderlichen – Rüge des Klägers aus (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2015 – 2 C 26/14 – juris Rn. 25).
Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Für eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bestand daher kein Raum.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124a Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.


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