Arbeitsrecht

Glaubhaftmachung, Jahresendprämien, Zusatzversorgung

Aktenzeichen  L 1 RS 2/16

Datum:
24.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55363
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AAÜG § 6 Abs. 1
AAÜG § 8 Abs. 1
SGB X § 23 Abs. 1
SGG § 128 Abs. 1 Satz 1

 

Leitsatz

1. Die Feststellung von Beträgen, die als Jahresendprämien gezahlt wurden im Rahmen des zu berücksichtigenden Arbeitsentgeltes (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG), hängt davon ab, dass der Empfänger den Zufluss und die konkret gezahlten Beträge glaubhaft macht.
2. Die objektive Beweislast hierfür liegt beim Versicherten.
3. Die erforderliche Glaubhaftmachung im Einzelfall kann weder durch eine Schätzung noch durch allgemeine (statistische) Feststellungen ersetzt werden.
4. Zu den Voraussetzungen an die Zahlung einer Jahresendprämie nach §§ 117, 118 DDR-AGB.

Verfahrensgang

S 47 R 1795/15 2016-02-24 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 24.02.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Beteiligten haben damit bekundet, ihren Anspruch auf mindestens eine mündliche Verhandlung (vgl. Art. 6 EMRK) nicht geltend zu machen, so dass der Umstand nicht entgegen steht, dass auch vor dem Sozialgericht, das gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat. Art. 6 EMRK schützt lediglich vor der Vorenthaltung einer mündlichen Verhandlung durch das Gericht, nicht vor dem Verzicht auf mündliche Verhandlung wie im Fall des Einverständnisses mit dem schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG (BSG v. 21.06.1994 – 9 BV 38/94 – juris Rn. 4).
I. Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 10.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Wege der Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) den Bescheid vom 01.10.2013 abändert und Jahresendprämien für die Zeiträume vom 01.01.1979 bis 31.12.1986 und 01.01.1988 bis 30.06.1990 als zusätzliche Entgelte im Rahmen der nachgewiesenen Zusatzversorgungszeiten der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 des AAÜG) feststellt.
1. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X, der nach § 8 Abs. 3 Satz 2 AAÜG in dem vorliegenden Verfahren anwendbar ist, gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, denn der Feststellungsbescheid vom 01.10.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren (§ 149 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)) ähnlichen Verfahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vorliegend hat die Beklagte mit dem Feststellungsbescheid vom 01.10.2013 Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Jahresendprämien hat sie dabei beim Kläger zu Recht nicht berücksichtigt.
Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) und damit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG stellen auch die in der DDR an Arbeitnehmer rechtmäßig gezahlten Jahresendprämien dar, da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die vom Werktätigen im jeweiligen Planjahr erbrachte Arbeitsleistung handelte, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und sozialversicherungspflichtig war (BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 4/06 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 21 ff.; dem folgend: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RS 4/16 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 13). Denn der Gesetzestext des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG besagt, dass den Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 5 AAÜG als Verdienst (§ 256a SGB VI) unter anderen das „erzielte Arbeitsentgelt“ zugrunde zu legen ist. Aus dem Wort „erzielt“ folgt im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln musste, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem „aufgrund“ seiner Beschäftigung „zugeflossen“, ihm also tatsächlich gezahlt worden ist. In der DDR konnten die Werktätigen unter bestimmten Voraussetzungen Prämien als Bestandteil ihres Arbeitseinkommens bzw. -entgelts erhalten. Sie waren im Regelfall mit dem Betriebsergebnis verknüpft und sollten eine leistungsstimulierende Wirkung ausüben. Lohn und Prämien waren „Formen der Verteilung nach Arbeitsleistung“ (vgl. Kunz/Thiel, „Arbeitsrecht [der DDR] – Lehrbuch“, 3. Auflage, 1986, Staatsverlag der DDR, S. 192 f.). Die Prämien wurden aus einem zu bildenden Betriebsprämienfonds finanziert; die Voraussetzungen ihrer Gewährung mussten in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart werden. Über ihre Gewährung und Höhe entschied der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung nach Beratung im Arbeitskollektiv. Diese allgemeinen Vorgaben galten für alle Prämienformen (§ 116 des Arbeitsgesetzbuches der DDR [nachfolgend: DDR-AGB] vom 16. Juni 1977 [DDR-GBl. I 1977, Nr. 18, S. 185]) und damit auch für die hier streitige Jahresendprämie (§ 118 Abs. 1 und 2 DDR-AGB). Die Jahresendprämie diente als Anreiz zur Erfüllung und Übererfüllung der Planaufgaben; sie war auf das Planjahr bezogen und hatte den Charakter einer Erfüllungsprämie.
Nach § 117 Abs. 1 DDR-AGB bestand ein Anspruch auf Jahresendprämie, wenn
– die Zahlung einer Jahresendprämie für das Arbeitskollektiv, dem der Werktätige angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war,
– der Werktätige und sein Arbeitskollektiv die vorgesehenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hatte und
– der Werktätige während des gesamten Planjahres Angehöriger des Betriebs war.
Die Feststellung von Beträgen, die als Jahresendprämien gezahlt wurden, hing davon ab, dass der Empfänger die Voraussetzungen der §§ 117, 118 DDR-AGB erfüllt hatte. Hierfür und für den Zufluss trägt er die objektive Beweislast (sog. Feststellungslast im sozialgerichtlichen Verfahren, vgl. insgesamt: BSG, Urteil vom 23. August 2007 – B 4 RS 4/06 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 21 ff.; dem folgend und diese Beweislast, unter Ablehnung einer Schätzungsmöglichkeit, betonend: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RS 4/16 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 14).
Daraus wird deutlich, dass die Zahlung von Jahresendprämien von mehreren individuellen Voraussetzungen in der Person des Beschäftigten abhing. Der Kläger hat, um eine Feststellung zusätzlicher Entgelte beanspruchen zu können, nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, dass alle diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Jahr erfüllt gewesen sind und zusätzlich, dass ihm ein bestimmter, berücksichtigungsfähiger Betrag auch zugeflossen, also tatsächlich gezahlt, worden ist. Aus allgemeinen Feststellungen können somit für den Einzelfall grundsätzlich keine Schlussfolgerungen getroffen werden.
Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht dabei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Neben dem Vollbeweis, d.h. der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, ist auch die Möglichkeit der Glaubhaftmachung des Vorliegens weiterer Arbeitsentgelte aus Jahresendprämien gegeben. Dies kann aus der Vorschrift des § 6 Abs. 6 AAÜG abgeleitet werden. Danach wird, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird, der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt.
2. Im vorliegenden konkreten Einzelfall hat der Kläger bereits den Zufluss von Jahresendprämien für jedes geltend gemachte Jahr dem Grunde nach nicht nachgewiesen und auch nicht glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter a)). Im Übrigen hat er auch nicht die konkrete Höhe der Jahresendprämien, die zur Auszahlung an ihn gelangten, nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter b)). Eine Schätzung der Jahresendprämien ist nicht möglich (dazu nachfolgend unter c)).
a) Der Zufluss von Jahresendprämien dem Grunde ist im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen. Nachweise etwa in Form von Begleitschreiben, Gewährungsunterlagen, Beurteilungsbögen, Quittungen oder sonstigen Lohnunterlagen für an den Kläger geflossene Prämienzahlungen konnte er für die hier streitgegenständlichen Jahre nicht vorlegen. Er selbst verfügt auch über keine weiteren Unterlagen, mit denen er die Gewährung von Jahresendprämien belegen könnte. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 14.06.2019 hat der Klägerbevollmächtigte ausgeführt, dass auch weitere Ermittlungen u.a. im ehemaligen Beschäftigungsbetrieb des Klägers nicht zielführend seien. Der Kläger hat hierzu ergänzt, dass seine eigenen Ermittlungen ergeben haben, dass keine weiteren schriftlichen Unterlagen zu den Jahresendprämien mehr existieren. Dies hätten ihm auch mehrere ehemalige Mitarbeiter bestätigt. Nachweise zu an den Kläger gezahlten Jahresendprämien liegen auch im Übrigen nicht mehr vor, da zwischenzeitlich die Aufbewahrungsfrist für die Entgeltunterlagen der ehemaligen Betriebe der DDR abgelaufen ist (31. Dezember 2011; vgl. § 28 f Abs. 5 SGB IV).
Der Zufluss von Prämienzahlungen dem Grunde nach konkret an den Kläger und Jahr für Jahr ist im vorliegenden Fall auch nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen (vgl. dazu auch: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RS 4/16 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 14), überwiegend wahrscheinlich ist. Dies erfordert mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dieser Beweismaßstab ist zwar durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss also nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die „gute Möglichkeit“ aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber aber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht deshalb nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (vgl. dazu dezidiert: BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 5).
Dies zu Grunde gelegt, hat der Kläger im konkreten Einzelfall von den drei Anspruchsvoraussetzungen des § 117 Abs. 1 DDR-AGB zunächst glaubhaft gemacht, dass er in dem streitigen Zeitraum (Jahre 1979 bis 1986 und 1988 bis Juni 1990) Angehöriger des VEB Verpackungsmaschinenbau D (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 3 DDR-AGB) war. Dies ergibt sich aus den Eintragungen in seinen Ausweisen für Arbeit und Sozialversicherung (vgl. Hefter 1 Akte der Beklagten).
Glaubhaft gemacht ist darüber hinaus auch, dass die Zahlung von Jahresendprämien für das Arbeitskollektiv, dem der Kläger angehörte, jeweils in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart war (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 1 DDR-AGB). Dieser kann zwar nicht mehr vorgelegt werden. Der Abschluss eines Betriebskollektivvertrages zwischen dem Betriebsleiter und der zuständigen Betriebsgewerkschaftsleitung war nach § 28 Abs. 1 DDR-AGB jedoch zwingend vorgeschrieben. Die Ausarbeitung des Betriebskollektivvertrages erfolgte jährlich, ausgehend vom Volkswirtschaftsplan; er war bis zum 31. Januar des jeweiligen Planjahres abzuschließen (vgl. Kunz/Thiel, „Arbeitsrecht [der DDR] – Lehrbuch“, 3. Auflage, 1986, Staatsverlag der DDR, S. 111). Ebenso zwingend waren nach § 118 Abs. 1 DDR-AGB in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Satz 3 DDR-AGB die Voraussetzungen und die Höhe der Jahresendprämie in dem (jeweiligen) Betriebskollektivvertrag zu regeln. Konkretisiert wurde diese zwingende Festlegung der Voraussetzungen zur Gewährung von Jahresendprämien im Betriebskollektivvertrag in den staatlichen Prämienverordnungen. So legten die „Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe im Jahre 1972“ (nachfolgend: Prämienfond-VO 1972) vom 12. Januar 1972 (DDR-GBl. II 1972, Nr. 5, S. 49) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. November 1972 (DDR-GBl. II 1972, Nr. 70, S. 810) sowie in der Fassung der „Zweiten Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe“ (nachfolgend: 2. Prämienfond-VO 1973) vom 21. Mai 1973 (DDR-GBl. I 1973, Nr. 30, S. 293), mit denen die Weitergeltung der Prämienfond-VO 1972 über das Jahr 1972 hinaus angeordnet wurden, sowie die „Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe“ (nachfolgend: Prämienfond-VO 1982) vom 9. September 1982 (DDR-GBl. I 1982, Nr. 34, S. 595) jeweils staatlicherseits fest, dass die Verwendung des Prämienfonds, die in den Betrieben zur Anwendung kommenden Formen der Prämierung und die dafür vorgesehenen Mittel im Betriebskollektivvertrag festzulegen waren (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Prämienfond-VO 1972, § 8 Abs. 3 Satz 1 und 2 Prämienfond-VO 1982). Dabei war, ohne dass ein betrieblicher Ermessens- oder Beurteilungsspielraum bestand, in den Betriebskollektivverträgen zu vereinbaren bzw. festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Jahresendprämien als Form der materiellen Interessiertheit der Werktätigen an guten Wirtschaftsergebnissen des Betriebes im gesamten Planjahr angewendet werden (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Spiegelstrich 2 Prämienfond-VO 1972, § 8 Abs. 3 Satz 3 Spiegelstrich 4 Prämienfond-VO 1982).
Damit kann in der Regel für jeden Arbeitnehmer in der volkseigenen Wirtschaft, sofern nicht besondere gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen sollten, davon ausgegangen werden, dass ein betriebskollektivvertraglich geregelter Jahresendprämienanspruch dem Grunde nach bestand (vgl. dazu auch: B., „Die ‚leere Hülle’ ist tot – wie geht es weiter?“, RV [= Die Rentenversicherung] 2011, 101, 104), auch wenn die Betriebskollektivverträge als solche – wie hier – nicht mehr vorgelegt oder anderweitig vom Gericht beigezogen werden können. Vor diesem Hintergrund ist der von der Beklagten in anderen Verfahren erhobene Einwand, die Betriebskollektivverträge seien anspruchsbegründend, zwar zutreffend, verhindert eine Glaubhaftmachung jedoch auch dann nicht, wenn diese im konkreten Einzelfall nicht eingesehen werden können.
Ausgehend von den schriftlichen Auskünften des Zeugen T sowie den sonstigen Hinweistatsachen ist jedoch nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass der Kläger und das Arbeitskollektiv, dem er angehörte, die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe in dem hier streitigen Zeitraum Jahr für Jahr erfüllt hatten (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 2 DDR-AGB). So hat der Zeuge T selbst ausgeführt, dass das Unternehmen regelmäßig jährlich eine Jahresendprämie an alle Mitarbeiter ausgezahlt hat. Er hat jedoch ausdrücklich nicht bestätigt, dass dies in jedem Jahr – insbesondere in dem hier streitigen Zeitraum (01.01.1979 bis 31.12.1986 und 01.01.1988 bis 30.06.1990) – eine Auszahlung erfolgt ist. Er hat seine Aussage vielmehr ergänzt, dass das Unternehmen regelmäßig die Kennziffern erfüllt hat, die für die Bildung des Prämienfonds und damit der Jahresendprämie entscheidend waren. Regelmäßig bedeutet jedoch nicht immer. In einigen Jahren musste der Betrieb nach der Aussage des Zeugen sogar Ausnahmeanträge an das zuständige Ministerium stellen, um das Niveau der Jahresendprämie zu sichern. Damit ist nicht ausreichend glaubhaft, dass die Jahresendprämie tatsächlich in jedem einzelnen hier streitigen Jahr ausgezahlt worden ist. Die Zeugenaussage enthält im Übrigen auch keine unmittelbar auf den Kläger bezogene Ausführungen und Feststellungen. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch eine Versicherung an Eides statt kein zulässiges Mittel der Glaubhaftmachung im Sinne des § 6 Abs. 6 AAÜG ist, weil sie nach § 23 Abs. 2 SGB X der ausdrücklichen Zulassung bedarf, was im vorliegenden Fall nicht zutrifft (vgl. nur Böck Anm. zu BSG Urt. v. 15.12.2016 – B 5 RS 4/16 R, SGb 2018, 165 ff.).
b) Jedenfalls ist im vorliegenden Fall auch die konkrete Höhe der Jahresendprämien für die Zeiträume 01.01.1979 bis 31.12.1986 und 01.01.1988 bis 30.06.1990 nicht nachgewiesen. Nachweise etwa in Form von Begleitschreiben, Gewährungsunterlagen, Beurteilungsbögen, Quittungen oder sonstigen Lohnunterlagen für an den Kläger geflossene Prämienzahlungen konnte er nicht vorlegen. Er selbst verfügt auch über keine weiteren Unterlagen, mit denen er die Gewährung von Jahresendprämien belegen könnte, wie er selbst ausführte. Auszahlungs- bzw. Quittierungslisten oder Anerkennungsschreiben der Abteilung des Betriebes konnten auch der Zeuge T nicht vorlegen. Nachweise zu an den Kläger gezahlten Jahresendprämien liegen auch im Übrigen nicht mehr vor, da zwischenzeitlich die Aufbewahrungsfrist für die Entgeltunterlagen der ehemaligen Betriebe der DDR abgelaufen ist (31. Dezember 2011; vgl. § 28 f Abs. 5 SGB IV). Von einer Anfrage an das Bundesarchiv war im vorliegenden Verfahren abzusehen, da dort lediglich statistische Durchschnittwerte der in den Kombinaten gezahlten durchschnittlichen Jahresendprämienbeträge pro Vollbeschäftigteneinheit aus verschiedenen Jahren vorhanden sind, die keinerlei Rückschluss auf die individuelle Höhe der an den Kläger in einem konkreten Kombinatsbetrieb gezahlten Jahresendprämienhöhe erlauben (ausführlich hierzu Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 21.05.2019 – L 5 R 196/18 ZV). Den Angaben des Klägers sowie des Zeugen T kann lediglich entnommen werden, dass sich die Jahresendprämie am Monatsgehalt des jeweiligen Werktätigen orientierte. Der Kläger selbst hat keinerlei konkrete Angaben zu den Höhen der Jahresendprämienbeträge in den hier streitgegenständlichen Zuflussjahren gemacht. Er hat ebenso wie der Zeuge, soweit er zur Höhe der Jahresendprämie überhaupt Angaben tätigte, lediglich angeben, dass Basis der Berechnung der jeweils einzelnen individuellen Jahresendprämien das Monatsgehalt des jeweiligen Beschäftigten war und die Prämienbeträge auf der Grundlage der Planerfüllung und des Monatsgehalts berechnet wurden. In der Gesamtbetrachtung sind die Angaben des Klägers sowie des Zeugen zur Höhe der an den Kläger geflossenen Jahresendprämienbeträge insgesamt zum einen vage und beruhen zum anderen allein auf dem menschlichen Erinnerungsvermögen, das regelmäßig mit der Länge des Zeitablaufs immer mehr verblasst und deshalb insbesondere in Bezug auf konkrete, jährlich differierende Beträge kaum einen geeigneten Beurteilungsmaßstab im Sinne einer „guten Möglichkeit“ gerade des vom Kläger angegebenen Prozentsatzes eines Bruttomonatslohns abzugeben geeignet ist.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass es im Ergebnis grundsätzlich an einem geeigneten Maßstab fehlt, an dem die konkrete Höhe der dem Grunde nach bezogenen Jahresendprämien beurteilt werden kann und der vom Kläger und den Zeugen behauptete Maßstab, nämlich der durchschnittliche Bruttomonatslohn, nach den rechtlichen Koordinaten des DDR-Rechts gerade nicht der Basis-, Ausgangs- oder Grundwert zur Berechnung einer Jahresendprämie war: Nicht der Durchschnittslohn des Werktätigen war Ausgangsbasis für die Festlegung der Höhe der Jahresendprämie, sondern die Erfüllung der konkreten Leistungs- und Planzielvorgaben (vgl. dazu deutlich: Gottfried Eckhardt u.a., „Lohn und Prämie – Erläuterungen zum 5. Kapitel des Arbeitsgesetzbuches der DDR“ [Heft 4 der Schriftenreihe zum Arbeitsgesetzbuch der DDR], 1989, S. 112; Langanke „Wirksame Leistungsstimulierung durch Jahresendprämie“, NJ 1984, 43, 44). Aus diesem Grund zählte zu den betriebsbezogenen, in einem Betriebskollektivvertrag festgelegten Regelungen über die Bedingungen der Gewährung einer Jahresendprämie auch die Festlegung und Beschreibung der Berechnungsmethoden, aus denen dann individuelle Kennziffern für den einzelnen Werktätigen zur Berechnung der Jahresendprämie abgeleitet werden konnten.
Dies verdeutlichen auch sonstige rechtliche Regelungen unterhalb des DDR-AGB: So legten die Prämienfond-VO 1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. November 1972 und in der Fassung der 2. Prämienfond-VO 1973 sowie die Prämienfond-VO 1982 fest, wie die Jahresendprämie wirksamer zur Erfüllung und Übererfüllung der betrieblichen Leistungsziele beitragen konnte (§ 7 Prämienfond-VO 1972, § 9 Prämienfond-VO 1982). Danach waren den Arbeitskollektiven und einzelnen Werktätigen Leistungskennziffern vorzugeben, die vom Plan abgeleitet und beeinflussbar waren, die mit den Schwerpunkten des sozialistischen Wettbewerbs übereinstimmten und über das Haushaltsbuch oder durch andere bewährte Methoden zu kontrollieren und abzurechnen waren (§ 7 Abs. 1 Prämienfond-VO 1972, § 9 Abs. 3 Prämienfond-VO 1982). Die durchschnittliche Jahresendprämie je Beschäftigten war in der Regel in der gleichen Höhe wie im Vorjahr festzulegen, wenn der Betrieb mit der Erfüllung und Übererfüllung seiner Leistungsziele die erforderlichen Prämienmittel erarbeitet hatte; für den Betrieb war dieser Durchschnittsbetrag grundsätzlich beizubehalten (§ 9 Abs. 2 Prämienfond-VO 1982). Hervorzuheben ist dabei, dass der Werktätige und sein Kollektiv die ihnen vorgegebenen Leistungskriterien jeweils erfüllt haben mussten (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Prämienfond-VO 1972), die Leistungskriterien kontrollfähig und abrechenbar zu gestalten waren (§ 6 Abs. 1 Satz 2 der „Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für volkseigene Betriebe im Jahre 1972“ [nachfolgend: 1. DB zur Prämienfond-VO 1972] vom 24. Mai 1972 [DDR-GBl. II 1972, Nr. 34, S. 379]) und bei der Differenzierung der Höhe der Jahresendprämie von den unterschiedlichen Leistungsanforderungen an die Abteilungen und Bereiche im betrieblichen Reproduktionsprozess auszugehen war (§ 6 Abs. 3 Spiegelstrich 1 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1972). Außerdem war geregelt, dass die Jahresendprämien für Arbeitskollektive und einzelne Werktätige nach der Leistung unter besonderer Berücksichtigung der Schichtarbeit zu differenzieren waren (§ 7 Abs. 2 Satz 2 Prämienfond-VO 1972, § 6 Abs. 3 Spiegelstrich 2 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1972, § 9 Abs. 3 Satz 1 Prämienfond-VO 1982), wobei hinsichtlich der Kriterien für die Zulässigkeit der Erhöhung der durchschnittlichen Jahresendprämie im Betrieb konkrete Festlegungen nach Maßgabe des § 6 der „Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe“ (nachfolgend: 1. DB zur Prämienfond-VO 1982) vom 9. September 1982 (DDR-GBl. I 1982, Nr. 34, S. 598) in der Fassung der „Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds für volkseigene Betriebe“ (nachfolgend: 2. DB zur Prämienfond-VO 1982) vom 3. Februar 1986 (DDR-GBl. I 1986, Nr. 6, S. 50) zu treffen waren. Danach spielte zum Beispiel der Anteil der Facharbeiter sowie der Hoch- und Fachschulkader in den Betrieben und deren „wesentliche Erhöhung“ sowie die „Anerkennung langjähriger Betriebszugehörigkeit“ eine Rolle (§ 6 Abs. 2 Satz 2 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1982). Die konkreten Festlegungen erfolgten in betrieblichen Vereinbarungen (§ 6 Abs. 3 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1982). Die endgültige Festlegung der Mittel zur Jahresendprämierung für die einzelnen Bereiche und Produktionsabschnitte einschließlich ihrer Leiter erfolgte nach Vorliegen der Bilanz- und Ergebnisrechnung durch die Direktoren der Betriebe mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitungen, die entsprechend der im Betriebskollektivvertrag getroffenen Vereinbarung abhängig vom tatsächlich erwirtschafteten Prämienfonds durch den Betrieb und von der Erfüllung der den Bereichen und Produktionsabschnitten vorgegebenen Bedingungen war (§ 8 Abs. 1 Prämienfond-VO 1972, § 6 Abs. 5 der 1. DB zur Prämienfond-VO 1982).
Weder zu den individuellen Leistungskennziffern des Klägers noch zu den sonstigen, die Bestimmung der Jahresendprämienhöhe maßgeblichen Faktoren konnten der Kläger oder die Zeugen nachvollziehbare Angaben tätigen.
Die Kriterien, nach denen eine hinreichende Glaubhaftmachung erfolgt, sind demnach im konkreten Fall nicht erfüllt. Die bloße Darstellung eines allgemeinen Ablaufs und einer allgemeinen Verfahrensweise wie auch der Hinweis, dass in anderen Fällen Jahresendprämien berücksichtigt worden sind – etwa weil dort anderweitige Unterlagen vorgelegt werden konnten -, genügen nicht, um den Zufluss von Jahresendprämien in einer bestimmten oder berechenbaren Höhe konkret an den Kläger glaubhaft zu machen. Denn hierfür wäre – wie ausgeführt – erforderlich, dass in jedem einzelnen Jahr des vom Kläger geltend gemachten Zeitraumes eine entsprechende Jahresendprämie nachgewiesen worden wäre, und zwar nicht nur hinsichtlich des Zeitraumes, sondern auch hinsichtlich der Erfüllung der individuellen Leistungskennziffern, um eine konkrete Höhe als berechenbar erscheinen zu lassen.
Auch kommt vorliegend durch eine Zusammenschau
– der „Verordnung über die Bildung und Verwendung des Prämienfonds in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, volkseigenen Kombinaten, den VVB (Zentrale) und Einrichtungen für die Jahre 1969 und 1970“ (nachfolgend: Prämienfond-VO 1968) vom 26. Juni 1968 (DDR-GBl. II 1968, Nr. 67, S. 490) in der Fassung der „Zweiten Verordnung über die Bildung und Verwendung des Prämienfonds in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, volkseigenen Kombinaten, den VVB (Zentrale) und Einrichtungen für die Jahre 1969 und 1970“ (nachfolgend: 2. Prämienfond-VO 1968) vom 10. Dezember 1969 (DDR-GBl. II 1969, Nr. 98, S. 626),
– der „Verordnung über die Planung, Bildung und Verwendung des Prämienfonds und des Kultur- und Sozialfonds für das Jahr 1971“ (nachfolgend: Prämienfond-VO 1971) vom 20. Januar 1971 (DDR-GBl. II 1971, Nr. 16, S. 105) und
– der Prämienfond-VO 1972 in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. November 1972 sowie in der Fassung der 2. Prämienfond-VO 1973, mit denen die Weitergeltung der Prämienfond-VO 1972 über das Jahr 1972 hinaus angeordnet wurden, (also bis zum Inkrafttreten der Prämienfond-VO 1982 am 1. Januar 1983) eine Glaubhaftmachung der Höhe Jahresendprämien in einer Mindesthöhe auch für den Zeitraum 1979 bis 1982 nicht in Betracht (a. A. 5. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts Urteil vom 21.05.2019 – L 5 R 196/18 ZV).
Soweit § 9 Abs. 7 Prämienfond-VO 1968, § 12 Nr. 6 Satz 1 Prämienfond-VO 1971 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Prämienfond-VO 1972 bestimmt haben, dass der Prämienfond (auch) bei leistungsgerechter Differenzierung der Jahresendprämie ermöglichen musste, dass die Mindesthöhe der Jahresendprämie des einzelnen Werktätigen ein Drittel seines (durchschnittlichen) Monatsverdienstes betrug, so vermitteln diese Normen keinen konkret individuellen Anspruch des einzelnen Beschäftigten. Adressat dieser Normen waren die jeweiligen Betriebe. Es handelt sich somit um Regelungen zur Ausgestaltung des Prämienfonds. Ein möglicher Rechtsanspruch des einzelnen Werktätigen auf eine Prämierung in Form von Jahresendprämie konnte nur dann entstehen, wenn es der Prämienfonds ermöglichte, mindestens ein Drittel eines durchschnittlichen Monatsverdienstes für diese Form der materiellen Interessiertheit zur Verfügung zu stellen. Vorliegend ist völlig unklar geblieben, ob der Prämienfond den Mindestbetrag in der Mindesthöhe überhaupt zur Verfügung gestellt hat bzw. ob der Betrieb erarbeitete Prämienmittel im Mindestumfang überhaupt für die Jahresendprämie bereitgestellt hat.
c) Unabhängig davon, dass vorliegend bereits dem Grunde nach die Zahlung von Jahresendprämien für die Planjahre 01.01.1979 bis 31.12.1986 und 01.01.1988 bis 30.06.1990 nicht ausreichend glaubhaft gemacht wurden, darf deren Höhe auch nicht durch Schätzung ermittelt werden (vgl. dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RS 4/16 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 16 ff.). Denn eine weitere Verminderung des Beweismaßstabes im Sinne einer Schätzungswahrscheinlichkeit sieht § 6 AAÜG nicht vor. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzbefugnis schaffen wollen, so hätte er dies gesetzlich anordnen und Regelungen sowohl zu ihrer Reichweite (Schätzung des Gesamtverdienstes oder nur eines Teils davon) als auch zum Umfang der Anrechnung des geschätzten Verdienstes treffen müssen, nachdem er schon für den strengeren Beweismaßstab der Glaubhaftmachung nur die Möglichkeit einer begrenzten Berücksichtigung (zu fünf Sechsteln) ermöglicht hat. Auch aus § 6 Abs. 5 AAÜG i.V.m. § 256b Abs. 1 und § 256c Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VI ergibt sich keine materiell-rechtliche Schätzbefugnis. Rechtsfolge einer fehlenden Nachweismöglichkeit des Verdienstes ist hiernach stets die Ermittlung eines fiktiven Verdienstes nach Tabellenwerten, nicht jedoch die erleichterte Verdienstfeststellung im Wege der Schätzung im Sinne einer Überzeugung von der bloßen Wahrscheinlichkeit bestimmter Zahlenwerte. Die prozessuale Schätzbefugnis gemäß § 287 Zivilprozessordnung (ZPO), die nach § 202 Satz 1 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren lediglich subsidiär und „entsprechend“ anzuwenden ist, greift hier von vornherein nicht ein. Denn § 6 Abs. 6 AAÜG regelt als vorrangige und bereichsspezifische Spezialnorm die vorliegende Fallkonstellation (ein Verdienstteil ist nachgewiesen, ein anderer glaubhaft gemacht) abschließend und lässt für die allgemeine Schätzungsvorschrift des § 287 ZPO keinen Raum. Indem § 6 Abs. 6 AAÜG die Höhe des glaubhaft gemachten Verdienstteils selbst pauschal auf fünf Sechstel festlegt, bestimmt er gleichzeitig die mögliche Abweichung gegenüber dem Vollbeweis wie die Rechtsfolge der Glaubhaftmachung selbst und abschließend. Eine einzelfallbezogene Schätzung scheidet damit aus. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzung zulassen wollen, so hätte er das Schätzverfahren weiter ausgestalten und festlegen müssen, ob und gegebenenfalls wie mit dem Abschlag im Rahmen der Schätzung umzugehen ist. Das Fehlen derartiger Bestimmungen belegt im Sinne eines beredten Schweigens zusätzlich den abschließenden Charakter der Ausnahmeregelung in § 6 Abs. 6 AAÜG als geschlossenes Regelungskonzept (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RS 4/16 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 19). Eine Schätzung ist deshalb nur bei dem Grunde nach nachgewiesenen Zahlungen möglich (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 5 RS 4/16 R – SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 21; BSG, Urteil vom 4. Mai 1999 – B 4 RA 6/99 R – SozR 3-8570 § 8 Nr. 3 = JURIS-Dokument, RdNr. 17).
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
III. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


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