Arbeitsrecht

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Bildung und Teilhabe – Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft – Teilnahme an den Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften im Schach

Aktenzeichen  L 2 AS 261/19

Datum:
2.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 2. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LSGST:2022:0202.L2AS261.19.00
Normen:
§ 28 Abs 7 S 1 Nr 1 SGB 2 vom 13.05.2011
§ 28 Abs 7 S 2 SGB 2 vom 07.05.2013
Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Nach § 28 Abs 7 S 2 SGB II in der bis zum 31.7.2019 gültigen Fassung können Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben für Aufwendungen erbracht werden, die im Zusammenhang mit der Teilnahme an Aktivitäten nach Satz 1 Nr 1-3 entstehen. Ein solcher Zusammenhang besteht nur bei Aufwendungen, die bei wertender Betrachtung der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft zuzuordnen sind. (Rn.23)


2. Ein solcher innerer Zusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn Kosten im Rahmen einer als Leistungssport ausgeübten sportlichen Betätigung anfallen. Deshalb kann zB die Berücksichtigung von Übernachtungskosten bei der Teilnahme an Jugendmeisterschaften auf Bundesebene ausscheiden. (Rn.30)

Verfahrensgang

vorgehend SG Halle (Saale), 15. März 2019, S 12 AS 2103/16, Urteil

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Übernahme der vom Landesschachverband Schach e.V. vorfinanzierten nicht gedeckten Kosten für die Teilnahme an den Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften im Schach im Mai 2016 in Höhe von 382 € von dem Beklagten.
Die (minderjährige) Klägerin lebt bei ihrem Vater S. und bezog in einer Bedarfsgemeinschaft mit diesem laufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Über das Vermögen des Vaters der Klägerin ist mit Beschluss vom 12. Dezember 2014 – 59 IK 915/14 durch das Amtsgericht Halle (Saale) das Privatinsolvenzverfahren eröffnet worden. Der Beklagte bewilligte der Bedarfsgemeinschaft mit Bescheid vom 19. Januar 2016 Leistungen für Februar bis Juli 2016 in Höhe von 941,32 € monatlich, wobei als Einkommen nur das Kindergeld für die Klägerin in Höhe von 190 € berücksichtigt wurde. Ihr Vater ist seit dem 16. September 2020 allein sorgeberechtigt für die Klägerin (Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 16. September 2020 – 22 F 1892/19 SO), zuvor übte er das Sorgerecht gemeinsam mit ihrer Mutter aus. Die Klägerin war Mitglied im Sportverein H. e. V. in der Sektion Schach (im Folgenden: Sportverein). Ab 2014 setzte sie die ihr bewilligten Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in Höhe von 10,00 € monatlich für den Mitgliedsbeitrag im Sportverein ein. Mit Bescheid vom 11. Februar 2016 bewilligte ihr der Beklagte auf ihren Antrag Leistungen für die Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in Höhe von monatlich 10,00 € für den Zeitraum 1. Februar bis zum 31. Juli 2016. Den hierfür ausgestellten Gutschein löste sie ausweislich der Bestätigung des Sportverein vom 18. März 2016 für den Mitgliedsbeitrag im Sportverein ein.
Am 7. April 2016 stellte ihr Vater für die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft im Schach in W. „Meine Tochter betreibt Schach als Leistungssport im Landesschachkader und ist amtierende Landesmeisterin (“Altersklasse”) und hat sich deswegen für die Deutsche Jugendeinzelmeisterschaft qualifiziert.“ Die Kosten für die Unterkunft im Hotel in W. würden sich voraussichtlich auf ca. 650 € (Zweibettzimmer) belaufen. Nach der beigefügten Einladung der Deutschen Schachjugend von März 2016 werde die Meisterschaft vom 14. Mai bis zum 22. Mai 2015 (Druckfehler, gemeint: 2016) ausgetragen, bei Unterbringung in einem Doppelzimmer seien pro Person und Tag 79 € und im Fünferzimmer 42,50 € zu entrichten. Die Unterkunft habe in der Regel in dem betreffenden Hotel zu erfolgen und Selbstbuchungen außerhalb des Objektes seien nur mit Ausnahmegenehmigung aufgrund sozialer, finanzieller und regionaler Aspekte möglich. Dann fiele ein Organisationsbeitrag in Höhe von insgesamt 55 € pro Spieler an.
Mit Bescheid vom 12. April 2016 lehnte der Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme ab. Der Betrag von 10,00 € pro Monat sei bereits vollständig ausgeschöpft. Darüber hinaus entstehende Aufwendungen könnten nicht übernommen werden. Hiergegen legte die Klägerin, anwaltlich vertreten, Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2016 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Gewährung von Leistungen über die 10,00 € pro Monat hinaus komme mangels rechtlicher Grundlage nicht in Betracht. Schon von daher scheide eine Kostenübernahme aus.
Daneben beantragte der Vater der Klägerin für diese erfolglos (Bescheid vom 27. Mai 2016, Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2016) eine monatliche Leistungssportbezuschussung in Höhe von 60 €. Die Klägerin habe als Mitglied des Kaders des Landes S. jährlich verbindlich mindestens zwei Trainingslager in O. zu absolvieren und eine gewisse Anzahl an Turnieren zu spielen. Das auf Übernahme dieser Kosten gerichtete Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Halle ruht derzeit. Ebenso ruhen dort noch weitere Verfahren der Klägerin auf die Übernahme der Kosten von Kadermaßnahmen (Trainingslager) und der Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft 2017.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2016 hat die Klägerin am 8. Juni 2016 Klage vor dem SG Halle erhoben. Durch die Teilnahme an der Meisterschaft seien ihr Kosten in Höhe von 632 € zzgl. 8,00 € Kurtaxe entstanden. Ihr Vater habe sie zum Turnier begleitet, da er im Rahmen der Meisterschaften eine ehrenamtliche Funktion als Öffentlichkeitsreferent und Delegationsleiter ausgeübt habe. Es habe ein Doppelzimmer für die Klägerin und ihren Vater als Begleitperson genutzt werden müssen, weil eine Unterbringung ihres Vaters in einem Mehrpersonenraum mit anderen Kindern nicht in Betracht gekommen sei. Zwischenzeitlich habe die Klägerin Förderzusagen des Fördervereins Jugendschach und des Sportvereins in Höhe von insgesamt 250 € erreichen können. Den noch offenen Betrag in Höhe von 390 € müsse der Beklagte tragen. Der Regelungszweck des § 28 Abs. 7 Satz 1 SGB II sei die stärkere Integration in Vereins- und Gemeinschaftsstrukturen. Wettkämpfe und Meisterschaften stellten essentielle Bestandteile dieser Gemeinschaftskultur dar. Diese Aktivitäten müssten im Rahmen des § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II berücksichtigt werden. Hier dürfte das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert sein. Zum Beleg für die entstandenen Kosten hat die Klägerin eine Rechnung des Landesschachverbandes S. e. V. vom 5. Oktober 2016 übersandt. Danach seien für die Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft 2016 in W. noch 632 € Teilnehmerbeitrag offen (daneben auch noch weitere 632 € abzüglich 184 € Rabatt Delegationsleiter für ihren Vater).
Die Klägerin hat zum Organisationsaufbau des Schachsports in S. auf Aufforderung des SG ausgeführt: Der Schachsport in S. werde in verschiedenen Vereinen gespielt, so im Sportverein, dem sie angehöre. Die einzelnen Sportvereine selbst seien wiederum Mitglied im Landesschachverband. Über den Landesschachverband würden besonders förderwürdige einzelne Vereinsmitglieder betreut und weitergehend gefördert. Die Fachverbände delegierten die Ausbildung von Leistungskadern und die entsprechende Vorbereitung auf Meisterschaften an den Landesschachverband, wodurch eine einheitliche Förderung auf Landesebene erreicht werde. Da die einzelnen Sportvereine selbst Mitglied des Landesschachverbandes seien, erfolge die Abrechnung entsprechender Fördermaßnahmen seitens des Landesschachverbandes zur vereinfachten Abwicklung direkt gegenüber den Mitgliedern. Zum Beleg der noch offenen Forderungen des Landesschachverbandes hat die Klägerin eine Zahlungserinnerung vom 25. April 2018 übersandt. Danach sei für „Leistungssportteilnehmerbeiträge“ insgesamt noch eine Summe von 849 € offen (hierzu gehören auch die streitgegenständlichen 382 €).
Mit Urteil vom 15. März 2019 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es bestehe kein Anspruch auf die ungedeckten Kosten in Höhe von 382 € aus § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II. Die Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft im Schach diene nicht der Wahrnehmung der in § 28 Abs. 7 Satz 1 SGB II genannten Aktivitäten. Die Teilnahme an Meisterschaften sei nicht die Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Sportverein. Vielmehr stelle diese Mitgliedschaft eher die Grundlage und Voraussetzung für die avisierte sportliche Karriere der Klägerin dar. Die Teilnahme an diesem Wettbewerb ermögliche nicht die stärkere Integration in die bestehende Vereinsstruktur und die Intensivierung des Kontaktes zu anderen Vereinsmitgliedern. Es sei eine Grenze zu ziehen zwischen der Förderung von Leistungssport und Leistungen unter Teilhabegesichtspunkten im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums. Eine Begabtenförderung auf dem Niveau des Leistungssportes ermögliche § 28 Abs. 7 SGB II nicht.
Gegen die ihrem Prozessbevollmächtigen am 25. März 2019 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 25. April 2019 Berufung eingelegt. Die Kosten müssten nach § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II berücksichtigt werden. Durch die Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben solle eine Integration von Kindern und Jugendlichen in bestehende Vereins- und Gemeinschaftsstrukturen erfolgen. Hierfür sei es nicht ausreichend, z. B. Musikinstrumente oder Sportgeräte zu beschaffen. Eine Integration in das Vereinsleben bedinge auch die Teilnahme an weitergehenden Meisterschaften, wenn ein entsprechendes Leistungsniveau vorhanden sei, oder gemeinsame auswärtige Aufenthalte. Ohne eine Übernahme der dafür anfallenden Kosten käme es zu einer Stigmatisierung der betreffenden Personen. Es stelle sich die Frage, warum die Klägerin überhaupt noch Mitglied im Verein sein solle, wenn letztlich das auch damit, neben dem gemeinsamen Spiel, verbundene Ziel, nämlich die Teilnahme an Meisterschaften, aus finanziellen Gründen nicht möglich sei. Wenn auch Fahrtkosten übernommen werden müssten, gelte dies auch für Kosten der Teilnahme an Meisterschaften. Die Klägerin erhalte entgegen der Meinung des SG durch die Teilnahme an der Meisterschaft keine besondere Förderung. Vielmehr stelle die Teilnahme das Ergebnis der Vereinsmitgliedschaft, ihrer Begabung und des regelmäßigen Trainings im Verein dar.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Halle vom 15. März 2019 und unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 12. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2016 den Beklagten zu verurteilen, ihr weitere Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben für die Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft im Schach.. 2016 in W. in Höhe von 382 € zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Entscheidung des SG sei zutreffend. Möglich sei nach § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II die Übernahme von Kosten für weitere Aufwendungen, derer es zum Mitmachen bei den Veranstaltungen i. Schach des § 28 Abs. 7 SGB II bedürfe. Die Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft sei für das Mitmachen im Verein nicht nötig, sie sei nicht Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Verein. Zum anderen stelle die Gesetzesbegründung klar, dass lediglich der noch unverbrauchte Rest der 10,00 € pro Monat für die Anschaffung von Ausrüstungsgegenständen verwandt werden dürfe. Dieser Betrag sei bei der Klägerin schon ausgeschöpft gewesen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat kann im Einverständnis mit den Beteiligten über die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Die vom SG zugelassene Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2016 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Übernahme der nicht anderweitig gedeckten Kosten für die Teilnahme an der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft im Schach 2016 in Höhe von 382 € bzw. auf Neubescheidung ihres entsprechenden Antrages.
Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten in Höhe von 382 €, weil sie die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null für gegeben hält. Es handelt sich um eine statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage. Die Klägerin begehrt damit nicht nur den Erlass eines Verwaltungsaktes, sondern die Leistung in Form der Geldzahlung. In diesem Fall ist die Leistungsklage die speziellere Klageart gegenüber der Verpflichtungsklage und konsumiert diese (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2006 – B 4 RA 55/04 R – juris Rn. 12; Bieresborn in: BeckOGK Sozialrecht, Stand 1. November 2021, § 54 SGG Rn. 52). In ihrem Antrag ist als Minus auch das Begehren einer Verpflichtung des Beklagten zu einer Neubescheidung enthalten (Bescheidungsurteil gem. § 131 Abs. 3 SGG).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen als solche der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nach § 28 Abs. 7 SGB II in der bis zum 31. Juli 2019 gültigen Fassung (a. F.). Der Beklagte hat den Antrag zu Recht abgelehnt, weil die Leistungsvoraussetzung nicht gegeben sind, dies hat bereits das SG zutreffend erkannt.
1. Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht auf § 28 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F. stützen. Nach dieser Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ein Bedarf zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft in Höhe von insgesamt 10,00 € monatlich für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit berücksichtigt. Zum einen hat die Klägerin aber den dort vorgesehenen Betrag von 10,00 € im Monat im betreffenden Bewilligungszeitraum bereits ausgeschöpft, zum anderen wurden von Satz 1 Nr. 1 a.F. nur Mitgliedsbeiträge oder vergleichbare Kosten wie Kursgebühren erfasst.
2. Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II a. F. sind nicht erfüllt. Danach können neben der Berücksichtigung von Bedarfen nach Satz 1 auch weitere tatsächliche Aufwendungen berücksichtigt werden, wenn sie im Zusammenhang mit der Teilnahme an Aktivitäten nach Satz 1 Nr. 1 bis 3 entstehen und es den Leistungsberechtigten im begründeten Ausnahmefall nicht zugemutet werden kann, diese aus dem Regelbedarf zu bestreiten.
Die Kosten im Zusammenhang mit der Teilnahme an den Deutschen Einzelmeisterschaften im Schach, insbesondere die Unterbringungskosten für acht Tage im Hotel in W., können hierunter nicht gefasst werden. Diese Kosten stehen nicht mehr im Sinne von Abs. 7 Satz 2 in Zusammenhang mit der nach Satz 1 geförderten Mitgliedschaft im Sportverein als Aspekt der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft.
Der Wortlaut der Vorschrift ist offen. Der als Tatbestandsvoraussetzung einer Berücksichtigung von Aufwendungen geforderte „Zusammenhang mit der Teilnahme an Aktivitäten nach Satz 1“ bezieht sich unmittelbar u.a. auf Aktivitäten u.a. im Bereich Sport. Insoweit liegt es auf den ersten Blick nahe, darauf abzustellen, dass die notwendig mit der Teilnahme an einem Sportwettbewerb verbundenen Kosten Aufwendungen sind, die im Zusammenhang mit Aktivitäten im Bereich Sport und der geförderten Mitgliedschaft in einem Sportverein entstehen. Andererseits verweist § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II a.F. auf den gesamten Satz 1, der einleitend besonders herausstellt, dass es um Leistungen für die „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ geht.
Nach dem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Norm, wie er auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommt, bezieht sich der geforderte „Zusammenhang mit der Teilnahme an Aktivitäten nach Satz 1“ auf die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft und deren Ermöglichung, nicht aber auf alle möglichen Folgekosten, die mit der Mitgliedschaft z.B. einem Sportverein in irgendeinem Sachzusammenhang stehen. Ob der vom Gesetz geforderte Zusammenhang gewahrt ist, ist anhand einer wertenden Betrachtung zu entscheiden (vgl. Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II, § 28 Rn. 117a [Stand Erg.-Lfg. 6/15 – VII/15 ]). Nur wenn die weiteren Aufwendungen bei wertender Betrachtung der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft zuzuordnen sind und diese ermöglichen, liegt ein solcher Zusammenhang vor.
Im Einzelnen gilt: Die in Abs. 7 geregelten Bedarfe sollen den Anspruch auf Teilhabe im Rahmen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllen. Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich neben den Mitteln zur Sicherung der physischen Existenz auf die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u. a. – juris Rn. 135). Durch den Bedarf nach Abs. 7 sollen finanzielle Hürden beseitigt werden, die einer Integration von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft entgegenstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 u. a. – juris Rn. 134). Insofern wird durch § 28 Abs. 7 SGB II ein Teil der sonst im Regelbedarf für Kinder und Jugendliche enthaltenen Positionen ausgelagert und pauschaliert berechnet. So blieben bei der Bemessung der Regelbedarfe von Kindern und Jugendlichen die Positionen „Außerschulische Unterrichte, Hobbykurse“ in der Abteilung 09 und „Mitgliedsbeiträge an Organisationen ohne Erwerbszweck“ in Abteilung 12 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 in Höhe von insgesamt 3,58 € unberücksichtigt (vgl. BT-Drs. 17/3404 Schach 106). Eine solche Auslagerung aus dem Regelbedarf, die mit einer gesonderten Berücksichtigung an anderer Stelle einhergeht, verbietet die Verfassung nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014, a. a. O., Rn. 130).
Ziel der Regelung des Abs. 7 Satz 1 ist es nach den Materialien, Kinder und Jugendliche stärker in bestehende Vereins- und Gemeinschaftsstrukturen zu integrieren und den Kontakt mit Gleichaltrigen zu intensivieren (vgl. BT-Drs. 17/3404 Schach 106). Es geht um die Eröffnung der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Im Fall der Klägerin soll ihr die Teilhabe in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit (§ 28 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F.) ermöglicht werden. Insofern kann und soll schon die Übernahme der Kosten von 10 € pro Monat für Mitgliedsbeiträge oder Kursgebühren (inzwischen von 15 €) nicht gewährleisten, dass jedes Kind jede Sportart ausüben kann, sondern dass jedes Kind die Möglichkeit hat, z. B. einem Sportverein beizutreten und mit anderen Kindern Sport zu treiben. Es soll eine wirkliche Teilhabechance eröffnet werden.
In diesem inneren Sachzusammenhang ist auch die Ergänzung durch Satz 2 durch das Gesetz zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 7. Mai 2013 mit Wirkung zum 1. August 2013 zu verstehen. Es sollten Hindernisse abgebaut werden, die einer Inanspruchnahme der Leistungen nach Abs. 7 Satz 1 entgegenstehen. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, es sei festgestellt worden, dass das Mitmachen an den Aktivitäten oft daran scheitere, dass die nötige Ausrüstung fehle (zum Beispiel Musikinstrumente, Schutzkleidung für bestimmte Sportarten) (vgl. BT-Drs. 17/12036 Schach 7 zu Buchst. b). Bei der Einführung des Satzes 2 hatte sich der Gesetzgeber sogar vorgestellt, dass durch die Neuregelung nur die Möglichkeit eröffnet werden sollte, den Betrag nach Satz 1 nicht nur für Mitgliedsbeiträge usw., sondern auch für andere Zwecke wie Ausrüstung u.ä. verwenden zu können. Diese Beschränkung der Höhe nach hat aber keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden und ist zu recht in Rechtsprechung und Literatur überwiegend nicht akzeptiert worden (vgl. zum damaligen Meinungsstand: Voelzke in Hauck/Noftz SGB II, § 28 Rn. 119b [Stand Erg.-Lfg. 6/15 – VII/15 ] m. w. N.; den Gedanken einer Begrenzung auf die Leistungen nach Satz 1 hat der Gesetzgeber dann mit der Neuregelung zum 1. August 2019 durch das Starke Familien-Gesetz vom 29. April 2019 [BGBl. I Schach 530] selbst wieder aufgegeben). Mit Satz 2 hat der Gesetzgeber keine umfassende Öffnungsklausel für alle in einem weiteren Zusammenhang mit den Aktivitäten stehenden Aufwendungen schaffen, sondern die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Aktivitäten aus Satz 1 schaffen wollen. Die Übernahme von in Zusammenhang stehenden Aufwendungen dient dazu, dass die Kinder und Jugendlichen auch tatsächlich am gesellschaftlichen Leben durch z. B. die Aktivitäten in einem Sportverein teilnehmen können. Auch in der Literatur und in der Rechtsprechung befassen sich die Beispiele für solche von Satz 2 erfassten Kosten mit Fahrtkosten und Ausrüstungsgegenständen (vgl. Leopold/Buchwald in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 28 Rn. 206 [Stand 4. Oktober 2021]; Lenze in: LPK-SGB II, 7. Aufl. 2021, § 28 Rn. 48).
Ein vergleichbarer innerer Zusammenhang zu einer Teilhabe am Vereinsleben und dem sozialen Kontakt zu anderen Kindern und Jugendlichen ist nicht mehr gegeben, wenn Kosten im Rahmen einer als Leistungssport ausgeübten sportlichen Betätigung anfallen. Kosten, die dem Leistungssport oder einer darauf abzielenden besonderen Talentförderung zuzurechnen sind, betreffen wertungsmäßig nicht mehr die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft durch die Einbindung in soziale Gemeinschaftsstrukturen im Rahmen der Mitgliedschaft in einem Sportverein. Begabtenförderung hat nicht auf Grundlage des § 28 Abs. 7 SGB II zu erfolgen (vgl. auch Sozialgericht Dresden, Urteil vom 12. Juni 2015 – S 14 BK 32/13 – juris).
Diese Intention des Gesetzgebers, durch die Regelung in Satz 2 den Bereich der Existenzsicherung nicht zu verlassen, sondern nur besser umsetzbar zu machen, bewegt sich auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Regelung in § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II a. F. ausgeführt, dass solche Bildungs- und Teilhabeangebote auch tatsächlich ohne weitere Kosten erreichbar sein müssen. Die Ermessensvorschrift, die vorrangig auf die Finanzierung der nötigen Ausrüstung abziele, sei einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, dass ein Anspruch (i.Schach einer Ermessensreduzierung auf Null) auf Fahrtkosten zu derartigen Angeboten bestehe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014, a. a. O., Rn. 132). Damit hat es den Ermöglichungsaspekt der Leistungen betont. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten, dass der SGB II-Träger Ausfallschuldner für Kosten der Sportförderung und des Leistungssportes ist. Während notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten zum existenziellen Bedarf gehören, weshalb dem Jobcenter insoweit die Stellung als „Ausfallbürgen“ zukommt (Schulbuchentscheidung des BSG: Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R – juris Rn. 31), gilt dies für den Leistungssport und die darauf abzielende Sportförderung nicht. Der Bereich der Aktivitäten des Sports zählt zu dem Bereich der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, bei dem ein Mindestmaß an Teilhabe zum Existenzminimum gehört. Es kann und muss nicht gewährleistet werden, dass auch die Kosten, die bei einer über den gewöhnlichen Rahmen des Breitensports hinausgehenden Ausübung des Sports als Leistungssport anfallen, übernommen werden. Es ist nicht die Aufgabe des SGB II-Trägers als Ausfallschuldner im Bereich der Sportförderung für besonders Begabte einzutreten, wenn die Kosten nicht durch die Verbände, Sportförderung oder Sponsoren abgedeckt sind. Solche Kosten sind schon tatbestandlich nicht dem § 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II zuzurechnen. Es ist also nicht erst auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen des Ermessens eine Begrenzung vorzunehmen. Die Bedeutung der Ermessensprüfung ist vielmehr insbesondere auf die nicht vorhandene „Deckelung“ der geltend gemachten Kosten zu beziehen (vgl. G. Becker in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, SGB II, 7. Aufl. 2021, §§ 28-30 Rn. 70).
Die Klägerin betreibt – nicht nur nach ihrer eigenen Darstellung – Schach als Leistungssport. Sie war Mitglied des Landeskaders des Landes S. in ihrer Altersklasse. Die Landeskader sind verpflichtet, an Kadermaßnahmen und bestimmten Wettkämpfen teilzunehmen. Hierbei werden über den Landesschachverband die besonders förderungswürdigen einzelnen Vereinsmitglieder betreut und weitergehend gefördert. Die einzelnen Fachverbände delegieren die Ausbildung von Leistungskadern und die entsprechende Vorbereitung auf Meisterschaften an den Landesschachverband. Dem Bereich des Leistungssportes sind wertungsmäßig nicht nur die der Leistungsförderung dienenden Maßnahmen und Vorbereitungen auf solche Meisterschaften, sondern auch die für diese Sportler offenstehenden Meisterschaften auf Bundesebene zuzuordnen. Auch der Schachverband fasst in seiner Zahlungsaufforderung vom 25. April 2018 alle Kadermaßnahmen und Deutschen Jugendmeisterschaftsteilnahmen einheitlich unter „Leistungssportteilnahmen“ zusammen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision ist zuzulassen, weil der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).


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