Arbeitsrecht

Keine Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund

Aktenzeichen  M 10 K 15.4095

Datum:
3.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 51 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ob eine Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund vorliegt, beurteilt sich nicht (allein) nach dem Willen des Ausländers, sondern aufgrund einer Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls (ebenso VG Bayreuth BeckRS 2012, 58961). (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein seiner Natur nach nicht vorübergehender Grund liegt in den Fällen einer auf Dauer beabsichtigten Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland vor. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Es wird festgestellt, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers fortbesteht.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Der Besitz oder Nichtbesitz einer Niederlassungserlaubnis ist ein der Feststellung nach § 43 Abs. 1 VwGO zugängliches Rechtsverhältnis. Wegen der Vielzahl der hiervon abhängigen Wirkungen hat der Kläger auch, wie es § 43 Abs. 1 VwGO erfordert, ein berechtigtes Interesse an der baldigen gerichtlichen Feststellung dieser von ihm in Anspruch genommenen Rechtsstellung.
2. Die Feststellungsklage ist auch begründet. Der Kläger ist nach wie vor im Besitz der ihm am 19. September 1997 erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. nunmehr, nach der Übergangsvorschrift des § 101 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, so dass das Gericht die begehrte Feststellung treffen musste.
Ein Aufenthaltstitel erlischt kraft Gesetzes, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist, § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, oder wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von 6 Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG).
a) Die Beklagte ist im vorliegenden Fall von einer Ausreise des Klägers aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund am 3. März 2012 ausgegangen. Ein solcher Grund liegt zweifelsfrei in den Fällen einer auf Dauer beabsichtigten Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland vor, kann aber auch dann vorliegen, wenn der Ausländer beabsichtigt, später in das Bundesgebiet zurückzukehren. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nicht (allein) nach dem Willen des Ausländers, sondern aufgrund einer Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles (VG Bayreuth, U. v. 08.05.2012 – B 1 K 10.631 – juris, Rn. 35 m. w. N.). Anzeichen für eine auf Dauer angelegte Ausreise sind z. B. Aufgabe von Wohnung und Arbeitsplatz, polizeiliche Abmeldung und anderes. Je länger die Abwesenheit dauert, desto mehr spricht für einen nicht nur vorübergehenden Grund; dieser kann sich abweichend von dem ursprünglichen Plan auch erst während des Auslandsaufenthaltes herausstellen (Bauer in: Renner/Bergmann/Dienel, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, § 51, Rn. 11).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht für das Gericht, insbesondere nach der Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung am 3. März 2016, fest, dass der Kläger nicht aus einem nicht nur vorübergehenden Grund aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist ist. Zwar konnte der Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG keine aussagekräftigen Unterlagen und Nachweise vorlegen, wonach er im März 2012 nicht nur vorübergehend ausgereist war. Insbesondere war er über einen längeren Zeitraum melderechtlich im Bundesgebiet nicht erfasst und hatte selbst vorgetragen, eine Firma in Dubai zu haben und auch in Tunesien geschäftlich tätig zu sein.
Dem steht jedoch die durch die Kammer durchgeführte Beweisaufnahme gegenüber. Dass der Kläger nicht aus einem nicht nur vorübergehenden Grund aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist ist, ergibt sich zunächst aus der glaubhaften Aussage der in der mündlichen Verhandlung am 3. März 2016 vernommenen Zeugin Z., der Mutter der sechsjährigen Tochter des Klägers. Diese hat ausgesagt, sie glaube nicht, dass der Kläger dauerhaft nach Tunesien habe gehen wollen. Es habe ihm dort nicht gefallen. Der Kläger treffe die Tochter und die Zeugin regelmäßig in …. Diese Treffen würden schon seit Jahren etwa alle zehn Tage stattfinden. Manchmal seien auch längere Pausen von mehreren Wochen dazwischen. Eine Drei-Monats-Pause, wohl im Jahr 2014, sei aber die einzige längere Pause gewesen. Es habe nie ein Gespräch darüber gegeben, dass der Kläger dauerhaft nach Tunesien habe gehen wollen. Er sei immer nur kürzere Zeit, insbesondere zu Familienbesuchen, in Tunesien gewesen. Sie wisse von einer Firma des Klägers in Dubai. Ihres Wissens habe er aber alles telefonisch abgewickelt. Der Kontakt zwischen dem Kläger und der gemeinsamen Tochter sei sehr gut. Sie wisse nicht, wo der Kläger wohne. Es habe sich eingespielt, dass man sich regelmäßig in … treffe.
Diese Aussage ist in sich stimmig und widerspruchsfrei. Zwar überrascht es zunächst, dass die Treffen immer nur in …, nicht aber am Wohnort der Zeugin (…) oder des Klägers stattfanden und die Zeugin nicht wusste, wo der Kläger wohnte bzw. wohnt. Dies erklärt sich zum einen aber dadurch, dass der Kläger wegen einer früheren Ausweisung nicht nach Österreich zu seiner Tochter einreisen durfte, zum anderen die Zeugin nicht daran interessiert war, den Kläger in seiner Wohnung zu besuchen, da deren frühere Beziehung beendet war und die Zeugin den Kontakt nur noch im Interesse der gemeinsamen Tochter pflegte. Aber auch wenn die Zeugin wegen ihrer Tochter ein gewisses Interesse am Verbleib des Klägers in Deutschland haben mag, um den Kontakt der Tochter zu ihrem Vater aufrecht erhalten zu können, hatte die Kammer nicht den Eindruck, dass die Zeugin deshalb eine für den Kläger positivere Aussage machen wollte. Die Zeugin wirkte ehrlich, sachorientiert und unbeeinflusst.
Die weitere Zeugin B., eine gute Bekannte des Klägers, bestätigte glaubhaft und zur Überzeugung des Gerichts, der Kläger habe nie geäußert, auf Dauer die Bundesrepublik Deutschland verlassen zu wollen. Sie sei regelmäßig in Kontakt mit dem Kläger gewesen und wisse nichts von einem Umzug ins Ausland. Sie kenne den Kläger seit einem Urlaub in Tunesien in den 1990er Jahren. Der Kläger sei, seit er nach seiner Heirat nach Deutschland gekommen sei, immer wieder zu Besuch bei der Zeugin und ihrem Ehemann gewesen. Der Kläger habe dabei auch öfters in einem Apartmenthaus ihres Mannes übernachtet. Ihr Mann und der Kläger seien gut befreundet gewesen. Auch nach dem Tod ihres Mannes (im Mai 2012) habe der Kontakt zum Kläger weiter regelmäßig bestanden. Es sei zwar nicht alle 2 bis 3 Wochen gewesen, aber auch nie länger als 2 bis 3 Monate, dass sie ihn gesehen habe; vielleicht nicht gerade im ersten halben Jahr nach dem Tod ihres Mannes. Der Kläger sei gelegentlich in ihrem Büro oder zuhause vorbeigekommen und Gast bei ihr und ihrer Tochter gewesen. Sie habe gedacht, der Kläger würde weiterhin in der …-straße in … wohnen. Der Kläger habe nie erzählt, dass er ins Ausland gehen wolle. Die Freundschaft mit dem Kläger sei so tief, dass dieser sicher gesagt hätte, wenn er weggegangen wäre.
Auch diese Zeugin wirkte auf die Kammer schlüssig, sachlich und wahrheitsgetreu und bei ihrer Aussage nicht von dem Bemühen getragen, dem Kläger aus freundschaftlicher Verbundenheit durch falsche Angaben helfen zu wollen.
Ausgehend von diesen glaubhaften Zeugenaussagen geht das Gericht davon aus, dass der Kläger sich nach den Vorschriften des Melderechtes nicht korrekt verhalten hat, indem er sich trotz seiner Anwesenheit immer wieder über längere Zeiträume nicht mit einer tatsächlich zutreffenden Wohnanschrift im Bundesgebiet angemeldet hat. Der Kläger konnte auch keine Unterlagen vorlegen, wonach er über einen längeren Zeitraum versicherungspflichtig im Bundesgebiet beschäftigt gewesen ist. Dennoch hatte er nach Überzeugung des Gerichts seinen Lebensmittelpunkt weiterhin im Bundesgebiet, wo er insbesondere regelmäßig seine sechsjährige Tochter getroffen hat. Seine wiederholten Ausreisen, insbesondere nach Tunesien und Dubai, waren nur vorübergehender Natur. Letztlich ist davon auszugehen, dass der Kläger Deutschland weiterhin und durchgehend als den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse ansieht und sich überwiegend hier aufhält.
b) Auch bei Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kommt das Gericht nicht zu einem anderen Ergebnis. Aus den Zeugenaussagen ergibt sich vielmehr, dass der Kläger seit März 2012 nie länger als 3 Monate aus dem Bundesgebiet ausgereist war. Die Mutter seiner sechsjährigen Tochter, die Zeugin Z., hat angegeben, der Kläger halte schon seit Jahren durchgehend den Kontakt zu seiner Tochter aufrecht, insbesondere durch Treffen in …. Diese Treffen hätten regelmäßig stattgefunden. Die längste Pause sei in den letzten Jahren eine Pause von drei Monaten gewesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt
(§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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