Arbeitsrecht

Keine Befristung des Anspruchs auf Erholungsurlaub durch § 15 MTV Banken

Aktenzeichen  8 Sa 348/18

Datum:
16.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 8193
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
TVG § 1
Manteltarifvertrag für die privaten und öffentlichen Banken (MTV Banken) § 15 Nr. 1, Nr. 6
BUrlG § 1, § 7 Abs. 3, Abs. 4, § 11

 

Leitsatz

Erfolglose Berufung des beklagten Verbandes: die Klage auf Urlaubsabgeltung scheitert nicht an einem Erlöschen des Urlaubsanspruchs wegen Befristung auf das Kalenderjahr vor rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses; § 15 MTV Banken sieht keine Befristung des Urlaubsanspruchs vor. (Rn. 60 – 74)
Die Bestimmung in § 15 Nr. 1 MTV Banken, die vorsieht, dass der Erholungsurlaub für das laufende Kalenderjahr gewährt wird, bringt – wie § 1 BUrlG – lediglich zum Ausdruck, dass ein Urlaubsanspruch für jedes Kalenderjahr entsteht. Daraus folgt hingegen keine Befristung des Anspruchs mit der Folge des Erlöschens bei Fristablauf. Auch im Übrigen lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Tarifnorm eine solche Befristung nicht entnehmen. (Rn. 60 – 74) (red. LS Alke Kayser)

Verfahrensgang

36 Ca 9795/17 2018-04-11 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 11.04.2018 – 36 Ca 9795/17 -wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
1. Die gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Entgegen seiner Auffassung wurde er zu Recht zur Zahlung der Abgeltung für zehn verbliebene Urlaubstage verurteilt. Ob die Klage in vollem Umfang als begründet anzusehen gewesen wäre, war nicht zu entscheiden, da die Teilabweisung der Klage durch das Arbeitsgericht rechtskräftig geworden ist.
Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung findet seine Grundlage in § 15 Nr. 6 MTV Banken. Seinen Voraussetzungen ist genügt; der tarifliche Erholungsurlaub konnte (jedenfalls) im noch streitbefangenen Umfang von zehn Tagen vor dem Ausscheiden des Klägers nicht mehr gewährt werden.
Dabei wird – mit dem Beklagten – davon auszugehen sein, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Abgeltung des Urlaubs gem. § 15 Nr. 6 MTV Banken sich inhaltlich nicht von denen des § 7 Abs. 4 BUrlG unterscheiden, und dass insbesondere die tarifliche Formulierung „Ausscheiden“ die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezeichnet, auf die auch § 7 Abs. 4 BUrlG abstellt. Weiter wird der Annahme des Beklagten zuzustimmen sein, dass vor dem Ausscheiden im genannten Sinne bereits erloschene Urlaubsansprüche nicht zu einer Abgeltung führen können. Zutreffend ist auch seine Ansicht, dass die Tarifvertragsparteien einen einheitlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen pro Kalenderjahr geregelt haben. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass der Beklagte zur Zahlung von Abgeltung für zehn Urlaubstage verpflichtet ist.
2. Denn nicht zu folgen ist seiner Auffassung, der verbliebene Urlaub aus dem Jahr 2015 sei bei der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2017 in Folge einer im Tarifvertrag vorgesehenen Befristung bereits erloschen gewesen. Der MTV Banken enthält keine Befristung des Urlaubsanspruchs. Dies ergibt seine Auslegung, die nach den Regeln der Gesetzesauslegung zu erfolgen hat.
2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. etwa Urteil vom 22.04.2010 – 6 AZR 962/08, BAGE 134, 184-196, Juris, Rn. 17), der sich die erkennende Berufungskammer anschließt, folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, der zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.
2.2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien keine Befristung des Urlaubsanspruchs vereinbart haben.
2.2.1. Eine Befristung des tariflichen Urlaubsanspruchs folgt nicht aus § 15 Nr. 1 Satz 1 MTV Banken. Sein Regelungsgehalt entspricht nicht dem des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG. Die abweichende Ansicht des Beklagten trägt dem Umstand nicht Rechnung, dass die Auslegung tariflicher Normen an den Wortlaut anzuknüpfen hat.
Die von den Tarifvertragsparteien gewählte Formulierung, der Erholungsurlaub werde für das laufende Kalenderjahr gewährt, bringt – wie § 1 BUrlG – lediglich zum Ausdruck, dass ein Urlaubsanspruch für jedes Kalenderjahr entsteht. Sie reicht nicht hin, um eine Befristung des Anspruchs mit der Folge des Erlöschens bei Fristablauf annehmen zu können.
Der von der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG hergestellte Zusammenhang zwischen Urlaubsanspruch und Kalenderjahr ist deutlich enger als der durch die tarifliche Regelung geschaffene. Erstere bringt die Notwendigkeit einer jährlichen Realisierung des Anspruchs zum Ausdruck; dies geschieht dadurch, dass sie nicht nur von einer Gewährung des Urlaubs spricht, sondern davon, dass er zu gewähren und zu nehmen ist, was deutlich auf die Erfüllung des Anspruchs in einem bestimmten Zeitraum hinweist, und durch die Formulierung „im“ Kalenderjahr bestätigt wird. Dass die Bindung an den Zeitraum zwingend ist, kommt durch die Verwendung des Verbs „müssen“ deutlich zum Ausdruck. Die Tarifnorm lässt dagegen all diese Elemente vermissen, und sie enthält keine anderen, die auf einen von vorne herein befristet eingeräumten Anspruch schließen ließen.
2.2.2. Der Gesamtzusammenhang der Regelungen in § 15 MTV Banken bestätigt die aus dem Wortlaut folgende Auslegung. An keiner Stelle enthält die Tarifnorm Regelungen zur Übertragung des Urlaubsanspruchs, wie sie etwa in § 7 Abs. 3 Satz 2 sowie Satz 3 und Satz 4 BUrlG zu finden sind. Dies mit dem Willen der Tarifvertragsparteien zu einer ausnahmslosen und also strengeren Bindung des Urlaubs an das Kalenderjahr, als sie der Gesetzgeber vorgesehen hat, zu erklären, kommt nicht in Betracht; dagegen spricht schon die eben erörterte „weichere“ sprachliche Fassung der Tarifnorm. Auch der Beklagte zieht diesen Erklärungsversuch – zu Recht – nicht in Erwägung.
Seiner Ansicht, die Tarifpartner hätten trotz des Fehlens von Übertragungsregelungen die gesetzlichen Regelungen zur grundsätzlichen Befristung und in Ausnahmefällen möglichen Übertragung des Urlaubs zugrunde gelegt, kann nicht gefolgt werden. Sie würde voraussetzen, § 15 Abs. 1 Satz 1 MTV Banken als Regelung einer strikten Befristung des Erholungsurlaubs – ohne jede Übertragungsmöglichkeit – zu verstehen, die dann erst über § 15 Nr. 9 MTV Banken durch die Anwendung der – gegenüber dieser strikten Bindung dann „günstigeren gesetzlichen Regelungen“, auf die allein die Verweisungsnorm abstellt, gemildert würde. Dies ist mit der Systematik des § 15 MTV Banken unvereinbar.
Wie das Arbeitsgericht zutreffend hervorgehoben hat, spricht § 15 MTV Banken als tarifliche Urlaubsregelung nämlich praktisch jede Thematik an, die in den §§ 1 bis 11 BUrlG eine Regelung erfahren hat, wenn auch teilweise -wie etwa bei der Frage der Erwerbstätigkeit während des Urlaubs – nur wiederholend und nicht eigenständig gestaltend. Die tarifliche Urlaubsregelung erscheint also insgesamt als eine in sich geschlossene Ausgestaltung des tariflichen Urlaubs. § 15 Nr. 9 MTV-Banken vermag daran nichts zu ändern, weil er keine pauschale ergänzende Bezugnahme enthält, sondern nur den Hinweis auf den Vorrang günstigerer gesetzlicher Regelung, der sich schon aus § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG erklärt.
Dass eine tarifliche Regelung, die in dieser Weise Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, die praktisch wichtigen Fragen der Befristung des Urlaubsanspruchs und seiner Übertragungsmöglichkeiten voneinander getrennt durch Niederlegung des Grundsatzes einer strikten Befristung im Tarifvertrag und seiner Ausnahmen (in Gestalt der gesetzlichen Übertragungsmöglichkeiten) durch eine allgemein formulierte Verweisung auf das Gesetzesrecht regeln wollte, erscheint fernliegend.
Mithin spricht das Fehlen der Regelung von Übertragungstatbeständen im Tarifvertrag, anders als der Beklagte meint, für die Annahme, dass sie von den Tarifvertragsparteien mangels einer strikten Bindung des Urlaubsanspruchs an das Kalenderjahr für entbehrlich erachtet wurden.
2.2.3. Die Tarifnorm enthält auch in den § 15 Abs. 1 Satz 1 nachfolgenden Sätzen keine (ausdrückliche) Regelung einer Befristung des tariflichen Urlaubsanspruchs. Weder durch die Wiedergabe gesetzlicher Formulierungen noch in eigenen Worten der Tarifvertragsparteien findet sich die Aussage, der Urlaubsanspruch sei auf das Kalenderjahr befristet oder erlösche ohne Weiteres mit dessen Ablauf.
2.2.4. Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich auch nicht aus § 15 Nr. 5 MTV Banken, der unter bestimmten Umständen die Urlaubsgewährung im Vorgriff auf das Folgejahr ermöglicht, der Grundsatz der Bindung an das „laufende Jahr“ herleiten. Die tarifliche Regelung betrifft die – im Gesetz nicht vorgesehene – Erfüllung von Urlaubsansprüchen, die noch gar nicht entstanden sind. Eine derartige Möglichkeit bedarf der Regelung sowohl bei grundsätzlicher Bindung an das Kalenderjahr nach gesetzlichem Vorbild als auch bei deren Fehlen. Die schlichte Existenz des § 15 Nr. 5 MTV Banken belegt damit nicht den Willen der Tarifvertragsparteien, den gesetzlichen Grundsatz der Befristung auf das Kalenderjahr in die tarifliche Regelung zu integrieren. Im Gegenteil kann die Regelung als Beleg dafür verstanden werden, dass die Tarifvertragsparteien eine nur lose Beziehung des Urlaubsanspruchs zum jeweiligen Kalenderjahr ihrer Rechtssetzung zugrunde gelegt haben.
2.2.5. Nicht zu folgen ist auch der Annahme des Beklagten, die (entsprechende) Geltung der gesetzlichen Befristungs- und Übertragungsregelungen lasse sich daraus herleiten, dass der Tarifvertrag keine ausdrückliche abweichende Regelung enthalte.
Ein „Gleichlauf“ ist hier vielmehr aufgrund des erkennbaren Anspruchs der Tarifvertragsparteien, eine in sich geschlossene und vollständige Regelung zu schaffen, ausgeschlossen.
2.2.6. Die von der Beklagten zitierte Literaturstelle enthält keine Argumente, die das dargestellte Auslegungsergebnis in Frage stellen könnten.
2.3. Es bleibt mithin festzuhalten, dass aus Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung deutlich wird, dass die Tarifvertragsparteien keine Befristung des tariflichen Urlaubsanspruchs vorgesehen haben. Damit scheitert der Abgeltungsanspruch nicht am Erlöschen des Urlaubsanspruchs vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Berufung des Beklagten musste damit der Erfolg versagt bleiben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Der Beklagte kann mithin gegen das vorliegende Urteil nach Maßgabe der nachfolgenden RechtsmittelbelehrungRevision einlegen. Dem Kläger steht kein Rechtsmittel zur Verfügung, da er durch die vorliegende Entscheidung nicht beschwert ist.


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