Arbeitsrecht

Keine Entfernung aus dem Dienst, sondern Zurückstufung wegen schwerer Persönlichkeitsstörung aufgrund spezifischen Abhängigkeitverhältnisses

Aktenzeichen  16b D 15.1182

Datum:
22.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138423
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 5 Abs. 1, § 9 Abs. 3 S. 2, § 13 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 2 S. 1
StGB § 20, § 21, § 132
AWV a.F. § 9 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Zur Beurteilung einer verminderten Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB kommt es bei der Steuerungsfähigkeit darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Beamte den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand entgegenzusetzen vermochte als ein Gesunder (ebenso BVerwG BeckRS 2010, 50796). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine solche verminderte Steuerungsfähigkeit kann vorliegen, wenn der Beamte – wie vorliegend – an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend vermeidend-selbstunsicheren und dependenten Zügen leidet, die die Eingangsmerkmale des § 20 StGB erfüllen. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit beim Beamten kann trotz Verletzung auch für ihn leicht einsehbarer Kernpflichten zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit iSv § 21 StGB führen, mit der Folge, dass die Erschwerungsgründe aufgewogen werden und als Höchstmaßnahme die Entfernung aus dem Dienst nicht mehr in Betracht kommt (Bestätigung BayVGH BeckRS 2017, 111542). (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19B DK 14.4637 2015-03-30 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 30. März 2015 wird abgeändert. Der Beklagte wird in das Amt eines Zollobersekretärs (BesGr A 7 BBesO) versetzt.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Beklagten, die trotz der ausdrücklich erklärten Beschränkung auf das Disziplinarmaß als uneingeschränkt eingelegt gilt (vgl. BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 16.10 – juris Rn. 13), ist zulässig und hat in der Sache auch teilweise Erfolg. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts wird der Beklagte nach § 9 BDG in das Amt eines Zollobersekretärs (BesGr A 7 BBesO) versetzt.
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Solche sind auch vom Beklagten im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht worden.
2. Folgender Sachverhalt steht zur Überzeugung des Senats fest:
2.1 Der Beklagte hat als an der Zollabfertigungsstelle M …- … (Messe) tätiger Zollbeamter im Zeitraum von Oktober 2002 bis Juli 2008 wissentlich und willentlich in 29.933 Fällen Ausfuhranmeldungen der Firma P … abgefertigt und abgestempelt, obwohl die betreffenden Waren – wie der Beklagte wusste – nicht gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes – Außenwirtschaftsverordnung (AWV) vom 18. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2671) = AWV a.F. gestellt (körperlich vorgeführt) worden waren und er mangels eines Zusammenhangs mit Messewaren hierfür sachlich auch nicht zuständig war. Der Beklagte handelte dabei auf Bitten seiner damaligen Kollegin an der Zollabfertigungsstelle Messe, der früheren Zollhauptsekretärin A, die aufgrund einer Vereinbarung mit der Firma P … für jede auf diese Weise abgefertigte Ausfuhranmeldung 5,- DM bzw. 2,50 € als Gegenleistung erhielt. Davon hatte der Beklagte aber weder Kenntnis noch einen Vorteil, sondern er handelte aus Gefälligkeit gegenüber der Firma P … bzw. Frau A. Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts M … vom 23. September 2009. Diese entfalten zwar keine Bindungswirkung gemäß § 57 Abs. 1 BDG, können nach § 65 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 57 Abs. 2 BDG der Entscheidung des Senats aber ohne erneute Prüfung zugrunde gelegt werden, da der Beklagte keine Einwendungen hiergegen erhoben hat. Darüber hinaus hat er diesen Sachverhalt auch im Straf- und Disziplinarverfahren vollumfänglich eingeräumt (vgl. Vernehmung vom 8.7.2008 Strafakte Bl. 1080; Vernehmung vom 5.11.2008 Strafakte Bl. 1088; Anhörung vom 30.1.2013 Disziplinarakte Bl. 295; Berufungsschriftsatz vom 8.7.2015).
Dagegen steht nicht mit der erforderlichen Gewissheit fest, ob der Beklagte bereits vor Oktober 2002 Ausfuhranmeldungen der Firma P … für Waren bearbeitet hat, die nicht gestellt worden waren. Auch wenn die Klägerin zutreffend darauf hinweist, dass der Beklagte in seiner Vernehmung vom 5. November 2008 (Strafakte Bl. 1088) angegeben hat, dass es so um 1999/2000 gewesen sein dürfte, als F … P … ihn darauf angesprochen habe, Ausfuhrbelege ohne vorherige Gestellung abzustempeln, hat der Beklagte in diesem Zusammenhang erklärt, er wisse nicht mehr genau, wann dies gewesen sei. Deshalb kann auch nicht unterstellt werden, der Beklagte habe eingeräumt, damit bereits 1999/2000 begonnen zu haben. Auch finden sich weder in den Strafnoch in den Disziplinarakten Anhaltspunkte, die belegen würden, dass der Beklagte bereits vor Oktober 2002 pflichtwidrig Ausfuhranmeldungen für die Firma P … bearbeitet hätte. Derartige Fälle waren weder Gegenstand des Straf- bzw. des Disziplinarverfahrens, noch sind sie von der Disziplinarklage umfasst, in der nur von einer „Vielzahl von Fällen“ in den Jahren von 2000 bis 2008 die Rede ist. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine Disziplinarklageschrift, aus der hervorgehen muss, welche konkreten Sachverhalte dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die jeweiligen Geschehensabläufe müssen nachvollziehbar beschrieben werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Beamte gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Auch dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.2011 – 2 B 69.10 – juris Rn. 6).
2.2 Der Beklagte hat weiter im Zeitraum von Juli 2005 bis Juli 2008 wissentlich und willentlich in 180 Fällen – wie der Beklagte wusste – unrechtmäßige Buchungen am elektronischen Zeiterfassungsgerät in der Zollabfertigungsstelle M …- … (Messe) zugunsten von Frau A durchführt und ihr dadurch ein nicht zustehendes Zeitguthaben von 90 Stunden verschafft, indem er diese mittels deren Chipkarte als anwesend einbuchte, obwohl sie nicht anwesend war. Der Beklagte handelte dabei auf Geheiß von Frau A aus Gefälligkeit gegenüber dieser. Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einlassungen des Beklagten im Straf- und Disziplinarverfahren, wo er die Falschbuchungen vollumfänglich eingeräumt hat (vgl. Vernehmung vom 5.11.2008 Strafakte Bl. 1090; Schriftsatz vom 7.5.2010 Disziplinarakte Bl. 111).
3. Der Beklagte hat durch den unter 2. festgestellten Sachverhalt vorsätzlich und schuldhaft gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten verstoßen und dadurch ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen i.S.d. § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. begangen, da sowohl die Bearbeitung der Ausfuhranmeldungen der Firma P … als auch die Buchungen zugunsten seiner ehemaligen Kollegin A in sein Amt als Zollbeamter eingebunden waren (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11).
3.1 Der Beklagte hat durch die Bearbeitung der von der Firma P … vorgelegten Ausfuhranmeldungen, obwohl die betreffenden Waren nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 AWV a.F. gestellt wurden, vorsätzlich gegen die Pflicht, die Gesetze zu beachten, sowie gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 54 Satz 3 BBG a.F., § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG n.F.) und zur Befolgung dienstlicher Weisungen und allgemeiner Richtlinien in Form zollrechtlicher Dienstvorschriften (§ 55 Satz 2 BBG a.F., § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG n.F.) verstoßen (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1979 – 1 D 64.78 – juris Rn. 36). Er hat dadurch zugleich eine Amtsanmaßung i.S.d. § 132 StGB begangen, weil er hierfür mangels eines Zusammenhangs mit Messewaren sachlich auch nicht zuständig war (vgl. Fischer, StGB, 66. Auflage 2017, § 132 Rn. 8). Da er hierbei aus Gefälligkeit gegenüber der Firma P … bzw. gegenüber Frau A handelte, liegt darin zudem ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit (§ 52 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F., § 60 Abs. 1 Satz 2 BBG n.F.) bzw. Uneigennützigkeit (§ 54 Satz 2 BBG a.F., § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG n.F.).
3.2 Der Beklagte hat durch die unzutreffende Buchung von Frau A als anwesend vorsätzlich gegen die Wahrheitspflicht sowie gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 54 Satz 3 BBG a.F., § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG n.F.) und zur Befolgung dienstlicher Weisungen und allgemeiner Richtlinien in Form der Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit vom 12. Oktober 2005 (§ 55 Satz 2 BBG a.F., § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG n.F.) verstoßen (vgl. BayVGH, U.v. 25.3.2009 – 16a D 07.1479 – juris Rn. 95). Er hat dadurch zugleich Beihilfe zur Verletzung der Dienstleistungspflicht (§ 54 Satz 2 BBG a.F., § 61 Abs. 1 Satz 1 BBG n.F.) durch Frau A geleistet (sog. „Arbeitszeitbetrug“, vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 91). Da er hierbei aus Gefälligkeit gegenüber Frau A handelte, liegt darin zudem ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Gebot der Uneigennützigkeit (§ 54 Satz 2 BBG a.F., § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG n.F.).
3.3 Diese Dienstpflichtverletzungen sind dem Beklagten auch subjektiv vorwerfbar, weil er schuldhaft handelte.
Laut psychiatrischem Sachverständigengutachten vom 25. März 2012 war eine Schuldunfähigkeit i.S.d. § 20 StGB beim Beklagten im Tatzeitpunkt auszuschließen (S. 35 f.). Dieser war danach sowohl hinsichtlich der pflichtwidrigen Ausfertigung und Abstempelung der Ausfuhranmeldungen der Firma P … als auch hinsichtlich der unrechtmäßigen Buchungen zugunsten von Frau A fähig, die Unrechtmäßigkeit seines Tuns einzusehen (ebda. S. 36). Der Beklagte hat auch selbst erklärt, dass ihm schon bewusst gewesen sei, dass die Bearbeitung von Ausfuhranmeldungen ohne Gestellung der Ware nicht rechtens (verboten) gewesen sei (vgl. Vernehmung vom 8.7.2008 Strafakte Bl. 1080; Gutachten S. 21), und angegeben, unrechtmäßige Buchungen für Frau A vorgenommen zu haben (vgl. Vernehmung vom 5.11.2008 Strafakte Bl. 1090; Schriftsatz vom 7.5.2010 Disziplinarakte Bl. 111).
Im Gutachten wird allerdings auch festgestellt, dass beim Beklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung mit vermeidend-selbstunsicheren sowie dependenten Zügen vorliege, die als schwere seelische Abartigkeit i.S.d. § 20 StGB zu werten sei und die – vor allem in Bezug auf das besondere Abhängigkeitsverhältnis des Beklagten zu Frau A, in die der Beklagte intensiv verliebt gewesen sei, ohne dass dies von ihr erwidert worden wäre, vielmehr habe diese den Beklagten nur ausgenutzt (so habe dieser ihr nicht nur eine Mietwohnung und einen teuren PKW finanziert, sondern auch Urlaubsreisen bezahlt und andere, kostspielige Geschenke gemacht, ihr auf deren Anruf Geld in den Urlaub überwiesen, ihren Hund in der Mittagspause Gassi geführt oder ihr Auto aus der Werkstatt abgeholt, um dadurch ihr Wohlwollen und ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, ohne hierfür jemals eine Gegenleistung erhalten zu haben) – dazu geführt habe, dass er in ambivalenten Situationen nicht mehr fähig gewesen sei, selbständig zu entscheiden (a.a.O. S. 34 f.). Aufgrund der konstatierten Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend selbstunsicheren sowie abhängigen Zügen und infolge der spezifischen Abhängigkeitsbeziehung zu Frau A habe der Beklagte vielmehr deren Wünschen weit weniger Widerstand entgegensetzen können, als dies einer gesunden Person möglich gewesen wäre, so dass aus medizinischer Sicht von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB zum jeweiligen Tatzeitpunkt auszugehen sei (a.a.O. S. 36). Der Senat geht demgemäß im Hinblick auf beide Vorwürfe von einer verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten aus.
4. Das festgestellte Dienstvergehen wiegt schwer i.S.v. § 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BDG. Gleichwohl ist nach Überzeugung des Senats noch nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit auszugehen, der eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gebieten würde. Die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls erlauben vielmehr eine mildere Bewertung des Dienstvergehens und führen zur Zurückstufung des Beklagten um zwei Stufen.
4.1 Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall angemessen und erforderlich ist, richtet sich nach § 13 Abs. 1 BDG. Die Disziplinarmaßnahme ist danach insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu bemessen (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG). Beamte, die durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren haben, sind gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Aus § 13 Abs. 1 BDG folgt die Verpflichtung des Gerichts, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme anhand einer prognostischen Würdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss deshalb in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist dabei die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Das festgestellte Dienstvergehen muss nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 Abs. 1 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten sowie der Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und nach den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach der Form und dem Gewicht des Verschuldens und nach den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte wie insbesondere dem eingetretenen Schaden (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 16).
Setzt sich das Dienstvergehen – wie hier – aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung. Das ist hier der Verstoß gegen § 9 Abs. 1 AWV a.F. und die damit einhergehende Amtsanmaßung nach § 132 StGB.
Der frühere 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme bei vorsätzlichen Verstößen gegen zollrechtliche Vorschriften, die dazu führen, dass Waren unter Verletzung von Einbzw. Ausfuhrverboten oder -beschränkungen über die Grenze verbracht werden, i.d.R. als indiziert angesehen (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1979 – 1 D 64.78 – juris Rn. 37; U.v. 24.11.1998 – 1 D 16.97 – juris Rn. 16). Ein Zollbeamter, der daran mitwirkt, Waren unter Verletzung zollrechtlicher Bestimmungen ein- oder auszuführen, versagt im Kernbereich seines Amtes und macht sich dadurch für eine weitere Belassung in diesem Amt untragbar. Es gehört gerade zu den dienstlichen Kernpflichten eines Zollbeamten, der Verletzung von Zoll- und Steuervorschriften entgegenzuwirken. Für die Maßnahmebemessung ist dabei der enge dienstliche Bezug zum Fehlverhalten des Beamten entscheidend (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.1998 – 1 DB 15.98 – juris Rn. 7).
Nach Ansicht des 2. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts ist hingegen bei innerwie bei außerdienstlich von einem Beamten begangenen Straftaten die Ausrichtung der grundsätzlichen Zuordnung des Dienstvergehens zu einer gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahme am jeweils gesetzlich bestimmten Strafrahmen geboten. Mit der jeweiligen Strafandrohung hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht. Die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet dabei die nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung innerwie außerdienstlich begangener Straftaten. Mit der Anknüpfung an die (im Tatzeitpunkt geltende) Strafandrohung wird zugleich verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 17, 19). Dagegen kommt bei einem – wie vorliegend – innerdienstlichen Dienstvergehen, bei dem der Beamte gerade nicht wie jeder Bürger, sondern in seiner dienstlichen Pflichtenstellung betroffen ist, dem ausgeurteilten Strafmaß bei der Bestimmung der konkreten Disziplinarmaßnahme keine indizielle oder präjudizielle Bedeutung zu (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 15).
Das Strafgericht hat gegen den Beklagten wegen des ihm im Disziplinarverfahren zur Last gelegten Vorwurfs der Amtsanmaßung in 29.933 Fällen eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung verhängt. Die dabei zur Anwendung gekommene Strafvorschrift des § 132 StGB sieht einen Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor. Begeht ein Beamter eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme grundsätzlich bis zur Zurückstufung. Weist ein Dienstvergehen indessen – wie hier aufgrund des gleichzeitig verwirklichten Verstoßes gegen zollrechtliche Bestimmungen gemäß § 9 Abs. 1 AWV a.F. – hinreichenden Bezug zum Amt des betreffenden Beamten auf, reicht der Orientierungsrahmen auch bei mittelschweren Straftaten, für die eine Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren gilt, bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 18).
Danach bildet vorliegend die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach § 10 BDG den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Ahndung des durch den Beklagten begangenen Dienstvergehens.
Die Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens kommt allerdings nur in Betracht, wenn dies unter Würdigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls dem Schweregehalt des konkret begangenen Dienstvergehens entspricht. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarische Höchstmaßnahme ist deshalb nur zulässig, wenn der Beamte wegen schuldhafter Verletzung einer ihm obliegenden Dienstpflicht das für die Ausübung seines Amtes erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG). Die Verhängung der Höchstmaßnahme ist nur gerechtfertigt, wenn die Abwägung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Beamten ergibt, dass es dem Dienstherrn nicht mehr zuzumuten ist, das Dienstverhältnis mit dem Beamten fortzusetzen. Neben der Schwere des Dienstvergehens sind hierfür die persönlichen Verhältnisse und das Verhalten des Beamten vor, bei und nach der Tat zu berücksichtigen. Ergibt die vorzunehmende Gesamtabwägung, dass aufgrund des Fehlverhaltens des Beamten ein endgültiger Vertrauensverlust in die ordnungsgemäße Diensterfüllung eingetreten ist, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 13).
4.2 Vorliegend ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass das Fehlverhalten des Beklagten zwar schwer i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG wiegt, dass der Beklagte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit jedoch noch nicht endgültig verloren hat und deshalb die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens wegen der besonderen Umstände des Dienstvergehens nicht geboten ist.
4.2.1 Zwar ist zu Lasten des Beklagten zu gewichten, dass er von Oktober 2002 bis Juli 2008 und damit über einen Zeitraum von fast sechs Jahren in 29.933 Fällen pflichtwidrig Ausfuhranmeldungen der Firma P … bearbeitet hat, so dass es sich nicht um eine persönlichkeitsfremde Augensblickstat handelt. Er hat sich dadurch auch nicht nur einer – lediglich vorsätzlich begehbaren – Amtsanmaßung i.S.d. § 132 StGB schuldig gemacht, sondern zudem vorsätzlich gegen § 9 AWV a.F. verstoßen, so dass Waren unter Verletzung zollrechtlicher Vorschriften ausgeführt wurden. Die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 AWV a.F. grundsätzlich vorgeschriebene Gestellung (d.h. körperliche Vorführung) der Waren beim zuständigen Zollamt soll die Zollbeamten in die Lage versetzen, sich durch Sichtkontrolle davon zu überzeugen, dass die Ware mit den in der Ausfuhrerklärung gemachten Angaben übereinstimmt, da andernfalls dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Dies hat der Beklagte sehenden Auges vereitelt, auch wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass hierdurch Abgaben hinterzogen oder einem Ausfuhrverbot unterliegende Waren exportiert worden wären bzw. der Klägerin oder Dritten (finanzielle) Schäden entstanden wären. Damit hat der Beklagte im Kernbereich seines Amtes versagt, da es gerade zu den Dienstpflichten eines Zollbeamten gehört, der Verletzung von Zollvorschriften entgegenzuwirken. Durch sein Verhalten hat der Beklagte zudem das in ihn mit der Übertragung der Tätigkeit an der Zollabfertigungsstelle gesetzte Vertrauen des Dienstherrn in eine pflichtgemäße selbständige Diensterfüllung enttäuscht, auf das dieser angewiesen ist, da dort keine ständige und lückenlose Überwachung möglich ist. Der Beklagte handelte hierbei auch aus eigennützigen Motiven, weil er Frau A einen Gefallen erweisen wollte, um ihre Zuneigung zu gewinnen. Er hat auch versucht, seine Taten zu verschleiern, indem er Ausfuhrunterlagen vernichtet und diese nicht in Gegenwart Dritter bearbeitet hat. Hinzu kommt, dass der Beklagte daneben mit seiner Beihilfe zum Arbeitszeitbetrug durch Frau A aus eigennützigen Gründen einen weiteren schweren Vertrauensbruch mit erheblichem disziplinarem Eigengewicht begangen hat (vgl. BayVGH, U.v. 25.3.2009 – 16a D 07.1479 – juris Rn. 89).
4.2.2 Von der danach an sich verwirkten Höchstmaßnahme ist aber ausnahmsweise zugunsten einer milderen Disziplinarmaßnahme abzusehen, weil ein anerkannter Milderungsgrund von einem solchen Gewicht vorliegt, der geeignet ist, das schwere Dienstvergehen des Beklagten als weniger gravierend erscheinen zu lassen. Nach Überzeugung des Senats bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in einem Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit i.S.d. §§ 20, 21 StGB begangen hat, so dass die Höchstmaßnahme nicht verhängt werden kann.
Bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Schuldfähigkeit des Beamten bei Begehung der Tat erheblich gemindert war, darf das Gericht im Rahmen seiner Zumessungsentscheidung diesen Aspekt nicht offen lassen bzw. ihn zugunsten des Betroffenen unterstellen und lediglich auf die Einsehbarkeit der betreffenden Pflicht abstellen. Vielmehr muss es die Frage einer etwaigen Minderung der Schuldfähigkeit des Beamten aufklären. Dabei kann auch das Vorliegen einer krankhaften Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit unterhalb der Schwelle einer seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB für die Gesamtwürdigung von Bedeutung sein (vgl. BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 – juris Rn. 13).
Hat der Beamte zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB gelitten oder kann eine solche Störung nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht ausgeschlossen werden und ist die Verminderung der Schuldfähigkeit des Beamten erheblich, so ist dieser Umstand bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens mit dem ihm zukommenden erheblichen Gewicht heranzuziehen. In diesem Fall kann die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht ausgesprochen werden (vgl. BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 – juris Rn. 14).
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung i.S.v. § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Beamte den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2010 – 2 C 83.08 – juris Rn. 29).
Die daran anknüpfende Frage, ob die Verminderung der Schuldfähigkeit aufgrund der krankhaften seelischen Störung erheblich i.S.d. § 21 StGB war, ist zwar eine Rechtsfrage. Als Vorfrage muss jedoch geklärt werden, ob der Beamte im Tatzeitraum an einer Krankheit gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststehen oder nicht ausgeschlossen werden können, kann beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen. Hierzu bedarf es i.d.R. besonderer ärztlicher Sachkunde (vgl. BVerwG, B.v. 29.8.2017 – 2 B 76.16 – juris Rn. 15).
Die im Rahmen des Disziplinarverfahrens von der Klägerin beauftragten beiden Sachverständigen Prof. Dr. N … und Dr. L … haben in ihrem psychiatrischen Fachgutachten vom 25. März 2012 ausdrücklich festgestellt, dass der Beklagte an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend vermeidend-selbstunsicheren und dependenten (d.h. abhängigen) Zügen leidet, die die Eingangsmerkmale des § 20 StGB (schwere seelische Abartigkeit) erfüllt (S. 35). Der Beklagte hatte danach zwar insoweit Einsicht in die Unrechtmäßigkeit seines Tuns (ebda. S. 36). Aufgrund der beschriebenen Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend selbstunsicheren sowie abhängigen Zügen und aufgrund der spezifischen Abhängigkeitsbeziehung zu Frau A konnte der Beklagte deren Wünschen und Vorschlägen jedoch sowohl hinsichtlich der Bearbeitung der Ausfuhranmeldungen der Firma P … als auch hinsichtlich des „Arbeitszeitbetrugs“ weitaus weniger Widerstand entgegensetzen, als dies einem Gesunden möglich wäre, so dass aus medizinischer Sicht von erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Taten auszugehen ist (a.a.O.).
Der Senat legt diese medizinische Einschätzung seiner Beurteilung zugrunde, ob die festgestellte Verminderung der Schuldfähigkeit des Beklagten rechtlich erheblich i.S.d. § 21 StGB war. Er verkennt hierbei nicht, dass die Frage der Erheblichkeit eine Rechtsfrage darstellt, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung medizinischer Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Die Erheblichkeitsschwelle liegt dabei auch umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit i.S.v. § 21 StGB maßgeblich von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2008 – 2 B 48.08 – juris Rn. 7).
An der Erheblichkeit der festgestellten verminderten Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB bestehen für den Senat jedoch keine Zweifel. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass es sich bei den vom Beklagten verletzten Dienstpflichten jeweils um leicht einsehbare und erfüllbare Kernpflichten handelt, deren Einsichtsfähigkeit für den Beklagten auch durch das Gutachten nicht in Frage gestellt wird. Es greift allerdings zu kurz, deshalb die Erheblichkeit i.S.v. § 21 StGB zu verneinen, obwohl das Gutachten aufgrund der von ihm festgestellten abhängigen Persönlichkeitsstörung eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt bejaht hat. Der Senat geht aufgrund der im Gutachten nachvollziehbar dargelegten Einschränkungen der Steuerungsfähigkeit beim Beklagten (a.a.O. S. 32-35) trotz Verletzung leicht einsehbarer Kernpflichten vielmehr von erheblich verminderter Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB im Tatzeitpunkt aus, durch die die Erschwerungsgründe aufgewogen werden. Dies hat zur Folge, dass vorliegend die Verhängung der Höchstmaßnahme nicht mehr in Betracht kommt (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2017 – 16a D 15.1777 – juris Rn. 41).
Die Klägerin kann diesbezüglich auch nicht einwenden, dass sich die aufgrund des spezifischen Abhängigkeitsverhältnisses zu Frau A festgestellte Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten nicht auf die seit Oktober 2002 vorgenommenen Abfertigungen der Ausfuhranmeldungen der Firma P … ausgewirkt haben könne, weil der Beklagte nicht erst unter dem Einfluss von Frau A, sondern unabhängig hiervon bereits ab etwa 1999/2000 begonnen habe, auf diese Weise pflichtwidrig Ausfuhren für die Firma P … abzuwickeln. Der Beklagte hat zwar angegeben (vgl. Vernehmung vom 8.7.2008 Strafakte Bl. 1080; Vernehmung vom 5.11.2008 Strafakte Bl. 1088), bereits wohl seit etwa 1999/2000 – wenn auch nur in Ausnahmefällen – Ausfuhranmeldungen für die Firma P … in der vorgeworfenen Weise bearbeitet zu haben, nachdem er von F … P … darauf angesprochen worden sei. Doch hat er laut Gutachten (S. 21) erklärt, dass er erst 2002 damit angefangen habe, und zudem ausgeführt (Vernehmung vom 8.7.2008 Strafakte Bl. 1080), dass ihn erst Frau A beschwichtigt und letztlich überredet habe, dass man das schon so machen könne. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22. November 2017 (vgl. Protokoll S. 3) hat er erklärt, dass erst Frau A mit der Bitte auf ihn zugekommen sei, ob nicht zugunsten der Firma P … auf die Gestellung verzichtet werden könne. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, der Beklagte habe bereits seit 1999/2000 auf Ansinnen von F … P … damit begonnen, die Ausfuhranmeldungen auf diese Weise abzufertigen.
Darüber hinaus ist auch davon auszugehen, dass der Beklagte und Frau A bereits seit 1998 in der Abfertigungsstelle zusammen arbeiteten (vgl. Vernehmung Beklagter vom 8.7.2008 Strafakte Bl. 1079; Vernehmung F … P … vom 9.7.2008 Strafakte Bl. 1137) und dass sie sich schon vorher kannten (vgl. Vernehmung Beklagter vom 8.7.2008 Strafakte Bl. 1079), so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass – selbst für den Fall, dass der Beklagte bereits vor Oktober 2002 Ausfuhranmeldungen für die Firma P … ohne Gestellung abgefertigt haben sollte – der Beklagte erst auf deren Drängen so verfahren ist. Im Übrigen geht das Gutachten auch davon aus (S. 33), dass der Beklagte aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung auch gegenüber der Firma P … nicht dazu in der Lage war, Forderungen nach einer Abfertigung ohne Gestellung abzulehnen.
Unabhängig hiervon ist der Klägerin eine Berufung darauf, dass der Beklagte bereits ca. 1999/2000 auch ohne eine Einflussnahme von Frau A damit begonnen habe, Ausfuhranmeldungen für die Firma P … ohne Gestellung abzufertigen, schon deshalb verwehrt, weil die angeblichen Dienstpflichtverletzungen ab 1999/2000 nach dem unter 2.1 Ausgeführten nicht wirksam zum Gegenstand der Disziplinarklage gemacht wurden und aus diesem Grund dem Beklagten nicht entgegengehalten werden können.
Das Gutachten ist von der Klägerin auch nicht substantiiert angegriffen worden. Die Exploration und der erhobene Befund sind nachvollziehbar. Anhaltspunkte, dass das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Grundlagen ausgehen, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweisen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter geben würde, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Das im Disziplinarverfahren eingeholte Gutachten kann auch im Gerichtsverfahren verwertet werden (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2016 – 2 B 40.16 – juris Rn. 10).
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sowohl hinsichtlich der Schwere des begangenen Dienstvergehens als auch im Hinblick auf das Persönlichkeitsbild des Beklagten noch kein endgültiger Vertrauensverlust i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG eingetreten ist. Laut Gutachten (S. 36) kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Persönlichkeitsstörung außerhalb einer spezifischen Abhängigkeitssituation wie zu Frau A zu einem kriminellen Rückfall führen dürfte.
4.2.3 Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sämtlicher den Beklagten be- und entlastenden Umstände ist unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beklagten zwar nicht die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, aber dennoch eine deutliche Pflichtenmahnung in Form der Zurückstufung des Beamten um zwei Stufen in das Amt eines Zollobersekretärs (BesGr A 7 BBesO) geboten.
Diese Disziplinarmaßnahme ist im Hinblick auf die Schwere des Dienstvergehens sowie den damit einhergehenden erheblichen Vertrauensschaden des Dienstherrn und der Allgemeinheit schuldangemessen und erforderlich. Dabei berücksichtigt der Senat, dass der Beklagte durch die Disziplinarmaßnahme nicht nur in eine um zwei Stufen niedrigere Besoldungsstufe versetzt wird, sondern dass dadurch zugleich die an das bisher innegehabte Amt in BesGr A 9 BBesO gebundene Amtszulage entfällt. Die damit verbundenen finanziellen Folgen für den Beklagten sind aus der Sicht des Senats erforderlich und geeignet, den Beklagten zu einem künftigen pflichtgemäßen Verhalten im Dienst anzuhalten. Die für den Beklagten sprechenden Umstände (gute dienstliche Leistungen; Einräumung der Taten nach Entdeckung; keine straf- und disziplinarrechtliche Vorbelastung; lange Dauer der Disziplinarverfahrens) sind dabei zwar durchaus mildernd zu berücksichtigen und rechtfertigen es, von einer Zurückstufung um drei Stufen in das Eingangsamt eines Zollsekretärs (BesGr A 6 BBesO) abzusehen. Sie führen angesichts der erheblichen Schwere des Dienstvergehens jedoch weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit dazu, dass der Beklagte nur um eine Stufe in das Amt eines Zollhauptsekretärs (BesGr A 8 BBesO) zurückgestuft bzw. dass nur eine Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 BDG) verhängt werden könnte. Zum Absehen von der gebotenen Zurückstufung um zwei Stufen führt auch nicht die Tatsache, dass der inzwischen 60jährige Beklagte vor seinem Eintritt in den Ruhestand aller Voraussicht nicht mehr in sein bisheriges Amt bzw. in ein Amt der BesGr A 8 befördert werden wird, da er diesen Nachteil durch eigenes vorwerfbares und schwerwiegendes Fehlverhalten herbeigeführt hat. Da kein Rechtsanspruch auf Beförderung besteht, geht das Gesetz bei der gebotenen Degradierung grundsätzlich davon aus, dass der Beamte den durch die Disziplinarmaßnahme erlangten Status auch endgültig beibehält (vgl. BVerwG, U.v. 9.11.1994 – 1 D 57.93 – juris Rn. 22). Aufgrund der Schwere des Dienstvergehens erscheint es trotz der langen Dauer des Disziplinarverfahrens auch nicht angezeigt, den Zeitraum von fünf Jahren, in dem der Beklagte nicht befördert werden darf (§ 9 Abs. 3 Satz 1 BDG), nach § 9 Abs. 3 Satz 2 BDG abzukürzen.
Diese Maßnahme verstößt auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Entsprechend dem Sinn des Disziplinarrechts, die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu wahren, ist es notwendig, die disziplinare Maßnahme zu wählen, die dem Gewicht des Dienstvergehens und dem dadurch eingetretenen Vertrauensschaden entspricht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt bei Disziplinarvergehen mit wirtschaftlichen Auswirkungen deshalb nicht, den durch das Dienstvergehen erstrebten Vorteil und den durch die Disziplinarmaßnahme eintretenden Nachteil miteinander abzuwägen. Ins Verhältnis zu setzen sind vielmehr die Schwere des Fehlverhaltens und der durch den Beamten veranlasste Vertrauensschaden. Hat beides, wie im vorliegenden Fall, erhebliches Gewicht, so ist der Nachteil, der für den Beamten durch die Disziplinarmaßnahme eintritt, nicht unverhältnismäßig. Er liegt in seinem persönlichen Verantwortungsbereich und ist seinem schuldhaften und pflichtwidrigen Verhalten zuzurechnen (vgl. BVerwG, U.v. 9.11.1994 – 1 D 57.93 – juris Rn. 22).
Ein Absehen von der gebotenen Disziplinarmaßnahme aufgrund der Identität des disziplinarrechtlichen Vorwurfs hinsichtlich des Verstoßes gegen zollrechtliche Vorschriften mit dem im sachgleichen Strafverfahren geahndeten Strafvorwurf der Amtsanmaßung kommt bei einer Zurückstufung nicht in Betracht (vgl. § 14 Abs. 1 BDG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 69 BDG, § 132 VwGO).


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