Arbeitsrecht

Keine Rechtsgrundlage für beitragsrechtliche Haftungsbescheide

Aktenzeichen  L 5 KR 460/18

Datum:
17.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40977
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 28e, § 28h, § 28p
SGB X § 39 Abs. 1 S. 1
VwVG § 2 Abs. 1 lit. b, § 3 Abs. 2a
HGB § 128

 

Leitsatz

Das Sozialgesetzbuch enthält keine Rechtsgrundlage zur Durchsetzung der zivilrechtlichen Haftung eines Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts für eine Beitragsschulden der Gesellschaft im Wege des Haftungsbescheides.

Verfahrensgang

S 6 KR 391/16 2018-09-05 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.09.2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) der Beklagten ist in der Sache nicht erfolgreich. Zutreffend hat das Sozialgericht den streitgegenständlichen Haftungsbescheid der Beklagten vom 15.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2017 aufgehoben.
1. Ausgangspunkt ist zunächst die Pflicht des Arbeitgebers zur ordnungsgemäßen Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge gem. § 28 e Abs. 1 S. 1 SGB IV. Zahlungspflichtiger und Beitragsschuldner (§§ 252 Abs. 1, 253 SGB V, §§ 173, 174 Abs. 1 SGB VI, § 348 SGB III, § 60 SGB XI) für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge ist der Arbeitgeber. Arbeitgeber der Werber und Teileleute im Sinne dieser Vorschriften war die von A. und R. L. betriebene „GbR“. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest nach dem Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen des Zolls und der DRV Bund und ist im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Zu leisten sind diese Beiträge ausschließlich an die zuständige Einzugsstelle (§ 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Das ist vorliegend die Beklagte gem. § 28 i SGB IV für die zutreffend erfassten, bei ihr gesetzlich krankenversicherten Personen aus der o.g. Drückerkolonne (vgl. Beitragsnachweis als Anlage zum Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015). Die Zahlungspflicht des Arbeitgebers ist öffentlich-rechtlicher Natur und beruht auf seiner „Indienstnahme als Privater“ für die Beitragsberechnung und Beitragszahlung wegen der Verpflichtung zur Gehaltszahlung und der Möglichkeit zum Abzug der Beitragsteile vom Lohn des Arbeitnehmers (§ 28d SGB IV; vgl. hierzu BSG v. 07.06.1979 – 12 RK 13/78 – SozR 2200 § 394 Nr. 1). Der Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang nicht bloß „Zahlstelle“ für den Beitrag, sondern er muss die Zahlungsverpflichtung aus § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV insgesamt als seine originäre und eigene Schuld erfüllen (BSG v. 27.01.2000 – B 12 KR 10/99 – SozR 3-2400 § 28h Nr. 11; BSG v. 29.06.2000 – B 4 RA 57/98 R – SozR 3-2600 § 210 Nr. 2; BSG v. 22.09.1988 – 12 RK 36/86 – SozR 2100 § 14 Nr. 22; Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 28e SGB IV), unabhängig davon, ob er den Arbeitnehmeranteil beim Arbeitnehmer nach § 28 g SGB IV in Abzug bringen kann oder nicht.
Die Beitragszahlungspflicht entsteht kraft Gesetzes, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen (§ 22 Abs. 1 SGB IV) und ist nicht daran geknüpft, ob der Arbeitgeber die Lohn- und Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers tatsächlich erfüllt hat. Maßgeblich für den Beitragsanspruch und dessen Höhe ist vielmehr der tatsächlich geschuldete Lohn (BSG v. 14.07.2004 – B 12 KR 1/04 R – NZS 2005, 538-543).
2. Eine GbR besitzt Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet (vgl. BGH, Urteil v. 29.1.2001, 11 ZR 331/00, 8GHZ 146, 341 ff.). Das BSG hat die mögliche Arbeitgeberstellung einer GbR bereits in seiner Entscheidung v. 16.2.1983 (12 RK 30/82, SozR 5486 Art. 4 § 2 Nr. 3) umfassend dargelegt und begründet. Es hat auch im Anschluss an diese Entscheidung mehrfach unterstrichen, dass die nach außen im Rechtsverkehr handelnde GbR Trägerin von Rechten und Pflichten, Adressatin von Bescheiden und Klägerin im gerichtlichen Verfahren ist (vgl. nur BSG, Urteil v. 29.1.2009, B 3 P 8/07 R, SozR 4-3300 § 89 Nr. 1; Urteil v. 20.10.2004, B 6 KA 15/04 R, SozR 4-1930. § 6 Nr. 1; Urteil v. 4.3.2004, B 3 KR 12/03 R, SozR 4-5425 § 24 Nr. 5). Auch in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wird davon ausgegangen, dass regelmäßig die GbR und nicht ihre Gesellschafter Arbeitgeber der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer ist (BAG, Urteil v. 30.10.2008, 8 AZR 397/07, NZA 2009,485; vgl. bereits BAG, Urteil v. 14.6.1989,5 AZR 330/88). Nach dem Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen der DRV Bund wie auch des Zolls, die ihren Niederschlag gefunden haben in der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die dem streitigen Haftungsbescheid/Betriebsprüfungsbescheid vom 19.03.2015 zugrundeliegende Beschäftigung der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Werber/Teileleute mit der „L. GbR“ bestand, welche die Drückerkolonne gestaltet und organisiert hatte. Denn die Tätigkeiten fanden ausschließlich in der Zeit statt, in der die „GbR“ bestand und noch nicht aufgelöst war.
3. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Klägerin oder ihr Ehemann selbst Arbeitgeber/in gewesen sein könnten. Deshalb kommt als Arbeitgeber allein die „GbR“ in Betracht.
Arbeitgeber der bei einer GbR beschäftigten Personen ist die GbR, nicht etwa deren Gesellschafter. Der Begriff des Arbeitgebers ist gesetzlich nicht definiert. Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist regelmäßig derjenige, zu dem ein anderer – der Beschäftigte – in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen (in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung) sowie eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Arbeitgeber insbesondere im Sinne der § 28e Abs. 1 Satz 1, 28p Abs. 1 Satz 5 SGB V ist mithin derjenige, dem der Anspruch auf die vom Beschäftigten nach Maßgabe des Weisungsrechts geschuldete Arbeitsleistung zusteht und der dem Beschäftigten dafür als Gegenleistung zur Entgeltzahlung verpflichtet ist (vgl. BSG, Urteil v. 27.7.2011, B 12 KR 10/09 R, m.w.N.). Rechtsfähige Personenvereinigungen, Personengesellschaften und Institutionen sind regelmäßig selbst Arbeitgeber der bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob zwischen ihnen und den sie bildenden Personen (bei einer Gesellschaft z.B. den Gesellschaftern) Interessenidentität besteht (BSG, Urteil v. 27.7.2011, a.a.O.).
4. Fest steht nach dem Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten, dass die „GbR“, mithin die Arbeitgeberin als Schuldnerin des Gesamtsozialversicherungsbeitrages, aufgelöst ist seit 01.07.2009. Zu diesem Zeitpunkt hat die „GbR“ ihre wirtschaftlichen Aktivitäten beendet, zu deren Zweck sich die Gesellschafter ursprünglich (spätestens) zum 01.01.2002 in einer GbR zusammengeschlossen hatten. Auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Aktenkundig ist, dass die Beklagte zur Einziehung der geschuldeten Beitragsnachforderung zunächst fruchtlose Vollstreckungsversuche unternommen hat in das Vermögen der Klägerin wie auch das Vermögen ihres Ehegatten. Sodann hat sie auf Hinweis des Klägerbevollmächtigten am 10.06.2016 gegenüber der Klägerin einen Haftungsbescheid erlassen über die volle Nachforderungssumme in Höhe von 121.832,86 €. Einen gleichlautenden Bescheid über dieselbe Forderung hat die Beklagte unter dem gleichen Datum auch gegenüber Herrn R. L. erlassen mit dem im Tatbestand aufgeführten und als zutreffend festzustellenden Inhalt und Wortlaut.
5. Der Haftungsbescheid ist rechtswidrig, da er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.
Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedürfen Maßnahmen im Bereich der Eingriffsverwaltung (wie teilweise auch der Leistungsverwaltung) einer gesetzlichen Grundlage. Diese ist jedenfalls dann erforderlich, wenn der Verwaltungsakt zu Rechtsbeeinträchtigungen eines Rechtsträgers führt, also bei einem belastenden Verwaltungsakt. Der Gesetzesvorbehalt erstreckt sich auf ein Handeln gerade durch einen Verwaltungsakt im Sinne einer doppelten Ermächtigung. Nach h.M. setzt der Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes nicht nur voraus, dass für die getroffene Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage besteht, sondern auch dafür, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsaktes handeln darf (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 35 Rn. 23 m.w.N.). Dies insbesondere auch deshalb, weil der Verwaltungsakt eine Titel- und Vollstreckungsfunktion besitzt, die es der Behörde ermöglicht, die darin enthaltenen Ge- und Verbote selbst zu vollstrecken. Dies führt zu einer Anfechtungslast der Betroffenen (vgl hierzu OVG Weimar, DVBl. 2012, 1042 f.; VGH München BayVBl. 2005, 183). Ob das Handeln durch Verwaltungsakt zulässig ist, ist dem einschlägigen materiellen Recht zu entnehmen. Die Befugnis zum Handeln in Form eines Verwaltungsaktes ist teilweise ausdrücklich geregelt, ausreichend aber auch erforderlich ist jedoch, dass sich die Befugnis der einschlägigen Rechtsvorschrift durch Auslegung entnehmen lässt. Insoweit genügt auch eine konkludente Ermächtigung (vgl. Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 2013, § 35 Rn. 14 m.w.N.)
a) Für den streitgegenständlichen Haftungsbescheid fehlt es an der erforderlichen, dem Gebot der Normenklarheit entsprechenden Rechtsgrundlage, denn die Statuierung einer Zahlungspflicht der Klägerin berührt ihre Rechte aus Art. 2 Abs. 1, 12 und 14 GG.
Die allgemeine Entscheidungsgrundlage nach § 28h SGB IV reicht nicht aus, die handelnden Personen (hier die Klägerin), nicht aber den Arbeitgeber (hier die „GbR“) für Beiträge haftbar zu machen, welche nach der ausdrücklichen Regelung in § 28e SGB IV der Arbeitgeber allein schuldet. Eine Ermächtigungsgrundlage zur persönlichen Inanspruchnahme der Klägerin auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen als Gesellschafter einer GbR durch die Beklagte ist weder im Haftungsbescheid der Beklagten benannt noch sonst ersichtlich. Auch kann sich die Beklagte insoweit nicht auf § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV stützen. Nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung – also nicht die Beklagte als Einzugsstelle – im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber dem Arbeitgeber.
b) Für den Erlass eines Haftungsbescheides für Beitragsnachforderungen findet sich auch sonst keine Rechtsgrundlage im SGB, die auf den vorliegenden Sachverhalt Anwendung finden könnte.
aa) Das SGB IV hat in § 28 e Abs. 2 in Fällen der Arbeitnehmerüberlassung eine Haftung des Entleihers sowie des Verleihers vorgesehen. In § 28 e Abs. 2 a SGB IV ist eine Haftung des Arbeitgebers des Bergwerkbetriebes im Falle von knappschaftlichen Arbeiten festgelegt. Weitere Haftungsvorschriften finden sich in § 28 e Abs. 3 SGB IV für Reeder, § 28 e Abs. 3 a bis f SGB IV regeln die Haftung von Unternehmern des Baugewerbes. Diese Vorschriften treffen auf den hier zugrundeliegenden Sachverhalt nicht zu.
bb) Das SGB I wie auch das SGB X beinhalten keine Haftungsnorm, die auf den vorliegenden Sachverhalt Anwendung finden könnte. Insbesondere findet sich kein Verweis auf § 191 AO, der eine tragfähige Haftungsnorm für Abgaben- und Steuerschulden – und nur für diese – beinhaltet.
Zwar verweist § 66 SGB X auf das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG), dieses enthält aber ebenfalls keine Befugnis zum Erlass eines Haftungsbescheides.
Nach § 2 Abs. 1 Buchst. b VwVG kann als Vollstreckungsschuldner in Anspruch genommen werden, wer für die Leistung, die ein anderer schuldet, persönlich haftet.
Gegen den Haftungsschuldner kann aber nur vollstreckt werden, wenn die Gläubigerbehörde gegen ihn einen Verwaltungsakt erlassen durfte und hat, mit dem seine Haftungsschuld begründet ist. Dieser Verwaltungsakt ist ein Leistungsbescheid im Sinne von § 3 Abs. 2 a VwVG (Engelhardt/App, VwVG § 2 Rn 3; App/Wettlaufer, § 5 Rn 17; zum entsprechenden § 20 Abs. 2 Nr. 2 ThürVwZVG VG Meiningen, B 11.5.1998 – 5 K 1261/97 -; NVwZ-RR 1999, 220 = KKZ 2000, 157). Der Leistungsbescheid ist unerlässlich. Denn er ist die grundsätzliche Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung.
Würde § 3 Abs. 2 a VwVG grundsätzlich zum Erlass eines Leistungsbescheides ermächtigen, verbliebe kein Anwendungsbereich für die Regelung des § 1 Abs. 2 VwVG, der zufolge vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes solche öffentlich-rechtlichen Geldforderungen ausgenommen sind, die im Wege des Parteistreites vor den Verwaltungsgerichten verfolgt werden, denn alle derartigen Forderungen könnten durch Leistungsbescheid durchgesetzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1968 – VII C 118.66 -, juris Rn. 44; Troidl, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG., § 3 Rn. 1).
Auch den weiteren Büchern des SGB ist keine allgemeine Befugnis zum Erlass von Haftungsbescheiden zu entnehmen. Vielmehr ordnet § 31 SGB I an, dass Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden dürfen, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt.
6. Es findet sich auch ansonsten keine Norm, die die Einstandspflicht der Klägerin für die öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten den „GbR“ in Gestalt der Beitragsnachforderungen anordnet.
Der Leistungsbescheid, hier also der Erstattungsbescheid gegen die „GbR“ als Selbstschuldnerin der Beitragsnachforderung, bedurfte, um auf Dritte erstreckt werden zu können, einer eigenständigen Rechtsgrundlage. Hierzu genügt nicht allein die dem Sonderprivatrecht der Kaufleute zugewiesene Haftungsnorm des § 128 HGB, die auf die Haftung der Gesellschafter einer GbR analoge Anwendung findet. Eine nach dem Zivilrecht bestehende Haftung muss vielmehr kraft ausdrücklicher öffentlich-rechtlicher Vorschrift zu einer solchen gemacht werden, die auch öffentlich-rechtlich geltend gemacht werden kann (BVerwG NJW 1990, 590). Daran fehlt es.
Ein öffentlich-rechtlicher Vollstreckungsgläubiger besitzt allein auf der Grundlage zivilrechtlicher Normen keineswegs die Befugnis, durch Verwaltungsakt zu handeln. Dieser muss vielmehr Klage vor einem ordentlichen Gericht erheben (BFHE 145, 13, 17; Beermann, Klein-Festschrift 1994, 953, 972). Zwar ist es für die Inanspruchnahme der Klägerin als solche ohne Bedeutung, aus welchem Rechtsgrund die Verbindlichkeit entstammt, jedoch ist der Rechtsgrund, aus dem die Klägerin als vormalige Gesellschafterin für die Beitragsnachforderung gegen die „GbR“ überhaupt nur haften kann, hier § 128 HGB, eine Norm, die dem privaten Recht angehört (so auch Wochner, Betriebsberater 1980, 1757, 1758). Dementsprechend haben in vergleichbaren Sachverhalten Einzugsstellen den Klageweg zu den Zivilgerichten beschritten (vgl. BGH vom 12.05.2009 – VI ZR 294/08; KG Berlin vom 16.02.2015 – 8 U 67/14 zu Ansprüchen aus § 823 II BGB i.V.m. § 266a StGB; s.a. Protokoll der Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 8./9.5.2012 – Tagesordnungspunkt 11).
7. Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig, da die Beklagte nicht rechtlos gestellt wird, sondern vielmehr die Möglichkeit hat, den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Der Gesetzgeber war sich der hier aufgezeigten Problematik offenbar bewusst, als er im Entwurf des SGB lVEinordnungsgesetzes vom 02.05.1988 (BT-Drs. 11/2221) in § 28e Abs. 4 SGB IV eine entsprechende Regelung vorgesehen hatte: „Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nichtrechtsfähigen Personenvereinigungen haben deren Pflicht zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Die in Satz 1 und 3 bezeichneten Personen haften, soweit Beitragsansprüche infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden.“ (BT-Drs. 11/2221, S. 6 und 22). Diese Regelung wurde aber im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens ersatzlos gestrichen (BT-Drs. 11/3445 vom 28.11.1988, S. 8 u. 35).
Dass der Gesetzgeber eine Haftungsnorm, die auch auf die Klägerin Anwendung gefunden hätte, nicht gewollt und nicht verabschiedet hat, ist auch von den Gerichten zu beachten (vgl. BVerfG vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14, BvR 1375/14, Rn. 73, juris).
8. Soweit mit BSG vom 30.01.2015 – B 3 KR 22/15 R eine Prüfzuständigkeit der Sozialgerichte auch für eingebettete Schadensersatzansprüche zu bejahen wäre, ergäbe sich die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids aus der eingetretenen Verjährung des zivilrechtlichen Anspruchs. Denn insoweit ist die Rechtsprechung des BGH zu beachten. So beginnt bei Behörden und öffentlichen Körperschaften die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach § 199 Abs. 1 BGB zu laufen, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist. Im Zusammenhang mit einer Prüfung im Sinne von § 28p SGB IV ist der zuständige Rentenversicherungsträger auch verfügungsberechtigt für die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer einer GmbH wegen der Vorenthaltung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen (BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 – VI ZR 294/08).
Die Verjährungsfrist umfasst daher auch die Zeiten, in denen die DRV Bund die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin im Wege der Gesellschafterhaftung bereits kannte. Ausgehend von den Betriebsprüfungsbescheiden vom 21.04.2011 war spätestens am 31.12.2014 die zivilrechtliche Verjährung eingetreten, auf welche sich die Klägerin auch berufen hat.
9. Unabhängig von der oben dargestellten Rechtswidrigkeit des Vorgehens mittels eines Verwaltungsaktes leidet der Haftungsbescheid an einem weiteren rechtlichen Mangel. Die Beklagte hat bei der Auswahl und der Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin das pflichtgemäße Ermessen nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht ausgeübt. Die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners steht im Ermessen der Behörde. Wie bereits ausgeführt, „kann“ nach § 2 Abs. 1 Buchst. b) VwVG unter anderem als Vollstreckungsschuldner in Anspruch genommen werden, wer für die Leistung haftet, die ein anderer schuldet. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden die insoweit erforderlichen Ermessenserwägungen nicht angestellt und sich anstelle dessen allein auf die Prüfung einer zivilrechtlichen Haftungsschuld der Gesellschafter beschränkt.
Das behördliche Ermessen ist auszuüben zunächst bei der Auswahl des Haftungsschuldners, den die Behörde ich Anspruch nehmen will und sodann bei der Festsetzung der Höhe der Forderung, für die der jeweilige Haftungsschuldner einstehen soll (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.03.2017 – B 2 U 10/15 R¸dazu kritisch: Bigge, Peters-Lange, SGb 2018, 222 sowie Ricke, WzS 2018, 311). Die Beklagte hat von dem ihr vom Gesetzgeber überantworteten Ermessen in den streitgegenständlichen Bescheiden keinen Gebrauch gemacht, insbesondere auch im Widerspruchsbescheid wurde dieser Mangel nicht geheilt.
Hinsichtlich des Haftungsbescheides lag auch keine Ermessensreduzierung auf Null vor. Im vorliegenden Verfahren bedarf es aber schon mit Blick auf die beiden haftenden Gesellschafter der „GbR“ und den Klärungsbedarf hinsichtlich des Umfangs der geltend zu machenden Beitragsnachforderungen sowie der damit in Betracht zu ziehenden Erwägungen hinsichtlich einer unterschiedlichen Verantwortlichkeit der Gesellschafter einer Ermessensbetätigung (zu den vor Erlass eines Haftungsbescheides anzustellenden Ermessenserwägungen vgl. Völlmeke, Deutsches Steuerrecht 1991, 1001; Blesinger, Steuer und Wirtschaft 1995, 226).
Die Berufung der Beklagten bleibt damit ohne Erfolg.
10. Die hier getroffene Entscheidung steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG. In seiner Entscheidung vom 20.03.1973 (8/2 RU 60/71) waren jedoch Forderungen der gesetzlichen Unfallversicherung betroffen, für die besondere Haftungsnormen bestanden und bestehen (vgl. nur § 110, § 150 SGB VII). Im Urteil vom 03.09.1986 (9aRV 10/85) hat das BSG entschieden, dass ein Mithaftender aufgrund und infolge einer Vermögensübernahme durch Verwaltungsakt in Anspruch genommen werden darf. Diese beiden Urteile sind jedoch noch vor dem SGB lV-Einordnungsgesetzes vom 02.05.1988 ergangen.
Das Urteil des BSG vom 08.12.1999 (B 12 KR 18/99 R) lässt nicht erkennen, ob ein besonderer, im SGB IV kodifizierter, Haftungstatbestand vorgelegen hat. Zudem befasst sich diese Entscheidung nicht mit der hier maßgeblichen Rechtsfrage.
Der Senat hat die Revision zugelassen aufgrund der vorgenannten Entscheidungen des BSG sowie wegen der besonderen Bedeutung zur Herbeiführung einer bundeseinheitlichen Handhabung der Beitragshaftung der handelnden Personen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.


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