Arbeitsrecht

Keine Wiedereinsetzung bei krankheitsbedingter Überlastung ohne Bemühen um einen Vertreter

Aktenzeichen  X B 126/20

Datum:
21.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:B.210721.XB126.20.0
Normen:
§ 56 Abs 1 FGO
§ 116 Abs 3 S 4 FGO
§ 139 Abs 4 FGO
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

1. NV: Eine Erkrankung ist nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn sie plötzlich aufgetreten ist, mit ihr nicht gerechnet werden musste und sie so schwerwiegend war, dass weder die Wahrung der laufenden Fristen noch die Bestellung eines Dritten, der sich um die Fristwahrung kümmern konnte, möglich war.
2. NV: Ein berufsmäßiger Prozessbevollmächtigter, der infolge der Nachwirkungen einer schweren Erkrankung nur eingeschränkt arbeitsfähig und daher nicht in der Lage ist, sämtliche kurzfristig anfallenden fristgebundenen Angelegenheiten gleichzeitig zu erledigen, muss sich auch außerhalb seiner Kanzlei um einen Vertreter bemühen, der die fristgebundenen Angelegenheiten übernehmen kann.
3. NV: Außergerichtliche Kosten eines Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, wenn er zwar einzelne Schriftsätze eingereicht hat, diese das Verfahren aber nicht wesentlich gefördert haben und er auch keinen Antrag gestellt hat.

Verfahrensgang

vorgehend FG Köln, 22. Oktober 2020, Az: 15 K 909/19, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 22.10.2020 – 15 K 909/19 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Tatbestand

I.
1
Das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) ist den Prozessbevollmächtigten (P) des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), einer Rechtsanwaltskanzlei mit sechs Rechtsanwälten, am 28.10.2020 zugestellt worden. Nach Einlegung der Beschwerde hat die Senatsvorsitzende die Frist für die Einreichung der Beschwerdebegründung auf Antrag der P bis zu dem in § 116 Abs. 3 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gesetzlich vorgesehenen Höchstmaß von drei Monaten (hier: 28.01.2021) verlängert.
2
Am 27.01.2021 beantragten die P beim Bundesfinanzhof (BFH), die Begründungsfrist weiter bis mindestens zum 01.03.2021 zu verlängern. Dies wurde damit begründet, dass der allein sachbearbeitende Rechtsanwalt (R) und Namensgeber der Kanzlei sich im Dezember 2020 einer Notoperation habe unterziehen müssen und vom 16. bis 31.12.2020 arbeitsunfähig gewesen sei. Auch im Januar 2021 sei R infolge der Erkrankung nur eingeschränkt arbeitsfähig gewesen. Ferner habe die Kanzlei zum Ende des Jahres 2020 mehrere neue Mandate mit Verjährungssachen sowie im einstweiligen Rechtsschutz angenommen. R könne die Anfertigung der Beschwerdebegründung nicht an die anderen Rechtsanwälte der Kanzlei delegieren, da nur er das Revisionsrecht beherrsche.
3
Die Senatsvorsitzende lehnte den Fristverlängerungsantrag unter Hinweis auf § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO ab, regte allerdings an, die im Fristverlängerungsantrag bereits angedeuteten Umstände in einem künftigen Wiedereinsetzungsverfahren glaubhaft zu machen.
4
Am 01.03.2021 (Montag) gingen die Beschwerdebegründung sowie ein Wiedereinsetzungsantrag beim BFH ein. Zu dessen Begründung wurde ausgeführt, R habe bei der Notoperation ein Abszess am Gaumen entfernt werden müssen. Er habe nicht mehr schlucken können. Ferner habe sich ein Larynxödem gebildet. R habe während der Erkrankung sein gesamtes Körperfett verloren. Auch nach Rückkehr aus dem Krankenhaus habe er nur sehr eingeschränkt arbeiten können. Während er seit 1982 durchgehend 65 bis 70 Stunden pro Woche gearbeitet habe, nie krank gewesen sei und kaum Urlaub genommen habe, seien es jetzt anfänglich nur noch 20 Wochenstunden, später 30 Wochenstunden gewesen. Auch dies sei aber noch zu viel gewesen, da er sich im Mai 2021 einer weiteren Notoperation habe unterziehen müssen.
5
Nach seiner Rückkehr in die Kanzlei am 28.12.2020 habe R dort zahlreiche anderweitige fristgebundene Angelegenheiten vorgefunden. Eine Delegation auf andere Kanzleimitglieder sei nur sehr eingeschränkt möglich gewesen, da die Angelegenheiten zum Teil äußerst komplex seien und nur R sie in der nötigen Tiefe kenne. Zudem seien die anderen Rechtsanwälte mit ihren eigenen Fällen ausgelastet gewesen. Die hohe Beanspruchung im Januar 2021 habe allerdings nicht auf den neu aufgenommenen Mandaten beruht, sondern darauf, dass in Bestandsmandaten umfangreiche Arbeiten erforderlich gewesen seien, zu deren Erledigung R wegen seiner Erkrankung nicht gekommen sei, und die verlängerten Fristen nunmehr abgelaufen seien. Die Überlastung im Januar 2021 sei daher allein auf die fortbestehende Erkrankung, nicht aber auf ein in der Annahme neuer Mandate liegendes Verschulden zurückzuführen.
6
Die anderen Rechtsanwälte der Kanzlei seien nicht in der Lage, das vorliegende Verfahren zu bearbeiten. Niemand von ihnen habe Erfahrung im Steuerrecht oder in Verfahren vor dem BFH. R hingegen sei anderthalb Jahre bei einem vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zugelassenen Rechtsanwalt tätig gewesen und habe seitdem ca. 50 Verfahren vor dem BGH geführt. Er sei vertieft im Steuerrecht tätig, führe jährlich ca. zehn finanzgerichtliche Verfahren und habe auch schon fünf Verfahren vor dem BFH geführt.
7
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) hält die Beschwerde für unzulässig.


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