Arbeitsrecht

Klage auf Wiedererteilung der ärztlichen Approbation nach Vorstrafe

Aktenzeichen  Au 2 K 14.1732

Datum:
10.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BÄO BÄO § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Hat ein Arzt nach Widerruf der Approbation die Würdigkeit oder Zuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes zweifelsfrei wiedererlangt und liegt auch sonst kein Versagungsgrund vor, hat er einen Anspruch auf erneute Erteilung der Approbation (ebenso BVerwG NJW 2010, 2901, (2903)). Eine Zurückstellung der Entscheidung über den Antrag und die Erteilung lediglich einer Berufserlaubnis nach § 8 Abs. 1, Abs. 2 BÄO kommen dann nicht in Betracht (BVerwG BeckRS 2012, 60009). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Wiederherstellung der Würdigkeit setzt voraus, dass sich die Sachlage „zum Guten geändert hat“ (ebenso BVerwG BeckRS 1996, 31324018), nämlich der Arzt das erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt hat. Das ist der Fall, wenn bei Würdigung aller Umstände nicht mehr zu besorgen ist, dass dessen selbstständige Berufstätigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig erschüttern könnte. (redaktioneller Leitsatz)
3 Im Wiedererteilungsverfahren sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung Art und Schwere des Fehlverhaltens sowie der zeitliche Abstand zu den die Unwürdigkeit begründenden Verfehlungen zu berücksichtigen, des Weiteren alle Umstände, die nach Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens eingetreten sind (ebenso BVerwG NJW 2010, 2901), insbesondere ein beanstandungsfreies Verhalten mit nachträglicher beruflicher Bewährung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die ärztliche Approbation zu erteilen.
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist gemäß § 75 VwGO zulässig, da weder die Regierung von … im Rahmen der von ihr erteilten Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs noch die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BÄO i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 HeilBZustV nunmehr zuständig gewordene Regierung von … über den vom Kläger im Februar 2014 gestellten Antrag auf Wiedererteilung der ärztlichen Approbation in der Sache entschieden haben.
Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die ärztliche Approbation wieder zu erteilen; ein Ermessen steht der zuständigen Behörde insoweit nicht zu. Die Gründe, die einer Erteilung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO bislang entgegenstanden, sind nach Überzeugung der Kammer weggefallen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut Straftaten, wie sie dem Widerruf der Approbation zugrunde lagen, begehen könnte oder dass er seine sonstigen beruflichen Pflichten in Zukunft nicht zuverlässig erfüllen wird, liegen nicht vor. Auf die Erteilung der ärztlichen Approbation besteht ein Rechtsanspruch, wenn die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 Satz 1 BÄO vorliegen; dies ist hier der Fall.
1. Ein Berufsverbot – hier in Form einer Verweigerung der Approbationserteilung – greift regelmäßig tief in das Recht der freien Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) und zugleich in die private und familiäre Existenz ein; es kann Lebenspläne von Betroffenen zunichtemachen, die von Berufen ausgeschlossen werden, für die sie sich ausgebildet und die sie für sich und ihre Angehörigen zur Grundlage der Lebensführung gemacht haben. Solche Einschränkungen sind verfassungsrechtlich nur statthaft, wenn und solange sie zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter notwendig sind und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt beachtet wird (BVerfG, B.v. 2.3.1977 – 1 BvR 124/76 – NJW 1977, 892); insbesondere darf gerade in diesen Zusammenhängen die Fähigkeit des Menschen zur Änderung und zur Resozialisierung nicht gänzlich außer Acht gelassen werden (vgl. BVerfG, B.v. 8.3.1983 – 1 BvR 1078/80 – BVerfGE 66, 337 = NJW 1984, 2341; BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 37.01 – NJW 2003, 913).
2. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BÄO ist die Approbation zu widerrufen, wenn die Voraussetzung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO nachträglich weggefallen ist, also der Arzt oder die Ärztin sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Daraus folgt für die nach § 8 Abs. 1 BÄO vorgesehene Möglichkeit, einen Antrag auf Wiedererteilung der Approbation zu stellen, dass dem Kläger mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG und das Verhältnismäßigkeitsgebot die Approbation nicht länger verwehrt werden kann, als es die den Widerruf tragenden Gründe erfordern. Hat er die Würdigkeit oder Zuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes zweifelsfrei wiedererlangt und liegt auch sonst kein Versagungsgrund vor, hat er einen Anspruch auf erneute Erteilung der Approbation (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 22.09 – BVerwGE 137, 1 – zur Wiedererteilung der Berufserlaubnis eines Logopäden; B.v. 27.1.2011 – 3 B 63.10 – NJW 2011, 1830; B.v. 23.7.1996 – 3 PKH 4.96 – juris Rn. 3 f.). Eine Zurückstellung der Entscheidung über den Antrag und die Erteilung lediglich einer Berufserlaubnis nach § 8 Abs. 1, Abs. 2 BÄO kommen dann nicht in Betracht (BVerwG, B.v. 15.11.2012 – 3 B 36.12 – juris).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein Arzt unwürdig im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO ist, wenn er ein Fehlverhalten gezeigt hat, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist, und er daher nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig ist (st. Rspr., vgl. z. B. BVerwG, B.v. 27.1.2011 a. a. O. Rn. 4; B.v. 6.3.2003 – 3 B 10.03 – juris Rn. 3; B.v. 28.1.2003 – 3 B 149.02 – juris Rn. 4). Entsprechend setzt die Wiederherstellung der Würdigkeit voraus, dass sich die Sachlage „zum Guten geändert hat“ (vgl. BVerwG, B.v. 23.7.1996 a. a. O.), nämlich der Arzt das erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt hat. Das ist der Fall, wenn bei Würdigung aller Umstände nicht mehr zu besorgen ist, dass dessen selbstständige Berufstätigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig erschüttern könnte. Im Wiedererteilungsverfahren sind daher im Rahmen einer Gesamtbetrachtung Art und Schwere des Fehlverhaltens sowie der zeitliche Abstand zu den die Unwürdigkeit begründenden Verfehlungen zu berücksichtigen, des Weiteren alle Umstände, die nach Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens eingetreten sind (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 a. a. O. Rn. 11; B.v. 27.10.2010 – 3 B 61.10 – juris Rn. 8; U.v. 23.10.2007 – 3 B 23.07 – juris Rn. 6; U.v. 16.7.1996 – 3 B 44.96 – Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 95 S. 28/29). Ein beanstandungsfreies Verhalten, insbesondere eine nachträgliche berufliche Bewährung, fällt hiernach positiv ins Gewicht, während umgekehrt etwaige neue Verfehlungen negativ zu Buche schlagen.
Ob gemessen an diesen Grundsätzen die Voraussetzungen zur Wiedererteilung der Approbation vorliegen, ist im Einzelfall zu prüfen. Das gilt für den Gesichtspunkt des Zeitablaufs, dem je nach Lage des Falles ein mehr oder weniger großes Gewicht zukommt, ebenso wie für die übrigen Umstände (BVerwG, B.v. 15.11.2012 a. a. O.).
3. Um feststellen zu können, ob der betroffene Arzt das zur Ausübung seines Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen wiedererlangt hat, ist regelmäßig ein längerer innerer Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterlichen Mängel erforderlich (vgl. NdsOVG, U.v. 11.5.2015 – 8 LC 123.14 – juris Rn. 57). In der Rechtsprechung werden hierfür Zeiten von mindestens fünf bis höchstens 20 Jahren Dauer angesetzt (vgl. NdsOVG, U.v. 11.5.2015 a. a. O.). Damit verbunden ist die Frage, welcher Zeitpunkt als Beginn des Reifeprozesses anerkannt werden soll. Die Kammer neigt in dieser Frage zu der vom NdsOVG vertretenen Ansicht, wonach der Zeitpunkt maßgeblich sein soll, in dem die zur Annahme der Berufsunwürdigkeit führenden gravierenden Verfehlungen durch den Betreffenden eingestellt worden sind, gleichgültig, ob dies auf einem freiwilligen Willensentschluss des Betreffenden oder auf einer Aufdeckung und Ahndung der Verfehlungen durch Dritte, insbesondere Strafverfolgungs- oder Approbationsbehörden beruht (U.v. 11.5.2015 a. a. O.; ebenso SächsOVG, U.v. 13.3.2012 – 4 A 18.12 – juris Rn. 32 ff.). Nach dieser Ansicht kann die durch eine gravierende Verfehlung eingebüßte Berufswürdigkeit bereits während des laufenden behördlichen Verfahrens über den Widerruf der Approbation wieder erlangt worden sein (vgl. NdsOVG, B.v. 23.7.2014 – 8 LA 142.13 – juris Rn. 38 f.). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der zur Kompensation von charakterlichen Mängeln erforderliche Reifeprozess ein tatsächlicher Vorgang ist, der in der Regel bereits mit der Aufgabe der gravierenden Verfehlungen einsetzt und eine behördliche oder gar gerichtliche Bestätigung der Verfehlung sowie einen damit verbundenen Appell zur Läuterung nicht voraussetzt. Durch eine Anknüpfung an die genannten nachgelagerten Zeitpunkte würde zudem derjenige Betroffene benachteiligt, der eine selbst erkannte Verfehlung freiwillig aufgibt, das Unrecht seines Handelns frühzeitig einsieht und sich ohne behördlichen oder anderen Einfluss um Wiedergutmachung entstandener Schäden bemüht. Ein bereits weitgehend oder jedenfalls teilweise absolvierter Reifeprozess würde so ohne jede sachliche Rechtfertigung entwertet. Eine Anknüpfung an den Zeitpunkt, in dem der Bescheid über den Widerruf der Approbation bestandskräftig geworden ist, oder an den Zeitpunkt, in dem die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit tatsächlich eingestellt worden ist, wäre zudem zwangsläufig mit dem generellen Erfordernis einer Bewährung im außerberuflichen Bereich verknüpft. Ein solches generelles Erfordernis ist mit Blick auf die Beeinträchtigung der Berufswahlfreiheit nicht verhältnismäßig (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 28.8.2007 – 1 BvR 1098/07 – juris Rn. 22). Im Übrigen bietet ein Reifeprozess, der während eines tatsächlich ausgeübten ärztlichen Berufs absolviert wird und durch den der Betroffene seine Fähigkeit zur beanstandungsfreien Berufsausübung dokumentieren kann, noch am ehesten die Gewähr dafür, dass der Betroffene sich „zum Guten geändert“ hat (so auch SächsOVG, U.v. 13.3.2012 a. a. O. Rn. 37). Hiervon ist offenbar auch der Gesetzgeber bei Einführung der Erlaubnis nach § § 8 BÄO ausgegangen.
Ein bloßer Zeitablauf allein ist für die Wiedererlangung der Würdigkeit aber nicht ausreichend (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.1996 – 3 B 44.96 – a. a. O.). Denn durch den Approbationswiderruf wegen Unwürdigkeit soll nicht das bisherige Verhalten des Arztes durch eine zeitliche Verhinderung der Berufsausübung sanktioniert, sondern das Ansehen der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit geschützt werden, um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde verliehen ist, und in deren Behandlung sich die Patienten begeben. Die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs besteht daher erst dann wieder, wenn der Arzt das erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt hat, mithin wenn nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände nicht mehr zu besorgen ist, dass dessen selbstständige Berufstätigkeit das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig erschüttern könnte (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2012 a. a. O.). In die danach gebotene Gesamtwürdigung ist zum einen die Dauer des Reifeprozesses einzustellen und dabei zu gewichten. Zeiten der inneren Reifung, die unter dem Druck eines schwebenden behördlichen Verfahrens absolviert worden sind, kommt regelmäßig kein besonderer Wert, sondern ein geringeres Gewicht zu (NdsOVG, U.v. 11.5.2015 a. a. O. Rn. 56; vgl. auch OVG Saarl, U.v. 29.11.2005 – 1 R 12.05 – juris Rn. 166; BayVGH, B.v. 15.6.1993 – 21 B 92.226 – juris Rn. 34). Darüber hinaus sind bei der Gesamtwürdigung insbesondere auch die Art, Schwere und Zahl der Verfehlungen zu berücksichtigen, die zur Annahme der Unwürdigkeit geführt haben, sowie das Verhalten des Betroffenen nach der Aufgabe oder Aufdeckung der Verfehlungen, etwa seine Mitwirkung an der Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, seine Einsicht in das verwirklichte Unrecht und seine Bemühungen um eine Wiedergutmachung entstandener Schäden sowie das Ausbleiben erneuter, mit Blick auf die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs relevanter Verfehlungen.
4. Zunächst ist festzuhalten, dass dem Kläger die ärztliche Approbation zu Recht entzogen worden ist. Er ist wegen der Begehung schwerer Straftaten nach § 185, § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Mit den dieser Verurteilung zugrunde liegenden Taten hat er ein Fehlverhalten gezeigt, aus dem sich die Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben hat. Der Kläger hat die Straftaten unter Missbrauch seiner beruflichen Stellung und unter grober Verletzung seiner Berufspflichten begangen. Das strafrechtliche Gewicht der Verfehlungen kann unter anderem daraus ersehen werden, dass das Bundeszentralregistergesetz in § 46 Abs. 1 Nr. 3 für die Tilgung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach §§ 174 ff. StGB aus dem Register, wenn die Taten mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr geahndet werden, eine Frist von 20 Jahren ab der ersten Verurteilung vorsieht. Diese Tilgungsfrist ist im Fall des Klägers erst etwa zur Hälfte abgelaufen.
Die Erteilung der Approbation kann jedoch nicht von der Tilgung der Verurteilung im Strafregister abhängig gemacht werden; anderenfalls wäre dem Kläger eine Wiederaufnahme der Berufstätigkeit als Arzt schon aus Altersgründen kaum noch möglich. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Straftaten inzwischen mehr als 12 Jahre, der Widerruf der Approbation nahezu acht Jahre zurückliegen und auch seit Eintritt der Bestandskraft des Approbationswiderrufs bereits fünf Jahre vergangen sind. Des Weiteren sind alle Umstände zu beachten, die nach Abschluss des behördlichen Widerrufverfahrens im Juli 2008 eingetreten sind.
Der Kläger hat das Unrecht seiner Taten letztlich auch eingesehen und den Widerruf der Approbation – durch Rücknahme der Klage gegen den Widerrufsbescheid – auch akzeptiert. In seinem Schreiben vom 24. Februar 2014 an die Regierung von … hat er seine schweren Verfehlungen eingeräumt und angegeben, dass er aus seinen Taten gelernt habe. Daraus kann immerhin ersehen werden, dass beim Kläger ein innerer Reifeprozess eingesetzt hat und er zumindest Ansätze von Reue erkennen lässt.
Der Kläger hat bis zum Antritt seiner Freiheitsstrafe im Mai 2010 seinen Beruf als Arzt in eigener Praxis ausgeübt. Die Staatsanwaltschaft … führte in dieser Zeit ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts des Verstoßes gegen ein verhängtes Berufsverbot; von der Strafverfolgung wurde jedoch schließlich gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen. Zu weiteren Beanstandungen ist es nicht gekommen. Der Kläger hat damit während 22 Monaten vor seiner Inhaftierung gezeigt, dass er die vom Beklagten geforderte berufliche Bewährung sogar in selbstständiger Stellung, wenn auch unter dem Druck des damals noch laufenden Strafverfahrens, leisten kann.
Der Kläger hat anschließend 21 Monate (zwei Drittel) seiner Freiheitsstrafe verbüßt und wurde danach aus der Haft entlassen. Während der Haftzeit hatte er sich einer psychotherapeutischen Behandlung durch den Anstaltsarzt unterzogen. Das Gericht hat die restliche Strafe sodann bis zum 9. Februar 2016 zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungszeit ist inzwischen ohne Beanstandungen abgelaufen. Im Anschluss an die Haftentlassung hat der Kläger während der Dauer eines Jahres eine ambulante Gesprächstherapie bei einem Diplompsychologen absolviert. In dieser Zeit hat er drei Monate als Altenpflegehelfer und anschließend als Hausmann sowie als Betreuer seiner drei minderjährigen Kinder gearbeitet.
In einem vom Kläger vorgelegten nervenärztlichen Gutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 5. Oktober 2014 wird ihm zusammenfassend bescheinigt, dass er zur Ausübung des ärztlichen Berufs geeignet sei, von ihm keine Gefahr für Patienten ausgehe und eine Wiederholung der dem Widerruf der Approbation zugrundeliegenden Straftaten ausgeschlossen sei; die Approbation könne ihm aus nervenärztlicher und psychotherapeutischer Sicht jederzeit wieder erteilt werden. Die psychiatrische Einschätzung beruhe auf mehrjähriger Kenntnis des Klägers und der Beobachtung seiner postdeliktischen Entwicklung. Von einer Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit im Hinblick auf die Ausübung des ärztlichen Berufs sei nicht mehr auszugehen.
Die Regierung von … hat dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 10. November 2014 gemäß § 8 BÄO die Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs, befristet bis 15. November 2016, erteilt. Eine Beschränkung der Erlaubnis auf eine unselbstständige Tätigkeit o. ä. ist nicht verfügt worden. Der Kläger hat sodann am 11. Dezember 2014 eine Beschäftigung im befristeten Angestelltenverhältnis als Facharzt am Institut für bildgebende Diagnostik des Zentralklinikums in … (…) aufgenommen. Dort wird er, gemäß der Bescheinigung im Zwischenzeugnis des Klinikums vom 2. Januar 2016, bei allen im Institut anfallenden Aufgaben sowie in der Ausbildung der radiologischen Assistenzärzte und in der radiologischen Rufbereitschaft eingesetzt. Das Klinikum … hat in dem Zeugnis weiter ausgeführt, dass der Kläger zuverlässig und sorgfältig arbeite und sich durch hohe Einsatzbereitschaft auszeichne. Im Umgang mit Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern und Patienten sei er stets zuvorkommend und höflich. Er werde von Kollegen und Patienten geschätzt. Der Kläger arbeite stets zur vollsten Zufriedenheit des Klinikums. Seit 3. Januar 2016 sei er als leitender Oberarzt in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen worden.
5. Aus diesem Ablauf der Geschehnisse erkennt die Kammer eine kontinuierliche persönliche Entwicklung des Klägers im Sinn eines Reifungsprozesses, der von dem Eingeständnis der eigenen Verfehlung über die Verbüßung der Strafe und die Einsicht in das Erfordernis einer psychotherapeutischen Aufarbeitung des Geschehens bis hin zu einer probeweisen Wiederaufnahme der ärztlichen Tätigkeit reicht. Diese Entwicklung ist positiv zu bewerten. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass seit Begehung der Taten zwölf Jahre und seit dem Eintritt der Bestandskraft des Approbationswiderrufs am 2. Februar 2011 fünf Jahre vergangen sind und das Verhalten des Klägers in dieser Zeit, jedenfalls nach Aktenlage, nicht zu beanstanden war. Noch bedeutsamer aber ist, dass der Kläger seit Dezember 2014, offensichtlich mit Erfolg und zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers, wieder in seinem Beruf als Arzt arbeitet und auf diese Weise seine Resozialisierung vorantreibt. Außerdem ist er dadurch in der Lage, den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen. Nach seinem Vortrag wird ihm die Fortsetzung der jetzigen Beschäftigung aber nur dann weiterhin möglich sein, wenn er seinem Arbeitgeber so bald wie möglich eine erneut erteilte Approbation vorlegen kann. Wegen der im November 2016 auslaufenden Erlaubnis nach § 8 BÄO und der bestehenden Kündigungsfristen müsse er ansonsten mit einer baldigen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen.
Im Fall des Klägers ist für die Kammer nicht ersichtlich, mit welcher Begründung angenommen werden könnte, dass dem Kläger trotz seiner offensichtlich erfolgreichen, aber ohne Erteilung der Approbation gefährdeten beruflichen Wiedereingliederung die für den Arztberuf erforderliche Zuverlässigkeit und Würdigkeit weiterhin fehlen. Der Beklagte trägt dazu lediglich vor, dass die bisherige berufliche Bewährung des Klägers erst seit etwas mehr als einem Jahr andauere. Nach der in Abschnitt 3 (s. oben) dargestellten Rechtslage genügt es jedoch nicht, als Reifeprozess nur die Zeit der letzten Berufstätigkeit anzuerkennen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Beklagte durch die Erteilung der – uneingeschränkten – Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs bereits im Jahr 2014 zu erkennen gegeben hat, dass das Vertrauen in die wiedergewonnene Zuverlässigkeit des Klägers nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Die Erteilung einer Erlaubnis nach § 8 Abs. 1 BÄO setzt nämlich die Annahme voraus, dass der betroffene Arzt in der Lage sein wird, die erforderliche Zuverlässigkeit und Würdigkeit zur Ausübung seines Berufs während der Dauer der Erlaubnis unter Beweis zu stellen und diese Eigenschaften jedenfalls nach Ablauf der Zweijahresfrist des § 8 Abs. 1 BÄO tatsächlich vorhanden sein werden. Denn die Erlaubnis nach § 8 BÄO wird im Rahmen des höchstens für die Dauer von zwei Jahren zurückgestellten Verfahrens über den Antrag auf Wiedererteilung der Approbation erteilt und soll der Approbationsbehörde eine Entscheidung über diesen Antrag erleichtern und diese vorbereiten. Nach Ablauf der Zweijahresfrist ist zwingend über den Wiedererteilungsantrag zu entscheiden; die erneute Erteilung oder Verlängerung einer Erlaubnis nach § 8 Abs. 1 BÄO kommt nicht in Betracht (vgl. NdsOVG, B.v. 29.7.2015 – 8 ME 33.15 – DÖV 2015, 932 m. w. N.).
Die Regierung von … hat dem Kläger mit der vorläufigen Erlaubnis sogar eine selbstständige Berufstätigkeit ermöglicht, während die Regierung von … nunmehr, nachdem der Kläger seit 15 Monaten unbeanstandet arbeitet, die geleisteten Integrationsbemühungen nicht anerkennen will. Der Beklagte handelt damit widersprüchlich. Spätestens mit Ablauf der vorläufigen Erlaubnis am 15. November 2016 wäre er ohnehin verpflichtet, dem Kläger, bei weiterhin beanstandungsfreiem Verhalten, die ärztliche Approbation wieder zu erteilen. Es ist aber nicht erkennbar, welchen Zugewinn an Zuverlässigkeit und Würdigkeit des Klägers ein weiteres Zuwarten mit der Wiedererteilung der Approbation bis November 2016 bringen könnte.
6. Maßgeblich für die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO erforderliche Feststellung der Zuverlässigkeit und Würdigkeit des Klägers ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerfG, B.v. 28.8.2007 – 1 BvR 1098/07 – juris Rn. 28; SächsOVG, U.v. 13.3.2012 – 4 A 18.11 – juris Rn. 32 ff.). Die Kammer ist abschließend der Überzeugung, dass der Kläger durch seinen Werdegang während der vergangenen Jahre, insbesondere aber durch sein beanstandungsfreies Verhalten im Rahmen seiner letzten Berufstätigkeit gezeigt hat, dass sich die Sachlage im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „zum Guten geändert“ hat; der Kläger hat daher die Würdigkeit und Zuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs bereits jetzt wiedererlangt. Nachdem auch sonst kein Versagungsgrund vorliegt, hat er Anspruch auf erneute Erteilung der Approbation.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Das Rechtsmittel der Berufung konnte mangels Vorliegens der Voraussetzungen von § 124a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht zugelassen werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 30.000,- EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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