Arbeitsrecht

Kommunalabgaben, Straßenausbaubeitrag, Vereinbarung über Baukostenzuschuss, Zuständigkeit des Gemeinderats

Aktenzeichen  W 2 K 19.1721

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41726
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5
GO Art. 37 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2016 in Form des Änderungsbescheids vom 4. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts H* … vom 5. Dezember 2019 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2016 in Form des Änderungsbescheids vom 4. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes H* … vom 5. Dezember 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Vorliegend findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 7 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) in der Fassung vom 24. Mai 2019 (GVBl. S. 266) das Kommunalabgabengesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung Anwendung.
2. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach der hier geltenden alten Gesetzeslage sollen gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind. Der Beklagte hat hierfür die Satzung über die Erhebung von Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkplätzen, Grünanlagen und Kinderspielplätzen vom 30. Oktober 2003 (Ausbaubeitragssatzung – ABS -) erlassen.
Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzung sind nicht ersichtlich. In materiell-rechtlicher Hinsicht hat das Gericht jedoch Zweifel an der Wirksamkeit der Regelung in § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS. Danach gilt als Grundstücksfläche, soweit ein Bebauungsplan im Sinn von § 30 Abs. 1 und 2 BauGB nicht besteht, die tatsächliche Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 50 m, gemessen von der gemeinsamen Grenze des Grundstücks mit der das Grundstück erschließenden Verkehrsfläche. Reicht die bauliche oder gewerbliche oder sonstige vergleichbare Nutzung über diese Begrenzung hinaus, so ist die Tiefe maßgebend, die durch die hintere Grenze der Nutzung bestimmt wird.
Eine solche Tiefenbegrenzungsregelung für vollauf im unbeplanten Innenbereich gelegene Grundstücke dürfte im Straßenausbaubeitragsrecht unzulässig sein, weil dieses eine dem § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB entsprechende Regelung nicht kennt und an einen anderen beitragsrelevanten Sondervorteil anknüpft als das Erschließungsbeitragsrecht (BayVGH, B. v. 6.10.2016 – 6 ZB 15.1163 – juris Rn. 9). Rechtsfolge wäre jedoch nicht die Unwirksamkeit der Satzung insgesamt, weil die Tiefenbegrenzung kein Teil des Verteilungsmaßstabs ist. Sie dient nicht der Verteilung des umlagefähigen Aufwands auf die dabei zu berücksichtigenden Grundstücksflächen, sondern der rechtslogisch vorausgehenden Ermittlung eben dieser Flächen. Die Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzungsregelung wirkt sich deshalb weder auf den Verteilungsmaßstab noch auf die Satzung insgesamt aus (BayVGH, B. v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 8).
Allerdings ist bei der streitgegenständlichen Abrechnung die Tiefenbegrenzungsregelung tatbestandlich einschlägig gewesen, so dass sich die Unwirksamkeit zu Lasten des Klägers ausgewirkt haben könnte. Der Beklagte trägt vor, hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. 31 die Tiefenbegrenzung angewandt zu haben. Jedoch entsprach die vorgenommene Abrechnung nicht dem Wortlaut der einschlägigen Satzungsregelung, weil statt der Anwendung der satzungsgemäßen Tiefenbegrenzung eine Aufteilung des Grundstücks nach Innen- und Außenbereich vorgenommen wurde (so wie es auch die Mustersatzung des Bayerischen Gemeindetags vorsieht). Die – unwirksame – Tiefenbegrenzungsregelung wurde also nicht angewandt, so dass nicht bereits deren Unwirksamkeit zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids führt. Offen bleiben kann, welche Auswirkung die tatsächlich angewandte, so jedoch satzungsrechtlich nicht verankerte, Flächenermittlung für die Rechtmäßigkeit des verfahrensgegenständlichen Bescheids hat, da dieser bereits aus anderen Gründen (siehe unten) rechtswidrig und aufzuheben ist.
3. Die abzurechnenden Baumaßnahmen in der Dorf straße stellen eine beitragsfähige Verbesserung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG dar, so dass das Straßenausbaubeitragsrecht einschlägig ist. Es wird auch seitens des Klägers nicht bestritten, dass die Dorfstraße erneuerungsbedürftig war und ihr Ausbau nicht nur eine Instandhaltungsmaßnahme darstellt, sondern eine beitragsfähige Erneuerung. Eine solche liegt vor, wenn sich der Zustand der Ortsstraße nach dem Ausbau in irgendeiner Hinsicht (insbesondere räumlicher Ausdehnung, funktionaler Aufteilung der Gesamtfläche, Art der Befestigung) von ihrem ursprünglichen Zustand im Herstellungszeitpunkt in einer Weise unterscheidet, die positiven Einfluss auf die Benutzbarkeit hat (BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 15; B.v. 13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 13). Dies ist hier offensichtlich der Fall.
4. Die im Jahre 2006 zwischen dem Kläger und dem Beklagten geschlossene „Vereinbarung über die Zahlung eines Baukostenzuschusses“ stand dem Erlass des streitgegenständlichen Beitragsbescheids nicht entgegen. Denn es liegt hier kein wirksamer öffentlich-rechtlicher Vertrag vor, der dem Beklagten das Recht nehmen würde, den Vertragsgegenstand per Bescheid festzusetzen.
a) Der Wirksamkeit des Vertrages steht nicht entgegen, dass der Marktgemeinderat des Beklagten seinen ursprünglichen Beschluss vom 20. Juni 2006, der dem Vertragsschluss zugrunde lag, in seiner Sitzung vom 22. Oktober 2018 und damit noch vor Erlass des Widerspruchsbescheids aufgehoben hat. Denn allein durch die Aufhebung des (bereits vollzogenen) Beschlusses entfällt nicht automatisch die Willenserklärung des Ersten Bürgermeisters des Beklagten, die zum Vertragsschluss geführt hat.
b) Entgegen der Auffassung der Widerspruchsbehörde handelt es sich bei der Vereinbarung nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag in Form einer Ablösevereinbarung nach Art. 5 Abs. 9 KAG und § 11 ABS. Denn der eindeutige Wortlaut und Hintergrund der Vereinbarung erlaubt keine derartige Auslegung.
In der gesamten Vereinbarung ist nicht von einer Ablösung eines Ausbaubeitrags die Rede, sondern ausdrücklich von der Leistung eines Baukostenzuschusses. Dies entspricht auch dem (damaligen) erklärten Willen der Vertragspartner, gerade keine Abrechnung nach Straßenausbaubeitragsrecht – zu der auch eine Ablösung nach § 11 ABS gehören würde -, sondern eine Finanzierung der Baumaßnahme außerhalb des Satzungsrechts vorzunehmen. In der Niederschrift der Sitzung des Marktgemeinderats des Beklagten vom 20. März 2017, in welcher der Widerspruch des Klägers behandelt wurde, heißt es ausdrücklich:
„Es handelt sich daher vorliegend nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der als Ablösungsvertrag nach § 11 ABS qualifiziert werden kann, sondern um eine Vereinbarung zur Leistung eines Baukostenzuschusses auf der Grundlage festgeschriebener Bausummen. (…). Eine vertragliche Ablösung nach § 11 ABS liegt mit der Vereinbarung über die Zahlung eines Baukostenzuschusses indes nicht vor, da die dort bezeichneten Vorschriften zur Geltendmachung einer vertraglichen Ablösung des Ausbaubeitrages nicht detailliert bestimmt worden sind. (…) Zweifelsfrei sollte mit der Vereinbarung über den Baukostenzuschuss das Straßenausbaurecht außer Kraft gesetzt werden, was rechtlich nur durch die Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung selbst, nicht aber durch einen Einzelbeschluss, welcher die vertragliche Regelung über den Baukostenzuschuss zum Gegenstand hatte, erfolgen konnte.“
Die Zahlungen der betroffenen Grundstückseigentümer sollten also nicht der Ablösung des Straßenausbaubeitrags dienen, sondern stellten entsprechend der „eingebrachten Baukostenzuschüsse durch die Vereine aus S* …“ die „Bürgeranteile“ an den Baukostenzuschüssen dar (vgl. § 5 der Vereinbarung“). Als rechtlicher Maßstab für die Prüfung der Wirksamkeit der Vereinbarung können also nicht Art. 5 Abs. 9 KAG und § 11 ABS herangezogen werden, weil eine Ablösevereinbarung im Sinne dieser Vorschriften explizit nicht gewollt war und nicht getroffen wurde.
c) Eine – unterstellt wirksame – privatrechtliche Vereinbarung eines Baukostenzuschusses lässt zwar nicht die Befugnis des Beklagten entfallen, Ausbaubeitragsbescheide zu erlassen. Die geleisteten Zahlungen haben aber, da sie nicht zurückgezahlt worden waren, den umlagefähigen Aufwand des Beklagten gemindert und hätten insofern bei der Abrechnung entsprechend der Baukostenzuschüsse der Vereine nicht als „Vorauszahlung“ beim jeweiligen Grundstückseigentümer in Abzug gebracht werden dürfen. Letztlich kann dies aber dahingestellt bleiben, da der streitgegenständliche Bescheid bereits aus anderen Gründen rechtswidrig und aufzuheben ist.
5. Der Bescheid vom 5. Dezember 2016 ist rechtswidrig, weil keine entsprechende Beschlussfassung des Marktgemeinderats des Beklagten als zuständigem Organ vorliegt und er damit an einem formellen Fehler leidet, der weder geheilt wurde noch unbeachtlich ist.
Die ursprüngliche Entscheidung des Beklagten, keine Abrechnung der Baumaßnahme nach Straßenausbaubeitragsrecht vorzunehmen, sondern Vereinbarungen über Baukostenzuschüsse abzuschließen, wurde in der Sitzung des Marktgemeinderats vom 20. Juni 2006 beschlossen. Für die Entscheidung, entgegen des damaligen Beschlusses nunmehr Beitragsbescheide zu erlassen, fehlt es an einem Gemeinderatsbeschluss. In der Sitzung des Marktgemeinderats vom 5. Dezember 2016 informierte der Erste Bürgermeister lediglich über das Vorgehen. Die Bescheide wurden als „Geschäft der laufenden Verwaltung“ erlassen. Damit wurde gegen die Zuständigkeitsnormen der Bayerischen Gemeindeordnung verstoßen.
Gemäß Art. 29 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung – GO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 (GVBl. S. 796, BayRS 2020-1-1-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. März 2021 (GVBl. S. 74), wird die Gemeinde durch den Gemeinderat verwaltet, soweit nicht der erste Bürgermeister selbständig entscheidet (Art. 37). Die Organkompetenz liegt also grundsätzlich beim Gemeinderat, dessen Zuständigkeit nach der Auslegungsregel des Art. 29 GO vermutet wird.
Nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO erledigt der erste Bürgermeister in eigener Zuständigkeit die laufenden Angelegenheiten, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen. Eine wortgleiche Regelung enthält § 10 Abs. 1 Nr. 1 der Geschäftsordnung des Beklagten vom 1. Mai 2014.
Die Gemeindeordnung enthält keine Legaldefinition des Begriffs der „laufenden Angelegenheit“. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll nachprüfbar ist (BayVGH, U. v. 21.12.2004 – 8 B 03.1404 – juris Rn. 26). Insbesondere gehören zu den laufenden Angelegenheiten Geschäfte, die bei der Verwaltung einer Gemeinde in mehr oder minder regelmäßiger Wiederkehr anfallen und zur ungestörten und ununterbrochenen Fortführung der Verwaltung notwendig sind (vgl. BayObLG, B. v. 21.10.1974 – BReg 2 Z 24/74 – juris Rn. 12). Es muss sich für die konkrete Gemeinde um eine häufiger vorkommende, also routinemäßig anfallende Angelegenheit handeln (Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Stand 31. EL Februar 2021. Art. 37 Rn. 6).
Nach diesem Maßstab handelt es sich bei der Entscheidung, entgegen des ursprünglichen Gemeinderatsbeschlusses vom 20. Juni 2006 Straßenausbaubeitragsbescheide zu erlassen, offensichtlich nicht um eine laufende Angelegenheit. Denn für den Beklagten handelte es sich beim Erlass der Beitragsbescheide in Abkehr von der Beschlusslage 2006 gerade nicht um eine häufiger vorkommende Angelegenheit, sondern – im Gegenteil – um einen einmaligen und außergewöhnlichen Vorgang, der so beim Beklagten noch nicht vorgekommen sein dürfte. Die Aussage des Landratsamts H* … im Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2019, „beim Erlass eines Beitragsbescheids“ handele es sich um ein einfaches Geschäft der laufenden Verwaltung, ist bereits im Ansatz verfehlt, weil es den oben aufgezeigten rechtlichen Maßstab verkennt. Denn es geht nicht abstrakt-generell um den Erlass von Beitragsbescheiden, sondern erforderlich ist immer eine konkret-individuelle Betrachtung der Angelegenheit in der konkreten Gemeinde. Es mag sein, dass der Erlass von Beitragsbescheiden eine laufende Angelegenheit sein kann. Für den vorliegenden Fall ist damit aber keinerlei brauchbare Aussage getroffen.
Hinzu kommt, dass nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO die laufenden Angelegenheiten zusätzlich „keine grundsätzliche Bedeutung“ haben und „keine erheblichen Verpflichtungen“ erwarten lassen dürfen. Die drei Voraussetzungen müssen also kumulativ vorliegen. Auch für die Frage der „grundsätzlichen Bedeutung“ ist jeweils auf „die“ (nicht: „eine“) konkrete, mit dem einzelnen Fall befasste Gemeinde abzustellen (BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbaum, 12. Edition, Stand 1.11.2021, Art. 37 Rn. 5). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verstand unter „einfachen Geschäften“ im Sinne der früheren Fassung des Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO diejenigen, bei denen die Entscheidung keine großen Schwierigkeiten macht und keine grundsätzlich wichtigen Fragen berührt (erstmals BayVGH, BayBgm 1953, 101).
Gemessen an diesem Maßstab handelt es sich bei der Entscheidung, nunmehr Straßenausbaubeitragsbescheide zu erlassen, ebenso offensichtlich auch nicht um eine Angelegenheit, die für den Beklagten keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Dem Erlass der Beitragsbescheide lag eine Beanstandung durch den Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband zugrunde. Er erfolgte auch auf Geheiß der Rechtsaufsicht, die mit der Angelegenheit befasst war und schließlich einen beanstandenden Bescheid erließ. Bereits vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, der Angelegenheit die grundsätzliche Bedeutung abzusprechen. Entscheidend ist aber, dass – bei einer überaus komplexe Sach- und Rechtslage – die Bescheide erlassen wurden, obwohl es einen gegenteiligen Beschluss des Marktgemeinderats und vertragliche Vereinbarungen mit sämtlichen betroffenen Eigentümern der Straßenausbaumaßnahme gab. Die Auffassung, die Entscheidung über den Erlass der Bescheide mache vor diesem Hintergrund keine großen Schwierigkeiten, ist abwegig. Vielmehr handelt es sich bei der vorliegenden Angelegenheit um einen klaren und eindeutigen Fall einer grundsätzlichen Bedeutung.
Da nach alledem der Marktgemeinderat des Beklagten für die Entscheidung über den Erlass der Beitragsbescheide zuständig gewesen wäre, eine entsprechende Beschlussfassung aber jedenfalls bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht erfolgt ist, ist der streitgegenständliche Bescheid formell rechtswidrig und aufhebbar. Eine Unbeachtlichkeit dieser Rechtswidrigkeit nach Art. 46 BayVwVfG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Vorschrift angesichts des ausdrücklichen Wortlauts nur Verstöße gegen die örtliche Zuständigkeit erfasst, aber nicht die Verletzung von anderen Zuständigkeitsvorschriften.
6. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren war für notwendig zu erklären. Die Notwendigkeit einer solchen Hinzuziehung beurteilt sich aus der Sicht einer verständigen Partei, die bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten (BVerwG, B. v. 3.7.2000 – 11 A 1/99 – juris Rn. 3). Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts danach nur dann, wenn es dem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, B. v. 2.7.2014 – 6 B 21/14 – juris Rn. 7).
Nach diesem Maßstab ist im vorliegenden Fall die Beauftragung eines Rechtsanwalts als sachgerecht anzusehen. In einer Streitigkeit über gemeindliche Abgaben, hier über einen Straßenausbaubeitrag, treten typischerweise schwierige Sach- und Rechtsfragen auf, die nur eine mit dieser Materie vertraute rechtskundige Person übersehen und (zuverlässig) beantworten kann (vgl. BVerwG, U. v. 15.2.1991 – 8 C 83/88 – juris Rn. 15). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger über solche speziellen Rechtskenntnisse verfügt, welche ausnahmsweise eine andere Beurteilung erlaubten. Im Widerspruchsverfahren wurden diverse spezifische ausbaubeitragsrechtliche Fragestellungen erörtert. Der Bevollmächtigte des Klägers nahm hierzu ausführlich Stellung. Vom Kläger konnte nach obigem Maßstab daher nicht erwartet werden, das Vorverfahren allein zu betreiben.


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