Arbeitsrecht

Kostenerstattung bei Jugendhilfe

Aktenzeichen  B 3 K 17.499

Datum:
1.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53810
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 42 d Abs. 4, § 89d Abs. 3
BGB § 288 Abs. 1 S. 2, § 291 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 20.291,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.06.2017 für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die zulässige Klage hat zum großen Teil Erfolg, da der Kläger einen Anspruch auf Kostenerstattung hat, aber Zinsen nur in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinsatz verlangen kann.
1. Der Beklagte ist durch die bestandskräftige Verfügung des Bundesverwaltungsamts vom 07.02.2011 gemäß § 89d Abs. 3 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) a.F. i.V.m. § 89g SGB VIII i.V.m. Art. 52 AGSG zum überörtlichen Träger der Jugendhilfe bestimmt worden und damit für den geltend gemachten Erstattungsanspruch passivlegitimiert. Die Tatsache, dass § 89d Abs. 3 SGB VIII zum 01.07.2017 weggefallen ist, ändert daran nichts, da die Klage bereits am 30.06.2017 und damit vorher rechtshängig gemacht wurde.
2. Der Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten ist in Höhe von 20.291,26 € gem. § 89d Abs. 1 Satz 1 SGB VIII a.F. dem Grunde nach gegeben. Demnach sind die aufgewendeten Kosten dann zu erstatten, wenn innerhalb eines Monats nach der Einreise eines jungen Menschen Jugendhilfe gewährt wird und sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt dieser Person oder nach der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde richtet.
Der Hilfeempfänger ist am 09.01.2011 nach Deutschland eingereist, § 89d Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Mit Bescheid vom 14.01.2011, und somit innerhalb der Monatsfrist des § 89d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII, gewährte der Kläger dem Hilfeempfänger vorläufige Hilfe zur Erziehung in Form von Hilfe in einer betreuten Wohnform.
Die örtliche Zuständigkeit des Klägers richtete sich nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Hilfeempfängers gemäß § 86 Abs. 7 SGB VIII, § 89d Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII.
3. Der Anspruch unterfällt der Regelung des § 42d Abs. 4 SGB VIII, da es um Kosten vom 01.01.2014 bis 31.08.2015 geht und damit um solche vor dem 01.11.2015.
Die Frist zur Geltendmachung nach § 42d Abs. 4 Satz 1 SGB VIII wurde vom Kläger mit seinen Schreiben vom 23.06.2016 und 27.06.2016 eingehalten.
4. Es ist auch keine Verjährung nach § 42d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII eingetreten.
Nach dem Wortlaut des § 42d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII beträgt die Verjährungsfrist für den Erstattungsanspruch des örtlichen Trägers gegenüber dem nach § 89d Absatz 3 SGB VIII erstattungspflichtigen Land ein Jahr. Weiterhin wird in § 42d Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz SGB VIII auf § 113 SGB X verwiesen. Dort wird zum Beginn der Verjährungsfrist geregelt, dass diese nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat, beginnt. Damit beginnt die Verjährungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beklagte die Kosten für die Hilfen zur Erziehung für junge Volljährige nach §§ 41, 34 SGB VIII auch für die Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit des Hilfeempfängers übernommen hat, für das Jahr 2016 also am 31.12.2016. Sie endet nach § 42 d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII am 31.12.2017. Eine Verjährung war somit im Zeitpunkt der Klageerhebung am 30.06.2017 noch nicht eingetreten.
Da § 42 d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII selbst keine Regelung zum Verjährungsbeginn enthält, wird dieser von der Verweisung auf § 113 SGB X umfasst (siehe auch Hauck/Noftz, SGB, 05/16, § 42d SGB VIII Rn. 7). Die Ansicht, die Verjährung beginne mit dem Inkrafttreten der Vorschrift des § 42 d Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, also am 01.11.2015, zu laufen und ende mit Ablauf des Kalenderjahres, also am 31.12.2017, ist abzulehnen. Dafür gibt es im Gesetz keine Anhaltpunkte, vielmehr wäre dann die Verweisung auf § 113 SGB X sinnentleert. Wenn der Gesetzgeber tatsächlich einen einheitlichen Verjährungsbeginn mit Inkrafttreten des Gesetzes hätte regeln wollen, hätte er dies ausdrücklich tun müssen. Dies ist aber nicht geschehen und auch die Gesetzesmaterialien ergeben nicht, dass ein Verjährungsbeginn mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher geplant war (siehe Drucksache 349/15 S. 27).
Zudem verstößt diese Auslegung gegen die Gesetzessystematik. Dass Forderungen unabhängig von ihrer Entstehung ab Inkrafttreten eines Gesetzes verjähren, wäre vielmehr systemwidrig, weil die Verjährung dann bereits vor der Fälligkeit der Forderung zu laufen beginnen würde.
Auch die Hinweise des BMFSJF können zu keiner anderen Beurteilung führen, da sie nur Vollzugshinweise der Exekutive darstellen, aber zu keiner Bindungswirkung führen, wenn sie mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen. Das Ziel, Altverfahren final zur Abrechnung zu bringen, wird bereits durch die Verkürzung der Verjährungsfrist von vier Jahren auf ein Jahr erfüllt.
5. Der Zinsanspruch besteht jedoch nur in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei öffentlich-rechtlichen Geldforderungen in sinngemäßer Anwendung des § 291 Satz 1 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Prozesszinsen zu entrichten, wenn das einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft (BVerwG, Urteil vom 23.01.2014 – 5 C 8.13). Dies gilt auch für verwaltungsgerichtliche Erstattungsklagen, die auf § 89 d Abs. 3 SGB VIII gründen. Auch § 89f Abs. 2 SGB VIII steht dem geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift können im Erstattungsstreit öffentlicher Jugendhilfeträger untereinander Verzugszinsen nicht verlangt werden, was aber nicht bedeutet, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung auch die aus einem anderen Rechtsgrund geschuldeten Prozesszinsen ausschließen wollte.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.


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