Arbeitsrecht

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Aktenzeichen  S 14 R 93/21

Datum:
18.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41690
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Sprungrevision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Beklagte hat zu Recht die Altersrente des Klägers ab Rentenbeginn in Höhe von 50% zum Ruhen gebracht. Die Anwendung des § 29 Abs. 2 Satz 2 AbgG ist rechtmäßig sowie zutreffend erfolgt und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Argumente für eine (rechnerisch) fehlerhafte Berechnung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Nach § 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 AbgG in der Fassung ab 16. Juli 2014 (Gesetz vom 11. Juli 2014, BGBl. I S. 906) ruhen Versorgungsansprüche aus einem Amtsverhältnis oder aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst neben der Abgeordnetenentschädigung nach § 11 Abs. 1 AbgG um 80 vom Hundert, höchstens jedoch in Höhe der Abgeordnetenentschädigung nach § 11 Abs. 1 und 3 AbgG. Entsprechendes gilt in Höhe von 50 vom Hundert für Renten im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) mit Ausnahme von Renten aus einer freiwilligen Pflichtversicherung auf Antrag gemäß § 4 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI); § 55 Abs. 3 und 4 BeamtVG ist sinngemäß anzuwenden.
Hintergrund dieser Regelung war, dass der Bundestag dem Gebot der Vermeidung einer Doppelalimentation der Bundestagsabgeordneten Rechnung tragen wollte (vgl. Bundestags-Drucksache 14/2660, S. 9). So heißt es in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zum entsprechenden Gesetzentwurf, es erscheine nicht gerechtfertigt, den Mitgliedern des Bundestages Versorgungsbezüge und Übergangsgelder, die sie aufgrund früher innegehabter Tätigkeiten neben ihrer Abgeordnetenentschädigung aus öffentlichen Kassen beziehen, in voller Höhe zu belassen (Bundestags-Drucksache 14/2660, S.1). Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Urteil vom 5. November 1975 (BVerfGE 40, 296) eine Neuregelung der Situation gefordert, dass in einer Person die Abgeordnetenentschädigung und ein weiterer Leistungsbezug aus öffentlichen Kassen mit Alimentationscharakter zusammentreffen könnten.
Eine Regelaltersrente nach dem SGB VI ist eine Rente im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG. Die dem Kläger gewährte Regelaltersrente beruht im Wesentlichen auf Versicherungspflichtbeiträgen aufgrund abhängiger Beschäftigung und fällt somit nicht unter § 4 Abs. 2 SGB VI. Im Ergebnis hat die Beklagte die Altersrente des Klägers, der als MdB eine Abgeordnetenentschädigung nach dem AbgG bezieht, im Einklang mit geltendem Recht in Höhe von 50% zum Ruhen gebracht bzw. zahlt diese gesetzeskonform nicht an den Kläger aus. Die Grenzen des § 29 Abs. 2 Satz 1 AbgG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 und 3 AbgG werden dabei nicht überschritten.
Unstreitig sind Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung vom Schutzbereich des Art. 14 GG umfasst, unterliegen aber nichtsdestoweniger gegebenenfalls einer Inhalts- und Schrankenbestimmung durch den Gesetzgeber, wenn der Eingriff im öffentlichen Interesse liegt und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, Art. 14 Abs. 2 GG.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben nach Art. 48 Abs. 3 GG Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Dieser Entschädigung kommt Vollalimentationscharakter zu (vgl. BVerfGE 40, 296, 316). Sie dient allein der Unterhaltssicherung und stellt keine Gegenleistung für eine bestimmte Arbeitsleistung dar.
Dabei gebietet es nach dem BVerfG der formalisierte Gleichheitssatz, der bei der Ausgestaltung und Bemessung der Abgeordnetenbezüge zu beachten ist, sicherzustellen, dass jeder bzw. jedem Abgeordneten eine gleich hoch bemessene Entschädigung zusteht. Das Prinzip der formalisierten Gleichbehandlung ist verfassungsrechtlich im egalitären Gleichheitssatz ausgeprägt, aus dem folgt, dass jedermann ohne Rücksicht auf soziale Unterschiede, insbesondere auf seine Abstammung, seine Herkunft, seine Ausbildung oder sein Vermögen, die gleiche Chance haben muss, Mitglied des Parlaments zu werden. Somit steht jeder bzw. jedem Abgeordneten eine gleich hoch bemessene Entschädigung zu, unabhängig davon, ob die Inanspruchnahme durch die parlamentarische Tätigkeit größer oder geringer ist, ob der individuelle finanzielle Aufwand oder das berufliche Einkommen verschieden hoch ist. In der Konsequenz lässt die so verstandene einheitliche Entschädigung aufgrund des Alimentationscharakter zunächst alle weiteren, der Höhe nach differenzierten, individuellen oder pauschalierten finanziellen Leistungen an einzelne Abgeordnete aus öffentlichen Mitteln als grundsätzlich inkompatibel erscheinen, wenn sie nicht einen Ausgleich für sachlich begründeten, besonderen, mit dem Mandat verbundenen finanziellen Aufwand darstellen (BVerfG a. a. O., 318). Die Altersrente des Klägers ist eine derartige weitere Leistung aus öffentlichen Mitteln, so dass nach dem Beschluss des BVerfG vom 30. September 1987 (BVerfGE 76, 256, 299, 343) unter dem Blickwinkel des Alimentationsprinzips grundsätzliche Anrechenbarkeit besteht.
Anders als die Klägerseite kann das Gericht daher eine auf der Hand liegende Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 2 AbgG nicht erkennen, die das Gericht gegebenenfalls zu einer Richtervorlage beim Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG veranlassen würde.
Auch die bisherige Rechtsprechung anderer Sozialgerichte – so etwa die Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 8. Februar 2019 (Az. L 14 R 728/18), des LSG Rheinland-Pfalz vom 19. Oktober 2016 (Az. L 4 R 188/14) und des Bayerischen LSG vom 27. November 2014 (Az. L 14 R 741/12) – hat keine erheblichen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 29 Abs. 2 Satz 2 AbgG aufgezeigt. Dieser Auffassung hat sich die Kammer angeschlossen mit der Folge, dass die Klage abzuweisen war.
Somit erfolgt die Ruhendstellung von 50% der klägerischen Altersrente zu Recht.
Auf den klägerischen Antrag hin war die Sprungrevision zum Bundessozialgericht (BSG) zuzulassen. Zwar hatte das BSG mit Beschluss vom 26. August 2015 (Az. B 13 R 14/15 R) die damalige Revision des dortigen Klägers gegen das zitierte Urteil des BayLSG vom 27. November 2014 als unzulässig verworfen, da die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte die klägerische Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss ohne weitere Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, Beschluss vom 28. Februar 2018, Az. 1 BvR 421/16. Hierbei ist aber zu beachten, dass die damalige Revision vom BSG nur aus formalen Gründen verworfen worden ist, eine Sachentscheidung ist jedoch nicht erfolgt. Aus Sicht der Kammer erscheint aber angesichts der oben aufgezeigten relativen Häufigkeit gleichgelagerter Klagen von Abgeordneten eine höchstrichterliche Entscheidung angezeigt und sinnvoll, um die rechtliche Problematik zweifelsfrei zu klären, §§ 161, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.


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