Arbeitsrecht

Landesblindengeld

Aktenzeichen  S 15 BL 5/18

Datum:
27.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 38129
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BayBlindG Art. 1 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Gleich ob die Restgesichtsfeldinsel den Schemamittelpunkt umfasst oder nicht oder der Schemamittelpunkt in etwa zentral oder weniger zentral in der Restgesichtsfeldinsel liegt, ist bei der Prüfung der verbliebenen Sehfähigkeit stets das Zentrum der Restgesichtsfeldinsel als Bezugspunkt heran zu ziehen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 22.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2018 der Klägerin ab 01.02.2018 Blindengeld zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in vollem Umfang.

Gründe

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung einer der Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung nach dem Bayer. Blindengeldgesetz und zwar ab dem Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. M. am 28.02.2018. Blindengeld ist daher ab dem Monat zu gewähren, ab dem die Voraussetzungen vorliegen (Februar 2018).
Der Bescheid des Beklagten vom 22.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2018 sind entsprechend abzuändern, weil sie die Klägerin in ihren Rechten verletzen.
Gemäß Artikel 1 Abs. 1 Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) erhalten Blinde, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Blind ist einerseits, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten aber auch Personen,
1.deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt (Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG).
2.Bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind (Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG).
Nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) liegt eine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung dann vor, wenn bei einem Visus von <0,033 (1/30) auf dem besseren Auge die Grenze der Rest-Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben (vgl. „Versorgungsmedizinische Grundsätze“, Ziffer A 6 b) aa)).
Die Frage ist, wie die Formulierung – in keine Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt – auszulegen ist. Die Bedeutung unbestimmter Rechtsbegriffe ist nach der juristischen Methodenlehre durch Auslegung zu ermitteln. Es ist also eine Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe „Zentrum“ und „der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung“ vorzunehmen. Hierbei ist eine verfassungskonforme Auslegung geboten, also auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wonach gleichgelagerte Sachverhalte nicht ohne sachlichen Differenzierungsgrund unterschiedlich behandelt werden dürfen.
Nach den Ausführungen von Dr. K. im Gutachten vom 01.03.2019, die für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend sind, gibt es keinen sachlichen Differenzierungsgrund, Menschen mit einer Sehschärfe von höchstens 0,033 (1/30) und Lage der Grenzen des Rest-Gesichtsfeldes in keine Richtung mehr als 30° – vom Schemamittelpunkt entfernt – anders zu behandeln, als Menschen mit einer Sehschärfe von höchstens 0,033 (1/30) und Lage der Grenzen des Rest-Gesichtsfeldes in keine Richtung mehr als 30° vom Zentrum der Restgesichtsfeldinsel entfernt.
Nach der Auffassung von Dr. K. ist der Begriff „Zentrum“ in allen Ziffern der DOG-Richtlinien aus Gleichbehandlungsgründen so auszulegen, dass das Zentrum der Rest-Gesichtsfeldinsel in diesen und gleichgelagerten Fällen als maßgeblicher Bezugspunkt herangezogen wird, weil dies sachlich besser begründbar ist.
Es ist für die Kammer auch kein plausibler Grund ersichtlich, weshalb die Maßgabe von Dr. K. nur für Rest-Gesichtsfelder Anwendung finden sollte, die <15° sind, wie Dr. P. in ihrer Stellungnahme vom 08.05.2018 fordert. Auch größere dezentral gelegene Rest-Gesichtsfeldinseln von über 15° haben lt. Dr. K. keinen visuellen Vorteil gegenüber zentral gelegenen Rest-Gesichtsfeldinseln. Hierfür spricht, dass die Sinneszellen auf der Netzhaut nicht überall gleich verteilt sind (gleiche Dichte, gleiches Rezeptorenraster). Die Sinneszellen, die für das Tagsehen verantwortlich sind, die sog. Zapfen, sind von der Netzhautmitte aus betrachtet nach außen hin abnehmend auf der Netzhaut verteilt und unterschiedlich zu Ungunsten der Peripherie verschaltet. Besonders viele Sinneszellen finden sich in der Netzhautmitte (Gesichtsfeldmitte), während sie nach außen hin immer weniger werden. Daher ist ein zentraler gelegenes Rest-Gesichtsfeld funktionell höherwertig als ein peripher Gelegenes. Daraus ist zu schließen, dass ein peripher bzw. exzentrisch gelegenes restfunktionierendes Netzhautareal kein funktionell besseres Gesichtsfeld vermittelt, als ein gleich großes zentral bzw. konzentrisch gelegenes Areal.
Gleich ob die Restgesichtsfeldinsel den Schemamittelpunkt umfasst oder nicht oder der Schemamittelpunkt in etwa zentral oder weniger zentral in der Restgesichtsfeldinsel liegt, ist stets das Zentrum der Restgesichtsfeldinsel als Bezugspunkt heran zu ziehen.
Auf dieser Grundlage ist Dr. K. im Rahmen seiner ambulanten Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin eine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vorliegt. Neben der plausiblen Sehschärfe-Minderung von maximal 0,03 liegt zusätzlich bei der Klägerin eine massive konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung vor, bei der die Grenze des Rest-Gesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 19° vom Zentrum (der Restgesichtsfeldinsel) entfernt ist. Das angegebene Restgesichtsfeld am besseren rechten Auge stand dabei im Einklang mit dem leidlichen Orientierungsverhalten am Untersuchungstag (10.01.2019).
Bereits bei Dr. M. am 28.02.2018 wurde eine Visusminderung von maximal 0,03 (oder 1/35) an beiden Augen festgestellt. Am rechten Auge betrug das Gesichtsfeld 20 – 35° (allerdings vom Schemamittelpunkt aus), am linken Auge 20 – 25°. Wenn man das von Dr. M. ermittelte Gesichtsfeld am rechten Auge näher betrachtet und das Zentrum der Restgesichtsfeldinsel als Bezugspunkt verwendet, so stellt man fest, dass von diesem Zentrum aus die Grenzen nicht mehr als 30° entfernt sind. Damit waren schon im Februar 2018 die Voraussetzungen für die Anerkennung einer der Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung nach Ziffer 6 b) aa) der VG gegeben.
Alles in allem war der Beklagte daher zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 22.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2018 der Klägerin ab 01.02.2018 Blindengeld zu gewähren. Der Anspruch auf Blindengeld entsteht mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Voraussetzungen nach dem Bayer. Blindengeldgesetz vorliegen (Art. 5 Satz 1 BayBlindG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben