Arbeitsrecht

Leistungen, Arbeitnehmer, Tarifvertrag, Krankengeld, Arbeitgeber, Arbeitsvertrag, Manteltarifvertrag, Unfall, Zulage, Zuschuss, Tarifbindung, Kaskoversicherung, Fahrzeug, Weihnachtsgeld, Kosten des Rechtsstreits, konkludente Vereinbarung, pauschale Behauptung

Aktenzeichen  11 Ca 1907/20

Datum:
27.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53817
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf EURO 4.109,71 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klageanträge waren zulässig.
1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß §§ 2 Abs. 2 Nr. 3, 46, 48 ArbGG in Verbindung mit § 17 GVG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist zur Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 12, 17 ZPO zuständig.
2. Die im Übrigen geltend gemachten Nettozahlbeträge waren auch im Weiteren zulässig.
II.
Die Klageanträge waren hingegen sämtlich unbegründet. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf die von ihr geltend gemachten Zahlungen aufgrund einer beiderseitigen Tarifordnung. Ebenfalls besteht kein Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, einer konkludenten Vereinbarung der Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages, eines Anspruches aus betrieblicher Übung oder aufgrund einer Gesamtzusage.
1. Der geltend gemachte tarifliche Krankengeldzuschuss nach § 16 Abs. 3 des im Streit stehenden Manteltarifvertrages steht dem Kläger nicht aufgrund beiderseitiger Tarifbindung zu. Es besteht insoweit gerade nicht die erforderliche beidseitige Tarifgebundenheit. Der Kläger ist unstreitig nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ver.di.
2. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch folgt auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
a) Der Arbeitgeber ist aufgrund des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet, seine Arbeitnehmer nicht willkürlich ungleich zu behandeln. Er darf weder grundlos einzelne Arbeitnehmer (-Gruppen) von allgemein günstigen Handhabungen ausschließen noch darf er einzelne Arbeitnehmer grundlos belasten (siehe hierzu Mathies: in Großkommentar zu § 611 a Rn. 1463 m.w.N.). Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleich zu behandeln. Wenn infolge einer Verschmelzung durch Aufnahme eine bestehende Betriebsorganisation vollständig aufgelöst wird und die übernommenen Arbeitnehmer unterschiedslos in eine neue Betriebsorganisation eingegliedert werden, trifft der Arbeitgeber keine Regelung, wenn er die bisherigen Leistungen weiter gewährt. Er wendet dann nur § 324 Umwandlungsgesetz in Verbindung mit § 613. Abs. 1 und Satz 2 BGB auf die Arbeitsverhältnisse an. Bei einem Betriebsübergang ist der Erwerber nicht verpflichtet, nach längerer Zeit eine Angleichung der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen herzustellen. Da bei der Weitergewährung der vor dem Betriebsübergang bestehenden Arbeitsbedingungen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes fehlen, besteht keine Rechtsgrundlage für eine spätere Anpassungspflicht. Nur dann, wenn der Arbeitgeber neue Vergütungsstrukturen schafft, ist er an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden (siehe hierzu BAG Urteil vom 31.08.2005 – 5 AZR 517/04 m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Maßstäben besteht vorliegend kein Anspruch auf die geltend gemachten Zahlungsansprüche aufgrund des arbeitsgerichtlichem Gleichbehandlungsgrundsatzes. Soweit bei der Beklagten von dem Vorliegen mehrerer Vergütungssysteme auszugehen ist, liegt die Ursache hierfür in dem Betriebsübergang. Nach der klaren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz keine Verpflichtungen zur Angleichung der Arbeitsbedingungen. Zwar verbietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Übrigen eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe. Vorliegend kann aber bereits nicht von einer Regelung der Beklagten ausgegangen werden. Denn wie substantiiert und schlüssig von der Beklagten vorgetragen liegt den Zahlungen an einzelne Arbeitnehmer in Form des Krankengeldzuschusses bzw. Übergangsgeldes keine willentliche Entscheidung der Beklagten zugrunde, sondern vielmehr die Auszahlung aufgrund eines Fehlers. Über dies mangelt es an einer klar umschriebenen Vergleichsgruppe, aus der der Kläger willkürlich und willentlich herausgenommen werde. Mithin liegt keine willkürliche Schlechterstellung des Klägers vor.
3. Auch kann der Kläger seinen geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht auf eine konkludente Vereinbarung der Anwendbarkeit des Manteltarifvertrages stützen. Zwar ist die Beklagte tarifgebunden, der Kläger ist dies indes nicht.
a) Gibt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern wiederholt eine Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet weiter, entsteht regelmäßig lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Entgelts, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariflohnerhöhungen weiterzugeben. Er will sich – für die Arbeitnehmer erkennbar – grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Auch ein tarifgebundener Arbeitgeber, der die Tarifentgelterhöhungen an alle Arbeitnehmer weitergibt, will sich – erkennbar – im Regelfall nicht über die Zeit seiner Tarifgebundenheit hinaus, ohne die Möglichkeit einer Kündigung des Tarifvertrages oder eines Verbandsaustritts dauerhaft (vertraglich) binden. Gewährt ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern wiederholt eine Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung, kann eine betriebliche Übung nur dann entstehen, wenn deutliche Anhaltspunkte in seinem Verhalten dafür bestehen, dass er die Erhöhung – auch ohne das Bestehen einer tarifvertraglichen Verpflichtung – künftig, d.h. auf Dauer übernehmen will (BAG Urteil vom 24.02.2016 – 4 AZR 990/13 m.w.N.)
4. b) Nimmt man diesen Überlegungen zum Ausgangspunkt, so kann der Beklagten hier kein Rechtsbindungswille dahingehend unterstellt werden. Sie wolle sich zeitlich unbegrenzt der Anwendung eines gesamten Tarifwerkes in seiner jeweils gültigen Fassung unterwerfen. Eine für eine konkludente Vereinbarung einer solchen Bindung notwendigen Erkennbarkeit dieses Willens kann für den Kläger nicht unterstellt werden. Selbst wenn man den klägerischen Vortrag als wahr unterstellte, dass die Beklagte in der Vergangenheit tarifliche Leistungen wie Weihnachtsgeld, Jubiläumszulage und Betriebszugehörigkeit an nicht tarifgebundene Arbeitnehmer geleistet hat, erlaubte dies nach dem oben Gesagten nicht den Rückschluss, die Beklagte wolle sich auch einer zeitlich unbegrenzten Anwendung des gesamten Tarifwerkes unterwerfen. Zur Frage der betrieblichen Übung insoweit siehe unten. Soweit es um die konkludente Vereinbarung des Tarifwerkes geht, kann dies – selbst bei unterstellten klägerischen Vortrags – nicht zu einer entsprechenden Vereinbarung führen. Ein Anspruch auf die geltend gemachten Zahlungsansprüche besteht auch nicht aufgrund betrieblicher Übung.
a) Zwar kann sich eine betriebliche Übung sogar grundsätzlich auch auf übertarifliche Leistungen erstrecken. Dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers muss aber aus Sicht der Arbeitnehmer der Wille zugrunde liegen eine bestimmte Leistung erbringen zu wollen. Es ist Sache der klagenden Partei, die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen. Dazu gehört im Fall der betrieblichen Übung auch die Darlegung, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Empfängers ausreichende Anhaltspunkte dafür bot, der Arbeitgeber wolle Zahlungen erbringen, ohne hierzu bereits aus anderen Gründen – etwa aufgrund eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung – verpflichtet zu sein. Ob es zu der Gewährung von Leistungen durch einen Irrtum des Arbeitgebers gekommen ist, ist für das Zustandekommen der vertraglichen Bindung nicht ohne weiteres maßgeblich. Es kommt darauf an, ob der Irrtum für den Arbeitnehmer erkennbar war und die Zahlung aus seiner Sicht zur Erfüllung tariflicher bzw. aus der Betriebsvereinbarung folgende Ansprüche erfolgte (siehe hierzu: BAG Urteil vom 29.08.2012 – 10 AZR 571/11 m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Maßstäben kann vorliegend von keinem Anspruch aufgrund betrieblicher Übung ausgegangen werden. Zwar gesteht die Beklagte zu, dass die vom Kläger angeführte Jubiläumszulage im März 2018 und im November 2018 an die vom Kläger benannten Mitarbeiter bezahlt worden sei. Auch gesteht die Beklagte zu, dass dies aufgrund einer internen Anweisung aus der örtlichen Niederlassung erfolgt sei. Aus dieser Zahlung kann sich aber weder eine betriebliche Übung auf Zahlungen ergeben, die über diese Leistungen hinausgehen, noch liegt eine hinreichende generalisierende Verhaltensweise der Beklagten vor, die die Voraussetzungen einer dauerhaften Bindung aufgrund betrieblicher Übung erlauben würde. Nur bei einer solchen generalisierenden Verhaltensweise könnten aus Sicht des Empfängers hinreichende Anhaltspunkte dafür geboten sein, der Arbeitgeber wolle die Zahlung dauerhaft erbringen. Dies gilt umso mehr, wenn man – wie von Kläger unterstellt – sämtlicher Feeder-Fahrer in den vergleichenden Blick nimmt. Angesichts der vom Kläger vorgetragenen vereinzelten Gewährung von Zuschüssen kann nicht auf eine generalisierende Verhaltensweise geschlossen werden. Vielmehr ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag des Klägers in § 3 Ziffer 3 selbst: „Die Vertragspartner sind darüber einig, dass auf das Arbeitsverhältnis kein Tarifvertrag Anwendung findet. …“ Dem Kläger muss eine entsprechende Kenntnis des Arbeitsvertrages unterstellt werden. Selbst wenn man abweichend vom soeben Dargestellten ausginge, dass hier grundsätzlich der Weg für eine betriebliche Übung betreffend die geltend gemachten Zahlungsansprüche bestünde, so wäre dieser aufgrund der Erkennbarkeit seinerseits versperrt. Zwar ist ein Irrtum des Arbeitgebers für das Zustandekommen einer vertraglichen Bindung aufgrund betrieblicher Übung nicht ohne weiteres maßgeblich. Allerdings ist dies dann der Fall, wenn der Irrtum für den Arbeitnehmer erkennbar war (vgl. 5. BAG a.a.O.). Dies ist vorliegend in zweierlei Hinsicht der Fall. Zum einen ergibt sich die Erkennbarkeit unmittelbar aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Arbeitsvertrag. Zum anderen ergibt sich die Erkennbarkeit aus dem mit Anlage B1 (Bl. 156 ff.d.A.) vorgelegten Unterrichtungsschreiben. Dort heißt es auf Seite 9: „Sollten Sie dagegen kein Mitglied einer tarifschließenden Arbeitnehmervertretung sein, bleiben Sie auch nach dem Übergangszeitpunkt nicht tarifgebundene Arbeitnehmer. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet in diesem Fall auch nach dem Übergangszeitpunkt kein Tarifvertrag Anwendung“. Damit muss von einer entsprechenden Erkennbarkeit bei der Klagepartei ausgegangen werden. Auf die Frage, ob selbst bei fehlender Erkennbarkeit des Irrtums ein entsprechender Anspruch nicht bestünde, kommt es daher nicht entscheidend an. Ein Anspruch des Klägers auf die geltend gemachten Zahlungsansprüche folgt auch nicht aus einer Gesamtzusage. Aus der vom Kläger insoweit in Bezug genommenen Kommunikation im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang lässt sich keine entsprechende Gesamtzusage entnehmen. Auch das in diesem Zusammenhang an den Kläger versandte Unterrichtungsschreiben beinhaltet lediglich eine Information über die bestehende Rechtslage. Eine entsprechende darüber hinausgehende Zusage weiterer Leistungen ist diesem Schreiben nicht zu entnehmen. Darüber hinaus wird in dem soeben auch näher zitierten Schreiben ausdrücklich klargestellt, dass bei fehlenderTarifbindung des Klägers gerade die Tarifverträge keine Anwendung finden.
III.
Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits, da sie unterlegen ist, § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO.
IV.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 61 Abs. 1 ArbGG, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 3 ZPO.


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