Arbeitsrecht

Mindestentgelt in der Pflegebranche

Aktenzeichen  5 AZR 93/19

Datum:
24.6.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2020:240620.U.5AZR93.19.0
Normen:
§ 1 Abs 1 MiLoG
§ 1 Abs 2 S 1 MiLoG
§ 24 Abs 1 S 1 MiLoG
§ 11 AEntG 2009
§ 1 Abs 3 MiLoG
§ 2 Abs 3 S 2 PflegeArbbV 2
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
§ 2 Abs 3 S 2 PflegeArbbV 3
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

1. Die in der 2. und 3. PflegeArbbV festgelegten Grundsätze zur Bemessung des Mindestentgelts in der Pflegebranche gehen gemäß § 1 Abs. 3 MiLoG iVm. § 24 Abs. 1 MiLoG aF im Geltungsbereich der Verordnungen dem im Mindestlohngesetz geregelten Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn vor.
2. Soweit die Höhe der auf Grundlage der Verordnungen festgesetzten Mindestentgelte die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht unterschreiten darf, betrifft dies nur die Höhe des Mindestentgelts selbst. Die Rechtsverordnungen können jedoch vom Mindestlohngesetz abweichende Regelungen zur Bemessung der Arbeitsleistung als Arbeitszeit vorsehen.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Paderborn, 9. August 2018, Az: 1 Ca 487/18, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 22. November 2018, Az: 18 Sa 995/18, Urteil

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. November 2018 – 18 Sa 995/18 – wird als unzulässig verworfen.
2. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. November 2018 – 18 Sa 995/18 – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 9. August 2018 – 1 Ca 487/18 – abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von 854,83 Euro nebst Zinsen verurteilt hat. Die Berufung der Klägerin gegen das bezeichnete Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn wird auch insoweit zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche nach dem Mindestlohngesetz.
2
Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 2015 bei dem beklagten Caritasverband e.V. in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft als teilzeitbeschäftigte Alltagsbegleiterin in der Nachtwache eingestellt. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart, dass sie im Monat bis zu sieben Nachtwachen in der Zeit von 20:00 bis 07:00 Uhr zu leisten hat und diese aus Bereitschaftszeit und Arbeitszeit bestehen. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme finden die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung.
3
Seit ihrem Dienstantritt im Oktober 2015 ist die Klägerin in der Wohngemeinschaft „K“ eingesetzt. Ihre Aufgabe besteht darin, nachts auf Hilfeanforderungen der Bewohner zu reagieren und diese beispielsweise bei einem Toilettengang zu begleiten oder bei Schlafstörungen zu beruhigen. Die Grund- und Behandlungspflege gehört nicht zu ihren Aufgaben. Gelegentlich wird sie zu internen Fortbildungen und Dienstbesprechungen herangezogen. Im Dienstvertrag ist eine Eingruppierung in der Vergütungsgruppe 11 Anlage 1 zu den AVR vorgesehen.
4
In den AVR ist im Allgemeinen Teil ua. Folgendes geregelt:
        
„§ 9a Arbeitszeit
        
Die Arbeitszeit aller Mitarbeiter bestimmt sich nach den Arbeitszeitreglungen der Anlagen 5, … zu den AVR. …“
5
In der Anlage 5 zu den AVR heißt es ua.:
        
„§ 1 Arbeitszeit, Ruhepausen, Ruhezeiten
        
(1)     
Die regelmäßige Arbeitszeit der Mitarbeiter beträgt durchschnittlich 39 Stunden in der Woche. …
        
        
§ 1a Teilzeitbeschäftigung
        
        
(1)     
Mit vollbeschäftigten Mitarbeitern soll auf Antrag eine geringere als die regelmäßige Arbeitszeit vereinbart werden, wenn sie
        
        
        
…       
        
        
§ 1b Arbeitszeitverkürzung durch freie Tage
        
        
(1)     
Der Mitarbeiter wird in jedem Kalenderjahr an einem Arbeitstag … von der Arbeit freigestellt. Für die Zeit der Freistellung erhält der Mitarbeiter die Dienstbezüge … und die in Monatsbeträgen festgelegten Zulagen fortgezahlt.
        
        
        
…       
        
        
§ 8 Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft in Krankenhäusern und Heimen
        
        
(1)     
Abweichend von § 7 gilt diese Bestimmung für Mitarbeiter in …
        
        
c)    
sonstigen Einrichtungen und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen, und in Altenpflegeheimen und Pflegebereichen in Altenheimen oder
        
        
d)    
Einrichtungen und Heimen, die der Förderung der Gesundheit, der Erziehung, Fürsorge oder Betreuung von Kindern und Jugendlichen, der Fürsorge oder Betreuung von Obdachlosen, Alten, Gebrechlichen, Erwerbsbeschränkten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen dienen, auch wenn diese Einrichtungen nicht der ärztlichen Behandlung der betreuten Personen dienen.
        
        
(2)     
Bereitschaftsdienst leisten Mitarbeiter, die sich auf Anordnung des Dienstgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Dienstgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. …
        
        
§ 9 Bereitschaftsdienst- und Rufbereitschaftsentgelt in Krankenhäusern und Heimen
        
        
…       
        
        
(2)     
Zum Zwecke der Vergütungsberechnung der unter § 8 Abs. 1 Buchstabe (d) fallenden Mitarbeiter wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit mit 25 v.H. als Arbeitszeit bewertet. Leistet der Mitarbeiter in einem Kalendermonat mehr als acht Bereitschaftsdienste, wird die Zeit eines jeden über acht Bereitschaftsdienste hinausgehenden Bereitschaftsdienstes zusätzlich mit 15 v.H. als Arbeitszeit gewertet.
        
        
(2a)   
Zusätzlich zu Abs. 1 und Abs. 2 wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit in der Zeit von 20.00 bis 6.00 Uhr mit einem Zuschlag in Höhe von 15 v.H. der Stundenvergütung nach § 2 der Anlage 6a zu den AVR vergütet.
        
        
(3)     
Für die nach Absatz 1 und Absatz 2 errechnete Arbeitszeit wird die Überstundenvergütung nach § 1 Abs. 3 Unterabsatz 2 der Anlage 6a zu den AVR bezahlt. Für die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit und für die Zeit der Rufbereitschaft werden Zeitzuschläge nicht gezahlt.
        
        
        
…“    
        
6
Innerhalb einer Nachtwache bewertet der Beklagte die Zeit von 20:00 bis 21:00 Uhr und von 05:45 bis 07:00 Uhr (= 2,25 Stunden, in Dezimalzahlen ausgedrückt) als Arbeitszeit und die Zeit von 21:00 bis 05:45 Uhr als Bereitschaftsdienst. Die Zeit des Bereitschaftsdienstes fakturierte der Beklagte mit 25 % (8,75 Stunden x 25 % = 2,19 Stunden). Auf die 8,75 Stunden Bereitschaftsdienstzeit hat er einen Nachtzuschlag iHv. 15 % (= 1,31 Stunden) sowie auf die fakturierte Stundenzahl von 2,19 Stunden einen Überstundenzuschlag von 25 % (= 0,55 Stunden) in Ansatz gebracht und damit insgesamt 6,3 Stunden (2,25 + 2,19 + 1,31 + 0,55) unter Zugrundelegung eines Stundenentgelts von zuletzt 10,86 Euro vergütet (= 68,42 Euro je Nachtwache).
7
Die Klägerin hat mit ihrer Klage Differenzvergütung für den Zeitraum von Oktober 2015 bis Dezember 2017 unter Benennung der Nachtdienste, des Freizeitausgleichs, der Fortbildungs- und Dienstbesprechungszeiten sowie der Urlaubs- und Arbeitsunfähigkeitszeiten geltend gemacht. Sie hat gemeint, der Beklagte sei verpflichtet, die gesamte Zeit der Nachtwache mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten.
8
Die Klägerin hat in der Revision zuletzt beantragt,
        
den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.451,65 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 907,68 Euro seit dem 2. Januar 2016, aus 3.689,14 Euro seit dem 2. Januar 2017 und aus 854,83 Euro seit dem 2. Januar 2018 zu zahlen.
9
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) und der auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen, insbesondere der Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Zweite Pflegearbeitsbedingungsverordnung – 2. PflegeArbbV) – gingen dem Mindestlohngesetz vor, so dass Ansprüche auf gesetzlichen Mindestlohn nicht bestünden. Die sich aus der 2. PflegeArbbV ergebenden Entgeltansprüche habe er erfüllt. Hiernach könne die Klägerin Vergütung für 2,25 Stunden Vollarbeit und 2,19 fakturierte Stunden Bereitschaftsdienst (25 % von 8,75 Stunden) zu einem Stundenentgelt iHv. 10,20 Euro, insgesamt also 45,26 Euro je Nachtwache verlangen. Tatsächlich gezahlt habe er 68,42 Euro je Nachtwache.
10
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von 854,83 Euro brutto nebst Zinsen für das Jahr 2017 verurteilt. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre abgewiesenen Zahlungsansprüche für die Jahre 2015 und 2016 weiter. Der Beklagte begehrt mit seiner Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.


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