Arbeitsrecht

Nicht ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats bei Wartezeitkündigung im öffentlichen Dienst

Aktenzeichen  17 Ca 2507/20

Datum:
8.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28942
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPVG Art. 77 Abs. 3, Abs. 4
SGB XI § 167 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine Kündigung ist nach Art. 77 Abs. 4 BayPVG unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Dabei ist von einer Nichtbeteiligung (und einer daraus abzuleitenden Unwirksamkeit) nicht nur dann auszugehen, wenn eine Beteiligung gänzlich unterblieben ist, sondern bereits dann, wenn der Arbeitgeber seine Mitteilungspflichten nicht ausreichend erfüllt hat. Als Beurteilungsmaßstab sind dabei die zu § 102 BetrVG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf die Anforderungen einer Mitteilungspflicht vor Ausspruch einer Kündigung während der gesetzlichen Wartezeit wird zwar der erst nach Ablauf der Wartezeit eintretende Kündigungsschutz durch die Anforderungen, die an eine Anhörung gestellt werden, nicht vorverlagert. Dennoch müssen die dem Personalrat mitgeteilten (substantiierbaren) Tatsachen richtig und vollständig sein, auch unter entsprechender Berücksichtigung der entlastenden Umstände. (Rn. 24 und 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 13.02.2020, zugegangen am 15.02.2020, nicht beendet worden ist.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Tarifbeschäftigte im sonstigen Verwaltungsdienst weiterzubeschäftigen.
III. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 12.529,64.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/5, die Beklagte 4/5.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet, sodass ihr in vollem Umfang stattzugeben war. Die ordentliche Kündigung vom 13.02.2020 ist wegen fehlerhafter Anhörung des Gesamtpersonalrats unwirksam und vermochte daher das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zu beenden. Daher steht der Klägerin auch ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu.
I.
Dem Feststellungsantrag der Klägerin war stattzugeben, da die während der gesetzlichen Wartezeit erklärte ordentliche Kündigung vom 13.02.2020 unwirksam ist; denn die Beklagte hat den Gesamtpersonalrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß i. S.d. Art. 77 Abs. 3, Abs. 4 BayPVG angehört.
1. Da die Klägerin mit ihrer am 05.03.2020 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Kündigungsschutzklage gegen die ihr am 15.02.2020 zugegangene Kündigung vom 13.02.2020 die Drei-Wochen-Frist gemäß § 4 KSchG gewahrt hat, ist die Kündigung jedenfalls nicht gemäß § 7 KSchG als wirksam anzusehen.
2. Die Kündigung ist unwirksam, denn die Beklagte hat den Gesamtpersonalrat nicht i. S.d. Art. 77 Abs. 3 u. 4 BayPVG ordnungsgemäß beteiligt.
a) Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der bei der Beklagten gebildete Gesamtpersonalrat – nicht etwa der dortige Personalrat – die zuständige i.S.d. Art. 80, 77 BayPVG zu beteiligende Stelle i.S.d. Art. 6 Abs. 5 BayPVG ist.
b) Die von der Beklagten vorgenommene Beteiligung des Gesamtpersonalrats ist aber nicht ordnungsgemäß erfolgt. Nach Art. 77 Abs. 3 S. 1 BayPVG ist der Personalrat zu der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit anzuhören. Eine Kündigung ist nach Art. 77 Abs. 4 BayPVG unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Dabei ist von einer Nichtbeteiligung (und einer daraus abzuleitenden Unwirksamkeit) nicht nur dann auszugehen, wenn eine Beteiligung gänzlich unterblieben ist, sondern bereits dann, wenn der Arbeitgeber seine Mitteilungspflichten nicht ausreichend erfüllt hat. Als Beurteilungsmaßstab sind dabei die zu § 102 BetrVG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden (vgl. nur BAG, Urteil vom 22.04.2010 – 6 AZR 828/08, zit. nach Juris).
(1) Danach gilt: Der Inhalt der Unterrichtung ist grundsätzlich subjektiv determi niert. Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung des Betriebsrats (Personalrats) zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (vgl. nur BAG, Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 15/15, Rz. 15 f.). Unvollständig ist der Sachverhalt bereits dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat (Personalrat) ihm bekannte Umstände vorenthält, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können; dies gilt nach dem BAG (a.a.O., dort Rz.19) bereits für solche Umstände, die für den eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren; umso mehr muss dies daher auch für Umstände gelten, die aus Sicht des Arbeitgebers für seinen Kündigungsentschluss tragend waren.
Im Hinblick auf die Anforderungen einer Mitteilungspflicht vor Ausspruch einer Kündigung während der gesetzlichen Wartezeit gilt es zwar nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG, Urteil vom 12.09.2013 – 6 AZR 121/12, Orientierungssätze 2 u. 4) zu beachten, dass der erst nach Ablauf der Wartezeit eintretende Kündigungsschutz durch die Anforderungen, die an eine Anhörung gestellt werden, nicht vorverlagert wird. Deshalb ist insoweit hinsichtlich der Anforderungen zwischen Kündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt werden und Kündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruhen, zu differenzieren, wobei aber für die erste Konstellation – wie für den „Normalfall“ – gilt: Die Anhörung genügt den Anforderungen nur, wenn dem Betriebsrat (Personalrat) die zugrundeliegenden Tatsachen mitgeteilt werden.
Dass diese Tatsachen dann – ebenso wie beim „Normalfall“ – richtig und vollständig sein müssen, auch unter entsprechender Berücksichtigung der entlastenden Umstände, unterliegt nach Ansicht der Kammer keinem Zweifel (anders wohl die Beklagte, die dieser bereits mit Hinweisbeschluss vom 25.01.2021 nahegelegten Schlussfolgerung offenbar unter Hinweis auf die Besonderheiten einer im öffentlichen Dienst ausgesprochenen Probezeitkündigung nicht zu folgen vermochte, Schriftsatz vom 11.02.2021, S. 2 f. = Bl. 163 f. d.A.).
Demgegenüber führt eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte „bloß“ objektive Fehlinformation nicht für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung. Maßgeblich ist dabei, ob der Arbeitgeber „subjektiv gutgläubig“ ist und ob trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung Genüge getan ist. Die Beweislast für seine Gutgläubigkeit trägt der Arbeitgeber (BAG v. 16.07.2015 a.a.O., Rz. 17 u. 20).
(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Beklagte den Gesamtper sonalrat falsch, nämlich unvollständig – unter Vernachlässigung entlastender Tatsachen – und nicht subjektiv gutgläubig unterrichtet, was zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.
(a) Vorliegend hat sich die Beklagte unzweifelhaft darauf eingelassen, die Wartezeitkündigung nicht „bequem“ mit einem personenbezogenen Werturteil zu begründen; sie hat vielmehr ihre Kündigung auf substantiierbare Tatsachen gestützt: Sie hat behauptet, dass es ihr angesichts der hohen Fehlzeiten der Klägerin nicht möglich war – dem Zweck einer Probezeit entsprechend -, die Klägerin zu erproben und eine Bewährung zu bestätigen (vgl. nur Ziffer 6. des an den Gesamtpersonalrat gerichteten Unterrichtungsschreibens vom 10.02.2020). Zur Begründung ihrer Behauptung – keine ausreichende Möglichkeit zur Erprobung, daher keine Bewährung und daher Kündigungsnotwendigkeit – hat die Beklagte auf die „hohen Fehlzeiten (Krankheit und Urlaub)“ verwiesen (Ziffer 3.1 a.a.O.). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte auch die ihrer Meinung nach bestehende Anfälligkeit der Klägerin für hohe Fehlzeiten (dabei auch Urlaubstage mitzählend. . .) statistisch damit begründet, dass die Klägerin bei der Beklagten in einem Zeitraum von ca. fünf Monaten an insgesamt 49 Arbeitstagen nicht im Dienst gewesen sei (ebenda) und insoweit weiter dargelegt, dass die Klägerin (auch) im Zeitraum vom 01.09.2016 bis 31.08.2018 bereits im öffentlichen Dienst bei der Agentur für Arbeit beschäftigt gewesen und im Rahmen dieser Beschäftigung im Kalenderjahr 2017 an mindestens 73 Tagen arbeitsunfähig krank gewesen sei. Das Arbeitsverhältnis mit der Agentur für Arbeit M-Stadt habe mit Ablauf des befristeten Vertrages zum 31.08.2018 geendet, wobei eine Verlängerung unter Entfristung des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgt sei (Ziffer 2. a.a.O.).
(b) Angesichts dieser Begründung hätte es nach Auffassung der Kammer zwingend nahegelegen, auch darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auf ein und demselben (!) Arbeitsplatz unmittelbar (!) vor Antritt der Beschäftigung bei der Beklagten vom 12.12.2018 bis zum 31.08.2019 über ein Zeitarbeitsunternehmen bei der Beklagten beschäftigt war. Denn dann hätte sich – für den Gesamtpersonalrat – doch die Frage aufgedrängt, warum diese vorangegangene Tätigkeit – jedenfalls viel eher als die Tätigkeit bei der Bundesagentur für Arbeit in M-Stadt – nicht auch Beurteilungsgrundlage für eine Erprobung gewesen ist. Eine Erklärung hierfür hätten beispielsweise weitere Fehlzeiten sein können – oder war es umgekehrt gerade so, dass geringe Fehlzeiten aus diesem Zeitraum dem Argument der hohen Fehlzeitenanfälligkeit zuwidergelaufen wären?
Das Argument der fehlenden Erprobungsmöglichkeit als bestimmendes Kündigungsmotiv wird überdies noch weiter relativiert durch den damit im Zusammenhang stehenden Umstand, dass ein für die Übernahme ausreichendes Mindestmaß an Erprobung durch die Vorbeschäftigung als Leiharbeitnehmerin schon stattgefunden haben muss.
Der entlastende – aber dem Gesamtpersonalrat im Unterrichtungsschreiben vorenthaltene – Umstand der Vorbeschäftigung auf ein und demselben Arbeitsplatz im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses wird auch nicht dadurch entwertet, dass – worauf die Beklagte nun hingewiesen hat – Zeiten einer Vorbeschäftigung im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses nicht von Gesetzes wegen bei der gesetzlichen Wartezeit Anrechnung finden. Denn dieser richtige Hinweis auf die Rechtslage kann nicht davon ablenken, dass durch die objektiv falsche (hier: unvollständige) Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Personalratsanhörung nicht Genüge getan wurde: Der Gesamtpersonalrat war dadurch nicht mehr in der Lage, sachgerecht, d.h. ggf. zugunsten der Klägerin auf die Beklagte einzuwirken. Die „Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe“ (BAG v. 16.07.2015, a.a.O., Rz. 14) stellen sich so in einem völlig anderen Licht dar.
(c) Im Hinblick auf die nun von der Beklagten zur Vermeidung der Unwirksamkeitsfolge darzulegenden und ggf. zu beweisenden subjektiven Gutgläubigkeit hat die Beklagte trotz rechtlichen Hinweises im gerichtlichen Auflagenbeschluss vom 25.01.2021 (I., 2.) keinen Vortrag geleistet. Nur vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Kammer auch eine etwaige Berufung darauf, dass der Umstand der Vorbeschäftigung zumindest in einer der Anlagen des Unterrichtungsschreibens mittelbar Erwähnung gefunden hat (im Rahmen des Schreibens der Klägerin vom 06.02.2020 an die Beklagte per E-Mail, Anlage 6. des Unterrichtungsschreibens), weder für den Nachweis einer ausreichenden Unterrichtung noch für eine subjektive Gutgläubigkeit ausreichend erscheint. Der Verwender von Anlagen bezweckt eine Erläuterung bzw. den Nachweis im Haupttext dargelegter Behauptungen; umgekehrt hat der – zumal eilige – Leser die Kernbotschaft ggf. relativierende Darlegungen neuer Tatsachen ausschließlich im eigentlichen Haupttext zu gewärtigen.
c) Das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen weiterer Unwirksamkeitsgründe konnte damit offengelassen werden. Entbehrlich war damit insbesondere auch der Beweisantritt der Beklagten durch die Einvernahme des zuständigen Personalreferenten über die Tatsache des Zeitpunkts seiner Unterschrift erst nach eingeholter abschließender Stellungnahme des Gesamtpersonalrats.
II.
Auch dem Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin war stattzugeben: Sie hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend BAG, Großer Senat, in: AP § 611 BGB Beschäftigungspflicht, Nr. 14) ist anerkannt, dass der gekündigte Arbeitnehmer außerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses hat, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses zwar zunächst ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers, für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses aber nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsschutzprozess ein die Unwirksamkeit feststellendes Urteil ergeht. Ab diesem Zeitpunkt kann – wie vorliegend – die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Derartige Umstände hat die Beklagte aber nicht dargelegt. III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
2. Für den gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzenden Urteilsstreitwert wurden insgesamt vier Bruttomonatslöhne in Ansatz gebracht (§§ 42 Abs. 2 GKG, 3 ZPO).
3. Gegen diese Entscheidung steht nur der beschwerten Beklagten das Rechtsmittel der Berufung nach näherer Maßgabe der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrungzu.


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