Arbeitsrecht

Nichtannahmebeschluss: Mangels Vorliegens von Annahmegründen erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl der nach § 20 Abs 3 S 1 iVm § 20 Abs 2 Halbs 1 SGB festzusetzenden Höhe der Regelleistung für nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.06.2005

Aktenzeichen  1 BvR 395/09

Datum:
24.3.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100324.1bvr039509
Normen:
Art 1 Abs 1 GG
Art 20 Abs 1 GG
§ 31 Abs 2 S 2 BVerfGG
§ 20 Abs 1 SGB 2 vom 24.12.2003
§ 20 Abs 3 S 1 SGB 2 vom 24.12.2003
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend BSG, 16. Dezember 2008, Az: B 4 AS 69/08 B, Beschlussvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. Mai 2008, Az: L 20 AS 48/06, Urteilvorgehend SG Gelsenkirchen, 15. März 2006, Az: S 4 AS 43/05, Gerichtsbescheidnachgehend BVerfG, 14. Juli 2010, Az: 1 BvR 395/09, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistung für nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten
im Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 20 Abs. 2 1. Halbsatz Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II) in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003
(BGBl I S. 2954).
I.
2
1. Die Beschwerdeführer sind miteinander verheiratet und beziehen seit dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II. Für den Zeitraum
vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 bewilligte ihnen der zuständige Grundsicherungsträger Leistungen in Höhe von insgesamt
814,95 Euro monatlich, die sich aus einer Regelleistung von jeweils 311 Euro und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe
von insgesamt 192,95 Euro zusammensetzten. Ihre Klage, mit der sie zuletzt um insgesamt monatlich 564,30 Euro (90% von 627
Euro) höhere Leistungen geltend machten, blieb vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht erfolglos. Die Nichtzulassungsbeschwerde
wies das Bundessozialgericht als unbegründet zurück, da höchstrichterlich geklärt sei, dass gegen die Festlegung der Regelleistung
von 345 Euro und 311 Euro keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden.
3
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer sinngemäß unmittelbar gegen die Entscheidungen des Grundsicherungsträgers
und die sozialgerichtlichen Entscheidungen sowie mittelbar gegen die gesetzlichen Regelungen des § 20 Abs. 2 1. Halbsatz und
Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F.. Sie rügen eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und meinen, sowohl
die Regelleistung von 345 Euro nach § 20 Abs. 2 1. Halbsatz SGB II a.F. als auch die Regelleistung von 311 Euro nach § 20
Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. seien zu niedrig bemessen worden.
II.
4
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht
mehr vorliegen.
5
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe
a BVerfGG mehr zu. Sie wirft keine verfassungsrechtlichen Fragen auf, die sich nicht ohne Weiteres aus dem Grundgesetz beantworten
lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 ). Durch
das Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u.a. -, www.bverfg.de, sind alle verfassungsrechtlichen Fragen der Bemessung der
Regelleistung nach § 20 Abs. 2 1. Halbsatz und Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat die betreffenden
Vorschriften für unvereinbar mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG erklärt, jedoch ihre weitere Anwendbarkeit
bis zur einer Neuregelung durch den Gesetzgeber angeordnet.
6
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt (§
93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Unvereinbarkeit von § 20 Abs. 2 1. Halbsatz und Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. mit Art. 1
Abs. 1 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits mit Gesetzkraft
(vgl. § 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) festgestellt. Für eine nochmalige entsprechende Entscheidung besteht kein Raum und kein
Bedürfnis. Da die genannten Vorschriften weiterhin anwendbar sind und der Gesetzgeber nach den Ausführungen in den Urteilsgründen
nicht zu einer rückwirkenden Neuregelung verpflichtet ist, steht darüber hinaus fest, dass es bei den im streitgegenständlichen
Zeitraum aufgrund von § 20 Abs. 2 1. Halbsatz, Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. festgesetzten Regelleistungen bleiben wird und die
Beschwerdeführer mit ihrem Begehren auf Gewährung höherer Leistungen nicht durchdringen können. Eine Aufhebung der mit der
Verfassungsbeschwerde angefochtenen Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen kommt nicht in Betracht. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde
ohne Aussicht auf Erfolg.
7
Etwas anderes ergibt sich auch nicht auch im Hinblick auf die durch eine Anordnung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil
vom 9. Februar 2010 geschaffene Härtefallregelung. Es kann dahinstehen, ob Leistungen wegen eines unabweisbaren, laufenden,
nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs, der zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zwingend zu decken
ist, vom Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens umfasst waren (vgl. dazu Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1, Ziffer
5 letzter Absatz, einerseits und BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 44/08 R -, www.sozialgerichtsbarkeit.de, Rn. 12
m.w.N., andererseits) und ob die Beschwerdeführer einen entsprechenden Bedarf geltend machen können. Den Beschwerdeführern
steht in jedem Fall ein Anspruch auf solche Leistungen nicht zu, weil es in dem und für den im sozialgerichtlichen Verfahren
allein streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 an einer einfachgesetzlichen Anspruchsgrundlage
fehlt, die nicht nur nach § 31 SGB I, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich ist (vgl. BVerfG, Urteil
vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u.a. -, www.bverfg.de, Rn. 136 f.). Die im Urteil vom 9. Februar 2010 durch eine Anordnung
des Bundesverfassungsgerichts geschaffene Regelung ersetzt zwar für die Zeit bis zur Schaffung einer entsprechenden Härtefallregelung
durch den Gesetzgeber im Sinne einer Übergangsregelung die an sich notwendige einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage. Sie gilt
jedoch, wie sich aus den nach dem Urteilstenor insoweit maßgeblichen Urteilsgründen ergibt, nur für die Zeit ab der Verkündung
des Urteils und damit nicht für Leistungszeiträume vor dem 9. Februar 2010 (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL
1/09 u.a. -, www.bverfg.de, Rn. 220). Eine rückwirkende Geltung der Übergangsregelung hätte das Bundesverfassungsgericht ebenso
wie eine entsprechende Pflicht des Gesetzgebers, auch für zurückliegende Leistungszeiträume eine Öffnungsklausel zu schaffen,
ausdrücklich anordnen müssen. Dies hat es jedoch nicht getan. Ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 73 SGB XII war
offensichtlich nicht Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens, da eine Beiladung des Sozialhilfeträgers unterblieben
ist, das Bundessozialgericht dies nicht als Verfahrensfehler beanstandet hat und die Beschwerdeführer insoweit keinen Verfassungsverstoß
geltend machen.
8
3. Die auf § 34a Abs. 3 BVerfGG beruhende Anordnung, dass den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten sind,
entspricht der Billigkeit. Eine Annahme zur Entscheidung hatte trotz der ursprünglich gegebenen grundsätzlichen Bedeutung
allein wegen der zwischenzeitlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu unterbleiben. Ohne diese Entscheidung hätte
die Verfassungsbeschwerde auch in der Sache teilweise Aussicht auf Erfolg gehabt.
9
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
10
Die Entscheidung ist unanfechtbar.


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