Arbeitsrecht

Oberstudienrätin im Kirchendienst, Versorgungsbezüge, Anrechnung einer Regelaltersrente auf die Besoldung bzw. Versorgung, Alimentationsgrundsatz, Willkürverbot

Aktenzeichen  3 BV 20.1259

Datum:
8.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25014
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KVersG § 34
KVersG § 37
KBBesG § 6

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 1 K 17.320 2020-03-06 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.      
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.     
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.     
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Beklagte durfte die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung in vollem Umfang auf die Versorgungsbezüge der Klägerin anrechnen (1.). Die Anrechnung der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Besoldung ist rechtens (2.).
Im Bereich des Kirchenrechts der Beklagten, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, wurde im Jahr 1972 mit dem Kirchengesetz über die Neuregelung der Versorgung der Pfarrer, Kirchenbeamten und Diakone (Versorgungsneuregelungsgesetz – VNG) die gesetzliche Rentenversicherung in das kirchliche Versorgungssystem eingebunden. Das diente dem Ziel, einen Teil der hinsichtlich der Höhe an die staatliche Beamtenversorgung orientierten Versorgungsbezüge zu finanzieren bzw. abzusichern. Die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung werden nach § 34 Abs. 1 des Kirchlichen Versorgungsgesetzes (KVersG) auf die Versorgungsbezüge in voller Höhe angerechnet, soweit die Beitragsleistungen von der Beklagten oder einem anderen kirchlichen Dienstherrn oder Dienstgeber erbracht worden sind. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
1. Rechtsgrundlage für die zwischen den Beteiligten umstrittene Anrechnung des Teils der gesetzlichen Altersrente, der auf der Nachversicherung durch den Freistaat Bayern beruht, ist § 34 Abs. 8 KVersG.
a. Nach § 34 Abs. 8 KVersG in der bis zum 30. Juni 2021 gültigen Fassung (alte Fassung) ist die Anwendung der Absätze 1 bis 6 ausgeschlossen, soweit Zeiten nicht als ruhegehaltfähig anerkannt worden sind. Diese Bestimmung ist im Umkehrschluss auszulegen. Ihr liegt folgende Ratio zugrunde: Es ist für die betreffende Person von Vorteil, wenn ihr Vordienstzeiten im außerkirchlich öffentlichen Dienst als ruhegehaltfähig anerkannt werden, denn ein ruhegehaltfähiges Dienstjahr ist deutlich mehr wert als Rentenansprüche für ein Jahr. Erkennt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern einen Vordienst-Zeitraum im außerkirchlich öffentlichen Dienst als ruhegehaltfähig an, wird der auf diesen Zeitraum entfallende Rententeil auf die Versorgung durch die Kirche angerechnet, um eine Doppelversorgung zu vermeiden (vgl. Vorlage 5 – Entwurf des Kirchengesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften – S. 17). Mit § 34 Abs. 8 KVersG in der Fassung vom 1. Juli 2021 (neue Fassung) wird nunmehr explizit klargestellt, dass die Absätze 1 bis 6 auch anzuwenden sind, soweit Zeiten seitens der Beklagten als ruhegehaltfähige Dienstzeit anerkannt worden sind. In der Sache zielt die Bestimmung sowohl in der alten als auch der neuen Fassung des Kirchlichen Versorgungsgesetzes darauf ab, dass die Anerkennung außerkirchlicher Vordienstzeiten die Anrechnung des betreffenden Rententeils zur Folge hat und zwar unabhängig vom „Urheber“ der Einzahlung.
Selbst wenn man dieser Auslegung nicht folgen wollte, ergäbe sich in Anwendung des § 37 KVersG i.V.m. Art. 85 BayBeamtVG nichts anderes.
b. Die Entscheidung des kirchlichen Gesetzgebers, wonach die Anerkennung außerkirchlicher Vordienstzeiten die Anrechnung des betreffenden Rententeils zur Folge hat, unterliegt dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Hierunter fallen nicht nur die Maßnahmen nach autonomen Kirchenrecht, die von der geistlichen Grundordnung und einem darauf gegründeten Selbstverständnis getragen sind, sondern auch die Bestimmung über die innere Ordnung der Kirchen. Dazu zählt auch das kirchliche Dienstrecht einschließlich der besoldungs- und versorgungsrechtlichen Regelungen für Kirchenbeamte (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 38.81 – juris Rn. 17 m.w.N.; OVG RhPf, U.v. 28.11.2008 – 2 A 10495/08 – juris Rn. 21). Kirchliche Bestimmungen entziehen sich einer umfassenden Kontrolle durch die staatlichen Verwaltungsgerichte. Die staatlichen Gerichte sind bei der inhaltlichen Prüfung kirchenrechtlicher Vorschriften, die zum Kern des Selbstbestimmungsrechts gehören, darauf beschränkt, ob diese mit den in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegten grundlegenden Verfassungsprinzipien, dem Willkürverbot und elementaren Verfassungsgarantien vereinbar sind (vgl. BVerwG, B.v. 4.1.2017 – 2 B 23.16 – juris Rn. 13 f.: Kürzung des Ruhegehalts eines Priesters der römisch-katholischen Kirche in einem Disziplinarverfahren durch das Diözesangericht und U.v. 27.2.2014 – 2 C 19.12 – juris Rn. 23 und 33: Anspruch auf erneute (befristete) Berufung in ein Kirchenbeamtenverhältnis; so auch U.v. 25.11.1982 – 2 C 21.78 – juris; vgl. auch U.v. 25.11.2015 – 6 C 21.14 – juris Rn. 25 f. zur Erstattung der Kosten eines kirchengerichtlichen Verfahrens; BGH, U.v. 28.3.2003 – V ZR 261/02 – juris 5. Leitsatz; vgl. auch v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, Stand: Juni 2020, § 1 Rn. 39).
Bei der Frage der finanziellen Folgen der Beendigung eines Dienstverhältnisses (Gewährung einer höheren Abfindung) hat das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 27.2.2014 a.a.O. juris Rn. 37 ff.) den oben beschriebenen Prüfungsrahmen auf das Sozialstaatsprinzip erweitert.
Ein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 5 GG scheidet hingegen von vornherein aus, weil diese Vorschrift im Bereich des kirchlichen Dienstes keine Anwendung findet (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 21.78 – juris Rn. 44). Art. 33 Abs. 5 GG kommt auf die öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse der Religionsgesellschaften weder unmittelbar noch entsprechend zur Anwendung. Er enthält inhaltliche Vorgaben lediglich für die Regelung des öffentlichen Dienstes als Bestandteil der Staatsverwaltung (BVerwG, U.v. 27.2.2014 – 2 C 19.12 – juris Rn. 38 m.w.N.). Die Klägerin kann sich daher nicht auf den Alimentationsgrundsatz berufen.
Eine Prüfung an „höherrangigen“ Bestimmungen des Bundes- oder Verfassungsrechts findet nicht statt, weil das in Bezug genommene staatliche Beamtenrecht so zu behandeln ist, wie autonomes Kirchenrecht, das seinerseits nur in Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV seine Grenzen findet (v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, Stand: Juni 2020, § 1 Rn. 39).
c. Danach gilt folgendes:
(1) Ein Verstoß gegen die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen, in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten fundamentalen Verfassungsprinzipen liegt nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin in ihrer Menschenwürde, auch nicht in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip verletzt wird. Dass sie durch die Anrechnung des Rentenanteils in existenzielle Not geraten wäre, macht sie selbst nicht geltend und liegt auch fern.
(2) § 34 Abs. 8 KVersG ist auch am Maßstab des Willkürverbots nicht zu beanstanden.
Materiell-rechtlich ist das Willkürverbot verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Regelung nicht finden lässt. Willkür kann nicht schon dann bejaht werden, wenn der Gesetzgeber unter mehreren möglichen Lösungen nicht die zweckmäßigste oder vernünftigste gewählt hat, sondern nur, wenn ein sachgerechter Grund für die gesetzliche Bestimmung nicht erkennbar ist. Was hierbei sachlich vertretbar oder sachfremd ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in Bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt nur vor, wenn die Unsachlichkeit evident ist (BVerfG, B.v. 7.10.1980 – 1 BvL 50/79 – juris Rn. 50; B.v. 5.10.1993 – 1 BvL 34/81- juris Rn. 39).
Die streitige Anrechnungsregel ist nicht evident unsachlich. Sie dient der Einsparung finanzieller Mittel, was sachlich vertretbar und deshalb willkürfrei ist (vgl. OVG RhPf, U.v. 28.11.2008 – 2 A 10495/08 – juris Rn. 34). § 34 Abs. 8 KVersG rechtfertigt sich mit dem Grundgedanken, Mehrfachversorgungen, die unter bestimmten Bedingungen zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Doppelbelastung öffentlicher Mittel und zu einer sachwidrig empfundenen Überversorgung der rentenbeziehenden Versorgungsempfänger führen können, zu vermeiden. Dieser Zielsetzung kommt eine überragende Bedeutung zu (vgl. BVerfG, B.v. 30.9.1987 – 2 BvR 933/82 – juris Rn. 191; BVerwG, B.v. 19.8.2010 – 2 C 34.09 – juris Rn. 62).
Werden nichtkirchliche Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig anerkannt (was sich auf die Höhe des Versorgungssatzes auswirkt) gleichzeitig aber die betreffenden Rententeile nicht zu Anrechnung gebracht, läuft das im Ergebnis auf eine doppelte Berücksichtigung heraus. Im Falle der Klägerin würde das bedeuten, dass sie zu ihrer kirchlichen Versorgung mit dem Höchstruhegehaltssatz von 71,75% „on top“ noch von der Nichtanrechnung des streitigen Rentenanteils profitierten könnte; es käme zu einer Überversorgung.
Auch die Anwendung der Bestimmung im Einzelfall ist nicht willkürlich. Die Klägerin, die keine Eigenleistung hinsichtlich der Nachversicherung durch den Freistaat Bayern erbracht hat, konnte aufgrund der Anerkennung der Vordienstzeiten beim Freistaat Bayern überhaupt erst den Höchstruhegehaltssatz von 71,75% erreichen (vgl. Berechnung S. 69 der Personalakte). Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass die Zeiten der Nachversicherung ohne Einzahlung der kirchlichen Beiträge wertlos geblieben wären, da die Klägerin allein durch ihre Beschäftigung beim Freistaat Bayern nicht die erforderliche allgemeine Wartezeit von fünf Jahren in der Rentenversicherung erfüllt hätte (vgl. § 50 Abs. 1 SBG VI).
Zu berücksichtigen ist weiter, dass der hier erfasste Einzelfall in einem Bereich angesiedelt ist, der „zumindest teilweise einer einheitlichen Finanz- und Wirtschaftshoheit unterliegt dergestalt, dass ein Austausch der Mittel, sei es durch Finanzausgleich, Steuern oder Beiträge, sei es durch Subventionen oder andere Zuschüsse, tatsächlich erfolgt oder doch ‚möglich‘ ist“ (BVerwG, U.v. 15.12.1967 – VI C 68.67 – juris Rn. 46). Der Freistaat Bayern leistet gemäß § 2 der Vereinbarung über Staatsleistungen an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (Staatsleistungsvereinbarung) vom 15. Dezember 2014 an die Beklagte zur Verbesserung der Ruhestands- und Hinterbliebenenversorgung der Geistlichen einen freiwilligen Zuschuss von jährlich knapp 5 Millionen. Dies rechtfertigt die Annahme eines relevanteren Verbunds zwischen Kirche und Staat, der die Anrechnung auch im vorliegenden Einzelfall rechtfertigt. Unerheblich ist, dass sich der Zuschuss auf die Geistlichen beschränkt, die bei der Beklagten beschäftigt sind. Entscheidend ist der Zahlungsfluss, der sich jedenfalls mittelbar auf den Gesamthaushalt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern auswirkt.
Die Beklagte hat damit zu Recht die gesamten Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Versorgungsbezüge der Klägerin angerechnet.
2. Die Rentenanrechnung auf die Besoldung im Zeitraum vom 1. Januar bis 12. Februar 2016 gemäß § 6 Satz 1 des Kirchengesetzes über die Besoldung der Kirchenbeamten, Kirchenbeamtinnen, Religionspädagogen, Religionspädagoginnen, Diakone und Diakoninnen (Kirchenbeamtenbesoldungsgesetz – KBBesG) vom 3. Dezember 2013 ist ebenfalls rechtmäßig.
Nach dieser Bestimmung erfolgte eine Anrechnung von Renten der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Besoldung entsprechend den im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geltenden versorgungsrechtlichen Bestimmungen. Insoweit kann auf die Ausführungen zu 1. Bezug genommen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die in der Berufungsschrift angeregte Abänderung der im Urteil des Verwaltungsgerichts getroffenen Kostenentscheidung hinsichtlich des übereinstimmend erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits kommt nicht in Betracht (HessVGH, U.v. 27.4.2016 – 6 A 2050/14 – juris Rn. 27 ff.).
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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