Arbeitsrecht

Personalkostenerstattung für Gerichtsvollzieher

Aktenzeichen  W 1 K 16.890

Datum:
24.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BKEntSchV-GV § 3 Abs. 2 S. 1, § 4 Abs. 2 S. 1
BBesG BBesG § 49 Abs. 3
GG GG Art. 33 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Dem Dienstherrn steht bei der Festlegung des „geltenden Belastungsmaßstabes“ iSd § 3 Abs. 2 S. 1 BKEntschV-GV zwar ein Organisationsermessen zu, jedoch wird dieses – insoweit gerichtlich voll überprüfbar – durch das Gebot der Realitätsnähe begrenzt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das zwingend zu beachtende Gebot der Realitätsnähe wird durch die Anwendung des Bad Nauheimer-Schlüssels als „geltender Belastungsmaßstab“ seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung am 1. Januar 2013, jedenfalls aber im Jahr 2014, verletzt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides des Direktors des Amtsgerichts … vom 9. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg vom 24. März 2017 verpflichtet, dem Kläger für das Jahr 2015 eine um 1.636,89 EUR höhere Personalkostenerstattung nach § 3 BKEntschV-GV zu gewähren.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist im noch rechtshängigen Umfang zulässig und begründet, da der Kläger einen Anspruch aus § 3 BKEntschV-GV auf eine um 1.636,89 EUR höhere Personalkostenerstattung für das Jahr 2015 hat. Die in dem angegriffenen Bescheid des Direktors des Amtsgerichts … vom 9. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg vom 24. März 2017 enthaltene Kürzung der Personalkostenerstattung auf 80% des Höchstbetrages nach § 3 Abs. 1 BKEntschV-GV ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Anspruch des Klägers auf eine ungekürzte Personalkostenerstattung für das Jahr 2015 ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 BKEntschV-GV. Für die von dem Beklagten vorgenommene Kürzung der Personalkostenerstattung existiert demgegenüber keine Rechtsgrundlage. Eine Kürzung der Personalkostenerstattung ist nach § 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BKEntschV-GV nur dann möglich, wenn die durchschnittliche individuelle Arbeitsbelastung eines Gerichtsvollziehers nach dem „geltenden Belastungsmaßstab“ niedriger als 80% liegt. In diesem Fall verringert sich der Höchstbetrag nach Abs. 1 der Vorschrift je angefangene zehn Prozentpunkte um jeweils 10%. Für das laufende Kalenderjahr ist jeweils die Jahresdurchschnittsbelastung des Vorjahres maßgeblich.
Die Rechtswidrigkeit der Kürzung für das Kalenderjahr 2015 ergibt sich hier bereits daraus, dass der Beklagte entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 BKEntschV-GV nicht die Jahresdurchschnittsbelastung des Vorjahres, nämlich die des Jahres 2014, zu Grunde gelegt hat, sondern die Jahresdurchschnittsbelastung des Jahres 2012. Aber auch dann, wenn man die Jahresdurchschnittsbelastung des korrekten Bezugsjahres 2014 zu Grunde legt, ist eine Kürzung der Personalkostenerstattung nicht rechtmäßig. Dies ergibt sich vorliegend daraus, dass der vom Beklagten zur Berechnung der durchschnittlichen individuellen Arbeitsbelastung verwendete sog. Bad Nauheimer-Schlüssel ab dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung am 1. Januar 2013, jedenfalls aber im hier relevanten Bezugsjahr 2014, nicht mehr materiell rechtmäßig als „geltender Belastungsmaßstab“ i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 BKEntschV-GV zu Grunde gelegt werden konnte.
Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass der Bad Nauheimer-Schlüssel formal erst mit Ablauf des 31. Dezember 2014 in Wegfall geraten ist, nachdem das Bayerische Staatsministerium der Justiz den neuen „geltenden Belastungsmaßstab“ in Form des sog. Münchner Schlüssels mit Schreiben vom 21. Dezember 2015 rückwirkend zum 1. Januar 2015 eingeführt hatte. Auch ist zu konstatieren, dass die Festlegung des „geltenden Belastungsmaßstabes“ grundsätzlich der Organisationshoheit des Dienstherrn unterliegt. Allerdings ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 49 Abs. 3 BBesG a.F. i.V.m. der BKEntschV-GV geklärt und anerkannt, dass die Entschädigung der Gerichtsvollzieher realitätsnah an den tatsächlich anfallenden notwendigen Sach- und Personalkosten auszurichten sowie aktuell festzusetzen ist. Dabei legt die Vorschrift den Normgeber nicht auf ein bestimmtes Entschädigungsmodell fest und erlaubt Typisierungen und Pauschalierungen, solange das Gebot der Realitätsnähe nicht verletzt wird. Für die Ermittlung der jeweils festzusetzenden Werte muss sich der Normgeber auf eine hinreichend breite empirische Basis stützen (vgl. BVerwG, U.v. 19.8.2004 – 2 C 41/03 – juris; BVerwG, B.v. 12.12.2011 – 2 B 39/11 – juris). Ist danach die Entschädigung als solche realitätsnah auszugestalten und festzusetzen, so muss dies in gleichem Maße auch für den zur Berechnung der Entschädigungsleistung dienenden „geltenden Belastungsmaßstab“ gelten. Entsprechend vorstehender Ausführungen steht dem Dienstherrn bei der Festlegung des „geltenden Belastungsmaßstabes“ zwar ein Organisationsermessen zu, jedoch wird dieses – insoweit gerichtlich voll überprüfbar – durch das Gebot der Realitätsnähe begrenzt, was wiederum darin begründet liegt, dass der Dienstherr nach Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verpflichtet ist, seine Beamten amtsangemessen zu alimentieren. Diesen darf daher nicht zugemutet werden, Kosten selbst zu übernehmen, die ihnen zwangsläufig aufgrund dienstlicher Verpflichtungen entstehen – wie hier im Falle der Beschäftigung von Büropersonal – und die andere Beamte gleichen Amtes nicht zu tragen haben (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Das zwingend zu beachtende Gebot der Realitätsnähe wird durch die Anwendung des Bad Nauheimer-Schlüssels als „geltender Belastungsmaßstab“ seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung am 1. Januar 2013, jedenfalls aber im hier nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BKEntschV-GV relevanten Jahr 2014, verletzt. Dies ergibt sich bereits aus der eklatanten Abweichung der Ergebnisse bei der Berechnung der durchschnittlichen individuellen Arbeitsbelastung des Klägers nach dem Bad Nauheimer-Schlüssel und dem Münchner Schlüssel. So errechnet sich für das Bezugsjahr 2014 nach dem Bad Nauheimer-Schlüssel eine Arbeitsbelastung des Klägers von 59%, während diese entsprechend der klägerischen Berechnungen nach dem Münchner Schlüssel bei 88,12% liegt, was einer Abweichung von knapp 30% entspricht. Eine noch höhere Abweichung von etwa 40% ergibt sich bei Betrachtung des – hier nicht mehr streitigen – Bezugsjahres 2013, in welchem die Arbeitsbelastung nach Bad Nauheimer-Schlüssel bei 55% liegt, während sie entsprechend dem Münchner Schlüssel 94,93% beträgt. Geht man überdies mit dem Beklagten davon aus, dass die Einführung des neuen Münchner Schlüssels maßgeblich durch das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung bedingt war (vgl. Bl. 150 d. Akte) und die seit Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehende Struktur der Arbeitsbelastung nunmehr durch die Berechnung mittels des Münchner Schlüssels realitätsnah abgebildet wird, so ist aus den erheblich niedrigeren Belastungswerten nach dem alten Bad Nauheimer-Schlüssel –welche entsprechend obiger Ausführungen nicht allein in 2014, sondern auch bereits in 2013 zu verzeichnen waren, und die nicht mehr im Rahmen einer natürlichen Schwankungsbreite liegen – allein zu schlussfolgern, dass die Arbeitsbelastung durch den Bad Nauheimer-Schlüssel im Jahr 2014 nicht mehr realitätsnah abgebildet wurde. Da das Gebot der Realitätsnähe entsprechend obiger Ausführungen aber die Grenze des Organisationsermessen des Dienstherrn bildet, wurde dieses durch den gleichwohl für die Personalkostenerstattung des Jahres 2015 angewendeten Bad Nauheimer-Schlüssel überschritten.
Der Beklagte hat demgegenüber auch nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen können, dass der Kläger die Arbeitsbelastung nach dem Münchner Schlüssel falsch berechnet hätte. Der Beklagte hat sich vielmehr diesbezüglich auf ein pauschales Bestreiten beschränkt und vorgetragen, dass ihm eine Berechnung mangels fehlender Statistikzahlen aufgrund der ebenfalls erst im Jahre 2015 neu eingeführten Statistik GV 020 nicht möglich sei. Der Kläger hat demgegenüber mit Schriftsatz vom 21. Juli 2017 eingehend dargelegt, wie er unter Einhaltung der nunmehr gültigen Anleitung des Dienstherrn die Berechnung seiner individuellen Arbeitsbelastung für das Jahr 2014 (und ebenso für das Jahr 2013) durch nachträgliche händische Auszählung der Auftragszahlen ermittelt hat (vgl. Bl. 96, 23, 24 d. Akte). Fehler in diesen Berechnungen sind für das Gericht nicht ersichtlich. Es ist hierbei auch zu bedenken, dass die neue Belastungsberechnung nach dem Münchner Schlüssel nicht auf komplexen Rechenvorgängen beruht, sondern hierfür lediglich die bereinigte Anzahl der Auftragsnummern eines Kalenderjahres mit der Anzahl der Zustellungsaufträge, welche gesondert gewichtet werden, addiert wird. Aus welchem Grunde dem Beklagten eine Überprüfung der klägerischen Berechnung (trotz fehlender Statistikgrundlage) bei der gegebenen Sachlage nicht möglich gewesen sein soll, erschließt sich daher nicht.
Der Beklagte hat auch nicht geltend gemacht geschweige denn einen Nachweis dafür erbracht, dass es sich bei der vorliegenden Fallgestaltung des Klägers um einen atypischen Einzelfall handelt, während der Bad Nauheimer-Schlüssel im streitigen Bezugsjahr 2014 auf einer hinreichend breiten empirischen Basis im Allgemeinen noch hinreichend realitätsnahe Ergebnisse liefert. Die erkennende Kammer ist vielmehr im Gegenteil davon überzeugt, dass – unabhängig von obigen Ausführungen zur Feststellung der fehlenden Realitätsnähe beim Kläger persönlich – der Bad Nauheimer-Schlüssel im hier relevanten Bezugsjahr 2014 die Arbeitsbelastung der Gerichtsvollzieher in Bayern generell nicht mehr realitätsnah abgebildet hat. Dies ergibt sich zuvörderst bereits daraus, dass der Beklagte selbst mit Schreiben des zuständigen Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 20. Januar 2014 sowie 31. Oktober 2014 sowohl für die Personalkostenerstattung des Jahres 2014 wie auch des Jahres 2015 sein Einverständnis damit erklärt hat, dass entgegen dem klaren Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 BKEntschV-GV der Berechnung der individuellen Arbeitsbelastung die Belastungszahlen des Jahres 2012 und nicht des jeweiligen Vorjahres zugrundezulegen sind. Zur Begründung hierfür hat das Staatsministerium der Justiz unter dem 20. Januar 2014 ausgeführt, dass „seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung Unsicherheiten und Unstimmigkeiten bei der Erfassung des Geschäftsanfalls bestünden und noch ungewiss sei, inwieweit die erhobenen Belastungszahlen für 2013 ein bayernweit gleichmäßiges und realistisches Abbild der tatsächlichen Belastungssituation der Gerichtsvollzieher darstellen und für den Umfang der Beschäftigung von Personal in 2014 herangezogen werden sollen“. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2014 hat das Bayerische Staatsministerium der Justiz überdies die Ergebnisse des 7. Qualitätszirkels-GV vom 8. Oktober 2014 zur Personalkostenerstattung begrüßt und gebeten, im Folgejahr entsprechend diesen Ergebnissen zu verfahren. In dem Protokoll des 7. Qualitätszirkels-GV wird unterdessen ausgeführt, dass „seit der Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung ab dem 1. Januar 2013 die Anforderungen an die Bürotätigkeit erheblich gestiegen seien… Bei den Gerichtsvollziehern bestehe weiterhin die Besorgnis, dass seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung die durchschnittliche individuelle Arbeitsbelastung 2013 und 2014, die noch nach dem nicht mehr validen Bad Nauheimer-Schlüssel erhoben werde, unter 80% liegen könnte. Frühestens zum 1. Januar 2015 sei in Bayern mit validen Bemessungszahlen und einer neuen Statistik zu rechnen“. Da aufgrund dieser Sachlage eine Reduzierung der Personalkosten für die Gerichtsvollzieher nach § 3 Abs. 2 BKEntschV-GV befürchtet wurde, wurde von den Teilnehmern des Qualitätszirkels vorgeschlagen, auch für 2015 weiterhin die Belastungszahlen aus 2012 zugrunde zu legen. Indem sich der Beklagte durch das zuständige Staatsministerium diese Auffassung der fehlenden Validität zu eigen gemacht hat und als Konsequenz hieraus einer verordnungswidrigen Verwendung von Belastungszahlen aus dem Jahre 2012 zugestimmt hat, hat er klar zum Ausdruck gebracht, dass er seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung selbst nicht mehr von der Realitätsnähe des „geltenden Belastungsmaßstabes“ in Form des Bad Nauheimer-Schlüssels ausgegangen ist. Letztlich hat dann in der Folge auch die Einführung eines neuen „geltenden Belastungsmaßstabes“ in Form des Münchner Schlüssels zum 1. Januar 2015 bestätigt, dass die bereits zuvor getroffene Einschätzung der mangelnden Validität des Bad Nauheimer-Schlüssels nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung korrekt gewesen ist. Gestützt wird dieses Ergebnis zusätzlich durch eine fachliche Einschätzung des Rechnungshofes Baden-Württemberg in einer Denkschrift aus dem Jahre 2015, in der (betreffend den in Baden-Württemberg ebenfalls verwendeten Bad Nauheimer-Schlüssel) erklärt wird, dass „spätestens seit der 2013 in Kraft getretenen Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung der Bad Nauheimer-Schlüssel die tatsächliche Belastung der Gerichtsvollzieher nicht mehr abbilde. Auch die für die Personalbemessung in der Justiz gebildete Bundespensenkommission gehe davon aus, dass die Belastung derzeit nicht richtig abgebildet werde. Da keine aktuelle analytische Personalbedarfsberechnung vorgelegen habe, erhöhe diese den Personalbedarf wegen der Reform übergangsweise um 10%“ (vgl. http://www.rechnungshof.baden-wuerttemberg.de/de/veroeffentlichungen/denkschriften/317750/317759.html). Schließlich ist bereits der Begründung des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung zu entnehmen, dass hierdurch ein Mehraufwand in personeller Hinsicht zu erwarten sei, der im Wesentlichen durch die den Gerichtsvollziehern zusätzlich übertragenen Aufgaben verursacht werde. Es sei mit einem Belastungsanstieg von 21 Prozentpunkten nach dem Bad Nauheimer-Schlüssel zu rechnen (vgl. BT-Drs. 16/10069, S. 22). Auch der Rechnungshof Baden-Württemberg verweist auf einen Belastungsanstieg in dieser Größenordnung. Aus dieser prognostizierten und nach Inkrafttreten des Gesetzes auch vom Beklagten konzedierten Mehrbelastung für die Gerichtsvollzieher (vgl. etwa Bl. 73 d. Akte) ist zu schlussfolgern, dass jedenfalls das Ergebnis einer gegenüber dem Jahr 2012 rechnerisch weiter zurückgehenden Arbeitsbelastung des Klägers im Jahre 2014 entsprechend dem Bad Nauheimer-Schlüssel (von 68% auf 59%) nicht nachvollziehbar ist und die tatsächliche Arbeitsbelastung offensichtlich nicht mehr realitätsnah darstellt.
Nach alledem entspricht die Belastungsberechnung mittels des Bad Nauheimer-Schlüssels seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, jedenfalls aber im vorliegend relevanten Kalenderjahr 2014, nicht mehr dem Gebot der Realitätsnähe. Dieses ist jedoch aufgrund der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Dienstherrn zur amtsangemessenen Alimentation (vgl. hierzu oben) stets und damit auch in einer Umbruchsituation, wie sie vorliegend von dem Beklagten geschildert wurde, zwingend zu beachten. Vor diesem Hintergrund vermag auch die Bezugnahme des Beklagten auf § 4 Abs. 2 Satz 1 BKEntschV-GV sowie auf die ebenfalls erst im Jahre 2015 eingeführte neue Statistik GV 020 nichts an dem dargestellten Ergebnis zu ändern. Der Beklagte ist vielmehr gehalten, zu jedem Zeitpunkt einen realitätsnahen Belastungsmaßstab vorzuhalten. Dies erscheint zudem vorliegend auch keineswegs unmöglich, nachdem die Änderungen durch das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung mit Beschluss des Gesetzes am 29. Juli 2009 bereits bekannt waren, während die Mehrzahl der Vorschriften erst zum 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist. Dieser zeitliche Vorlauf hätte dem Beklagten eine zeit- und sachgerechte Änderung des „geltenden Belastungsmaßstabes“ ohne weiteres ermöglicht. Wenn der Beklagte überdies vorträgt, dass valide Daten zum Arbeitsaufwand immer erst nach einer gewissen Konsolidierungsphase nach Inkrafttreten eines Gesetzes zur Verfügung stünden und daher auch ein neuer Belastungsmaßstab nur zeitversetzt eingeführt werden könne, so kann dies vor dem Hintergrund der oben genannten verfassungsrechtlichen Verpflichtungen des Beklagten gegenüber dem Kläger nicht durchgreifen, zumal es durchaus realistisch erscheint, eine neue Aufgabenstruktur in einem geänderten Belastungsmaßstab zu antizipieren und vorläufig zu bewerten, erforderlichenfalls unter erneuter Anpassung nach Inkrafttreten des Gesetzes. Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass der Beklagte mit dem Münchner Schlüssel einen Belastungsmaßstab eingeführt hat, welcher (abgesehen von den Zustellungsaufträgen) gar nicht mehr nach der inhaltlichen Art der einzelnen Aufträge differenziert, so dass eine Konsolidierung in den Arbeitsabläufen vorliegend auch nicht von entscheidender Bedeutung war.
Zusammenfassend bestand für die vorgenommene Kürzung der Personalkostenerstattung auf 80% im Kalenderjahr 2015 keine Rechtsgrundlage, da der Bad Nauheimer-Schlüssel als „geltender Belastungsmaßstab“ nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKEntschV-GV nicht mehr herangezogen werden konnte. Ein Abstellen auf die Belastungszahlen des Jahres 2012 – wie vorliegend geschehen – vermag auch nicht den (vorübergehenden) „geltenden Belastungsmaßstab“ darzustellen, da eine derartige Handhabung dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 BKEntschV-GV eindeutig widerspricht. Kann der Beklagte die vorgenommene Kürzung aber nicht rechtmäßig auf § 3 Abs. 2 Satz 1 BKEntschV-GV stützen, so hat der Kläger einen gebundenen Rechtsanspruch auf eine ungekürzte Personalkostenerstattung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BKEntschV-GV. Die über die bereits ausgezahlte Personalkostenerstattung hinausgehenden verauslagten Personalkosten für das Jahr 2015 i.H.v. 1.636,89 EUR liegen noch innerhalb des Höchstbetrages nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BKEntschV-GV und es ist für das Gericht nichts dafür ersichtlich, dass es sich hierbei nicht um „notwendige und angemessene Aufwendungen“ im Sinne dieser Vorschrift handeln würde. Soweit der Beklagte dies in der mündlichen Verhandlung – erstmals – pauschal infrage gestellt hat, so ist er eine nachvollziehbare Begründung hierfür schuldig geblieben. Der Kläger hat vielmehr letztlich unwidersprochen unter Verweis auf § 3 Abs. 3 BKEntschV-GV vorgetragen, dass er Nachweise über die Beschäftigung von Büropersonal vorgelegt habe. Es ist aus den Akten nicht ersichtlich, dass der Beklagte diesbezüglich Beanstandungen gehabt hätte. Etwas anderes lässt sich auch dem angegriffenen Bescheid vom 9. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2017 nicht entnehmen. Hätte es aus Sicht des Beklagten vorliegend an notwendigen und angemessenen Aufwendungen und/oder deren Nachweis gemangelt, so hätte der Beklagte mangels Rechtsgrundlage vielmehr auch die bisher geleisteten Personalkostenerstattungsbeträge nicht gewähren dürfen.
Der Klage war nach alledem im noch rechtshängigen Umfang stattzugeben. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m § 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Berufung war vorliegend nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO einschlägig ist. Insbesondere ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht erkennbar. Bereits der Beklagte selbst hat konzediert, dass der vorliegende Rechtsstreit bayernweit einen Einzelfall bildet. Dieser behandelt mit dem Kalenderjahr 2015 einen abgeschlossenen Zeitraum vor einem mittlerweile vollzogenen Systemwechsel. Eine erneute Änderung des „geltenden Belastungsmaßstabes“ wurde vom Beklagten ebenfalls nicht ins Feld geführt, zumal diese wiederum aufgrund ihrer Besonderheiten eigenständig zu beurteilen wäre, so dass die Frage nach der materiellen Rechtmäßigkeit des Bad Nauheimer-Schlüssels als geltender Belastungsmaßstab im Jahr 2015 nicht im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 124 Rn. 10 m.w.N.).


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