Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe, Beschwerde, Beiordnung, Bewilligung, Vergleichsmehrwert, Vergleich, Erinnerung, Verfahren, Beteiligung, Mehrvergleich, Partei, Rechtsweg, Verfahrenskostenhilfe, Sachgrund, sofortige Beschwerde, Kosten des Rechtsstreits, Beiordnung eines Rechtsanwalts

Aktenzeichen  6 Ta 8/22

Datum:
14.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10345
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

9 Ca 1123/20 2021-12-15 Bes ARBGREGENSBURG ArbG Regensburg

Tenor

Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg – unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen – dahingehend geändert, dass dem Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei weitere € 115,20 (1,2 Terminsgebühr) aus der Staatskasse zu entrichten sind.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Höhe der dem Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung.
Die Klagepartei hat sich mit Klage vom 9. Juni 2020 beim Landgericht Landshut auf Auskunfts-/Rechenschaftslegung gegen die beklagte Partei gewandt. Mit Beschluss vom 23. November 2020 hat das Landgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für nicht gegeben erachtet und den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht Regensburg verwiesen. Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2021 hat die beklagte Partei Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung unter Beiordnung ihres nachmaligen Prozessbevollmächtigten beantragt (Bl. 2 d. PKH-Heftes).
Das Arbeitsgericht hat der beklagten Partei mit Beschluss vom 2. März 2021 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und der nunmehrigen Parteivertreter als Prozessvertreter beigeordnet.
Mit Beschluss vom 6. Mai 2021, nachdem die Güteverhandlung ohne Erfolg geblieben war, hat das Arbeitsgericht den Parteien einen Vergleichsvorschlag unterbreitet (Bl. 205 ff. d. A.). Diesem haben beide Seiten zugestimmt. Unter dem Datum 18. Juni 2021 hat das Gericht nachfolgenden Vergleich festgestellt:
„1. Die Beklagte zahlt ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an die Klä gerin 6000,00 € zur Abgeltung der streitgegenständlichen Forderung. Dieser Betrag kann in Raten bezahlt werden: Die erste Rate i.H.v. 100,00 € ist am 01.06.2021, die Folgeraten in gleicher Höhe sind jeweils am ersten Kalendertag der Folgemonate fällig. Bei vollständiger Zahlung der ersten 30 Raten, wird der Restbetrag erlassen. Kommt die Beklagte mit einer Rate ganz oder teilweise länger als 14 Kalendertage in Rückstand, so wird der gesamte Restbetrag sofort fällig und ist ab diesem Zeitpunkt mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
2. Darüber hinaus bestehen aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine finanziellen Ansprüche mehr.
3. Die Klägerin erklärt, dass sie an einer strafrechtlichen Verfolgung der Klägerin in diesem Zusammenhang kein Interesse (mehr) hat.
4. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.
5. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.“
Mit Beschluss vom 1. Juli 2021 hat das Arbeitsgericht den Gegenstandswert für das Verfahren auf 5.036,53 €, für den Vergleich auf 20.146,11 € festgesetzt (Bl. 220 d. A.).
Auf den Antrag des Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei vom 30. Juni 2021 hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 1. Juli 2021 (Bl. 29 d. PKH-Heftes) die bewilligte Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss erstreckt.
Der Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei hat mit Schreiben vom 6. Juli 2021 die Festsetzung der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung in Höhe von € 1.751,68 beantragt (Bl. XII f. d. Kostenheftes). Dabei hat er eine 1,5 Einigungsgebühr und eine 1,2 Terminsgebühr auf den Mehrvergleich angesetzt. Die Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 19. Juli 2021 die aus der Staatskasse zu erstattenden Kosten auf € 1.398,61 festgesetzt. Dabei hat sie ausgeführt, die Terminsgebühr könne lediglich aus dem Streitwert des Verfahrens, nicht aber aus dem Vergleichswert ersetzt werden, weswegen sie aus dem Gegenstandswert von € 5.036,53 auf € 320,40 festgesetzt worden sei. Zudem bestehe nach ständiger Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts München keinen Anspruch auf eine 1,5 Einigungsgebühr für den erweiterten Streitgegenstand im Vergleich. Die Einigungsgebühr bemesse sich daher aus dem Vergleichswert von € 20.146,11 auf € 363,00, wobei die Umsatzsteuer auf € 223,31 zu verringern sei (Bl. XIV f. d. Kostenheftes).
Gegen diesen Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei mit Schriftsatz vom 7. September 2021 (Bl. XXIII ff. d. Kostenheftes) Erinnerung eingelegt und die Ansicht vertreten, es sei nunmehr in Nr. 1003 VV-RVG und § 48 Abs. 1 RVG eine 1,5- Gebühr für den Vergleichsmehrwert verankert; auch stehe ihm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine 1,2 Terminsgebühr zu.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung mit „Nichtabhilfeverfügung“ vom 25. Oktober 2021 (Bl. XXV ff. d. Kostenheftes) nicht abgeholfen und hat die Akte im Übrigen der zuständigen Kammervorsitzenden vorgelegt. Die Kammervorsitzende hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2021 die Erinnerung zurückgewiesen (Bl. XXVII ff. d. Kostenheftes).
Gegen diesen ihm am 16. Dezember 2021 zugestellten Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 sofortige Beschwerde (nachfolgend: Beschwerde) eingelegt (Bl. …IV f. d. Kostenheftes). Dieser hat das Arbeitsgericht nicht abgeholfen und die zugelassene Beschwerde dem Landesarbeitsgericht vorgelegt (Beschluss vom 5. Januar 2021, Bl. …VI ff. d. Kostenheftes).
II.
Die statthafte Beschwerde hat teilweise Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 56 Abs. 2, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Sie ist formund fristgerecht eingereicht. Der Beschwerdewert ist zwar nicht überschritten, doch hat das Arbeitsgericht die Beschwerde zugelassen.
2. Die Beschwerde bleibt in der Sache hinsichtlich einer nur 1,0 Einigungsgebühr ohne Erfolg; allerdings kann der Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei eine 1,2 Terminsgebühr verlangen.
Das Arbeitsgericht hat die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei gegen den Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 7. September 2021 zu Recht mit Beschluss vom 15. Dezember 2021 zurückgewiesen. Dem Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei steht keine 1,5 Einigungsgebühr aus dem überschießenden Vergleichswert zu. Zu Recht war auf Grund des Antrags des Prozessbevollmächtigten eine 1,0 Einigungsgebühr aus dem Mehrwert des Vergleiches festgesetzt worden. Allerdings stand dem Prozessbevollmächtigten der beklagten Partei eine 1,2 Terminsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert zu.
a. Der Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei kann nur, wie vom Arbeitsgericht angesetzt, eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG verlangen; nach dieser Regelung entsteht nur eine 1,0-Gebühr nach Nr. 1000 bis 1002 VV-RVG.
aa. Nach Nr. 1003 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG entsteht nur eine 1,0 Gebühr nach Nr. 1000 bis 1002 VV-RVG, „…, wenn ein Verfahren über Prozesskostenhilfe anhängig ist, soweit nicht lediglich Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleiches beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 3 RVG). …“
(1) Teilweise entnimmt man dem Wort „lediglich“ in Nr. 1003 Abs. 1 S. 1 VV-RVG, dieses beziehe sich nicht auf die gerichtliche Protokollierungstätigkeit, sondern auf den Antrag, wie sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Regelung ergebe (LAG Düsseldorf v. 13. 10. 2014 – 13 Ta 342/14, NZA-RR 2015, 73). Unerheblich sei, ob und in welchem Umfang das Gericht außerhalb eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens über den Gegenstand des Vergleichs tatsächlich an dessen Zustandekommen mitgewirkt habe. Selbst bei intensiver gerichtlicher Mitwirkung am Zustandekommen des Vergleiches bestehe keine Grundlage für eine Kürzung der Gebühr. Entsprechend werde bei einer Mitwirkung des Anwalts an der Vergleichsprotokollierung, unabhängig von einer Beteiligung des Gerichts an dessen Zustandekommen, für den Gegenstand des Mehrvergleichs stets eine Gebühr aus Nr. 1000 VV-RVG fällig. Die beantragte Erstreckung der bewilligten Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich sei damit für die Höhe der Einigungsgebühr unschädlich (LAG Düsseldorf v. 25. 9. 2014 – 5 Sa 273/14, NZA-RR 2015, 48; eb. LAG Baden-Württemberg v. 27. 4. 2016 – 5 Ta 118/15, AGS 2016, 323; in diese Richtung auch, wenngleich mit abweichender Begründung: LAG Hamm v.16. 9. 2015 – 6 Ta 419/15, AGS 2016, 133; LAG Nürnberg v. 26. 7. 2021 – 3 Ta 68/21, juris).
Das LAG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 8. 1. 2020 – 7 Ta 182/19, AE 2020, 134) verneint einen Sachgrund für eine Kürzung der Vergütung eines Rechtsanwalts, der für eine Partei tätig wird, die auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, gegenüber Anwälten, deren Partei keiner Prozesskostenhilfe bedarf. Dies sei nicht mit dem Gebot der weitestgehenden Gleichstellung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten zu vereinbaren (eb. Mayer, Anm. zu LAG Rheinland-Pfalz 12. März 2015 – 5 Ta 51/15 – FD-RVG 2015, 370379). Noch deutlicher wird dies im Hinblick auf die Gebühren des Rechtsanwalts der nicht Prozesskostenhilfe beanspruchenden Gegenseite.
(2) Demgegenüber nimmt das Landesarbeitsgericht München (u.a. LAG München v. 7. 3. 2016 – 6 Ta 283/15 n.v.; LAG München v. 2. 11. 2016 – 6 Ta 287/16, NZA.-RR 2017, 272; LAG München v. 19. 6. 2017 – 6 Ta 123/17 und 6 Ta 167/17, n.v.; LAG München v. 29. 8. 2018 – 6 Ta 133/18 n.v.; LAG München v. 24. 11. 2021 – 6 Ta 182/21, n.v.; zum Streitstand Mayer/Kroiss/Klees, RVG, 8. Aufl., RVG-VV Nr. 1000 Rz. 21) an, hinsichtlich der im Vergleich miterledigten Streitgegenstände sei bereits dann ein „anderes gerichtliches Verfahren als ein selbständiges Beweisverfahren“ anhängig (Nr. 1003 VV-RVG), wenn ein beim Gericht eingeleitetes Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe lediglich die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen Vergleichsmehrwert betreffe, der Vergleich aber noch nicht abgesprochen, sondern allein vorbesprochen war, also das Gericht noch am Zustandekommen des Vergleiches und seiner Formulierung mitwirken müsse (eb. LAG Baden-Württemberg v. 7. 9. 2010 – 5 Ta 132/10, juris; LAG Hamm v. 31. 8. 2007 – 6 Ta 402/07, NZA-RR 2007, 601; LAG Hessen v. 15. 2. 1999 – 9 Ta 12/99, NZA-RR 1999, 380; LAG Nürnberg v. 25. 6. 2009 – 4 Ta 61/09, NZA-RR 2009, 556; LAG Nürnberg v. 2. 11. 2018 – 5 Ta 104/18, JurBüro 2019, 191; LAG Rheinland-Pfalz v. 16. 12. 2010 – 6 Ta 237/10, RPfleger 2011, 403).
bb. Die gegenteilige Ansicht kann nicht überzeugen.
Die Parteien hatten den Vergleich im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht geschlossen. Das Arbeitsgericht hatte am Zustandekommen des Vergleiches mitwirken müssen, da es den Parteien erst dem Vergleichsvorschlag unterbreitet hatte, der letztlich angenommen und gerichtlich festgestellt worden war. Zudem hatte es nach Feststellung des Vergleiches über die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsmehrwert noch zu entscheiden.
(1) Nach Nr. 1003 Abs. 1 VV-RVG schließt bereits der Antrag, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss zu erstrecken, eine Einigungsgebühr von 1,5 aus. Dieser Antrag war vorliegend konkludent mit der Mitteilung eines, einen Vergleichsmehrwert enthaltenden Vergleichstextes, zur Feststellung nach § 278 Abs. 6 ZPO angebracht worden bzw. durch Auslegung des ursprünglichen Prozesskostenhilfeantrags zu gewinnen.
Die gegenteilige Ansicht des LAG Düsseldorf (Beschluss vom 25. 9. 2014 – 5 Sa 273/14, NZA-RR 2015, 48; LAG Düsseldorf v. 13. 10. 2014 – 13 Ta 342/14, NZA-RR 2015, 73; eb. LAG Baden-Württemberg v. 27. 4. 2016 – 5 Ta 118/15, AGS 2016, 323; LAG Berlin-Brandenburg v. 16. 4. 2018 – 17 Ta (Kost) 6133/17, BeckRS 2018, 8983; in diese Richtung auch, wenngleich mit abweichender Begründung: LAG Hamm v.16. 9. 2015 – 6 Ta 419/15, AGS 2016, 133) geben keine Veranlassung, die bisherige Rechtsprechung zu ändern. Die Erhöhung der Vergleichsgebühr von 1,0 auf 1,5 soll nach dem Gesetzeszweck von Nr. 1000 VV-RVG das anwaltliche Bestreben, Streitigkeiten möglichst ohne Anrufung des Gerichts beizulegen, fördern und belohnen. Eine Anrufung des Gerichts erfolgt gemäß der Anmerkung Nr. 1003 VV-RVG aber auch dann, wenn – wie hier – ein Verfahren über die (Erstreckung der) Prozesskostenhilfe anhängig gemacht wird. Auch in den Fällen der begehrten Prozesskostenhilfe im laufenden Verfahren für eine vergleichsweise Regelung zuvor nicht förmlich gestellter Anträge, wird das Gericht in Anspruch genommen. Dieses ist insoweit kein bloßes „Beurkundungsorgan“. Das Gericht hat zumindest die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nochmals im Hinblick auf möglicherweise zwischenzeitlich eingetretene Änderungen zu überprüfen. Auch hat es zu prüfen, ob die Einbeziehung der außerhalb des Rechtsstreits liegenden Gegenstände in die vergleichsweise Regelung mutwillig i.S.v. § 114 ZPO erscheint. Da Prozesskostenhilfe im Hinblick auf einen bestimmten abzuschließenden Vergleich oder – wie hier – erst nach Vergleichsabschluss bewilligt wird, stehen auch die Streitgegenstände fest.
Die für die höhere Gebühr nach Nr. 1000 VV-RVG maßgebliche Überlegung, das Gericht werde durch die miterledigten Ansprüche nicht belastet, trifft in einem solchen Fall nicht zu (vgl. nur LAG München v. 27. 3. 2015 – 1 Ta 85/14, juris; LAG Nürnberg v. 25. 6. 2009 – 4 Ta 61/09, NZA-RR 2009, 556; LAG Rheinland-Pfalz v. 16. 12. 2010 – 6 Ta 237/10, RPfleger 2011, 403; LAG Rheinland-Pfalz v. 12. 3. 2015 – 5 Ta 51/15, AGS 2015, 371).
Ebenso stellt es entgegen der Annahme des LAG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 16. 4. 2018 – 17 Ta (Kost) 6133/17, BeckRS 2018, 8983) keine Erschwerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung für eine bedürftige Partei dar, wenn ihr Prozessvertreter für einen Vergleichsmehrwert nur eine 1,0 Einigungsgebühr erhält. Es trifft wohl in den meisten Fällen zu, dass sich die Partei die höheren Gebühren nicht aus „eigener Tasche“ leisten kann. Nach der hier vertretenen Ansicht muss sie dies auch nicht. Die Aussage, die Miterledigung nicht rechtshängiger Gegenstände werde, erhalte der Rechtsanwalt nur eine 1,0 Einigungsgebühr, bei einer bedürftigen Partei nicht in gleicher Weise erfolgen wie bei einer nicht bedürftigen, stellt eine durch nichts belegte Aussage dar. Die Alternative zur Miterledigung stellen der unterbleibende Vergleichsschluss oder ein Vergleichsschluss nur hinsichtlich der rechtshängigen Gegenstände dar. In beiden Fällen stünde der Prozessvertreter im konkreten Verfahren gebührenmäßig noch schlechter.
(2) Die Erwägungen der Gleichbehandlung derjenigen Rechtsanwälte, die eine Partei vertreten, die auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, gegenüber denjenigen, die keiner Prozesskostenhilfe bedürfen, führen nicht weiter (vgl. dazu LAG Rheinland-Pfalz v. 8. 1. 2020 – 7 Ta 182/19, AE 2020, 134). Denn die Unterscheidung ist durch das Gesetz (Nrn. 1000, 1003 VV-RVG) angelegt und kann nicht mit allgemeinen Erwägungen außer Betracht bleiben.
b. Schließlich ändert auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes v. 17. 1. 2018 (a. a.O.) nichts an Vorstehendem.
aa. Der Bundesgerichtshof geht zunächst (a.a.O., unter 2a der Gründe) auf den Streit, ob Rechtsanwälte aus der Staatsklasse überhaupt eine Verfahrensgebühr, aus der auch Folgerungen für die Vergleichsgebühr gezogen werden (dazu nachfolgend bb), aus dem Vergleichsmehrwert beanspruchen können, was der Senat im Ergebnis bejaht. Ein unbemittelter Verfahrensbeteiligter – hier eine unbemittelte Partei – habe Anspruch auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe – hier: Prozesskostenhilfe – unter Beiordnung seines Prozessvertreters auf sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelöste Gebühren, entweder im Wege der Auslegung einer bereits erfolgten Bewilligung oder im Wege einer ergänzenden Beschlussfassung. Einem Unbemittelten dürfe die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der Unbemittelte müsse grundsätzlich in gleicher Weise wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Bemittelter. Er müsse einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Aussichten vernünftig abwäge und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtige. Diese durch Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit sei dann nicht gewahrt, wenn trotz der Erweiterung der bereits bewilligten Verfahrenskostenhilfe – hier: Prozesskostenhilfe – „auf den Abschluss des Mehrvergleichs die dem beigeordneten Rechtsanwalt durch die Vornahme dieser Verfahrenshandlung nach den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes erwachsenden Gebühren teilweise nicht von der Staatskasse getragen würden und im Übrigen die Vergütungspflicht des bedürftigen Beteiligten bestehen bliebe. Anders als ein begüterter Verfahrensbeteiligter könnte der bedürftige Beteiligte in diesem Fall von der Möglichkeit, das anhängige Verfahren durch den Abschluss eines Mehrvergleichs zu beenden, nur dann Gebrauch machen, wenn er trotz seiner im Bewilligungsverfahren festgestellten Bedürftigkeit wirtschaftlich in der Lage wäre, die zusätzlich anfallenden Rechtsanwaltsgebühren zu tragen. Sollte er die hierfür erforderlichen Mittel nicht aufbringen können, bliebe ihm nur die Möglichkeit, bezüglich der nicht anhängigen Gegenstände ein gesondertes Verfahren zu betreiben und dort erneut um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (hier: Prozesskostenhilfe) anzutragen. Dem bedürftigen Beteiligten würde dadurch gegenüber einem begüterten Beteiligten die – oft zweckmäßige – umfassende Regelung von streitigen Rechtsverhältnissen erheblich erschwert.“ Für diese Ungleichbehandlung gebe es keinen tragfähigen sachlichen Grund.
bb. Nach §§ 45 Abs. 1, 48 Abs. 1 RVG umfasse der gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts grundsätzlich sämtliche anwaltlichen Gebühren, die aufgrund der Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts in dem erfassten Verfahrensabschnitt anfielen. Eine auf bestimmte Gebührentatbestände beschränkte Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe – hier: Prozesskostenhilfe – und Beiordnung eines Rechtsanwalts sehe das Gesetz nicht vor. Die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts für die Mitwirkung an einem (Mehr-)Vergleich erschöpfe sich nicht in der Einigungsgebühr aus dem erhöhten Vergleichswert, sondern erstrecke sich auch auf die Differenzverfahrens- und -terminsgebühr. Daher widerspräche eine Beschränkung der Verfahrenskostenhilfe (hier: Prozesskostenhilfe) „auf die Einigungsgebühr nicht nur dem Grundsatz des § 45 Abs. 1 RVG, wonach der beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Staatskasse erhält (…). Es bliebe auch unberücksichtigt, dass die zuletzt genannten Differenzgebühren in einem engen Zusammenhang mit dem Abschluss des Mehrvergleichs stehen (…).“ Die Verfahrensgebühr sei unlösbar mit der Entstehung der Einigungsgebühr verbunden; die unbemittelte Prozesspartei dürfe darauf vertrauen, aufgrund der für den Abschluss des Mehrvergleichs bewilligten Prozesskostenhilfe von sämtlichen ihrem beigeordneten Rechtsanwalt zustehenden Gebührenansprüchen freigestellt zu werden.
cc. Aus der Argumentation des Bundesgerichtshofes folgt allein, dass die Rechtsanwälte, welche eine unbemittelte Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, vertreten, dieselben Ansprüche (Terminsgebühr, Einigungsgebühr auch aus einem Vergleichsmehrwert), wie die Prozessbevollmächtigten einer bemittelten Partei beanspruchen können. Dies wird hier durch den Beschluss des Arbeitsgerichts nicht in Abrede gestellt. Der Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei soll auch eine Einigungsgebühr aus dem Mehrvergleich erhalten. Die Frage, wie hoch diese Gebühren sein müssen, beantwortet der Bundesgerichtshof nicht.
Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 8. 1. 2020 – 7 Ta 182/19, AE 2020, 134) gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht, dass diese Gebühr in derselben Höhe wie bei einem Prozessvertreter einer bemittelten Partei entrichtet werden muss. Denn im Falle der Prozesskostenhilfebewilligung sind die Rechtsanwaltsgebühren ohnehin (teilweise) abweichend von den üblichen Gebühren zu berechnen (§ 49 RVG). Es stellt daher keine (weitere) Benachteiligung des Prozesskostenhilfeanwalts dar, wenn auch die Gebührenhöhe im Falle eines Mehrvergleiches abweichend bestimmt wird.
c. Auch gebietet die Neufassung von § 48 RVG kein anderes Ergebnis, wie der Be schwerdeführer meint.
aa. Die Neufassung des § 48 Abs. 1 RVG findet auf das vorliegende Verfahren Anwendung, § 60 Abs. 1 RVG. Der Auftrag zur Wahrnehmung der Streitsache zugunsten der beklagten Partei war deren Prozessbevollmächtigten ersichtlich erst nach Inkrafttreten der Neufassung am 1. Jan. 2021 erteilt worden, da die beklagte Partei einer erst im Februar 2021 ausgesprochene Kündigung angreift.
bb. Nach der Neufassung des § 48 Abs. 1 RVG richtet sich der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse auf die gesetzliche Vergütung, die sich nach den Beschlüssen über die Prozesskostenhilfe bestimmt. Sie umfasst alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen.
Mit dieser Regelung ist aber keineswegs ausgesagt, dass es für einen Mehrvergleich einer unbemittelten und auf Prozesskostenhilfe angewiesenen Partei nur mehr eine 1,5 Gebühr für deren Vertreter gebe bzw. eine 1,0 Gebühr für diesen Fall beschränkt auf den Mehrvergleich ausgeschlossen wäre. Denn auch die 1,0 Gebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV-RVG stellt eine gesetzliche Gebühr dar, auch in den Fällen, da ein Vertrag nach Nr. 1000 VVRVG abgeschlossen wird, wie etwa bei einem Vergleich im Kündigungsschutzverfahren, durch den die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis (Arbeitsverhältnis) beseitigt wird. Auch dann ist Nr. 1003 VV-RVG weiter als Voraussetzung der gesetzlichen Gebührenhöhe zu beachten, die in den benannten Fällen – wie hier, da eine Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich noch geboten war – eine Gebühr von lediglich 1,0 vorsieht. Es handelt sich um eine gesetzliche Gebühr, die nach § 48 Abs. 1 RVG n.F. vom Rechtsanwalt einer Prozesskostenhilfepartei (nur) verlangt werden kann.
d. Allerdings kann der Prozessbevollmächtigte der beklagten Partei eine 1,2 Termins gebühr aus dem Vergleichsmehrwert verlangen. Ein Anspruch darauf ist weder durch die fehlende Rechtshängigkeit der mitverglichenen Gegenstände noch durch das weitere nicht erfolgte Stattfinden eines Gerichtstermines ausgeschlossen. Ebenso wenig steht die erst zeitlich nach dem Feststehen des festzustellenden Vergleiches erfolgte Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich der Gewährung einer 1,2 Terminsgebühr entgegen.
aa. Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG erhält ein Prozessvertreter eine 1,2 Terminsgebühr, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, einvernehmlich zwischen den Parteien, nach § 307 ZPO bzw. § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, gleichgültig, ob mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG zustande kommt oder eine Erledigung der Rechtssache nach Nr. 1002 VV-RVG erfolgt.
Vorstehende Voraussetzungen sind hier gegeben. Für das arbeitsgerichtliche Verfahren ist eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben. Die Ausnahmevorschrift des §§ 128 Abs. 2 ZPO findet im Verfahren vor den Arbeitsgerichten keine Anwendung. Dennoch haben die Parteien außergerichtlich und außerhalb einer mündlichen Verhandlung eine vergleichsweise Einigung erzielt, die nach § 278 Abs. 6 ZPO vom Arbeitsgericht festgestellt worden war.
Die Terminsgebühr entsteht nicht nur für die Vertretung vor dem Gericht, sondern auch nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG bei Wahrnehmung außergerichtlicher Termine und Besprechungen (vgl. BAG v. 20. 6. 2006 – 3 AZB 78/05, NZA 2006, 3022).
bb. Die Terminsgebühr ist auch nicht durch Nr. 3104 Abs. 3 VV-RVG ausgeschlossen. Zwar haben die Parteien die Protokollierung eines Vergleiches, beinhaltend auch nicht rechtshängige Ansprüche, beantragt. Allerdings erfasst vorstehende Regelung allein den Fall, dass nicht rechtshängige Ansprüche in einem Vergleich protokolliert werden sollen (vgl. Toussaint/Toussaint, a.a.O., VV-RVG Nr. 3104 Rz. 47). Toussaint (a. a. O.) weist zutreffend darauf hin, dass im Umkehrschluss eine Miterörterung statt einer bloßen Protokollierung auch beim gar nicht anhängigen Anspruch zu vergüten sei (vgl. auch BGH v. 17. 1. 2018 – XII ZB 248/16, NJW 2018, 1679 Rz.11 ff.; OLG München v. 15. 5. 2006 – 11 W 1334, 1336/06, AnwBl 2006, 587).
cc. Zu entrichten sind mithin weitere € 115,20 (beantragte € 435,60 abzüglich angesetzter € 320,40).
3. Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG) und ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


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