Arbeitsrecht

Prozesskostenhilfe, Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, Nachfrist, Nichteinhaltung, Instanzbeendigung

Aktenzeichen  3 Ta 83/22

Datum:
10.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17279
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Versäumt es eine Partei, bis zur Instanzbeendigung und dem Ablauf einer das Ende der Instanz hinausreichenden richterlichen Frist eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vollständig ausgefüllt vorzulegen, ist eine rückwirkende Prozesskostenhilfebewilligung grundsätzlich ausgeschlossen.

Verfahrensgang

3 Ca 9736/21 2022-03-24 Bes ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 24.03.2022 – 3 Ca 9736/21 – wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Gerichtsgebühr gem. Nr. 8614 KV GKG zu tragen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der frühere Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Kläger) reichte am 03.11.2021 Klage auf Zahlung von 2.167,50 € netto ein und beantragte gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kündigte in der Klageschrift an, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgereicht werde.
Durch Ladung vom 08.11.2021 wurde der Klägervertreter zum Gütetermin am 06.12.2021 geladen. Für den ordnungsgemäß geladenen Beklagten erschien im Gütetermin niemand. Durch den in diesem Termin verkündeten Beschluss wurde dem Kläger aufgegeben, eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen bis zum 31.12.2021 vorzulegen. Des Weiteren erging auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers ein klagestattgebendes Versäumnisurteil, das dem Beklagten am 17.12.2021 zugestellt wurde. Die einwöchige Einspruchsfrist des § 59 S. 1 ArbGG lief am 24.12.2021 ab. Ein Einspruch des Beklagten ging weder zu diesem noch zu einem späteren Zeitpunkt ein.
Am 29.12.2021 reichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers „in Erledigung des Beschlusses“ die Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen vom 21.12.2021 ein. In der Erklärung verneinte der Kläger, über ein Bank-, Giro-, Sparkonto oder dergleichen zu verfügen. Es wurden Originalkontoauszüge eines Privatgirokontos des Klägers vom 02.08.2021 – 29.10.2021 beigefügt. Angaben zu sonstigen Vermögenswerten (z.B. Bausparvertrag, Wertpapiere) machte der Kläger nicht. Mit gerichtlichem Schreiben vom 30.12.2021 wurde der Klägervertreter unter Fristsetzung bis zum 18.01.2022 um Ergänzung der Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Einreichung von Belegen aufgefordert und erneut mit Schreiben vom 26.01.2022 erinnert.
Das Arbeitsgericht München hat dem Kläger durch Beschluss vom 24.03.2022 ab 29.12.2021 Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt und ihm seinen Prozessbevollmächtigen beigeordnet. Monatsraten wurden nicht festgesetzt. Eine Rechtsmittelbelehrungenthielt der Beschluss nicht.
Gegen diesen, am 25.03.2022 zur Post gegebenen Beschluss hat der Kläger am 20.04.2022 sofortige Beschwerde beim Arbeitsgericht München eingelegt und beantragt, den Beschluss vom 24.03.2022 dahingehend abzuändern, dass dem Kläger Prozesskostenhilfe ab Klageerhebung bewilligt werde. Auf Grund des Beschlusses vom 06.12.2021 habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass die Prozesskostenhilfe auch für den Termin bewilligt werde.
Das Arbeitsgericht München hat durch Beschluss vom 22.04.2022 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Die Prozesskostenhilfe sei zu Recht rückwirkend nur auf den 29.12.2021 gewährt worden. Erst zu diesem Zeitpunkt sei der Antrag bewilligungsfähig gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt erstmals die Erklärung des Klägers über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht worden sei. Die im Gütetermin gewährte Frist habe keinen Vertrauensschutz dahingehend geschaffen, dass die Prozesskostenhilfe zu einem vor der Bewilligungsfähigkeit des Antrags liegenden Zeitpunkt rückwirkend gewährt werde.
Der Kläger hält im Beschwerdeverfahren an seiner Auffassung fest, dass das Gericht grundsätzlich an gesetzte Beschlüsse und Hinweise gebunden sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die nach § 78 S. 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 S. 2 statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt worden, § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO i. V. m. § 569 Abs. 1 u. 2 ZPO. Gemäß § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG konnte die sofortige Beschwerde innerhalb eines Jahres seit Zustellung angefochtenen Beschlusses eingelegt werden, weil die erforderliche Rechtsmittelbelehrungunterblieben ist.
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet.
a) Nach § 114 S. 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe für eine „beabsichtigte Rechtsverfol gung“ bewilligt werden. Nach dem Sinn und Zweck des § 114 ZPO sollen der mittellosen Partei die Prozesshandlungen ermöglicht werden, die für sie mit Kosten verbunden sind (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12.2003 – 2 AZB 19/03 – unter II. 2b) der Gründe; vom 05.12.2012 – 3 AZB 40/12 – Rn. 9; vom 31.07.2017 – 9 AZB 32/17 – Rn. 5).
Gem. § 117 Abs. 2 S. 1 ZPO sind dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Dabei sind gem. § 117 Abs. 4 ZPO die amtlichen Formulare zu benutzen. Grundsätzlich kann erst zu dem Zeitpunkt, in dem diesen Anforderungen genügt ist, Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet werden (vgl. BAG, Beschluss vom 05.12.2012 – 3 AZB 40/12 – Rn. 8; vom 31.07.2017 – 9 AZB 32/17 – Rn. 5).
Ausnahmsweise kann Prozesskostenhilfe noch nach Instanzende mit Rückwirkung bewilligt werden, etwa wenn der Antragsteller die erforderlichen Unterlagen mit Zustimmung des Gerichts erst nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens eingereicht hat. Zwar fehlt für diese gerichtliche Praxis eine gesetzliche Grundlage (hierauf hinweisend LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.01.2021 – 3 Ta 1/20 – Rn. 5) und der Klägervertreter hatte im vorliegenden Fall zwischen Klageerhebung und Gütetermin fast einen Monat Zeit, entsprechend seiner Ankündigung die Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachzureichen, so dass die Einräumung einer Nachfrist nicht geboten war, insbesondere da einem Rechtsanwalt die Notwendigkeit der Einreichung der formularmäßigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt sein muss (vgl. BAG, Beschluss vom 31.07.2017 – 9 AZB 32/17 – Rn. 16) und dem Klägervertreter ausweislich seiner Ankündigung in der Klageschrift, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachzureichen, auch bekannt war (hierauf abstellend BAG, Beschluss vom 05.12.2012 – 3 AZB 40/12 – Rn. 13). Wird jedoch eine Nachfrist eingeräumt, darf die bedürftige Partei darauf vertrauen, dass ihrem Prozesskostenhilfegesuch auch nach Beendigung der Instanz bei Vorliegen aller Voraussetzungen entsprochen wird. Diese Nachfrist muss – anders als eine vor dem Ende der Instanz ablaufende Nachfrist – aber regelmäßig eingehalten werden (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12.2003 – 2 AZB 19/03 – unter II. 2b) der Gründe; LAG Köln, Beschluss vom 01.02.2019 – 1 Ta 1/19 -; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.01.2021 – 3 Ta 1/20 – Rn. 5; LAG Hamm, Beschluss vom 14.06.2019 – 14 Ta 566/18 – Rn. 9; LAG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 06.04.2018 – 21 Ta 322/18 – Rn. 14 m. w. N.; KG Berlin, Beschluss vom 01.06.2021 – 16 WF 68/21 – Rn. 24 Künzl in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 11a ArbGG Rn. 126; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2021, § 117 Rn. 27; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. 2022, § 119 ZPO Rn. 3; Zempel in Prütting/Gehrlein, ZPO, 13. Aufl. 2021, § 117, Rn. 6; Fischer in Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 119 Rn. 11 und 13; Gottschalk/Schneider, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe Beratungshilfe, 10. Aufl. 2022, Rn. 606 und 610). Dies folgt aus § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO, der dem Gericht eine Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Ablauf der gesetzten Frist zwingend vorschreibt (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12.2003 – 2 AZB 19/03 – unter II. 2d) der Gründe). Darüber hinaus endet der durch die gerichtliche Nachfrist gesetzte Vertrauenstatbestand mit ihrem Ablauf (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.01.2021 – 3 Ta 1/20 – Rn. 5). Eine rückwirkende Bewilligung kommt in diesem Fall nur noch dann in Betracht, wenn die Partei die ihr gesetzte Nachfrist ohne Verschulden versäumt hat (vgl. BAG, Beschluss vom 08.11.2004 – 3 AZRB 54/03 – Rn. 14; zum Streitstand vgl. auch LAG Hamm, Beschluss vom 14.06.2019 – 14 Ta 566/18 – Rn. 11 ff.; auf den auch im Prozesskostenhilfeverfahren anwendbaren Rechtsgedanken des § 233 ZPO hinweisend ArbG Regensburg, Beschluss vom 30.01.2002 – 2 Ca 3782/01 -, Rechtspfleger 2002, 319 sowie LAG Hamm, Beschluss vom 14.06.2019 – 14 Ta 566/18 – Rn. 13 und LAG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 06.04.2018 – 21 Ta 322/18 – Rn. 15 m. w. N.). Über das Gesuch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist dann auf der Grundlage der ggf. teilweise einreichten Unterlagen zu entscheiden (vgl. LAG Hamburg, Beschluss vom 06.09.2016 – 7 Sa 49/16 – Rn. 12 m. w. Nachw.; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2021, § 117 Rn. 28 m. w. Nachw.).
b) Danach kam im vorliegenden Fall eine auf den Gütetermin oder die Klageerhebung rückwirkende Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht in Betracht.
Der Kläger hat bis zum Ablauf der durch wirksam verkündeten Beschluss (§ 329 Abs. 1 S. 1 ZPO) auf den 31.12.2021 gesetzten Frist keine vollständig ausgefüllte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beim Arbeitsgericht eingereicht. In Bezug auf ein bestehendes Bank-, Giro-, Sparkonto oder dergleichen hat der Kläger in dem Formular angegeben, nicht über ein solches zu verfügen. Tatsächlich bestand ein auf seinen Namen lautendes Privatgirokonto. Dessen Kontostand konnte bezogen auf das Datum der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 21.12.2021 auch nicht aus den beigefügten Kontounterlagen ermittelt werden (zu dieser Verpflichtung des Gerichts vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.02.2020 – 1 BvR 1975/18 – Rn. 16). Die Kontoauszüge lagen nur für den Zeitraum 02.08.2021 – 29.10.2021 und damit nicht für das Datum der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 21.12.2021 vor. In der Erklärung wurden Angaben zu sonstigen Vermögenswerten (z.B. Bausparvertrag, Wertpapiere) nicht gemacht. Der Bescheid des Jobcenters über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 06.12.2021 für die Zeit vom 01.12.2021 bis 31.05.2022 wurde nicht am 29.12.2021 eingereicht; dies erfolgte erst mit Schriftsatz vom 21.03.2022.
Auf der Grundlage des solchermaßen unvollständig eingereichten Formulars und seinen Anlagen konnte dem Kläger Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden. Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers waren nicht ausreichend dargelegt, weshalb seine Bedürftigkeit nicht beurteilt werden konnte. Die Höhe seines Girokontos bzw. anderer Konten war bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung unbekannt. Der Einsatz sonstiger Vermögenswerte wie Bausparverträge, Wertpapiere, Beteiligungen und Forderungen) war nicht auszuschließen. zu. Der am 29.12.2021 eingereichte Bescheid des Jobcenters AStadt basierte auf dem Antrag vom 04.05.2021 und umfasste Leistungen lediglich bis November 2021 und damit für einen zurückliegenden Zeitraum.
Der Kläger hat auch nicht erklärt, dass die Unvollständigkeit der Erklärung darauf beruhe, dass er nicht in der Lage gewesen sei, sie vollständig auszufüllen. Umstände hierfür sind angesichts der fehlenden Angaben zu einem bestehenden Bank-, Giro-, Sparkonto oder dergleichen und zu sonstigen Vermögenswerten (z.B. Bausparvertrag, Wertpapiere) auch nicht ersichtlich. Der Bescheid des Jobcenters über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab Dezember 2021 datierte vom 06.12.2021 und hätte daher bis 31.12.2021 beim Arbeitsgericht eingereicht werden können. Im Übrigen hat der Kläger, trotzdem er überobligatorisch mit gerichtlichem Schreiben vom 30.12.2021 zur ergänzenden Erklärung aufgefordert worden war, die fehlenden Angaben auch nicht bis zur weiteren Frist am 18.01.2022 nachgeholt, ohne dass er hierfür eine Erklärung gegeben hätte.
Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass die fehlenden Angaben später vervollständigt wurden. § 118 Abs. 2 S. 4 ZPO schreibt eine Ablehnung des Antrags nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist zwingend gesetzlich vor (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12.2003 – 2 AZB 19/03 – unter II. 2 d der Gründe). Im vorliegenden Fall konnten die Erklärungen und die Beibringung weiterer Belege durch den Kläger nach dem 31.12.2021 schließlich nicht als neuer Prozesskostenhilfeantrag gewertet werden. Das Hauptsacheverfahren war nach Ablauf der Einspruchsfrist für die Beklagte am 24.12.2021 beendet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kostenausspruch erfasst lediglich die Pauschalgebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
IV.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand nach § 78 S. 1 i. V. m § 72 Abs. 2 ArbGG kein Anlass.


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