Arbeitsrecht

Rechtsweg, Corona-Prämie

Aktenzeichen  4 Ta 178/21

Datum:
30.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34616
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
ArbGG § 2
SGG § 51

 

Leitsatz

Die Klage eines Arbeitnehmers auf Zahlung einer Corona-Prämie nach § 150a SGB-XI ist eine bürgerliche Rechtstreitigkeit und gehört in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.

Verfahrensgang

3 Ca 3180/21 2021-06-15 Bes ARBGMUENCHEN ArbG München

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeits gerichts München vom 15.06.2021, Az.: 3 Ca 3180/21, abgeändert:
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet.
II. Die Kosten der Beschwerde hat die Beklagte zu tragen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um die Zahlung einer CoronaPrämie nach § 150a SGB-XI.
Die Klägerin war vom 15.02.2020 bis 31.05.2020 als examinierte Krankenschwester bei der Beklagten, die einen ambulanten Pflegedienst betreibt, beschäftigt.
Nachdem in der Güteverhandlung vom 03.05.2021, in der die beklagte Partei nicht anwesend noch vertreten war, ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil ergangen ist, wies der Vorsitzende nach Eingang des Einspruchs der Beklagten mit Beschluss vom 19.05.2021 (Bl. 35 d.A.) darauf hin, dass beabsichtigt sei, den Rechtsstreit an das Sozialgericht C-Stadt zu verweisen, weil es sich um eine Angelegenheit der sozialen Pflegeversicherung handle, für die der Arbeitgeber reine Zahlstelle sei.
Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 11.06.2021 (Bl. 40 ff.d.A.) der Verweisung widersprochen. Sie sieht mit dem LAG Bremen (in seiner Entscheidung vom 23.04.2021, 3 Ta 10/21) den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet, weil § 150a SGB-XI als Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber ausgestaltet sei und die Bestimmung an ein Arbeitsverhältnis anknüpfe. Die Zahlung sei ihrem Sinn nach keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern eine Prämie für die Leistungen der Beschäftigten. Woher der Arbeitgeber das Geld seinerseits wieder bekomme, sei für die Frage des Rechtswegs unerheblich. Die Konstellation sei ähnlich der um Kurzarbeitergeld, bei dem Streitigkeiten zwischen den Arbeitsvertragsparteien vor die Arbeitsgerichte gehörten.
Mit Beschluss vom 15.06.2021 (Bl. 44 ff.d.A.) hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für nicht eröffnet erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht C-Stadt verwiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, es handle sich nicht um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit i.S.d. § 2 ArbGG, da Rechtsgrundlage § 150a SGB-XI und damit eine Regelung aus dem Bereich der sozialen Pflegeversicherung sei. Der Arbeitgeber sei einzig Zahlstelle der sozialrechtlichen Leistung, die wie auch etwa die Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung vor den Sozialgerichten geltend zu machen sei.
Gegen diese ihrem Prozessvertreter am 17.06.2021 zugeleitete Entscheidung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.06.2021 (Bl. 51 ff.d.A.), der am 01.07.2021 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, unter Wiederholung der bisherigen Argumentation sofortige Beschwerde eingelegt.
Sie beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts München vom 15.06.2021 – 3 Ca 3180/21 – den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig zu erklären.
Mit Beschluss vom 08.07.2021 (Bl. 61 f.d.A.) hat das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und den Rechtsstreit dem Landesarbeitsgericht vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
Die nach den §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17a Abs. 4 Satz 3 GKG statthafte sofortige Beschwerde der Klägerin ist form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden (§§ 539 Abs. 1, 577 Abs. 2 Satz 2 ZPO, 73 Abs. 1 Satz 1 ArbGG): Mit ihrem am 01.07.2021 eingegangenen Schriftsatz vom 30.06.2021 hat die Klägerin die Zweiwochenfrist eingehalten, die angesichts des Zugangs des angegriffenen Beschlusses am 17.06.2021 nach §§ 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 01.07.2021 ablief.
2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg: Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist für die vorliegende Streitsache nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 lit.a) ArbGG eröffnet; es handelt sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit der Arbeitsvertragsparteien, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem Zusammenhang steht und für das keine anderweitige Zuständigkeit gegeben ist.
a. Maßgebend für die Zulässigkeit des Rechtswegs ist der von der Klagepartei Streitgegenstand, der sich nach dem geltend gemachten prozessualen Anspruch richtet, der sich wiederum aus dem Klageantrag zusammen mit dem dazu vorgetragenen Lebenssachverhalt ergibt (BAG v. 03.11.2020, 9 AZB 47/20 Rn. 24 – zitiert nach juris).
Um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt es sich dann, wenn die Parteien über Rechtsfolgen oder Rechtsverhältnisse streiten, die dem Privatrecht angehören. Maßgebend ist die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient; dann ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gegeben. Eine solche kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen: dieses ist öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wenden (BAG v. 01.08.2017, 9 AZB 45/17 Rn. 9 – zitiert nach juris; BAG v. 22.11.2016, 9 AZB 41/16 Rn. 9 – zitiert nach juris; GmS-OGB v. 10. 4. 1986, GmS-OGB 1/85 Rn.10f – zitiert nach juris; GmSOGB v. 29.10. 1987, GmS-OGB 1/86 Rn.10 – zitiert nach juris; GmS-OGB v. 10. 7. 1989, GmS-OGB 1/88 Rn.8 – zitiert nach juris; Germelmann-Schlewing § 2 Rn. 9 f.). Umgekehrt ist ein privatrechtliches Verhältnis nicht ausgeschlossen, wenn die konkrete Anspruchsgrundlage dem öffentlichen Recht angehört oder öffentlich-rechtliche Vorfragen mitentschieden werden müssen; entscheidend ist, durch welche Rechtssätze das Rechtsverhältnis maßgebend geprägt wird (BGH 22.03.1976, GSZ 2/17 Rn.30 ff.-zitiert nach juris; Germelmann-Schlewing § 2 Rn. 9).
b. Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 4 lit.a) ArbGG vorliegend gegeben. Die Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs auf die Corona-Prämie stellt einen Streit um einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber dar, die in rechtlichem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht.
Dies entspricht bereits dem Wortlaut der Norm: § 150 a Abs. 1 Satz 1 SGB-XI ist als Verpflichtung der zugelassenen Pflegeeinrichtungen und genannten Arbeitgeber gegenüber ihren Arbeitnehmern konzipiert. Die Ansicht von Schlegel (Die Corona-Prämie, NJW 2020, 1911, 1912), wonach der Arbeitgeber „bloße Zahlstelle“ der Sozialbehörde und nicht Anspruchsgegner sei, ist in der Gesetzesformulierung im Verhältnis zum Arbeitnehmer nicht zu finden.
Voraussetzung des Anspruchs ist ein Arbeits- (oder Dienst-) und damit ein privatrechtliches Verhältnis. Die Regelung des Anspruchs im öffentlich-rechtlichen SGB-XI ist für die Qualifikation, wie oben unter (a) dargestellt, unerheblich (anders ohne weitere Begründung Spielberger, ArbRAktuell 2021, 337).
Dem Charakter als quasi-arbeitsvertraglicher Verpflichtung entspricht der Zweck der Leistung als besondere Wertschätzung der Arbeitsleistung unter den besonderen Anforderungen der Corona-Pandemie.
Der privatrechtliche Charakter des Anspruchs ist nicht dadurch tangiert, dass die Beträge nach § 150a Abs. 7 SGB-XI im Wege der Vorauszahlung von den Pflegekassen an die Arbeitgeber gezahlt werden (so aber Schlegel, NJW 2020, 1911, 1914 f.). Denn woher der Arbeitgeber das Geld zur Erfüllung seiner Verpflichtung erhält, ist für die Qualifikation der Verpflichtung selbst nicht relevant (Bruns/Weber, Rechtsweg und Corona-Prämie, NZA 2021, 107, 108; ebenso LAG Bremen v. 23.04.2021, 3 Ta 10/21 Rn.18f. und 24); das (öffentlich-rechtliche) Rechtsverhältnis zwischen der Pflegeversicherung und dem Arbeitgeber ist von dem privatrechtlichen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu unterscheiden. Dies entspricht der Rechtslage um das Kurzarbeitergeld, bei dem parallel zur hiesigen Leistung der Arbeitnehmer als Anspruchsinhaber keinen Kontakt zur Behörde hat und sich für die Zahlung an seinen Arbeitgeber wenden muss, den umfangreiche Berechnungs- und Meldepflichten treffen (KüttnerVoelzke 265 Kurzarbeit Rn. 56).
Durch die Zuordnung an die Arbeitsgerichte wird außerdem ein einheitlicher Rechtsweg für die Klage auf die Leistung wie für eine solche auf Schadenersatz bei Verstößen des Arbeitgebers etwa gegen die bestehenden Berechnungspflichten, die gleichzeitig Treuepflichten gegenüber dem Arbeitnehmer darstellen, erreicht.
Wenn in der Gesetzesbegründung schließlich von dem „individuellen steuer- und sozialversicherungsfreien Anspruch der Beschäftigten“ die Rede ist, bestätigt dies das obige Verständnis, weil die Belastungsfreiheit bei Sozialleistungen nicht ausdrücklich formuliert werden müsste (Bruns/Weber NZA 2021, 107, 108).
c. Für die Corona-Prämie besteht nicht vorrangig der Zugang zur Sozialgerichtsbarkeit.
(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden nach § 51 Abs. 1 SGG über öffentlich-rechtliche und ausnahmsweise nach § 51 Abs. 2 S. 1 SGG auch über privatrechtliche Streitigkeiten.
(2) Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist nach den obigen Darstellungen nicht gegeben (unklar, ob Schlegel, NJW 2020, 1911, 1916, dies für das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ähnlich sieht, wenn er auf § 51 Abs. 2 SGG verweist).
Soweit das Verwaltungsgericht des Saarlands einen Streit um den CoronaPflegebonus als Angelegenheit der sozialen Pflegeversicherung und den Rechtsweg zu den Sozialgerichten nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG für eröffnet gesehen hat (Beschluss v. 12.08.2020, 3 K 769/20), ist die Konstellation mit der hiesigen nicht vergleichbar, weil es dort um ergänzende Prämien nach Landesrecht und nicht diejenige aufgrund § 150a SGB-XI ging (so auch LAG Bremen v. 23.04.2020, 3 Ta 10/21 Rn.17 – zitiert nach juris; LAG München v. 08.07.2021, 6 Ta 161/21; ebenfalls nicht vergleichbar und abweichend von VG Saarland das VW Würzburg v. 07.01.2021, W 8 K. 20.1387, das für den bayerischen Pflegebonus den Verwaltungsrechtsweg eröffnet gesehen hat).
(3) Es liegt auch kein Ausnahmetatbestand nach Abs. 2 S. 1 vor: Dazu ist erforderlich, dass die Grundlage des Rechtsstreit ausschließlich auf Vorschriften der Pflegeversicherung beruht (Bruns/Weber, NZA 2021, 107, 108). Hier geht es aber auch und vor allem um das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses.
(4) Auch praktische Argumente wie die Überlegung von Schlegel (NJW 2020, 1911, 1916), dass im Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Höhe der Prämie die Pflegekasse (notwendig) beigeladen werden könne und damit alle Beteiligten zusammensäßen, kann die Zuständigkeitsregeln, die das Grundrecht des gesetzlichen Richters nach Art. 101 GG garantieren, nicht nivellieren. Die Zuordnung zu den Arbeitsgerichten ihrerseits hat schließlich ebenfalls praktische Aspekte (vgl. dazu oben unter b).
III.
Die Kostenentscheidung erfolgt entsprechend § 91 ZPO: Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
IV.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 78 Satz 3 ArbGG durch die Vorsitzende. Gegen diese Entscheidung findet kein weiteres Rechtsmittel statt, da die Zulassungsvoraussetzungen nicht vorliegen (§ 17a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG).


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