Aktenzeichen 3 Ca 377/20
SGB III § 28 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz
1. Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen iSv § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl. § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 KSchG). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Personen, die das Lebensjahr für den Anspruch auf Regelaltersrente iSd SGB VI vollenden, sind mit Ablauf des Monats, in dem sie das maßgebliche Lebensjahr vollenden, nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III versicherungsfrei mit der Folge, dass auch kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld besteht. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten von 08.04.2020 nicht zum 15.05.2020, sondern zum 31.05.2023 aufgelöst worden ist.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Kündigungsschutzklage hat nur insoweit Erfolg, als die Beklagte bei der Kündigung vom 08.04.2020 die einschlägige Kündigungsfrist nicht eingehalten hat. Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.
A. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 08.04.2020, die der Klägerin nach der Angabe im Klageantrag am 09.04.2020 zugegangen ist, nicht zum 15.05.2020, sondern fristgerecht „zum nächstmöglichen Termin“, nämlich zum 31.05.2020 aufgelöst worden.
I. Die betriebsbedingte Kündigung hält einer Überprüfung am Maßstab des § 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) stand.
1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Der Arbeitgeber trägt hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen die Darlegungs- und Beweislast (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG).
Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 KSchG). Diesbezüglich trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist der Zugang der Kündigungserklärung beim betroffenen Arbeitnehmer (vgl. Bundesarbeitsgericht 25. April 2002 – 2 AZR 260/01 -; Bundesarbeitsgericht 9. September 2010 – 2 AZR 493/09 -; MüKoBGB/Hergenröder, 8. Aufl. 2020, KSchG § 1 Rn. 81).
2. Die Kammer hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung und des beiderseitigen Parteivorbringens die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO maßgebliche Überzeugung gewonnen, dass die von der Klägerin angegriffene Kündigung der Beklagten vom 08.04.2020 sozial gerechtfertigt und auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.
a) Hintergrund der am 09.04.2020 zugegangenen Kündigung ist offenbar die sog. Corona-Krise. In diesem Zusammenhang sind folgende Umstände bei dem Gericht offenkundig und bedürfen daher nach § 291 ZPO keines Beweises:
Der Deutsche Bundestag stellte am 25.03.2020 durch Beschluss fest, dass mit Inkrafttreten des [neuen] § 5 Absatz 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz aufgrund der derzeitigen Ausbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite besteht. Das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.03.2020 (BGBl. I S. 587) ist am 28.03.2020 in Kraft getreten. Die vom Deutschen Bundestag getroffene Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Rechtsstreits am 27.08.2020 nicht aufgehoben worden.
Im Freistaat Bayern trat am 31.03.2020 die (Erste) Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27.03.2020 (BayMBl. Nr. 158) in Kraft, durch deren § 2 Abs. 1 Satz 2 unter anderem Stadtführungen und durch deren § 2 Abs. 1 Satz 3 Reisebusreisen untersagt wurden. Diese Betriebsuntersagungen waren auch in § 2 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 der daran anschließenden Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.04.2020 (BayGVBl. S. 214) sowie in § 4 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 der daran anschließenden Dritten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 01.05. 2020 (BayMBl. Nr. 239) enthalten. Nach § 11 Satz 1 bzw. Satz 2 der am 11.05.2020 in Kraft getretenen Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 05.05.2020 (BayMBl. Nr. 240, berichtigt in Nr. 245) waren Stadtführungen „geschlossen“ bzw. touristische Reisebusreisen untersagt. Nach § 11 Abs. 2 bzw. Abs. 4 der am 30.05. 2020 in Kraft getretenen Fünften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 29.05.2020 (BayMBl. Nr. 304) waren Stadt- und Gästeführungen bzw. touristische Reisebusreisen nur mit bestimmten Maßgaben eingeschränkt zulässig. Auch die am 22.06.2020 in Kraft getretene Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 19.06.2020 (BayMBl. Nr. 348) enthielt in § 11 Abs. 2 bzw. in § 8 Satz 3 einschränkende Regelungen für Stadt- und Gästeführungen bzw. für touristische Reisebusreisen. Des Weiteren enthielten diese Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen unter anderem ein allgemeines Abstandsgebot, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und Einschränkungen für Handels- und Dienstleistungsbetriebe, für die Gastronomie und für die Beherbergung.
Bereits am 20.03.2020 hatte die Stadt A-Stadt eine zum 21.03.2020 in Kraft getretene Allgemeinverfügung zum Verbot des Anlegens von Personenschiffen im gesamten Stadtgebiet erlassen (vgl. Sonderamtsblatt Nr. 13 vom 20.03.2020). Diese Allgemeinverfügung wurde am 07.07.2020 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben (vgl. Amtsblatt Nr. 31 vom 08.07.2020) mit der Begründung, dass der Freistaat Bayern mit Wirkung vom 08.07.2020 bayernweite Regelungen für die Flusskreuzfahrt angekündigt habe.
b) Aus diesen gerichtskundigen Umständen ergibt sich, dass in der Zeit vom 21.03. 2020 bis 07.07.2020 keine Flusskreuzfahrtschiffe in der Stadt A-Stadt anlegen durften und dass der Beklagten vom 31.03.2020 bis in den Monat Mai 2020 hinein Stadtführungen ausdrücklich untersagt und danach allenfalls mit Einschränkungen möglich waren.
Zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung vom 08.04.2020 am 09.04.2020 befand sich der Freistaat Bayern noch im Stadium des durch die (Erste) Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27.03.2020 (BayMBl. Nr. 158) angeordneten sog. Lockdown mit weitgehenden Veranstaltungs- und Versammlungsverboten, Betriebsuntersagungen, Betretungs- und Besuchsverboten.
Es ist daher ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die Beklagte seinerzeit weder einen Beschäftigungsbedarf noch eine Beschäftigungsmöglichkeit für Stadtführer und Reiseleiter hatte und dass diesbezüglich ein vorübergehender Arbeitsausfall eingetreten war.
c) Dieser wenn auch nur vorübergehende Arbeitsausfall führt im Fall der Klägerin dazu, dass die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung vom 08.04.2020 durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung im Betrieb der Beklagten entgegenstehen.
aa) Die Beklagte ist dem nicht nur die Klägerin betreffenden vorübergehenden Arbeitsausfall dadurch begegnet, dass sie mit ihren anderen Mitarbeitern Kurzarbeit im Sinne der §§ 95 ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) vereinbart und ihnen insoweit je nach dem Umfang des Arbeitsausfalls den Bezug von Kurzarbeitergeld ermöglicht hat.
Dies stellt vor dem Hintergrund des am 15.03.2020 in Kraft getretenen Gesetzes zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld vom 13.03.2020 (BGBl. I S. 493) und der rückwirkend zum 01.03.2020 in Kraft getretenen Verordnung der Bundesregierung über Erleichterungen der Kurzarbeit vom 25.03.2020 (BGBl. I S. 595) unter Berücksichtigung des das Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine angemessene Reaktion dar, mit der der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen zumindest vorerst vermieden werden konnte.
Im Arbeitsverhältnis mit der Klägerin stand der Beklagten diese Möglichkeit jedoch nicht zur Verfügung.
Das Kurzarbeitergeld ist eine durch Beiträge finanzierte Entgeltersatzleistung, dessen Bezug zwar keine Anwartschaftszeit (wie etwa beim Arbeitslosengeld nach § 142 SGB III), jedoch ein in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach § 25 Abs. 1 SGB III voraussetzt (vgl. etwa Brand/Kühl, SGB III, 8. Aufl. 2018, § 98 Rn. 4). Nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) SGB III sind die persönlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kurzarbeitergeld erfüllt, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer nach Beginn des Arbeitsausfalls eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortsetzt. Die am 24.04.1954 geborene Klägerin hatte zum Zeitpunkt der Kündigung vom 08.04.2020 am 09.04.2020 die nach § 235 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) für das Geburtsjahr 1954 auf 65 Jahre und 8 Monate angehobene Regelaltersgrenze erreicht, nämlich bereits am 31.12.2019. Personen, die das Lebensjahr für den Anspruch auf Regelaltersrente im Sinne des SGB VI vollenden, sind mit Ablauf des Monats, in dem sie das maßgebliche Lebensjahr vollenden, nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III versicherungsfrei. Die Klägerin ist somit im Jahr 2020 nicht mehr in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig und hat dementsprechend auch keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.
bb) Die von Gesetzes wegen nicht bestehende Möglichkeit, mit der Klägerin eine Vereinbarung über eine mit dem Bezug von Kurzarbeitergeld verbundene Kurzarbeit zu treffen, und die damit zusammentreffende Ungewissheit über die Dauer des durch die oben dargestellten Corona-Maßnahmen verursachten vorübergehenden Arbeitsausfalls stellen dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung dar.
Zwar kann ein nur vorübergehender Arbeitsmangel in der Regel eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Wird im Betrieb Kurzarbeit geleistet, spricht dies gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf (vgl. Bundesarbeitsgericht 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 -).
Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 08.04.2020 am 09.04.2020 war aber für niemanden, auch nicht für die Beklagte und die Klägerin, absehbar, wie lange das landesweite Verbot von Stadtführungen und Reisebusreisen sowie das in der Stadt A-Stadt verfügte Verbot des Anlegens von Personenschiffen beibehalten würden. Diese Ungewissheit über die zeitliche Dimension des vorübergehenden Arbeitsausfalls steht einer dauerhaften Reduzierung des betrieblichen Arbeitskräftebedarfs im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedenfalls dann gleich, wenn die Möglichkeit der Kurzarbeit – wie hier für die Klägerin – nicht zur Verfügung steht.
Eine bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung angestellte Prognose, der Beschäftigungsbedarf für eine Stadtführerin/Reiseleiterin im Zusammenhang mit Flusskreuzfahrten werde infolge der Corona-Maßnahmen für längere Zeit entfallen, wird übrigens durch die nachfolgende Entwicklung bestätigt. Die bereits erwähnte Allgemeinverfügung der Stadt A-Stadt über das Verbot des Anlegens von Personenschiffen im gesamten Stadtgebiet vom 20.03.2020 ist erst am 07.07.2020 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden, also etwa drei Monate nach Zugang der streitgegenständlichen Kündigung bzw. mehrere Wochen nach Ablauf der Kündigungsfrist.
Selbst wenn die Beklagte nach § 615 Satz 3 BGB das Risiko eines vorübergehenden Arbeitsausfalls trägt, steht dies der Rechtswirksamkeit der Kündigung hier nicht entgegen. Denn § 615 BGB regelt – nur – die sog. Preisgefahr (auch Vergütungs- oder Gegenleistungsgefahr) bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko im bestehenden Arbeitsverhältnis (vgl. dazu auch § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dieser Bestimmung kann aber nicht entnommen werden, dass es dem Arbeitgeber, der wegen des ihn treffenden Betriebsrisikos die Vergütung zu leisten hat, während der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht erbringen kann und auch nicht zur Nachleistung verpflichtet ist, verwehrt sein soll, diesen dem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) des § 611 a in Verbindung mit § 320 BGB nicht entsprechenden Zustand durch eine betriebsbedingte Kündigung zu beenden.
cc) Auf die zwischen den Parteien streitigen Fragen, ob, wann und in welchem Umfang mittlerweile – nach Aufhebung des Anlegeverbots im Sommer 2020 – das Geschäft mit den Stadtführungen wieder anläuft, kommt es nach alledem für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.
Von einer Vernehmung der nach § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ArbGG vorsorglich geladenen Zeugin E. hat die Kammer daher abgesehen.
dd) Die betriebsbedingte Kündigung vom 08.04.2020 konnte nicht durch anderweitige zumutbare und wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen der Beklagten vermieden werden.
Eine Vereinbarung über die vorübergehende Absenkung der Vergütung der Klägerin auf von ihr vorgeschlagene 1.500,00 € brutto ist jedenfalls entsprechend § 154 Abs. 2 BGB im Zweifel nicht geschlossen worden. Nach dem Vorbringen der Klägerin sollte diese Reduzierung auf Wunsch der Beklagten in einer schriftlichen Zusatzvereinbarung schriftlich festgehalten werden. Dazu ist es aber nicht gekommen. Ein Angebot der Beklagten, die Vergütung vorübergehend auf 1.000,00 € zu reduzieren, hat dagegen die Klägerin nicht angenommen.
Die Beklagte war auch nicht gehalten, der Klägerin vor Ausspruch der Beendigungskündigung eine vorübergehende Reduzierung der Vergütung (bei völligem Wegfall der Arbeitsleistung?) anzubieten und im Weigerungsfalle zu versuchen, diese durch den Ausspruch einer Änderungskündigung durchzusetzen. Ein in zeitlicher Hinsicht hinreichend bestimmtes Angebot konnte schon angesichts der Ungewissheit über die zeitliche Dimension des vorübergehenden Arbeitsausfalls nicht unterbreitet werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das geltende Kündigungsschutzrecht vom Arbeitgeber verlangte, zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung einem – nicht zum Bezug von Kurzarbeitergeld berechtigten – Arbeitnehmer die Fortzahlung einer reduzierten Vergütung bei faktisch völliger Freistellung von der Arbeitsleistung anzutragen (zur Problematik der Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung vgl. allgemein Schaub/Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 18. Aufl. 2019, § 137 Rn. 48 – mit weiteren Nachweisen).
ee) Die betriebsbedingte Kündigung vom 08.04.2020 ist nicht wegen einer im Ergebnis nicht vertretbaren sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt.
Die Klägerin hat keinen Arbeitnehmer namentlich benannt, dem unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters, der Unterhaltspflichten und einer Schwerbehinderung an ihrer Stelle hätte gekündigt werden müssen.
Der von der Beklagten erwähnte weitere Stadtführer – mit einer etwas längeren Dauer der Betriebszugehörigkeit – ist zwar von der Tätigkeit her mit der Klägerin an sich horizontal vergleichbar. Im konkreten Fall scheidet er jedoch als vergleichbarer Arbeitnehmer aus, weil er anders als die Klägerin zum Bezug von Kurzarbeitergeld berechtigt ist und die Beklagte deswegen zunächst gehalten war, eine betriebsbedingte Kündigung ihm gegenüber durch die Vereinbarung von Kurzarbeit vermeiden, was auch geschehen ist. Ob die Beklagte diesem Arbeitnehmer später ebenfalls gekündigt hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.
ff) Die Vorschrift des § 41 Satz 1 SGB VI, wonach der Anspruch des Versicherten auf eine Rente wegen Alters nicht als ein Grund anzusehen ist, der die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann, steht der Rechtswirksamkeit der Kündigung vom 08.04.2020 nicht entgegen.
Diese Kündigung ist nämlich nicht durch einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Alters – in welcher Höhe auch immer – bedingt, sondern dadurch, dass sie mangels eines Anspruchs der Klägerin auf Bezug von Kurzarbeitergeld nach §§ 95 ff. SGB III eben nicht durch eine Vereinbarung über Kurzarbeit zu vermeiden war.
Ob die Beklagte davon ausging, dass die Klägerin, die bei ihrem Eintritt bereits 64 Jahre alt war, ausreichend sozial abgesichert war und ist (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes vom 18.05.2020 = Bl. 35 d.A.), und ob die Beklagte der Klägerin per E-Mail vom 11.04.2020 (vgl. Anlage K 5 = Bl. 43 d.A.) geschrieben hat, „Sie sind leider Rentnerin und als solche nicht mehr Mitglied in der Arbeitslosenversicherung“, spielt somit für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der Kündigung keine Rolle.
II. Durch die nach alledem rechtswirksame Kündigung vom 08.04.2020, nach Angabe der Klägerin zugegangen am 09.04.2020, ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 15.05.2020, sondern – wie im Kündigungsschreiben vorsorglich erklärt – „zum nächstmöglichen Termin“, also zum 31.05.2020 aufgelöst worden.
§ 3 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vom 05.03.2018 sieht vor, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endet, in dem der Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze erreicht; dies wäre bei der im Jahr 1954 geborenen Klägerin mit Ablauf des Monats Dezember 2019 (vgl. § 235 Abs. 2 SGB VI).
Das Arbeitsverhältnis ist aber offensichtlich von den Parteien darüber hinaus einvernehmlich fortgesetzt worden, so dass für das am 21.03.2018 begonnene Arbeitsverhältnis nunmehr nach § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrages die gesetzlichen Kündigungsfristen gelten. Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
III. Nach alledem ist festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.04.2020 nicht zum 15.05.2020, sondern zum 31.05.2020 aufgelöst worden ist, und die Klage Im Übrigen abzuweisen.
B. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 495 ZPO und § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.
Die bezüglich der Kündigung nahezu voll umfänglich unterliegende Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das verhältnismäßig geringfügige Unterliegen der Beklagten hinsichtlich der Einhaltung der Kündigungsfrist gibt keinen Anlass für eine Quotelung der Kosten.
Die Regelung des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG bleibt unberührt.
C. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 1 Abs. 2 Nr. 4, 42 Abs. 2 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.
Für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend.
Dementsprechend wird der Streitwert auf 2.500,00 € × 3 = 7.500,00 € festgesetzt.
D. Die Berufung ist im vorliegenden Fall nach § 64 Abs. 2 Buchst. c) ArbGG ohne Weiteres statthaft.