Arbeitsrecht

Religionsfreiheit und Grundsicherungsanspruch

Aktenzeichen  S 11 AS 223/19

Datum:
31.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1997
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 21 Abs. 7, § 22 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die Freiheit der Religionsausübung begründet keinen grundsicherungsrechtlichen Anspruch auf dreimal tägliches Warmdduschen.  (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte hat der Klägerin unter Abänderung der Bescheide vom 4. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2019 und des Änderungsbescheides vom 18. Dezember 2019 betreffend den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2019 weitere Leistungen in Höhe von insgesamt 151,95 EUR hinsichtlich des Mehrbedarfs wegen dezentraler Warmwassererzeugung gemäß § 21 Abs. 7 Zweites Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte hat der Klägerin ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gebrauch. Die Beteiligten haben deren Einverständnis hierzu erklärt.
I.) Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.
1.) Das Sozialgericht Augsburg ist das für die Entscheidung sachlich und örtlich zuständige Gericht (§§ 51 Abs. 1 Nr. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) wurde gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist zulässig.
2.) Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 21 Abs. 7 SGB II, dieser lautet:
„(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils 1. 2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4, 2. 1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr, 3. 1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder 4. 0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht oder ein Teil des angemessenen Warmwasserbedarfs nach § 22 Absatz 1 anerkannt wird.“
Gemäß § 21 Abs. 7 SGB II wird bei Leistungsberechtigten somit ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für alleinstehende Leistungsberechtigte wie den Kläger jeweils 2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht oder ein Teil des angemessenen Warmwasserbedarfs nach § 22 Absatz 1 anerkannt wird (§ 21 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 SGB II).
Nach der Mehrbedarfsregelung des § 21 Abs. 7 SGB II besteht ein Anspruch auf Berücksichtigung eines Warmwassermehrbedarfs über die Warmwasserpauschale hinaus, soweit die tatsächlich anfallenden Aufwendungen für die Warmwassererzeugung durch diese Pauschale nicht vollständig gedeckt werden und sie nicht unangemessen sind. Die Anerkennung eines solchen Warmwassermehrbedarfs setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 7. Dezember 2017, B 14 AS 6/17 R) keine separate Verbrauchserfassung durch technische Einrichtungen wie z. B. einen Verbrauchszähler voraus. Zu den insoweit erforderlichen Ermittlungen hat das BSG in seinem zuvor ergangenen Urteil vom 7. Dezember 2017 (B 14 AS 6/17 R – juris Rn. 30) ausgeführt, dass der tatsächliche Warmwasserverbrauch ohnehin nur in den Grenzen des Angemessenen bestehe und deshalb dem Energieverbrauch regelmäßig ein durchschnittlicher, als angemessen anzusehender Warmwasserverbrauch zugrunde gelegt werden könne. Hinsichtlich der insoweit in Betracht kommenden Ermittlungen hat das BSG in seinem vorliegenden Revisionsurteil ausdrücklich auf die Abhandlung von S. (SGb 2018, 567 ff.) Bezug genommen, das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, (Urteil vom 22. Mai 2019 – L 13 AS 207/18 ZVW -, Rn. 16 – 17), hat die von Frau S. entwickelte Vorgehensweise zur Bestimmung des angemessenen Mehrbedarfs seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
Die Empfehlungen von Frau S. zur Bestimmung des angemessenen Bedarfs hält das Gericht für überzeugend und sachgerecht. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Sachverständiger zwar die Verbrauchsdaten des Geräts, das das Warmwasser erzeugt, feststellen kann, nicht aber in welchem Umfang der einzelne Leistungsberechtigte das Gerät zur Warmwasserzeugung benutzt hat bzw. benutzt ist eine Schätzung auf Grundlage des von Frau S. skizzierten Procederes zielführend, zumal vorliegend der konkrete (Kalt-) Wasserverbrauch nicht ermittelbar war. Für diese Vorgehensweise spricht zudem, das aufwändige Ermittlungen im Einzelfall entbehrlich sind und damit den Bedürfnissen der Massenverwaltung Rechnung getragen wird (vgl. zu diesem Aspekt: Loose in: Hohm, GK-SGB II, § 21 Rn. 102.2). In Anbetracht dessen konnte es auch dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Durchlauferhitzer der Klägerin um einen hydraulischen oder einen elektronischen Durchlauferhitzer gehandelt hat. Unter Zugrundelegung dieser Prämissen (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Niedersachsen Bremen in seinem Urteil vom 22.05.2019, Az. L 13 AS 207/18 ZVW Rn. 19ff. sowie S. SGB 2018, S. 567 ff.) erfolgt die Prüfung des Mehrbedarfs im Rahmen einer Schätzung in zwei Schritten. Im ersten Schritt ist die eines von der Warmwasserpauschale abweichenden Bedarfs festzustellen. Sofern ein solcher besteht ist im zweiten Schritt ist die Angemessenheit zu prüfen.
Dabei ist im ersten Schritt bei der – in Ermangelung einer separaten Verbrauchserfassung – nur möglichen Schätzung des Anteils des elektrischen Durchlauferhitzers am Gesamtstromverbrauch ein Rückgriff auf die in der Studie der EnergieAgentur NRW „Erhebung – Wo im Haushalt bleibt der Strom?“ ausgewiesenen prozentualen Verbrauchsanteile für die Warmwassererzeugung sachgerecht. Dieser beläuft sich bei einem Ein-Personen-Haushalt mit einer elektrischen Warmwasserbereitung auf 23,59%, (vgl. auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22. Mai 2019 – L 13 AS 207/18 ZVW -, Rn. 20, S. SGb 2018, 564, 569).
Im zweiten Schritt ist erfolgt die Bestimmung der Angemessenheit, sofern der im ersten Schritt ermittelte Betrag die Pauschale nach § 21 Abs. 7 SGB II überschreitet und somit ein abweichender Bedarf gegeben ist. Die Prüfung der Angemessenheit erfolgt in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zur Heranziehung des „bundesweiten Heizkostenspiegels“ zur Bestimmung der angemessenen Heizkosten i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, indem aus dem „Stromspiegel für Deutschland“ (www.stromspiegel.de), welcher bundesweit gültige Vergleichswerte für den Stromverbrauch von Privathaushalten liefert, Grenzwerte für den Stromverbrauch der Warmwassererzeugung abgeleitet werden und diese eine sog. Nichtprüfgrenze markieren (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22. Mai 2019 – L 13 AS 207/18 ZVW -, Rn. 21). Der „Stromspiegel für Deutschland“ liefert bundesweit gültige Vergleichswerte für den Stromverbrauch von Privathaushalten (vgl. S., SGb 2018, 564, 570). Der Stromspiegel (vgl. https://www.stromspiegel.de) hält Vergleichswerte für den Stromverbrauch eines Haushalts ohne/mit Warmwassererzeugung durch Strom nach Haushaltsgröße (Ein-Personen-Haushalt bis Fünf-Personen-Haushalt) und Gebäudetyp (Ein- oder Zweifamilienhaus oder Wohnung in Mehrfamilienhaus) bereit und differenziert hinsichtlich des Stromverbrauchs zwischen „gering“ bis „sehr hoch“ in sieben Stufen (Stufen A bis G). Grundlage des Stromspiegels 2019 sind 226.000 Verbrauchsdaten von Haushalten aus dem Bundesgebiet sowie aktuelle Studien der Projektpartner (vgl. https://www.stromspiegel.de). Projektpartner sind Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Bundesverband der Energie- und Klimaschutzagenturen Deutschlands e. V. (eaD), Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW), co2online gemeinnützige GmbH, Deutsche Energie-Agentur (dena), Deutscher Mieterbund (DMB), EnergieAgentur NRW, HEA-Fachgemeinschaft für effiziente Energieanwendung e. V., Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Öko-Institut e. V., Verband kommunaler Unternehmen (VKU) und Verbraucherzentrale Energieberatung.
Maßgeblich ist im vorliegenden Fall der Stromspiegel für das Jahr 2019, was von den Parteien auch nicht angezweifelt wurde. Dabei ist ausgehend von der rechten Spalte im Stromspiegel Stufe „G“ (Verbrauch „sehr hoch“) im vorliegenden Fall auf den Verbrauch von 1-Personen Haushalten in Wohnungen abzustellen, die Warmwasser dezentral (d.h. mit Strom) erzeugen: aus dem Stromspiegel ergibt sich diesbezüglich ein Wert in Höhe von 3000 kwH, bei Haushalten, die das Warmwasser ohne Strom erzeugen, ein Wert in Höhe von 2200 kwH. Die Angemessenheitsgrenze ergibt sich aus der Differenz des Stromverbrauchs dieser beiden Haushaltstypen und beträgt somit 800 kwh. Dieser Wert multipliziert mit dem entsprechenden Stromtarif (cent pro kwH) ergibt die im vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Angemessenheitsgrenze.
Auf den konkreten Fall bezogen ist somit wie folgt zu verfahren: a.) Abweichender Bedarf Der prozentuale Anteil in Höhe von 23,59% des Stromabschlages ergibt ausgehend von einem monatlichen Abschlag in Höhe von 108 EUR monatlich im Zeitraum Januar bis September 2019 (neun Monate) einen Betrag in Höhe von 25,47 EUR monatlich und ausgehend von einem monatlichen Abschlag in Höhe von 94 EUR ab Oktober 2019 bis Dezember 2019 einen Betrag in Höhe von 22,18 EUR monatlich (=23,59% von dem Abschlag in Höhe von 94 EUR). Ein abweichender Bedarf ist entgegen der Auffassung des Beklagten somit zweifellos gegeben, da der in Stufe 1.) ermittelte Wert höher ist als derjenige, der sich aus § 21 Abs. 7 SGB II (9,75 EUR) ergibt. b.) Angemessenheitsgrenze Die Angemessenheitsgrenze (vgl. hierzu ausführlich S., a.a.O. und LSG Niedersachsen Bremen, a.a.O.) beträgt im Zeitraum im Zeitraum Januar bis März 16,53 monatlich (800 kw/H*20,84 ct (netto) zzgl. 19% MwSt), d.h. insgesamt 49,59 EUR und im Zeitraum April 2019 bis Dezember 2019 25,50 EUR monatlich (24,11 cent * 800 kw/H zzgl. 19% MwSt. = 229,53 EUR geteilt durch 9 Monate)
c.) Vergleich Stufe 1 und 2 aa.) In den Monaten Januar 2018 bis März 2019 ist auf 16,53 EUR pro Monat abzustellen, da der Betrag nach der Stufe 1 (25,47 EUR) durch den niedrigeren Betrag nach Stufe 2 gedeckelt wird, für drei Monate ergibt sich somit insgesamt ein Betrag in Höhe von 49,59 EUR. bb.) In den Monaten ab April 2019 bis September 2019 ist auf 25,47 EUR monatlich abzustellen da dieser Wert niedriger ist als der der Stufe 2 (25,50 EUR). Dies ergibt folgenden Betrag: 6 Monate *25,47 EUR=152,82 EUR cc.) In den Monaten Oktober bis Dezember 2019 ist auf 22,18 EUR monatlich abzustellen, da der Stufenwert 1 niedriger ist als Stufe 2 in Höhe von 25,50 EUR: Dies ergibt für drei Monate einen Betrag in Höhe von 66,54 EUR. dd.) Es ergibt sich somit insgesamt ein Betrag in Höhe von 268,95 EUR für den Zeitraum Januar 2019 bis Dezember 2019. Hiervon ist der bereits mit Bescheid vom 04.01.2019 vom Beklagten gewährte Mehrbedarf in Höhe von 117 EUR (9,75 EUR*12 Monate) in Abzug zu bringen. Somit ergibt sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 151,95 EUR. Insoweit ist die Klage begründet.
Soweit der Bevollmächtigte im Übrigen die Differenz zum Regelstrom geltend macht ist die Klage unbegründet.
Nach der Methodik der von Frau S. vorgeschlagenen Zwei-Stufen-Prüfung, welcher sich das Gericht anschließt, ist die Angemessenheitsgrenze der tatsächlichen Aufwendung im Wege der Schätzung hinreichend bestimmbar. Zur Bestimmung des Mehrbedarfs kann daher zur vollen Überzeugung der Kammer nicht, wie vom Bevollmächtigten beantragt, auf die Differenz des tatsächlichen Aufwandes und den Beträgen für Regelstrom zurückgegriffen werden, vgl. S., SGb 2018, 564 ff., 568:
„Die Entscheidung des 14. Senats wird in der interessierten Öffentlichkeit teilweise dahingehend interpretiert, dass, wenn der monatliche Haushaltsenergiebedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung höher als die Summe der Beträge für Haushaltsenergie im Regelbedarf und die Warmwasserpauschale ist, die Leistungsträger diesen höheren Bedarf als „abweichenden Bedarf“ nach § 21 Abs. 7 SGB II übernehmen müssen. Es bedürfe dafür keiner besonderen Umstände (vgl. Thomé Newsletter 21/2018 v. 26. 5. 2018, https://tacheles-sozialhilfe.de, letzter Zugriff am 30. 6. 2018). Diese Ansicht unterstellt, dass weder der Verbrauchsanteil für die Warmwassererzeugung im Stromverbrauch im Einzelfall bestimmbar ist noch eine Angemessenheitsgrenze bestimmt werden kann. Demgegenüber ist der 14. Senat der Auffassung, dass keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die dezentrale Warmwassererzeugung nicht hinreichend bestimmbar sind, vgl. BSG, Urt. v. 7. 12. 2017 – B 14 AS 6/17 R, Rn. 30. Es kann auch nicht unterstellt werden, dass die Differenz zwischen dem im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Strom und den insgesamt anfallenden Stromkosten im Wege des Anscheinsbeweises als Aufwendungen für die Warmwassererzeugung zu werten sind (vgl. Geiger, Unterkunfts- und Heizkosten nach dem SGB II (2017), S. 154). Ein Anscheinsbeweis scheidet in der Regel aus, wenn individuelle Verhaltensweisen – vorliegend Stromverbrauch im Haushalt – zu beurteilen sind, vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 123 9d m. w. N.“
Auch die Auffassung des Bevollmächtigten, wonach die Methodik von Frau S. „absurd sei“, weil damit unwirtschaftliches Verhalten des Leistungsempfängers belohnt werde, kann nicht nachvollzogen werden. Ein Leistungsempfänger, der einen unwirtschaftlichen Tarif wählt, um einen möglichst hohen Aufwand bezüglich des Mehrbedarfs für Warmwasser zu generieren schadet letztendlich sich selbst am meisten, da der weitaus größere Anteil der Stromrechnung aus der Regelleistung zu bestreiten ist. Ein Leistungsempfänger würde sich somit eine im Verhältnis geringfügig höhere Leistung im Hinblick auf den Mehrbedarf durch eine weitaus höhere Stromrechnung „erkaufen“. In der Praxis dürften solche Fälle daher nicht vorkommen, was auch der vorliegende Fall belegt. Unabhängig davon ist festzustellen, dass der Stromtarif der Klägerin ohnehin unterdurchschnittlich ist: Der Stromtarif betrug für Haushalte im Jahr 2019 im Durchschnitt 30,85 ct/kWh (Quelle: Bundesnetzagentur 11/2019), die Klägerin hatte bis Oktober 2019 einen Tarif mit einem Arbeitspreis von 20,84 ct/kwh netto (24,80 ct/kwh brutto) und ab Oktober 2019 einen Arbeitspreis von 28,69 ct/kwh brutto (24,11ct/kwh netto) und liegt somit auch Leistungszeitraum Januar bis Dezember 2019 unter dem Durchschnitt, was die Höhe des Stromtarifs angeht.
Die Auffassung des Bevollmächtigten, dass der religiöse Aspekt im Rahmen einer Härtefallprüfung zu beachten sei und die abstrakte Angemessenheitsgrenze im konkreten Fall erhöht werden müsse, wird von Seiten des Gerichts nicht geteilt. Wie der Beklagte zu Recht ausführt gebietet es die Religionsausübung vorliegend nicht dreimal täglich (warm) zu duschen. Zum anderen stellt die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG ein Abwehrrecht und kein Leistungsgrundrecht dar, d.h. aus diesem Grundrecht kann keine zusätzliche Gewährung von Leistungen abgeleitet werden (vgl. z.B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2014, L 2 SO 4058/13 Rn.25; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 28.10.1999, S 9 KN 19/98; SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 05.04.2018, S 11 SO 60/18 ER). Schließlich überzeugt auch der Einwand des Bevollmächtigten nicht, dass der Stromspiegel für Deutschland nicht geeignet sei, weil die Differenz des Verbrauchs der Haushalte mit und ohne dezentrale Warmwasserversorgung in allen Spalten des Stromspiegels hinweg 500 kwH betrage und daher keine Differenzierung stattfinde. Bei dem hier maßgeblichen Stromspiegel 2019 beträgt die o.g. Differenz bei 1 Personen Haushalten in einer Wohnung in Stufe A (geringer Stromverbrauch) 400 kwH, in der Stufe D 500 kwH und in der Stufe G 800 kwH. Eine Differenzierung ist somit durchaus gegeben, das Gericht hat auch im Übrigen keine Zweifel an der Validität und Aussagekraft des Stromspiegels bzw. vermag derzeit keine aussagekräftigere und zugleich aktuellere Datengrundlage zu erkennen. Der Klage war daher im tenorierten Umfang zu entsprechen. II.) Die Klage war nur zum Teil begründet. Die Kostenentscheidung nach §§ 183, 193 SGG trägt diesem Umstand Rechnung.
III.) Die Berufung ist zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR nicht überschreitet (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und das Urteil auch nicht von den Entscheidungen der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG benannten Gerichte abweicht.


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