Arbeitsrecht

Rückforderung nach Überzahlung wegen versäumter manueller Eingabe der Erhöhung des Ruhensbetrags von Versorgungsbezügen in das EDV-System der Versorgungsbehörde

Aktenzeichen  M 21a K 19.224

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31537
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SVG § 49 Abs. 2
BGB § 812 Abs. 1 S. 1, § 818 Abs. 3, § 819 Abs. 1
BeamtVG § 52 Abs. 2
BBesG § 12 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1. Einem ehemaligen Offizier muss sich schon aufgrund seines Bildungsstandes aufdrängen, dass sein Ruhegehalt fehlerhaft ist, wenn die Versorgungsbezüge steigen, ohne dass der Ruhensbetrag angepasst wird. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gerade bei auf der Automatisierung der Bezügeabrechnungen beruhenden Fehlern besteht die in der Treuepflicht des Soldaten/Beamten wurzelnde Verpflichtung, die ihm erteilten Bezügeabrechnungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Rückforderungsbescheid der Generalzolldirektion vom 18. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids 19. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG richtet sich die Rückforderung zu viel gezahlter Versorgungsbezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Nach dem hier einschlägigen § 812 Abs. 1 BGB ist, wer durch die Leistung eines anderen auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, diesem zur Herausgabe verpflichtet. Im vorliegenden Fall hat der Kläger durch Leistung und auf Kosten der Beklagten für die Zeit vom 1. März 2018 bis 31. Oktober 2018 Versorgungsbezüge im Umfang von 90,80 EUR ohne rechtlichen Grund erlangt, weil die Beklagte den sich aus der bestandskräftigen Ruhensregelung vom 24. Februar 2003 ergebenden Ruhensbetrag in dem o.a. Zeitraum nicht an die Erhöhung der Versorgungsbezüge angepasst und in Abzug gebracht hat. Der Kläger ist daher zur Herausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet.
Er kann sich nicht mit Erfolg gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der damit eingetretenen rechtsgrundlosen Bereicherung berufen, denn er haftet gemäß § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG verschärft. Nach diesen Vorschriften ist der Empfänger, der den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang kennt oder ihn später erfährt, von dem Empfang oder der Erlangung der Kenntnis an zur Herausgabe verpflichtet, wie wenn der Anspruch auf Herausgabe zu dieser Zeit rechtshängig geworden wäre. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen. Ein offensichtlicher Mangel in diesem Sinne liegt nach den von der Rechtsprechung (auch zu den besoldungsrechtlichen Parallelvorschriften des § 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG und § 52 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG) entwickelten Grundsätzen vor, wenn ihn der Empfänger nur deshalb nicht erkannte, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in außergewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat oder – mit anderen Worten – er den Fehler etwa durch Nachdenken oder logische Schlussfolgerung hätte erkennen müssen. Offensichtlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn dem Soldaten aufgrund seiner Kenntnisse auffallen muss, dass die ausgewiesenen Beträge nicht stimmen können. Ihm muss sich aufdrängen, dass die Besoldungsmitteilungen fehlerhaft sind; nicht ausreichend ist, wenn Zweifel bestehen und es einer Nachfrage bedarf. Nicht erforderlich ist hingegen, dass außerdem die konkrete Höhe der Überzahlung offensichtlich ist. Zu den Sorgfaltspflichten des Soldaten/Beamten gehört es aufgrund seiner Treuepflicht auch, die Besoldungsmitteilungen bei besoldungsrelevanten Änderungen im dienstlichen oder persönlichen Bereich auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. Er darf sich insbesondere dann, wenn er ohne erkennbaren Grund höhere Leistungen erhält, nicht ohne Weiteres auf die Rechtmäßigkeit der Zahlung verlassen (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 15/10 – Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 35 und U.v. 9.5.2006 – BVerwG 2 C 12.05 – Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 37 Rn. 13).
Im vorliegenden Fall war dem Kläger aufgrund des ausdrücklichen Hinweises in der bestandskräftigen Ruhensregelung vom 24. Februar 2003, aufgrund der in der Folgezeit vorgenommenen regelmäßigen Anpassungen des Ruhensbetrages an die Erhöhung der Versorgungsbezüge und vor allem aufgrund des zu einem gleichgelagerten Sachverhalt – nur für einen anderen Zeitraum (März 2014 bis September 2017) – anhängigen Verwaltungsrechtsstreits (Az. 21a K 18.423) hinlänglich bekannt, dass mit der Erhöhung der Versorgungsbezüge eine Erhöhung des Ruhensbetrages korrespondiert. Somit hätte ihm bei der ihm obliegenden Überprüfung der Bezügeabrechnungen – insbesondere unter dem Eindruck des noch laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in einem gleich gelagerten Fall – auffallen müssen, dass in der Bezügeabrechnung vom 16. September 2018 für Oktober 2018 trotz der rückwirkenden Erhöhung der Bezüge bis einschließlich März 2018 sowohl in der Darstellung der laufenden Bezüge als auch in der Nachberechnung für die einzelnen Monate März 2018 bis September 2018 der Ruhensbetrag ab März 2018 nicht angehoben wurde, sondern gleich blieb. Ausgehend von seinem früheren Dienstgrad als Offizier (immerhin OTL, BesGr. A 15) und seinem Bildungsstand hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass mit seinem Ruhegehalt – erneut – etwas nicht stimmen kann, wenn die Versorgungsbezüge steigen, ohne dass der Ruhensbetrag angepasst wird. Demgemäß hatte der Kläger mit E-Mail vom 6. Oktober 2018 bzw. 11. Oktober 2018 gegenüber der Beklagten auch erklärt, dass er seiner Prüfpflicht in Bezug auf die Bezügeabrechnung für Oktober 2018 nachgekommen sei und zu einigen Abrechnungspositionen noch Fragen habe, darunter auch der Berechnung des streitgegenständlichen Ruhensbetrags. Daraufhin fiel dem Sachbearbeiter der Beklagten auf, dass der Ruhensbetrag gemäß § 55b SVG wiederum nicht an die erhöhten Versorgungsbezüge angepasst worden war, was dieser dem Kläger mit E-Mail vom 12. Oktober 2018 mitteilte und die Erhöhung des Ruhensbetrages in das EDV-System einpflegte. Dass dem Kläger die genaue Höhe der aus der fehlenden Anpassung des Ruhensbetrages resultierenden Überzahlungen nicht bekannt war, steht dem „Erkennenmüssen“ im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG nach der oben dargestellten Rechtsprechung nicht entgegen. Er haftet somit verschärft.
Schließlich bestehen auch gegen die nach § 49 Abs. 2 Satz 3 SVG vorgeschriebene Billigkeitsentscheidung, welche notwendiger und untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 15/10 – Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 35 und U.v. 9.5.2006 – 2 C 12.05 – Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 37 Rn. 13), keine rechtlichen Bedenken.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Billigkeitsentscheidung von besonderer Bedeutung, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Ein Mitverschulden der Behörde an der Überzahlung ist in die Ermessensentscheidung nach § 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG einzubeziehen. Deshalb ist aus Gründen der Billigkeit in der Regel von der Rückforderung teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. In diesen Fällen, in denen der Beamte zwar entreichert ist, sich aber auf den Wegfall der Bereicherung nicht berufen kann, muss sich die überwiegende behördliche Verantwortung für die Überzahlung in der Billigkeitsentscheidung niederschlagen. Das ist auch unter Gleichheitsgesichtspunkten geboten. Ein Beamter, der nur einen untergeordneten Verursachungsbeitrag für die Überzahlung gesetzt hat, muss besser stehen als ein Beamter, der die Überzahlung allein zu verantworten hat. Angesichts dessen erscheint ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30% des überzahlten Betrags im Regelfall angemessen. Bei Hinzutreten weiterer Umstände, etwa besonderer wirtschaftlicher Probleme des Beamten, kann auch eine darüber hinausgehende Ermäßigung des Rückforderungsbetrags in Betracht kommen. Liegt kein überwiegendes behördliches Mitverschulden für die Überzahlung von Besoldungs- oder Versorgungsbezügen vor, genügt die Einräumung von angemessenen Ratenzahlungsmöglichkeiten regelmäßig den Erfordernissen einer im Rahmen des Rückforderungsbescheids zu treffenden Billigkeitsentscheidung. Insgesamt bezweckt die Billigkeitsentscheidung, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Rechts geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, sodass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen (zum Ganzen z.B. BVerwG, U.v. 21.2.2019 – 2 C 24/17 – juris zum gleichlautenden § 52 Abs. 2 Satz 3 LBeamtVG BE m.w.N.).
Im Falle des Klägers ist ein teilweises oder gar vollständiges Absehen von der Rückforderung nicht geboten. Zwar hat die Beklagte die anfängliche Entstehung der Überzahlung zu verantworten. Denn die Beklagte hat im Oktober 2018 unter dem Vorbehalt der späteren gesetzlichen Regelung die im November 2018 durch das Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2018/2019/2020 vorgenommene Erhöhung die Versorgungsbezüge vorweggenommen, ohne gleichzeitig die Anpassung des Ruhensbetrages manuell in das EDV-System einzupflegen. Dies wurde jedoch – auf Nachfrage des Klägers – unverzüglich bereits im Oktober nachgeholt, sodass der korrigierte Ruhensbetrag bereits in der Bezügeabrechnung vom 1. November 2018 für den Monat November 2018 in Abzug gebracht wurde. Die Nachberechnung für die Monate März 2018 bis Oktober 2018, die den streitgegenständlichen Rückforderungsbetrag in Abzug brachte, erfolgte nach Ergehen des Rückforderungsbescheids vom 18. Oktober 2018 dann in der Bezügeabrechnung vom 18. November 2018 für den Monat Dezember 2018. Bei derartigen Fehlern handelt es sich um im Rahmen der Massenverwaltung auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht gänzlich zu vermeidende Fehler. Gerade bei solchen, auf der Automatisierung der Bezügeabrechnungen beruhenden Fehlern aktualisiert sich die in der Treuepflicht des Soldaten/Beamten wurzelnde Verpflichtung, die ihm erteilten Bezügeabrechnungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2015 – 14 ZB 13.489 – juris). Dieser Verpflichtung ist der Kläger auch nachgekommen, sodass die Rückforderungssumme sehr gering ausfällt. Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass die Beklagte zwar für den Abrechnungsmonat Oktober 2008 – erneut – übersehen hatte, gleichzeitig mit der Erhöhung der Versorgungsbezüge auch den Ruhensbetrag anzupassen. Auf der anderen Seite wurde die Anpassung aber ohnehin unter dem Vorbehalt der späteren gesetzlichen Regelung ausbezahlt, die erst im November 2018 erfolgte, und der Fehler auf Nachfrage des Klägers umgehend bereits für die nächste Abrechnung im Monat November 2018 korrigiert. Ein Fall, bei dem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein (teilweises) Absehen von der Rückforderung angezeigt wäre, liegt hier schon deshalb nicht vor, weil es sich bei den dort entschiedenen Fällen (vgl. U.v. 26.4.2012 – 2 C 15/10 – Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 35 und U.v. 26.4.2012 – 2 C 4/11 – juris) um weitaus längere Überzahlungszeiträume von über acht bzw. zehn Jahren gehandelt hat (vgl. a. NdsOVG, B.v. 24.7.2013 – 5 LB 85/13 – juris u. B.v. 20.3.2015 – 5 LA 139/14 – juris). Hinzu kommt, dass die Rückforderungssumme gemessen an der Höhe der Versorgungsbezüge als sehr gering anzusehen ist; dass der Kläger durch die Rückzahlung wirtschaftlich überfordert wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Insgesamt ist die von der Beklagten getroffene und im Widerspruchsbescheid ausführlich begründete Billigkeitsentscheidung, in diesem Fall von der Rückforderung nicht abzusehen, daher nicht zu beanstanden.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben