Arbeitsrecht

Sozialgerichtliches Verfahren – Anhörung eines bestimmten Arztes – Überschreiten des für ein Gutachten einbezahlten Kostenvorschusses – Rechtsbehelf bei Kostennachforderung nach Gutachtenerstellung – Absehen von der Kostenerhebung

Aktenzeichen  L 1 SF 477/21 E

Datum:
23.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landessozialgericht 1. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LSGTH:2021:1223.L1SF477.21E.00
Normen:
§ 109 SGG
§ 178 SGG
§ 183 SGG
§ 1 Abs 2 Nr 3 GKG 2004
§ 21 Abs 1 GKG 2004
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Wendet sich der Kläger nach Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG gegen eine Nachforderung weiterer Kosten, so ist die Erinnerung nach § 178 SGG statthafter Rechtsbehelf, eine Erinnerung nach GKG (juris: GKG 2004) findet nicht statt. (Rn.8)


2. § 109 SGG enthält keine Regelung darüber, wie die Kosten für ein Gutachten gegenüber dem Kläger konkret geltend gemacht werden. § 21 Abs 1 GKG analog ermöglicht, von einer Kostenerhebung ua dann abzusehen, wenn ein Gutachten unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht oder der Sachverständige gegen § 8a Abs 4 JVEG verstößt. (Rn.11)

Tenor

Die Erinnerung gegen den Kostenansatz der Kostenbeamtin der Geschäftsstelle vom 20. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Erinnerungsführerin wendet sich gegen den Ansatz der Urkundsbeamtin (UKB) beim Thüringer Landessozialgericht (ThürLSG), wonach sie zu weiteren 228,82 EUR herangezogen wird.
Die Erinnerungsführerin begehrte als Klägerin in dem beim ThürLSG anhängig gewesenen Verfahren L 12 R 971/18 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. In diesem Verfahren beantragte sie nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie K einzuholen. Hierfür entrichtete sie einen angeforderten Vorschuss i. H. v. 3.000,00 Euro.
K erstattete am 20. April 2021 das Sachverständigengutachten und machte hierfür eine Vergütung i. H. v. 3.228,82 Euro geltend. Durch Verfügung vom 6. Mai 2021 wurde dieser Betrag angewiesen. Mit Verfügung vom 20. Mai 2021 forderte die UKB die Erinnerungsführerin auf, bis zum 3. Juni 2021 228,82 Euro nachzuzahlen.
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2021 lehnte der 12. Senat die Übernahme der Kosten für das Gutachten nach § 109 SGG auf die Staatskasse ab. Das Gutachten habe den Rechtsstreit hinsichtlich der Frage der Gewährung der Dauerrente nicht wesentlich gefördert.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2021 hat sich die Erinnerungsführerin gegen den Kostenansatz der UKB gewandt und beantragt, die von ihr nachgeforderten Kosten i. H. v. 228,82 Euro nicht zu erheben. Der Gutachter habe die Kosten ursprünglich mit 2.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer beziffert.
Die Erinnerungsgegnerin ist der Auffassung, dass die Abrechnung des Sachverständigen nicht zu beanstanden sei. Ein Vorschuss von 3.000 Euro sei angefordert worden. Eine erhebliche Überschreitung des Vorschusses liege nicht vor. Eine solche könne bei einer Überschreitung von weniger als 10 % nicht angenommen werden.
II.
Die Erinnerung hat keinen Erfolg.
Bei dem Antrag handelt es sich um eine Erinnerung nach § 178 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG; vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 3. Auflage 2020, § 109 Rn. 21; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. April 2015 – L 12 KO 1307/13, Juris, letztlich offengelassen in Thüringer LSG, Beschluss vom 9. Februar 2010 – L 6 SF 2/10). Eine Erinnerung nach § 66 Absatz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) kommt nicht in Betracht. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 GKG findet das GKG Anwendung, soweit das SGG die Anwendung des GKG bestimmt. Zwar wird nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG das GKG für anwendbar erklärt, jedoch nur in den Fällen, in denen weder der Kläger noch der Beklagte zu den nach § 183 SGG genannten Personen gehören. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend gerade nicht, da für die Klägerin als Versicherte in einem Rentenverfahren das Verfahren nach § 183 Satz 1 SGG kostenfrei ist.
Nach § 178 SGG kann gegen die Entscheidungen des Urkundsbeamten binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet. Die Erinnerungsführerin wendet sich gegen das Schreiben der UKB, mit dem diese weitere Kosten in Höhe von 228,82 Euro von ihr fordert. In gerichtskostenpflichtigen Verfahren wäre ein Anspruch der Erinnerungsführerin auf Nichterhebung von Kosten aus § 21 GKG zu prüfen. Für Kosten nach § 109 SGG kennt das SGG eine vergleichbare Regelung nicht. Eine direkte Anwendung von § 21 GKG scheitert bereits daran, dass es sich bei Kosten, die für ein Gutachten nach § 109 SGG anfallen und die von dem Kläger endgültig zu tragen sind, nicht um Gerichtskosten im Sinne des GKG handelt. Zum einen ist das GKG mangels Verweis in § 109 SGG für diese Kosten nicht anwendbar. Zum anderen fallen sie gerade in gerichtskostenfreien Verfahren an und werden weder von der Kostenentscheidung nach § 193 SGG erfasst, noch wird für sie Prozesskostenhilfe gewährt (§ 73a Abs. 3 SGG).
Da es sich um Kosten in einem gerichtlichen Verfahren handelt, ist § 21 GKG jedoch analog anzuwenden. Eine planwidrige Regelungslücke liegt vor, da § 109 SGG keine Regelung darüber enthält, wie die Kosten für ein Gutachten gegenüber dem Kläger konkret geltend gemacht werden.
§ 21 Abs. 1 GKG ermöglicht, Kosten nicht zu erheben, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären. Von der Kostenerhebung ist nach dieser Vorschrift nur dann abzusehen, wenn ein schwerer Mangel im Sinne einer eindeutigen und offenkundig unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht vorliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – L 1 SF 1333/16 B; BSG, Beschluss vom 29. Dezember 2011 – B 13 SF 3/11 S; alle zitiert nach Juris), ein Gutachten unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht (vgl. Hartmann, Kostengesetze 48. Auflage 2018, GKG § 21 Rn. 24) oder wenn das Gericht dem Sachverständigen eine Vergütung zahlt, auf die dieser bei richtiger Behandlung der Sache keinen Anspruch gehabt hätte.
Im Verfahren L 12 R 971/18 wurde ein Kostenvorschuss i. H. v. 3.000 Euro angefordert. Der Sachverständige K hat für sein Gutachten vom 20. April 2021 einen Betrag i. H. v. 3.228,82 Euro als Vergütung geltend gemacht und damit nicht gegen § 8 a Abs. 4 JVEG verstoßen, wonach er bei einer erheblichen Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses gehalten gewesen wäre, rechtzeitig auf diesen Umstand hinzuweisen. Als erheblich anzusehen ist nur eine Überschreitung des Kostenvorschusses von mindestens 20 % (Senatsbeschluss vom 15. April 2019 – L 1 SF 576/18 E, nach Juris). Für die Frage, ob eine erhebliche Überschreitung des angeforderten Auslagenvorschusses vorliegt, ist ausschließlich die Höhe des vom Gericht angeforderten Auslagenvorschusses maßgeblich. Die Klägerin ist auch mit der Anforderung des Vorschusses von 3.000 Euro am 18. Januar 2021 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie Mehrkosten zu tragen hat. Auch sonst ist nichts dafür ersichtlich, dass die Abrechnung durch K nicht den Vorgaben des JVEG entspricht und in der geforderten Höhe kein Anspruch auf die Vergütung bestand. Daher kann der Betrag in Höhe von 228,82 Euro von der Klägerin als Erinnerungsführerin nachgefordert werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 178 SGG).


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