Arbeitsrecht

Sozialgerichtliches Verfahren – Sachverständigenvergütung – Anhörung eines bestimmten Arztes – Gutachtenerstattung – erforderlicher Zeitaufwand – Plausibilitätsprüfung – Gutachtenauftrag – Benennung der voraussichtlichen Kosten oder eines Höchstbetrags – keine verbindliche Zusage über Vergütungshöhe

Aktenzeichen  L 1 JVEG 1016/20

Datum:
28.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landessozialgericht 1. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LSGTH:2021:0628.L1JVEG1016.20.00
Normen:
§ 4 Abs 1 JVEG
§ 8 Abs 1 JVEG
§ 8 Abs 2 JVEG
§ 109 SGG
Spruchkörper:
undefined

Tenor

Die Entschädigung für das Gutachten vom 6. Oktober 2020 wird auf 1.799,71 Euro festgesetzt.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe

I.
Mit Beweisanordnung vom 16. Dezember 2019 wurde der Erinnerungsführer von der Berichterstatterin des 3. Senats mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit des Klägers auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beauftragt. Zu einem ersten Begutachtungstermin führte der Kläger nicht die notwendige Bildgebung mit sich, so dass der Termin nicht stattfinden konnte. Auf Sachstandsanfrage des 3. Senats teilte der Erinnerungsführer mit späterem Schreiben mit, dass sich der Kläger noch nicht wieder gemeldet habe und deswegen kein erneuter Termin vereinbart wurde. Nach Eingang der bildgebenden Befunde erfolgte schließlich die Begutachtung am 10. September 2020 in deren Folge der Erinnerungsführer sein 23 Seiten umfassendes Sachverständigengutachten vom 6. Oktober 2020 vorlegte.
Mit Kostenrechnung vom 15. Oktober 2020 machte der Erinnerungsführer eine Entschädigung in Höhe von 3.022,75 Euro geltend. Diese setzen sich wie folgt zusammen:
12 h Aktenstudium M2 á 75,00 Euro
900,00 Euro
1 h Untersuchung M2 á 75,00 Euro
75,00 Euro
14 h Ausarbeitung M2 á 75,00 Euro
1.050,00 Euro
9 h Diktat und Korrektur M2 á 75,00 Euro
675,00 Euro
46 Kopien á 0,50 Euro
23,00 Euro
Schreibauslagen für 25.022 Zeichen
22,52 Euro
Porto Rücksendung Röntgenbilder an Kläger
1,45 Euro
Versandkosten Sachverständigengutachten
4,50 Euro
16 v. H. Mehrwertsteuer
271,28 Euro
Gesamt:
3.022,75 Euro.
Unter dem 22. Oktober 2020 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die Sachverständigenentschädigung auf 2.147,71 Euro fest. Hinsichtlich des Aktenstudiums und der vorbereitenden Arbeiten erkannte die UdG aufgrund der Vielzahl der bildgebenden Befunde die vom Erinnerungsführer angegebenen 12 Stunden an. Der Zeitaufwand von 1 Stunde für die Untersuchung wurde von ihr ebenfalls anerkannt. Hinsichtlich der Abfassung der Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen erkannte die UdG jedoch lediglich einen Zeitaufwand von 3,33 Stunden an. Insoweit seien nur ca. 5 Seiten zu berücksichtigen, nicht hingegen das Wiederholen der Beweisfragen, Literaturhinweise etc. Zudem seien für Diktat und Korrektur bei einem 22-seitigen Gutachten nur 4,4 Stunden Zeitaufwand berücksichtigungsfähig. Aufgrund einer Plausibilitätsprüfung erhöhe sich der so anzusetzende Zeitaufwand von ca. 21 Stunden um 15 v. H. auf 24 Stunden. Die übrigen Rechnungspositionen erkannte die UdG antragsgemäß an.
Hiergegen hat der Erinnerungsführer unter dem 16. November 2020 Antrag auf richterliche Festsetzung nach § 4 Abs. 1 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) gestellt. Nicht berücksichtigt seien die umfangreiche Beurteilung, Studium, Analyse, Betrachtung und Einsortierung der zahlreichen Bildgebung in das Gutachten.
Die UdG hat dem Antrag nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 hat der Erinnerungsgegner ausgeführt, der Entschädigungsantrag führe im Ergebnis vollumfänglich zum Erfolg. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die UdG schon gar nicht gehalten gewesen sei, aufgrund eigener Plausibilitätskontrolle eine abweichende Festsetzung vorzunehmen. Insoweit sei das Abstellen auf bestimmte Fixwerte, wie dies auch nach der Rechtsprechung des Thüringer Landessozialgerichts (15 v. H.) zu erfolgen habe, abzulehnen. Vielmehr könne hier z.B. Anhaltspunkt einer Plausibilitätsprüfung die Höhe des nach § 109 SGG eingeforderten Kostenvorschusses sein. Dieser habe hier 3.000 Euro betragen und stehe einer plausiblen Gesamtabrechnung nicht entgegen. Bei der Plausibilitätsprüfung sei zudem auch auf Umstände abstellen, die sich nicht in der Abrechnung wiederfänden. Vorliegend seien dies die Vorarbeiten hinsichtlich des nicht erfolgreichen ersten Untersuchungstermins bzw. die neuerlichen Arbeiten für die weitere Terminfindung. Unabhängig von der Frage, ob eine Plausibilitätsprüfung erforderlich gewesen sei, sei diese jedenfalls nicht zutreffend erfolgt. Hinsichtlich der Ausarbeitung des Gutachtens sei eine Kürzung des geltend gemachten Zeitansatzes von 14 Stunden auf 3,33 Stunden nicht gerechtfertigt. Die Feststellungen, woraus der Erinnerungsführer seine Ergebnisse abgeleitet habe, fänden sich auf den Seiten 6 bis 18 (mittig). Hier seien die eigenen Untersuchungsbefunde dargestellt sowie die Auswertungen der Fremd-Bildgebung erfolgt. Auch die Untersuchungsbefunde gehörten in ein Gutachten und seien daher vergütungsfähig. Zudem habe der Erinnerungsführer die Fremd-Bildbefunde selbst ausgewertet und nicht lediglich andere Einschätzungen wiedergegeben. Die prägnante Auswertung der Beweisfragen finde sich auf den Seiten 19 bis 23 (oben). Daher seien die Seiten 6 bis 23 (oben), also insgesamt 17 Seiten insoweit hinsichtlich des Zeitaufwandes für die Aufarbeitung vergütungsfähig. Bezüglich des Zeitaufwandes sei nach der Rechtsprechung des Thüringer Landessozialgerichtes für 1,5 relevante Seiten eine Stunde Zeitaufwand anzusetzen. Dieser Ansetzung sei aber auch nach der Rechtsprechung des Thüringer Landessozialgerichtes nicht starr, sondern diene im durchschnittlichen Normalfall lediglich zur Orientierung. Unabhängig davon, dass die Rechtsprechung anderer Landessozialgerichte andere Kriterien ansetzten, sei vorliegend ein anderes Maß anzusetzen. Zwar dürften der Umfang des Streitstoffes und die Schwierigkeit der Fragestellungen durchschnittlich gewesen sein, doch sei die Bedeutung für den Kläger überdurchschnittlich. An diesen Maßstäben orientiert, bestünde kein Zweifel, dass die vom Erinnerungsführer geltend gemachten 14 Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens auch erforderlich waren. Hinsichtlich Diktat und Korrektur des Gutachtens sei der Ansatz von lediglich 4,4 Stunden (5 bis 6 Seiten je Stunde, ohne Berücksichtigung des Deckblattes) nicht angemessen. Wie bereits ausgeführt ergebe sich Anlass für eine Prüfung im Einzelfall immer erst dann, wenn der insgesamt angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ungewöhnlich hoch erscheine und nicht plausibel sei. Selbst wenn dies vorliegend der Fall sein sollte, stehe im Ergebnis einer Tiefenprüfung fest, dass der Zeitaufwand dennoch erforderlich gewesen sei. Auch wenn der Zeitaufwand für das Diktat und die Korrektur relativ hoch angesetzt gewesen sei, sei im Besonderen beachtlich, dass der Sachverständige den Zeitaufwand für den „geplatzten“ Termin oder aber die neuerliche Terminabstimmung überhaupt nicht geltend gemacht habe. Auch dieses müsse Eingang in die Plausibilitätsprüfung finden. Aber auch wenn man lediglich 4,4 Stunden für Diktat und Korrektur berücksichtigen wolle, ergebe sich mit den vorherigen Ausführungen eine Vergütung von 2.800,21 Euro, die unter Beachtung der Toleranzgrenze von 15 v. H. zur antragsentsprechenden Festsetzung führe.
Der Berichterstatter hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Erinnerungsgegner kein Anerkenntnis abgegeben hat und der Senat an die Ausführungen des Erinnerungsgegners nicht gebunden ist.
Mit Beschluss vom 9. Juni 2021 hat der Berichterstatter das Verfahren nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG auf den Senat übertragen.
II.
Für den Antrag auf richterliche Festsetzung ist der Senat zuständig, nachdem der Berichterstatter das Verfahren nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG mit Beschluss vom 9. Juni 2021 auf diesen übertragen hat.
Auf die nach § 4 Abs. 1 JVEG zulässige Erinnerung wird die Entschädigung für das Gutachten vom 6. Oktober 2020 auf 1.799,71 Euro festgesetzt.
Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist.
Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung
1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG),
2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG),
3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie
4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG).
Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich waren (Satz 2 Halbs. 1). Maßgeblich für die Vergütung des Sachverständigen ist nach der Konzeption des JVEG daher nicht die tatsächlich aufgewandte, sondern gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG die für die Erstattung des Gutachtens erforderliche Zeit.
Die erforderliche Zeit ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität orientiert. Nach pflichtgemäßem Ermessen hat das Gericht nachzuprüfen, ob der Zeitansatz erforderlich war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2007 – 1 BvR 55/07; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98, zitiert nach Juris; ThürLSG Beschlüsse vom 5. März 2012 – L 6 SF 1854/11 B und 21. Dezember 2006 – L 6 B 22/06 SF; Hartmann/Toussaint in Kostenrecht, 50. Auflage 2020, § 8 JVEG Rn. 39). Zu berücksichtigen sind die Schwierigkeiten der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind, wenn sich diese in einem gewissen Toleranzbereich bewegen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 – L 1 JVEG 1189/16; ThürLSG, Beschluss vom 13. August 2013 – L 6 SF 266/13 E, zitiert nach Juris). Die Toleranzgrenze beträgt 15 v. H. Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v. H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 2018 – L 1 JVEG 1189/16 und 21. März 2019 -, L 1 JVEG 1072/18 – zitiert nach Juris). Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des Erinnerungsgegners vom 4. Januar 2021 ausdrücklich fest. In der Sozialgerichtsbarkeit haben sich detaillierte Erfahrungswerte für den erforderlichen Zeitaufwand herausgebildet und es ist allgemein anerkannt, dass bei einem Überschreiten dieser Werte von mehr als 15 v. H. eine Plausibilitätsprüfung zu erfolgen hat (Binz/Dörndorfer/Zimmermann, Kommentar zum GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, § 8 JVEG Rn. 14 m.w.N.). Nur so lässt sich die erforderliche Rechtssicherheit im Rahmen der Vergütungsfestsetzung sicherstellen und die mit der Festsetzung der Vergütung betrauten Urkundsbeamten der Geschäftsstelle werden in die Lage versetzt, zu prüfen, ob der gesetzlich vorgesehene Vergütungsrahmen eingehalten worden ist.
Unerheblich ist, dass in der Beweisanordnung bzw. in dem Anschreiben als Vorschuss für das Gutachten nach § 109 SGG ein Betrag von 3.000,00 € festgelegt worden ist. Hierbei handelt es sich abstrakt lediglich um einen Vorschuss, der die individuellen Besonderheiten der jeweiligen Gutachtenerstellung (noch) nicht in Blick nehmen kann. So sind insbesondere Zeiten, die für die Abfassung der Beurteilung anfallen, noch gar nicht absehbar. Ein Gutachtenauftrag in Kenntnis der voraussichtlichen Kosten beinhaltet genauso wie die Mitteilung des Gerichts an den Sachverständigen, dass über einen bestimmten Höchstbetrag (ohne vorherige Mitteilung und Genehmigung durch das Gericht) nicht hinausgegangen werden dürfe, keine verbindliche Zusage einer Honorierung in oder bis zu dieser Höhe. Die Anforderung eines Kostenvoranschlags hat lediglich den Sinn und Zweck, zum einen dem Kläger eine Entscheidungsgrundlage zu liefern, ob er seinen Antrag gemäß § 109 SGG auch in Kenntnis des Umstands aufrecht erhält, welche Kosten er voraussichtlich zu tragen hat und ob er dieses Kostenrisiko eingehen will. Zum anderen wird dem Gericht eine verlässliche Grundlage für die Anforderung des Kostenvorschusses im Rahmen eines Antrags gemäß § 109 SGG gegeben, um sicherzustellen, dass bei einer möglicherweise eintretenden Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Klägers kein Kostenrisiko für den Staatshaushalt entsteht (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Januar 2021 – L 1 JVEG 1295/19 –, juris Rn. 18). Insoweit ist der angeforderte Kostenvorschuss – anders als der Erinnerungsgegner meint – kein taugliches Mittel zur Plausibilitätskontrolle, so dass es bei der vom Senat in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen Plausibilitätsprüfung unter Würdigung von Erfahrungswerten verbleibt. Soweit der Erinnerungsgegner in die Plausibilitätskontrolle (weitere) vorbereitende Tätigkeiten, wie hier z.B. die neuerliche Ladung des Klägers, der zum ersten Untersuchungstermin keine bildgebenden Befunde bei sich hatte, Berücksichtigung finden lassen will, kann dies nur Berücksichtigung finden, wenn sich hierfür nähere Angaben finden, um das Ausmaß der Berücksichtigung abschätzen zu können. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Der Erinnerungsführer hat hierzu keine Kosten geltend gemacht und auch sonst lässt sich nicht entnehmen, welcher (wesentlicher) zeitlicher Aufwand sich hieraus ergibt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist für das Gutachten angesichts der übersandten Unterlagen sowie unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte nach der Rechtsprechung des Senats ein Zeitaufwand von 20 Stunden erforderlich. Insoweit ist der hier streitige Zeitaufwand für die Abfassung der Beurteilung mit 3,33 Stunden anzusetzen (hierzu unter 1.). Der weiter streitige zeitliche Aufwand für Diktat und Korrektur beträgt 3,6 Stunden (hierzu unter 2.). Die Zeitansätze für das Aktenstudium (12 Stunden) und die Untersuchung (1 Stunde) sind unstreitig und auch so nicht zu beanstanden (hierzu unter 3.). Auf den nach Erfahrungswerten ermittelten zeitlichen Aufwand erfolgt schließlich kein Aufschlag des Toleranzbereichs von 15 v. H. (hierzu unter 4.).
1. Grundsätzlich umfasst die Beurteilung die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und die nähere Begründung, also den Teil des Gutachtens, den das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten kann, um ohne medizinischen Sachverstand seine Entscheidung begründen zu können, also die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung. Die Beurteilung kann sich dabei durchaus an mehreren Stellen eines Gutachtens – ohne Reduzierung unter bestimmte Unterschriften (z.B. Zusammenfassung, Beurteilung etc.) – befinden.
Ausgehend von diesen Grundsätzen umfasst der Beurteilungsteil des Gutachtens hier insgesamt 5 Seiten. Der Beurteilungsteil im Sachverständigengutachten beginnt auf Seite 18 (mittig; „Zusammenfassung und Beurteilung“) und endet auf Seite 23 (oben). Er umfasst damit rein formal betrachtet 5 Seiten. Nicht zu berücksichtigen waren die Seiten 6 bis 18 (mittig) mit denen die Sozialanamnese, der eigentliche Untersuchungsbefund und die Auswertung der Fremd-Bildgebung erfolgte. Zwar ist hinsichtlich des Beurteilungsteils eines Sachverständigengutachtens nicht zwangsläufig nur auf die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen abzustellen, sondern können auch an anderen Stellen des Gutachtens erläuternde und wertende Ausführungen für die Entscheidungsfindung des Gerichts nützlich und damit entsprechend berücksichtigungsfähig sein. Die vorliegenden Ausführungen auf den Seiten 6 bis 18 enthalten solche Darstellung aber nicht. Sie beschränken sich auf reine Befunderhebungen, ohne schon konkrete Bezüge zu den Beweisfragen darzustellen. Dies gilt auch und insbesondere für die (eigene) Auswertung bildgebender Befunde, die für sich in einem Gutachten zur Feststellung der Leistungsfähigkeit dem Gericht ohnehin keine dezidierten Schlussfolgerungen ermöglichen.
Der Senat geht davon aus, dass ein medizinischer Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung für die gedankliche Erarbeitung durchschnittlich eine Stunde für ca. 1 1/2 Blatt benötigt (vgl. Senatsbeschluss vom 21. März 2019 – L 1 JVEG 1072/18 zitiert nach Juris, ThürLSG, Beschluss vom 12. September 2014 – L 6 SF 477/14 B). Zu beachten ist, dass es sich dabei nur um einen Anhaltspunkt für die angemessene Stundenzahl handelt, um den Kostenbeamten im Normalfall eine sinnvolle Bearbeitung zu ermöglichen. Wesentlich für die Berechnung der Vergütung ist nach dem Gesetz nicht die Seitenzahl, sondern der erforderliche Zeitansatz, der nur eingeschränkt über die Seitenzahl berechnet wird. Maßgebend ist daher im Zweifelsfall der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gutachten zum Ausdruck kommt. Insofern ist in begründeten Sonderfällen durchaus eine Abweichung sowohl positiv wie negativ bei dem genannten Ansatz in Erwägung zu ziehen. Eine Einschränkung auf bestimmte “Normseiten”, die manche Landessozialgerichte vornehmen (vgl. zum Beispiel LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Mai 2015 – L 12 SF 1072/14 E, zitiert nach Juris: 2.700 Anschläge; Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. Mai 2012 – L 15 SF 276/10 B: 1.800 Anschläge), kommt allerdings mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht (vgl. Senatsbeschluss vom 21. März 2019 – L 1 JVEG 1072/18 zitiert nach Juris, Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26. März 2012 – L 6 SF 132/12 E, zitiert nach Juris).
Eine Erhöhung des Zeitaufwandes ergibt sich vorliegend – wie bereits ausgeführt – auch nicht aus weiteren Umständen.
Bei einem eigentlichen Beurteilungsteil des Gutachtens mit insgesamt 5 Seiten und unter Berücksichtigung der angemessenen Zeit für die Erarbeitung von einer Stunde für ca. 1 1/2 Seiten führt dies zu einer plausiblen Zeit für die Abfassung der Beurteilung von 3,33 Stunden.
2. Für Diktat und Korrektur des Gutachtens ist von einem Umfang von 18 Seiten auszugehen. Zu berücksichtigen ist, dass von den 23 Seiten mehrere Seiten nicht vergütet werden können (hierzu Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2014 – L 6 SF 723/14 E, Rn. 25, juris): das überflüssige Anschreiben (Seite 2) und die Wiederholung der Beweisfragen (Seiten 3 bis 5). Das Deckblatt kann zudem nur einen minimalen Aufwand verursacht haben.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist in der Regel für Diktat, Durchsicht und Korrektur eines Gutachtens unter Berücksichtigung der Schreibweise von einem Zeitaufwand von einer Stunde für ca. 5-6 Seiten auszugehen. Dies führt vorliegend zu einem Zeitansatz von 3,6 Stunden.
3. Die angesetzten Zeitaufwände für das Aktenstudium (12 Stunden – unter Berücksichtigung zahlreicher bildgebender Untersuchungsbefunde) und die Untersuchung (1 Stunde) wurden weder von der Kostenbeamtin noch dem Erinnerungsgegner moniert. Auch der Senat hat insoweit keine Veranlassung, eine andere Beurteilung vorzunehmen.
4. Daraus folgt, dass unter Anlegung der üblichen Maßstäbe für die Erstattung des Gutachtens von einem Zeitaufwand von gerundet 20 Stunden (3,33 + 3,6 + 12,0 + 1,0 = 19,93) auszugehen ist. Die beantragten 43 Stunden überschreiten damit den Toleranzrahmen, so dass eine abweichende Festsetzung zu erfolgen hat.
Zum Toleranzrahmen von 15 v. H. ist klarstellend auszuführen, dass dieser nicht auf den – wie zuvor nach Erfahrungswerten – ermittelten Zeitaufwand (hier: 20 Stunden) aufzuschlagen und in der Folge mit zu vergüten ist. Der Toleranzrahmen von 15 v. H. dient nur der Kontrollprüfung, ob der in der Kostenrechnung angesetzte Zeitaufwand mit den Erfahrungswerten in Einklang zu bringen ist. Weicht die Kostenermittlung anhand der Erfahrungswerte insoweit mehr als 15 v. H. von der Kostenrechnung ab, hat eine Festsetzung in Höhe des nach Erfahrungswerten ermittelten Zeitaufwandes zu erfolgen. Anders, als vorliegend von der Kostenbeamtin vorgenommen, erfolgt dabei keine Addition um einen 15-prozentigen Toleranzrahmen.
5. Schlussendlich ergibt sich folgender Entschädigungsanspruch:
Zeitaufwand (20 Stunden á 75 Euro) =
1.500 Euro
Schreibauslagen =
22,52 Euro
Kopien (46 á 0,50 Euro) = 2
3,00 Euro
Porto (Rücksendung CD´s und Übersendung Gutachten) =
5,95 Euro
Mehrwertsteuer (16 v.H.) =
248,24 Euro
Summe =
1.799,71 Euro.
Die Entschädigung für das Sachverständigengutachten vom 6. Oktober 2020 war damit entsprechend des Entschädigungsantrages vom 15. Oktober 2020 auf 1.799,71 Euro festzusetzen. Eine bereits darüber hinaus geleistete Vergütung ist vom Erinnerungsführer zurückzuzahlen.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).


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