Arbeitsrecht

Sozialversicherungsrechtlicher Status von Honorarärzten in einem SAPV-Team

Aktenzeichen  L 6 R 5130/17

Datum:
29.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25921
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 7 Abs. 1 S. 1, § 28p

 

Leitsatz

1. Eine bloße Bezeichnung als „Honorararzt“ kennzeichnet sozialversicherungsrechtlich kein besonderes Tätigkeitsbild. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist  möglich, dass ein und derselbe Beruf – je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis – entweder in Form der Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 16 R 715/16 2017-05-19 Endurteil SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.05.2017 aufgehoben.
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 27.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2016 wird abgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Diese tragen ihre Kosten selbst.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird in Höhe von € 24.075 festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Urteil des SG Nürnberg vom 19.05.2017 ist aufzuheben. Der Bescheid der Beklagten vom 27.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Beklagte war gemäß § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV berechtigt, nach Durchführung einer Betriebsprüfung durch Bescheid vom 27.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2016 von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge nachzufordern. Im Rahmen der durchgeführten Betriebsprüfung hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass die Beigeladenen zu 1) bis 6) im Prüfzeitraum vom 01.01.2010 bis 31.12.2013 aufgrund Beschäftigung versicherungspflichtig waren. Sozialversicherungsbeiträge wurden von der Beklagten im Rahmen der Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV erhoben. Die Beklagte hat dabei die grundsätzliche Versicherungs- und Beitragspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu Recht festgestellt. Aufgrund der Einschränkungen und Befreiungen sind jedoch von der Beklagten lediglich die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und die Umlagebeiträge U 2 sowie die Insolvenzgeldumlage bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nachberechnet worden.
Im maßgebenden Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, der Versicherungspflicht. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV in seiner bis heute unverändert geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 16.08.2017, B 12 KR 14/16 R; BSG, Urteil vom 31.03.2017, B 12 R 7/15 R; BSG, Urteil vom 30.04.2013, B 12 KR 19/11 R; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit, vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.05.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d. h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil vom 23.05.2017, B 12 KR 9/16 R).
Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, die die Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (BSG, Urteil vom 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R).
Für die Beurteilung der hier umstrittenen Tätigkeit von sog. Honorarärzten gelten keine abweichenden Maßstäbe (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R; vgl. auch BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 2/18 R; BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 10/18 R; BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 20/18 R; BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 22/18 R). Eine bloße Bezeichnung als „Honorararzt“ kennzeichnet sozialversicherungsrechtlich kein besonderes Tätigkeitsbild. Das BSG hat dargelegt, dass die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung auch nicht dadurch vorgeprägt ist, dass sog. Honorararztverträge in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung bisher überwiegend als freie Dienstverhältnisse qualifiziert werden (BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R Rdn. 19 m.w.N.). Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit erfolgt nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder. Es ist vielmehr möglich, dass ein und derselbe Beruf – je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis – entweder in Form der Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts.
In Anwendung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die Beklagte zu Recht das Vorliegen einer Beschäftigung bejaht hat. Nach dem Gesamtbild der Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin überwiegen die für das Vorliegen von Beschäftigung sprechenden Merkmale. Zwar deuten einige festgestellte Indizien auf Selbstständigkeit (dazu 1). Die für eine Beschäftigung sprechenden Merkmale (dazu 2) und fehlende, ins Gewicht fallende Merkmale für unternehmerische Freiheiten bzw. ein Unternehmerrisiko der Beigeladenen (dazu 3) geben im Rahmen einer Gesamtabwägung indessen den Ausschlag für das Vorliegen von Beschäftigung (dazu 4).
Zu 1)
Für eine selbstständige Tätigkeit spricht, dass die Beigeladenen Freiheiten bei der Ausübung der Tätigkeit hatten. Es waren keine regelmäßigen festen Arbeitszeiten vereinbart. Die Beigeladenen hatten zudem die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen. Auch stellten sie eigene Rechnungen an die Klägerin. Lohnfortzahlung bei Urlaub oder Krankheit war nicht vereinbart. In fachlicher Hinsicht waren die Beigeladenen grundsätzlich eigenverantwortlich und weisungsfrei tätig.
Zu 2)
Maßgebend für die Beurteilung ist nach der Rechtsprechung des BSG aber der jeweilige Einzeleinsatz der Beigeladenen. Die einzelnen Dienste wurden nach den widerspruchsfreien Aussagen der Parteien individuell vereinbart. Erst durch die Zusage der beigeladenen Ärzte entstand eine rechtliche Verpflichtung, den zugesagten Dienst auch tatsächlich zu leisten. Bei Vertragsgestaltungen dieser Art ist für die Frage der Versicherungspflicht grundsätzlich jeweils auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R; BSG, Urteil vom 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R). Die Beigeladenen hatten die Möglichkeit, Dienste abzulehnen. Übernahmen sie Dienste, wurden sie in den Organisationsplan eingestellt und arbeiteten arbeitsteilig mit anderen Mitarbeitern zusammen. Sie behandelten dabei die Patienten der Klägerin.
Für das Vorliegen einer Beschäftigung spricht daher, dass die Beigeladenen mit ihrer Tätigkeit für die Klägerin in erster Linie deren wirtschaftlichen Interessen zur Erfüllung ihrer Aufgaben als zugelassener Leistungserbringer gedient haben und ihre Tätigkeit nicht für ein eigenes, sondern für ein fremdes Unternehmen ausgeübt haben. Die Beigeladenen waren insoweit in den Betrieb der Klägerin eingebunden und dem Weisungsrecht der Klägerin hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung bei Auftragsannahme unterlegen. Dabei handeln Ärzte bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich. Hieraus kann nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach ganz herrschender Meinung selbst Chefärzte als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R, juris Rdn. 25 m.w.N.). Die Einbindung der Beigeladenen in den Betrieb der Klägerin ergibt sich aber aus der Bindung der ärztlichen Tätigkeit an die vertraglich festgehaltenen Verpflichtungen der Klägerin aufgrund des Vertrages nach § 37 b SGB V i.V.m. § 132 d SGB V. Die Tätigkeit der Beigeladenen hat sich notwendigerweise an diesen vertraglichen Verpflichtungen grundlegend zu orientieren. Diese bilden neben der rein ärztlichen Tätigkeit das Gerüst für die Tätigkeit der Beigeladenen, die über die rein ärztliche Tätigkeit hinaus damit letztlich auch zu einer weisungsgebundenen Tätigkeit wird. Unstreitig haben die Beigeladenen ihre Tätigkeit nach dem maßgeblichen Versorgungskonzept der Klägerin als Grundlage des geschlossenen Vertrages ausgerichtet.
Die sog. regulatorischen Vorgaben besitzen zwar keine zwingende, übergeordnete oder determinierende Wirkung, sind aber bei der Gewichtung der Indizien zur Statusbeurteilung zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 24.03.2016, B 12 KR 20/14 R). Diesen regulatorischen Rahmenbedingungen hat das BSG in der neueren Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R) zunehmend Bedeutung zugemessen. Ärztliches Krankenhauspersonal ist danach aufgrund dieser Rahmenbedingungen im Regelfall in die Organisations- und Weisungsstruktur des Krankenhauses eingegliedert. Gewicht hat das BSG dabei auch dem Aspekt beigemessen, dass Krankenhäuser jederzeit verfügbares, besonderes geschultes Personal benötigen, um sicherzustellen, dass die nicht fest angestellten Ärzte die gleichen Anforderungen wie die fest im Krankenhaus angestellten Ärzte erfüllen. Dies setzt einen maßgeblichen Einfluss des Krankenhauses auf ihre Tätigkeit voraus. Neben dem Erfordernis und Nachweis entsprechender fachlicher Qualifikationen bestehen umfassende Sicherstellungspflichten des Krankenhauses, die zu einer weitreichenden Einbindung der Ärzte in die Qualitätssicherungs- und Kontrollmechanismen führen. Diese regulatorischen Rahmenbedingungen führen im Regelfall zu einer Eingliederung ärztlichen Krankenhauspersonals in die Organisations- und Weisungsstruktur des Krankenhauses nach der Rechtsprechung des BSG.
Vorliegend ist ähnlich der Behandlung im Krankenhaus eine Behandlung der von der Klägerin „angenommenen“ Patienten erforderlich, die innerhalb ihres Vertrages nach § 132 d SGB V die Behandlung/Betreuung ebenfalls dem jeweiligen Kostenträger gegenüber allein zu verantworten hat. Selbst unter Berücksichtigung der therapeutischen Freiheiten sind die Beigeladenen durch diese überragende institutionelle Einbindung in das Versorgungskonzept der Klägerin deren „Weisungen“ unterlegen. Sie waren insoweit in den Betriebsablauf der Klägerin eingegliedert. Die Beigeladenen haben in den vorgegebenen Strukturen mit den Pflegekräften zusammengearbeitet. Der organisatorische Rahmen im Verhältnis zum Patienten vom Erstkontakt über die arbeitsteilige Behandlung bis zur Abrechnung der erbrachten Leistungen war in der Hand der Klägerin und wurde von dieser vorgegeben. Die Beigeladenen hatten bei Annahme des Auftrags keine ins Gewicht fallenden Freiheiten hinsichtlich Gestaltung und Umfang ihrer Arbeitsleistung innerhalb des einzelnen Dienstes. Die Beigeladenen waren zur Erfüllung der Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber deren Patienten im Sinne einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am therapeutischen Prozess eingesetzt, um die Aufgaben der Klägerin als Leistungserbringerin zu erfüllen. Hätte die Klägerin fest angestellte Ärzte gehabt, wären diese nicht von den Beigeladenen zu unterscheiden gewesen.
Zu 3)
Für eine abhängige Beschäftigung spricht zur Überzeugung des Senats auch die Art der Vergütung. Diese erfolgte nach einem festen Stundensatz und auch der Bereitschaftsdienst wurde pauschal vergütet. Eine Vergütung nach Stunden ist arbeitnehmertypisch.
Die Beigeladenen hatten kein wesentliches unternehmerisches Risiko getragen. Für eine selbstständige Tätigkeit ist ein Unternehmerrisiko erforderlich. Dabei ist maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes des Mittels also ungewiss ist (BSG, Urteil vom 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R). Allein das Risiko, mangels Aufträge nicht durchgehend arbeiten zu können, spielt dabei keine Rolle, denn es trifft jeden Arbeitnehmer, der nur Zeitverträge bekommt oder auf Abruf arbeitet oder unständig Beschäftigter ist. Zum echten Unternehmerrisiko wird dieses erst, wenn bei Arbeitsmangel nicht nur kein Einkommen erzielt wird, sondern auch Kosten für betriebliche Investitionen oder Arbeitnehmer anfallen oder für getätigte Investitionen brachliegen.
Die Beigeladenen haben insoweit lediglich vorgetragen, dass sie ihr eigenes Fahrzeug verwendeten und teilweise Heil- und Hilfsmittel zur Verfügung stellten. Außerdem haben sie ihre Zusatzausbildung zum Palliativmediziner selbst finanziert. Das Vorhalten eines Kfz ist jedoch nicht geeignet, ein unternehmerisches Risiko zu begründen. Zu Recht hat die Beklagte auch darauf hingewiesen, dass die Verwendung von Hilfsmitteln aus dem eigenen Praxisbestand nur in sehr geringem Umfang stattgefunden haben kann, da die notwendigen Medikamente und Pflegemittel vom Hausarzt der Patienten oder (in Notfällen) auch vom Palliativmediziner verordnet wurden. Die Ausbildungskosten sind ebenfalls nicht dem Unternehmerrisiko im Rahmen der vorliegend zu beurteilenden Tätigkeit zuzurechnen. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass keine Lohnfortzahlung bei Urlaub oder Krankheit vereinbart war. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Überbürdung des Risikos, bei Krankheit oder urlaubsbedingten Ausfällen kein Honorar zu erhalten, nur dann ein Indiz für Selbstständigkeit, wenn dem auch eine größere Unabhängigkeit oder höhere Verdienstchancen gegenüberstehen. Dies ist jedoch für die zu beurteilende Tätigkeit nicht erkennbar. Allein die Belastung eines Erwerbstätigen mit zusätzlichen Risiken rechtfertigt nicht die Annahme einer Selbstständigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2001, B 12 KR 17/00 R). Vorliegend ist diese Vereinbarung zudem auch vor dem Hintergrund des Willens der Beteiligten zu sehen, eine selbstständige Tätigkeit begründen zu wollen.
Ein nennenswertes Unternehmerrisiko ist damit nicht gegeben gewesen. Die Beigeladenen erhielten einen festen Lohn für geleistete Stunden und hatten keinen Verdienstausfall zu befürchten. Für sie bestand auch nicht die Chance, durch unternehmerisches Geschick ihre Arbeit so effizient zu gestalten, dass sie das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu ihren Gunsten entscheidend hätte beeinflussen können.
Für die Abgrenzung ist es auch nicht von Bedeutung, ob die honorarärztliche Tätigkeit als Haupterwerbsquelle oder im Nebenerwerb ausgeübt wird und ob es sich um kurzfristige und seltene Arbeitseinsätze oder um eine verstetigte Geschäftsbeziehung handelt. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Dazu gehört nicht eine wirtschaftliche Abhängigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R, juris Rdn. 34 m.w.N.). Der Einwand der Klägerin, die Beigeladenen würden mit der Führung ihrer eigenen Praxis Eigenvorsorge betreiben, ist daher nicht von Bedeutung. Auch ein mögliches ethisches Motiv der Beigeladenen, mehr der Palliativarbeit dienen zu wollen als einer Gewinnerzielungsabsicht, ist für die Einordnung ohne Belang.
Zu 4)
Unter Abwägung aller Merkmale führt das Gesamtbild der Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin zum Vorliegen von Beschäftigung. In der Gesamtabwägung kommt den für eine abhängige Tätigkeit sprechenden Gesichtspunkten nach alledem stärkeres Gewicht zu. Die Beigeladenen waren wie ein Arbeitnehmer in den Betrieb der Klägerin zur Erfüllung derer Aufgaben als Leistungserbringer der Krankenkassen tätig und haben insoweit ihre Arbeitskraft eingebracht. Ohne nennenswertes unternehmerisches Risiko haben sie ihre Arbeitsleistung abgerechnet. Die ihnen verbliebenen Entscheidungsspielräume bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sind dem Heilberuf immanent und vermögen für sich noch keine selbstständige Tätigkeit zu begründen. Dass die Beteiligten eine selbstständige Tätigkeit vereinbaren wollten, ist nicht maßgebend. Dem Willen der Parteien, eine selbstständige Tätigkeit zu begründen, kommt nach der Rechtsprechung generell nur dann überhaupt eine Bedeutung zu, wenn dieser Wille den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbstständigkeit wie für eine Beschäftigung sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R, juris Rdn. 36 m.w.N.). Nur unter diesen Voraussetzungen ist der in einem Vertrag dokumentierte Parteiwille überhaupt als ein auf Selbstständigkeit deutendes Indiz in die Gesamtabwägung einzustellen. Vorliegend kommt diesem Willen der Parteien unter Berücksichtigung der Gesamtumstände daher keine maßgebende Bedeutung zu, da die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Kriterien überwiegen.
Die bisherige Rechtsprechung des BayLSG zum Vorliegen von Versicherungspflicht von sog. Honorarärzten in einem Netzwerk von Palliativärzten (LSG München, Urteil vom 11.04.2019, L 7 R 5050/17), worauf sich die Klägerin stützt, kann keine andere Beurteilung rechtfertigen. Diese Entscheidung berücksichtigt insbesondere nicht die neuere Rechtsprechung des BSG vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R, die völlig zu Recht den regulatorischen Vorgaben mehr Gewicht beimisst.
Die Verpflichtung zur Nachentrichtung von Beiträgen ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 348 Abs. 1 Satz 1 SGB III i.V.m. den Vorschriften über den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§§ 28 d bis 28 n und 28 r SGB IV).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. §§ 52, 47 Gerichtskostengesetz (GKG). Gemäß § 52 Abs. 1 GKG bemisst sich der Streitwert in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen. Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Die Streitwertfestsetzung entspricht vorliegend der streitigen Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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