Arbeitsrecht

Stellenbesetzung nach Versetzungskriterien bei Vorliegen zwingender dienstlicher, sozialer und gesundheitlicher Gründe

Aktenzeichen  M 5 K 17.2803

Datum:
16.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31563
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
Leitlinien Personalentwicklung für Beamtinnen und Beamte der Steuerverwaltung Anlage 2 2.2.1 S. 2, S. 3

 

Leitsatz

1 Der Dienstherr kann bei einer Stellenbesetzung zwischen Beförderungs- und Versetzungsbewerbern unterscheiden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit den „Leitlinien Personalentwicklung für die Beamtinnen und Beamten der Steuerverwaltung“ hat das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Umweltfragen allgemein für alle Stellen gültige Auswahl- und Beförderungsgrundsätze aufgestellt und damit eine Organisationsgrundentscheidung getroffen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Zwingende soziale Gründe setzen voraus, dass beim Versetzungsbewerber eine Sondersituation vorliegt, die über allgemeine persönliche Gründe hinausgeht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 5. April 2017 sowie der Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, sie hat keinen Anspruch auf erneute Entscheidung über die Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Dienstherr bei einer Stellenbesetzung zwischen Beförderungs- und Versetzungsbewerbern unterscheiden kann. Nur dann, wenn sich der Dienstherr für ein Auswahlverfahren entschließt, an dem Beförderungs- und Umsetzungs-/Versetzungsbewerber unterschiedslos teilnehmen, legt er sich auf ein an den Maßstäben des Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes/GG ausgerichtetes Auswahlverfahren (Auswahlverfahren nach dem Prinzip der Bestenauslese) fest. Der Dienstherr hat ein in seiner Organisationsfreiheit begründetes Wahlrecht zwischen Umsetzung, Versetzung und Beförderung, dessen Ausübung im pflichtgemäßen Ermessen der für den Dienstherrn handelnden Behörden steht (BVerwG, U.v. 25.11.2004 – 2 C 17/03 – BVerwGE 122, 237, juris Rn. 18; B.v. 20.8.2003 – 1 WB 23/03 – RiA 2004, 35, juris Rn. 4 m.w.N.). Welches „Modell“ der Dienstherr seiner Entscheidung über die Besetzung eines freien Dienstpostens zugrunde legt, hat er – gleichsam als „Organisationsgrundentscheidung“ – spätestens vor der Auswahlentscheidung festzulegen (BVerwG, B.v. 20.8.2003, a.a.O., juris Rn. 4).
Der Beklagte hat mit seinen „Leitlinien Personalentwicklung für die Beamtinnen und Beamten der Steuerverwaltung“ (Stand: März 2015) einheitlich festgelegt, dass bei Vorliegen zwingender dienstlicher, sozialer und gesundheitlicher Gründe bei der Besetzung von ab variabel A 14/15 bewerteten Dienstposten von der Durchführung von Auswahlgesprächen und der Besetzung nach in den Leitlinien präzisierten Leistungskriterien abgewichen wird. In diesen Fällen kann im Einzelfall nach Versetzungsprinzipien entschieden und auf eine Ausschreibung verzichtet werden (Anlage 2 2.2.1 Sätze 2 und 3). Dabei handelt es sich um eine Ausnahmeregelung von dem in Nr. 2.1.2.1 der „Leitlinien Personalentwicklung“ festgelegten Grundsatz der Auswahl nach dort näher definierten Leistungskriterien. Das zeigt sich bereits an der Überschrift des entsprechenden Abschnitts (Anlage 2 Nr. 2.2 Besondere Auswahlgrundsätze bei Führungsfunktionen in der Steuerverwaltung) sowie der Formulierung besonderer Voraussetzungen für die Besetzung nach Versetzungsprinzipien, die im Ermessen der Behörde liegt (Anlage 2 Nr. 2.2.1 Sätze 2 und 3).
Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Umweltfragen hat mit den „Leitlinien Personalentwicklung für die Beamtinnen und Beamten der Steuerverwaltung“ allgemein für alle Stellen gültige Auswahl- und Beförderungsgrundsätze aufgestellt. Das hat er den Beschäftigten entsprechend kommuniziert und diese auch allgemein zugänglich im Intranet des Geschäftsbereichs veröffentlicht. Darin liegt die „Organisationsgrundentscheidung“ im gerade dargestellten Sinn. Entsprechende Vorgaben durch Besetzungsrichtlinien sind rechtlich zulässig und auch in anderen Geschäftsbereichen verbreitet, etwa bei der Bayerischen Polizei (Richtlinien über die Bestellung auf Dienstposten des gehobenen und des höheren Dienstes der Bayerischen Polizei vom 20. August 1997 i. d. F. vom 21. März 2003/RBestPol).
Die Klägerin, die Beförderungsbewerberin ist, musste nicht nach dem Grundsatz der Bestenauslese behandelt werden. Die getroffene Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen muss daher nur den Anforderungen an die Ausübung des pflichtgemäßen (aber sehr weit gespannten) Ermessens genügen und darf nicht willkürlich sein (BayVGH, B.v. 14.3.2014 – 3 ZB 13.1194 – juris Rn. 5 f. m.w.N.; B.v. 9.1.2013 – 3 CE 12.2491 – juris Rn. 17 m.w.N.).
2. Die getroffene Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Klägerin ist Beförderungsbewerberin hinsichtlich des streitbefangenen Dienstpostens. Denn anders als die Beigeladene wäre mit der Übertragung der strittigen Stelle eine (Vor-)Entscheidung über die Beförderung der Klägerin gegeben. Auf dem von ihr beanspruchten Posten in Augsburg könnte sie bei Vorliegen der laufbahnrechtlichen Voraussetzungen – ohne weiteres Auswahlverfahren – in ein Amt der Besoldungsgruppe A 15 befördert werden, was auf dem von ihr derzeit innegehabten Dienstposten in München nicht der Fall ist (BayVGH, B.v. 3.12.2009 – 3 CE 09.1662, BayVBl 2010, 216, juris Rn. 43). Demgegenüber ist die Beigeladene Versetzungsbewerberin hinsichtlich des strittigen Dienstpostens, da für sie eine Beförderung auf der Stelle in Augsburg nicht möglich ist.
Bei der vorliegenden Besetzungsentscheidung handelt es sich nicht um einen Abbruch des Auswahlverfahrens. Denn ein Abbruch ist dadurch gekennzeichnet, dass als Ergebnis keine Besetzungsentscheidung mit einem konkreten Bewerber getroffen wird (BVerwG, U.v. 3.12.2014 – 2 A 3/13 – juris Rn. 16). Im vorliegenden Fall hat der Dienstherr jedoch eine Besetzungsentscheidung durch Versetzung getroffen, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach Anlage 2 Nr. 2.2.1 Satz 2 der „Leitlinien Personalentwicklung“ für eine Ausnahme von der Auswahl nach Leistungsgrundsätzen vorlagen.
Wenn in Anlage 2 Nr. 2.2.1 Satz 2 der „Leitlinien Personalentwicklung“ der Begriff der zwingenden sozialen Gründe angegeben ist, bei dessen Vorliegen ausnahmsweise eine Stellenbesetzung nicht nach dem Leistungsprinzip, sondern nach den Grund sätzen der Versetzung möglich ist, so können für die Auslegung dieses Begriffs aufgrund der nahezu wortgleichen Fassung („zwingende persönliche Gründe“) und selben Interessenlage (ausnahmsweise Besetzung eines Dienstpostens im Wege der Umsetzung/Versetzung anstatt Auswahl nach Leistungsgrundsätzen) die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Auslegung der „zwingenden persönlichen Gründe“ in Nr. 3.1.1 der RBestPol herangezogen werden. Danach ist es erforderlich, dass beim Versetzungsbewerber eine Sondersituation vorliegt, die über allgemeine persönliche Gründe (z.B. allgemeiner Wunsch nach mehr Freizeit für familiäre Verpflichtungen durch Verkürzung der Fahrzeit) hinausgeht. Das folgt aus der Formulierung „zwingend“ (BayVGH, B.v. 1.9.2015 – 3 CE 15.1327 – juris Rn. 24; VG München, U.v. 15.4.2014 – M 5 K 13.4617 – juris Rn. 22).
Bei der Beigeladenen liegen entsprechend zwingende soziale Gründe im Sinn von Anlage 2 Nr. 2.2.1 Satz 2 der „Leitlinien Personalentwicklung“ vor. Aufgrund der nachgewiesenen Demenzerkrankung der betagten Mutter der Beigeladenen leidet diese zunehmend an Orientierungslosigkeit und verirrt sich mitunter. Es ist dann erforderlich, dass sich Angehörige um die betroffene Person kümmern und vom Ort der Inobhutnahme nach Hause bringen und zunächst weiter betreuen. Das gilt auch für kurzfristige Erkrankungen und Verletzungen. Ein Pflegedienst kann das nicht leisten. Die von der Beigeladenen in ihrem Schreiben vom 9. Februar 2017 geschilderten Umstände gehen damit über allgemeine persönliche Gründe hinaus und begründen eine konkret erforderliche kurzfristige Unterstützung der Mutter. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Dienstherr die geltend gemachte Situation der Beigeladenen als so schwerwiegend ansieht (Besetzungsvorschlag vom 6. März 2017), dass er sein Ermessen dahin ausübt, dass er die Besetzungsentscheidung im Wege der Versetzung der Beigeladenen getroffen hat.
Das Vorliegen zwingender sozialer Gründe bei der Klägerin war nicht bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Denn die Klägerin ist keine Versetzungsbewerberin hinsichtlich des umstrittenen Dienstpostens. Entsprechend war auch für eine Ermessensentscheidung des Dienstherrn bezüglich einer Versetzung der Klägerin, die auf den Vorzug von Beamtinnen und Beamten mit Kindern bei Versetzungen (Nr. 2 der Anlage 1 zu den „Leitlinien Personalentwicklung“) hinweist, in Abwägung zur Beigeladenen rechtlich kein Raum.
3. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, da sie ausdrücklich keinen Antrag gestellt und sich insoweit keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.


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