Arbeitsrecht

tarifliche Leistungsbeurteilung, Darlegungs- und Beweislast

Aktenzeichen  5 Sa 786/21

Datum:
6.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12958
Gerichtsart:
LArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Die Rechtsprechung des BAG (18.05.2014, 10 AZR 699/13) zur Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers bei einer unterdurchschnittlichen Beurteilung, die zum ERA-TV BW ergangen ist, findet auf die inhaltlich gleichen Regelungen des ERA-TV Bayern Anwendung. Da die Beklagte zu dem streitigen Beurteilungskriterium keine Tatsachen vorgetragen hat, die auch unter Berücksichtigung ihres Ermessensspielraums geeignet sind, die unterdurchschnittliche Beurteilung zu tragen, hat der Kläger Anspruch auf eine Leistungszulage, die insoweit einer Bewertung mit der durchschnittlichen Punktzahl entspricht.

Verfahrensgang

8 Ca 341/21 2021-10-19 Endurteil ARBGAUGSBURG ArbG Augsburg

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 19.10.2021, Az.: 8 Ca 341/21 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 623,10 brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.07.2021 zu zahlen.
2. Von den Kosten der ersten Instanz trägt der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger % und die Beklagte %.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage weitgehend zu Unrecht abgewiesen.
I.
Die gem. § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist zum weit überwiegenden Teil auch begründet. Der Kläger hat für das Jahr 2020 einen Anspruch auf ein Leistungsentgelt von 14% seines tariflichen Grundgehalts und daher vom Grunde her auf die Differenz zu dem in Höhe von 12,6% gezahlten Leistungsentgelt. Lediglich die Berechnung des Anspruchs in der Klage ist unzutreffend auf Basis der Gesamtjahresvergütung erfolgt, so dass die Klage mit dem überschießenden Teil der Forderung abzuweisen war. Nur insoweit war auch die Berufung abzuweisen. Im Übrigen war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und der Klage stattzugeben.
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine durchschnittliche Beurteilung bei dem Beurteilungskriterium „Persönlicher Einsatz“ für das Jahr 2019 entsprechend 10 Punkten, so dass er bei der Leistungsbeurteilung insgesamt auf den Durchschnitt von 50 Punkten kommt. Daher hat er gem. § 7 Ziff. 1 und Ziff. 5 des ERA-TV Bayern auch einen Anspruch auf ein durchschnittliches Leistungsentgelt von 14% seines tariflichen Grundgehalts von Januar 2020 bis Dezember 2020 (entgeltwirksamer Zeitraum der Beurteilung). Die Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die unterdurchschnittliche Beurteilung des Klägers bei dem Beurteilungsmerkmal „Persönlicher Einsatz“ in die Beurteilungsstufe B im Rahmen der Leistungsbeurteilung vom 17.01.2020 zu Recht erfolgt ist. Gründe, die eine solche Beurteilung rechtfertigen, hat die Beklagte auch unter Berücksichtigung eines weiten Ermessensspielraums nicht schlüssig dargelegt.
2. Das Ersturteil hat weder den Vortrag des Klägers ausreichend gewürdigt, noch sich mit der einschlägigen Rechtsprechung des BAG befasst. Nach dieser besteht bei der Überprüfung der Richtigkeit einer Beurteilung zur Ermittlung des Leistungsentgelts nach dem ERA-TV BW, das im Wesentlichen mit dem System des ERA-TV Bayern übereinstimmt, ein System der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Bestreitet daher der Arbeitnehmer die Richtigkeit der Leistungsbeurteilung, ist es zunächst Sache des Arbeitgebers, seine Bewertung anhand von Tatsachen zu konkretisieren und plausibel zu machen. Der Arbeitnehmer hat sodann hierzu substantiiert Stellung zu nehmen. Bleibt die Beurteilung danach streitig, hat derjenige, der einen Wert unterhalb oder oberhalb der tariflichen Normalleistung von 15% behauptet, jeweils dafür die Beweislast zu tragen (BAG 18.06.2014, 10 AZR 699/13).
3. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Rechtsprechung des BAG, die zum Entgeltrahmen-Tarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg vom 16.9.2003 (ERA-TV BW) ergangen ist, auch für den vorliegenden Fall einschlägig. Die der Entscheidung zugrundeliegenden Regelungen entsprechen im Wesentlichen denjenigen des ERA-TV Bayern.
3.1 Insoweit die Beklagte sich darauf bezieht, dass mit der Leistungszulage gem. § 7 Ziff. 1 ERA-TV Bayern – und insoweit abweichend vom dem ERA-TV BW – nur eine Leistung abgegolten wird, die über der Normalleistung liegt, die ihrerseits dem Durchschnitt entspricht, kann dem nicht gefolgt werden. Sowohl der ERA-TV BW, als auch der ERA-TV Bayern regeln zunächst eine Bezugsbasis bzw. eine Bezugsleistung, die in III § 6 Ziff. 1 ERA-Bayern (Bezugsleistung ist eine Leistung, die von durchschnittlich geeigneten Arbeitnehmern bei voller Übung und ausreichender Einarbeitung ohne Gesundheitsschädigung und ohne gesteigerte Anstrengung auf Dauer zu erreichen ist) und in Teil I § 3 ERA-TV BW (Bezugsbasis der Entgeltregelung. Bei der Bewertung der Höhe der Arbeitsanforderungen nach diesem Tarifvertrag ist ohne Beachtung von Geschlecht und Alter der Beschäftigten, die die jeweilige Arbeit ausführen, von Folgendem auszugehen: Es wird eine Leistungsbasis unterstellt, die bei menschengerechter Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung von durchschnittlich geeigneten Beschäftigten ohne gesteigerte Anstrengung auf Dauer zu erreichen ist.) parallel mit gleichem Inhalt, wenn auch nicht exakt gleichem Wortlaut definiert wird. Parallel ist auch geregelt, dass mit dem leistungsabhängigen Entgelt eine Leistung abgegolten wird, die über der Bezugsleistung liegt (III § 6 Ziff. 1 ERA-Bayern) bzw. mit dem Leistungsentgelt ein über der tariflichen Bezugsbasis liegendes Leistungsergebnis abgegolten wird (Teil III § 14 Ziff. 14.2 ERA-TV BW).
3.2 Dies bedeutet jedoch in beiden Tarifwerken nicht, dass die Bezugsbasis bzw. die Bezugsleistung als Normalleistung der durchschnittlichen Leistung der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer entspricht.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchst. zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr. vgl. BAG 13.7.2021 – 3 AZR 363/20, Rn. 23; BAG 21.1.2020, 3 AZR 73/19, Rn. 27, jeweils m.w.N).
Aus dem Wortlaut und dem tariflichen Zusammenhang ist vorliegend klar erkennbar, dass die Bezugsleistung, für die sich die Beklagte auch auf die entsprechende Definition in REFA bezieht, nicht mit der durchschnittlichen Leistung der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer gleichgesetzt werden kann. Dies wäre in beiden Tarifwerken mit den weiteren Regelungen für das Leistungsentgelt nicht zu vereinbaren und würde zu in der Praxis unbrauchbaren Ergebnissen führen.
Im ERA-TV BW ist in §§ 20, 21 auszugsweise folgendes geregelt:
㤠20. Festlegung der Leistung-Entgelt-Relation
– 20.1 Jede Vereinbarung zum Leistungsentgelt gem. § 16 muss, unabhängig von der gewählten Methode oder Methodenkombination, so gestaltet werden, dass im Durchschnitt der von der Vereinbarung erfassten Beschäftigten regelmäßig ein Leistungsentgelt von 15% der Grundentgeltsumme dieser Beschäftigten erreicht werden kann.
– 20.2 Das individuelle Leistungsentgelt beträgt zwischen 0% und 30%.
§ 21. Betriebliches Leistungsentgeltvolumen
– 21.1Die Summe der Leistungsentgelte soll bezogen auf den Betrieb 15% der Grundentgeltsumme ergeben.
…“
Dem entsprechen die Regelungen in III § 6 Ziff. 6 und 7 ERA-TV Bayern, nach denen jede Vereinbarung zum leistungsabhängigen Entgelt so gestaltet werden muss, dass im Durchschnitt der von der Vereinbarung erfassten Arbeitnehmer regelmäßig ein leistungsabhängiges Entgelt von 14% der Grundentgeltsumme dieser Arbeitnehmer erreicht werden kann, das individuelle leistungsabhängige Entgelt zwischen 0% und 28% beträgt und die Summe der leistungsabhängigen Entgelte bezogen auf den Betrieb 14% der Grundentgeltsumme ergeben soll. Der wesentliche Unterschied zwischen den Tarifwerken liegt also darin, dass der Durchschnitt für alle erfassten Arbeitnehmer in Bayern bei 14% liegt und in BW bei 15%.
Zudem wird in der Anmerkung zu III § 7 Ziff. 4 des ERA-TV Bayern, nach der der Wert eines Punktes 0,28% des jeweiligen Tarifgrundentgelts bei maximal 100 erreichbaren Punkten beträgt, passend zu dem genannten Durchschnittswert von 14% klargestellt, dass der Punktwert von 0,28% bei einer mittleren Punktzahl von 50 Punkten (mittleres Leistungsniveau entsprechend der Beurteilungsstufe C des Beurteilungsbogens) eine Leistungszulage von 14% ergibt.
Wenn also jede Vereinbarung zum leistungsabhängigen Entgelt nach dem ERA-TV Bayern so gestaltet werden muss, dass im Durchschnitt der von der Vereinbarung erfassten Arbeitnehmer regelmäßig ein leistungsabhängiges Entgelt von 14% der Grundentgeltsumme dieser Arbeitnehmer erreicht werden kann und wenn die Summe der leistungsabhängigen Entgelte bezogen auf den Betrieb 14% der Grundentgeltsumme ergeben soll, kann damit rein denklogisch – entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht – nicht ausschließlich eine Leistung abgegolten werden, die für den gesamten Bereich der Leistungszulage von 0 – 28% in jedem Fall über dem „Durchschnitt“ definiert als Bezugsleistung liegen muss. Vielmehr können die Regelungen nicht anders verstanden werden, als dass die Durchschnittsleistung eben 14% über der Bezugsleistung liegt.
3.3 Hieraus wird deutlich, dass die durchschnittliche Leistung in beiden Tarifwerken regelmäßig zu einer Leistungszulage von 14% führt und dass sich darin die Tarifiwerke nicht unterscheiden. Daher gelten auch die vom BAG für den insoweit inhaltlich regelungsgleichen ERA-TV BW aufgestellten Grundsätze entsprechend für den ERA-TV Bayern. Hiernach gilt im Anschluss an die Rechtsprechung des BAG (BAG 18.06.2014, 10 AZR 699/13. Rn 39 ff) im Einzelnen:
Bei der Beurteilung des Leistungsergebnisses und der Bestimmung des Entgeltsatzes handelt es sich nicht um eine Leistungsbestimmung i.S.v. § 315 BGB. Zwar hat der Arbeitgeber bei der Beurteilung der Leistung des Arbeitnehmers notwendigerweise einen gewissen Beurteilungsspielraum. Die Höhe der an das Beurteilungsergebnis anknüpfenden finanziellen Leistung ist durch den ERA-TV aber vorgegeben, ohne dass ein Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers i.S.d. § 315 BGB vorhanden wäre, so dass die für die Einhaltung des billigen Ermessens geltenden Grundsätze der Beweislastverteilung nicht zur Anwendung kommen.
Wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer streitig ist, ob der Arbeitnehmer nach III § 7 Ziff. 3 ERA-TV Bayern zutreffend beurteilt und damit das Leistungsentgelt richtig ermittelt wurde, gilt hinsichtlich der Richtigkeit der Beurteilung ein abgestuftes System der Darlegungs- und Beweislast. Zwar muss grundsätzlich der Anspruchsteller die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen, also beispielsweise der Arbeitnehmer den Anspruch auf eine höhere Vergütung. Beim Leistungsentgelt nach der Methode „Beurteilen“ besteht aber die Besonderheit, dass dessen Höhe von der Richtigkeit einer vom Arbeitgeber vorzunehmenden Beurteilung abhängt, deren maßgebliche Erwägungen der Arbeitnehmer nicht oder nur eingeschränkt kennt. Hinzu kommt, dass die Tarifvertragsparteien definiert haben, was von einem durchschnittlich geeigneten Beschäftigten ohne gesteigerte Anstrengung auf Dauer zu erreichen ist.
Gemäß III § 6 Ziff. 6 Abs. I ERA-TV Bayern (entsprechend § 20.1 ERA-TV BW) ist davon auszugehen, dass im Durchschnitt der von der Vereinbarung erfassten Beschäftigten regelmäßig ein Leistungsentgelt von 14% der Grundentgeltsumme dieser Beschäftigten erreicht werden kann; die Summe der Leistungsentgelte soll auf den Betrieb bezogen ebenfalls 14% der Grundentgeltsumme ergeben (III § 6 Ziff. 7 Abs. I ERA-TV Bayern entsprechend § 21.1 ERA-TV BW). Gemäß III § 6 Ziff. 6 Abs. II ERA-TV Bayern (entsprechend § 20.2 ERA-TV BW) kann das individuelle Leistungsentgelt zwar zwischen 0% und 28% betragen; entspricht das Leistungsergebnis aber in vollem Umfang den Erwartungen (mittlere Beurteilungsstufe des Leistungsbeurteilungsbogens gem. III § 7 Ziff. 11 ERA-TV Bayern), erreicht der Arbeitnehmer ein Leistungsentgelt von 14%. Die hierin liegende materiell-rechtliche Wertung ist daher bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast genauso, wie beim ERA-TV BW zu berücksichtigen.
Demnach gilt, dass es für den Fall, dass ein Arbeitnehmer die Richtigkeit der Beurteilung bestreitet, es zunächst Sache des Arbeitgebers ist, anhand der ausgewählten Kriterien seine Bewertung soweit wie möglich anhand von Tatsachen zu konkretisieren und plausibel zu machen. Reine Werturteile bedürfen zwar keines näheren Vortrags, reichen aber für sich genommen nicht aus, um eine negative Bewertung zu stützen. Hat der Arbeitgeber in dieser Weise die Beurteilung plausibel und nachvollziehbar begründet, ist es Sache des Arbeitnehmers, hierzu substantiiert Stellung zu nehmen. Bleibt danach die Beurteilung streitig, ist die Beweislast wie folgt verteilt: Will der Arbeitgeber von einer Beurteilung ausgehen, die unterhalb des Wertes von 14% liegt, trägt er hierfür die Beweislast. Umgekehrt trägt der Arbeitnehmer die Beweislast in den Fällen, in denen er eine Bewertung oberhalb dieses Richtwertes anstrebt.
4. Der Vortrag der Beklagten trägt die von ihr für den Kläger gewählte Beurteilungsstufe nicht. Das Beurteilungsmerkmal „Persönlicher Einsatz“ ist nach dem tarifvertraglichen Leistungsbeurteilungsbogen gem. § 7 Ziff. 11 ERA-TV Bayern, der bei der Beklagten verwendet wird, zum Beispiel anhand folgender Beurteilungsmerkmale zu beurteilen: „Arbeiten in unterschiedlichen Arbeits- und Organisationsstrukturen; Initiative; Übernahme von Verantwortung; Einbringen bzw. Umsetzen von Ideen und Anregungen; Umgang mit Arbeits- und Gesundheitsschutz“. Eine Bewertung mit „B“ bedeutet, dass die Leistung im Hinblick auf die genannten Beurteilungsmerkmale im allgemeinen den Erwartungen entspricht. Die mittlere Beurteilung mit „C“ bedeutet, dass die Leistung in vollem Umfang den Erwartungen entspricht. Mit dieser mittleren Beurteilung hätte der Kläger für dieses Beurteilungsmerkmal statt der von der Beklagten zugeteilten 5 Punkte die mittlere Punktzahl von 10 und bei der Gesamtbeurteilung statt der festgesetzten 45 Punkte die mittlere Punktzahl von 50 erreicht, die nach den tariflichen Regeln einer Leistungszulage von 14% entspricht.
Die Beklagte hat zu dem Beurteilungskriterium „Persönlicher Einsatz“ im Jahr 2019 lediglich vorgetragen, dass der Kläger ohne einen konkreten Auftrag seines Vorgesetzten am 16.12.2019 an der zum damaligen Zeitpunkt neuen Z. Flachschleifmaschine den Abrichtdiamanten unbrauchbar gemacht hat, indem er versucht hat, die Schleifscheibe an der Seite abzurichten. Die damals neue Maschine habe zwar die technische Möglichkeit gehabt, die Schleifscheibe, zum Schleifen von Nuten, auch an der Seite abzurichten. Diese Funktion sei aber bei der damals ausgeübten Tätigkeit nicht benötigt worden (lediglich Planfläche flachschleifen). Der Kläger habe dies testen wollen, ohne dass dies notwendig gewesen wäre. Der Vorgesetzte habe den Kläger nicht beauftragt, Dinge auszuprobieren. Im Anschluss daran habe der Kläger ungerechtfertigte Schuldzuweisungen gegenüber einem seiner Kollegen erhoben, da dieser Kollege die Schleifscheibe ursprünglich aufgebaut hatte.
Der Vortrag der Beklagten nennt damit bezogen auf das gesamte Kalenderjahr 2019, für das das Kriterium „Persönlicher Einsatz“ zu bewerten war, nur einen Vorfall und geht ansonsten auf die Leistungen des Klägers für den Rest des Kalenderjahres nicht ein. Der genannte Vorfall selber hat keinen negativen Einfluss auf die im ERA-TV Bayern genannten Beurteilungsmerkmale für das Kriterium „Persönlicher Einsatz“, sondern passt hinsichtlich des aufgetretenen Fehlers bei der Abrichtung der Schleifscheibe, die den Abrichtdiamanten unbrauchbar gemacht hat, ggf. zu dem Kriterium der „Qualität der erbrachten Leistung“ und hinsichtlich der Behauptung des Verhaltens des Klägers gegenüber seinem Kollegen zu dem Kriterium der „Zusammenarbeit“.
Der Kläger hat zu dem Vortrag der Beklagten substantiiert Stellung genommen und seinerseits vorgetragen, dass Ende Oktober 2019 eine neue Flachschleifmaschine „Z.“ im Arbeitsbereich eingetroffen sei und er an einer Schulung teilgenommen habe, um die Bedienung der neuen Maschine zu lernen. Der Mitarbeiter vom Hersteller Z. habe ihm ausdrücklich gesagt, er solle einfach alles ausprobieren, denn so könne man am besten lernen. Um das Gelernte auch später anwenden zu können habe er dann das eine oder andere ausprobieren müssen und dies mit seinem Teamleiter Herrn P. besprochen. Dieser habe nichts dagegen gehabt. Die Tatsache, dass bei er bei seinem testweisen Versuch, die Schleifscheibe an der Seite abzurichten den Abrichtdiamanten unbrauchbar gemacht habe, sei nicht geeignet, eine unterdurchschnittliche Beurteilung gerade bei dem Kriterium „persönlicher Einsatz“ zu begründen. Vielmehr habe er sich gerade in besonderer Weise eingesetzt, um die Einsatzmöglichkeiten der Maschine zu eruieren.
Den Vortrag des Klägers, dass er von dem Leiter seiner Schulung dazu aufgefordert war, Dinge an der Maschine auszuprobieren, hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten und hat die Ansicht vertreten, dass es darauf nicht ankomme. Den Vortrag des Klägers, dass sein Vorgehen mit seinem Vorgesetzten abgestimmt war, hat die Beklagte nicht bestritten. Sie hat lediglich vorgetragen, dass der Vorgesetzte den Kläger nicht hierzu beauftragt hat. Damit steht fest, dass es sich bei dem testweisen Versuch, die Schleifscheibe an der Seite abzurichten, um eine Eigeninitiative des Klägers gehandelt hat, bei der er seine Ideen und Anregungen zur Einarbeitung an der neuen Maschine eingebracht hat. Initiative und Einbringen von Ideen sind Beurteilungskriterien, die sich hinsichtlich des Beurteilungsmerkmals „Persönlicher Einsatz“ nach dem tarifvertraglichen Leistungsbeurteilungsbogen positiv auswirken sollen. Die Auffassung der Beklagten, die diese in der mündlichen Verhandlung vertreten hat, dass eine Initiative von Mitarbeitern nur im Rahmen der vom Vorgesetzten erteilten Weisungen gefragt sei, ist so nicht nachvollziehbar. Ein Handeln nach Weisungen braucht keine Initiative und kein Einbringen bzw. Umsetzen von Ideen und Anregungen.
Warum der einzige hier angeführte Vorfall die unterdurchschnittliche Beurteilung des Klägers hinsichtlich des Beurteilungsmerkmals „Persönlicher Einsatz“ für das ganze Kalenderjahr 2019 plausibel begründen soll, erschließt sich daher nicht. Die Beklagte ist damit ihrer Darlegungslast für die Berechtigung einer unterdurchschnittlichen Bewertung des Klägers nicht ausreichend nachgekommen, so dass der Kläger einen Anspruch auf eine durchschnittliche Beurteilung hat. Auf die Frage der Beweislast, die die Beklagte hypothetisch für den Fall einer plausiblen Begründung der Beurteilung ebenfalls tragen würde, nachdem der Kläger ihrem Vortrag entgegengetreten ist und die Beurteilung streitig geblieben ist, kommt es daher nicht an.
5. Der Anspruch des Klägers auf die monatlich zu zahlende Leistungszulage wird entgegen der Ansicht der Beklagten nicht für die Zeiträume bis einschließlich Oktober 2020 von der tarifvertraglichen Ausschlussfrist des § 22 Ziff. 3 MTV erfasst. Unabhängig von der Frage, ob die Fälligkeit der vom Kläger geltend gemachten höheren Leistungszulage ohne die gerichtliche Entscheidung überhaupt eintreten konnte, da eine Festsetzung gem. § 7 Ziff. 1 und 3 ERA-TV Bayern in dieser Höhe aufgrund der Ergebnisse einer Änderung der Leistungsbeurteilung erst jetzt in Ersetzung der Entscheidung des Arbeitgebers erfolgt ist, hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche für das Kalenderjahr 2020 auch rechtzeitig geltend gemacht. Sein Einspruch mit Schreiben vom 31.01.2020 wahrt die erste Stufe der Ausschlussfrist auch dann, wenn von einer auch für die Leistungszulage von 14% schon relevanten Festsetzung durch die Leistungsbeurteilung vom 17.01.2020 mit Wirkung zum 01.01.2020 ausgegangen wird.
Anschließend hat das in § 7 Ziff. 8 ERA-TV Bayern vorgesehene Verfahren vor der Paritätischen Kommission und sodann das Organisationsvertretergespräch gem. § 23 Abschn. C MTV stattgefunden, das wohl am 02.12.2020 abgeschlossen wurde. Jedenfalls hat die Beklagte die Beklagte erst nach der erneuten Geltendmachung durch den Kläger mit Schreiben der IG-Metall vom 09.02.2021, eingegangen bei der Beklagten am 15.02.2021, ihrerseits mit Schreiben vom 15.03.2021 die geltend gemachten Ansprüche zurückgewiesen. Durch dieses Schreiben wurde sodann ggf. die zweite Stufe der Ausschlussfrist gem. § 22 Ziff. 3. (III) MTV ausgelöst, die eine gerichtliche Geltendmachung innerhalb von 6 Monaten nach Ablehnung durch den Arbeitgeber erfordert. Mit seiner Klage vom 07.07.2020, zugestellt an die Beklagte am 10.07.2020, hat der Kläger auch diese Frist gewahrt. Für die Entscheidung kann daher dahinstehen, wann die Fälligkeit der streitgegenständlichen höheren Leistungszulage tatsächlich eingetreten ist, da diese jedenfalls nicht vor der Fälligkeit der mit Schreiben vom 17.01.2020 festgesetzten Leistungszulage ab dem Monat Januar 2020 der Fall war.
6. Der geltend gemachte Zinsanspruch in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz besteht gem. §§ 291, 288 BGB ab dem Zeitpunkt der Klagezustellung.
7. Die Berufung war abzuweisen, insoweit der Kläger eine Leistungszulage über dem Betrag von 14% des monatlichen Grundentgeltes gefordert hat. Gem. III § 6 Ziff. 1 Satz 1 wird das leistungsabhängige Entgelt zusätzlich zum Grundentgelt gezahlt und ist als Prozentsatz zum monatlichen Grundentgelt zu ermitteln. Weshalb der Kläger entgegen der klaren tariflichen Regelung seine Forderung auf ein zusätzliches Leistungsentgelt bezogen auf die Jahresbruttogesamtvergütung berechnet hat, erschließt sich nicht. Hierfür fehlt eine Anspruchsgrundlage, so dass das Arbeitsgericht insoweit – wenn auch mit anderer Begründung – die Klage im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 92 Abs. 1 ZPO.
IV.
Dem Rechtsstreit kommt über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zu, so dass für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung bestand. Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gem. § 72 a ArbGG die Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.


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